Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Gut, schön, ich habe nie gesagt, daß diese Schuld einzig und allein etwa bei den Sozialdemokraten liege.
Aberes ist nun einmal so, die sozialdemokratische Partei ist die stärkste Partei der Opposition; sie ist eine Partei, auf die man schon allein wegen ihrer Zahl schauen und mit der man, jawohl, auch wegen ihrer Tradition rechnen muß. Mich kümmert nicht, was ein paar rabiat gewordene vorgestrige Rechtsradikale sagen,
das ist nicht ernst. Gewiß, was jetzt in Niedersachsen vor sich geht, mag ein Alarmzeichen sein. Ich bin aber nicht besorgt. Ich glaube, wenn dieses ideologische Existenzminimum, das unser aller ist, von uns endlich in gemeinsamer Liebe zu dieser gemeinsamen politischen Heimat, die wir bauen wollen, realisiert wird, dann ist es sehr bald zu Ende mit diesen Radikalisten von drüben.
Weil wir auf Sie angewiesen sind, weil diese große Opposition die Mitverantwortung an unserer Politik trägt, deswegen diese Beschwörung an Sie. Auch wir werden und müssen Selbstbesinnung und Gewissenserforschung üben, gewiß. Aber machen Sie, meine Herren von der Opposition, es uns nicht allzu schwer!
Ich darf mich noch ein paar positiven Dingen zuwenden. Auch ich wünsche, daß möglichst bald endlich das große Werk der Strafrechtsreform zustande kommt. Die Juristen unter uns wissen, daß so viele Jahre vergeblich daran gearbeitet worden ist, daß immer wieder das Unglück es gewollt hat, daß das neue Strafgesetz, das wir dringend brauchen, nicht zustande gekommen ist. Hier steht dem Herrn Justizminister und seinem Ministerium eine große Aufgabe bevor.
Ferner möchte ich mich insbesondere dem Appell von Herrn Dr. von Merkatz anschließen: Die junge Juristengeneration, unser Nachwuchs, sollte eine ganz besondere Sorge für das Justizministerium sein. Ich weiß, es ist Länderangelegenheit, aber wenn irgendwo die Länder zusammenarbeiten und sich zusammenfinden müßten, dann wäre es auf diesem Gebiet. Denn diese jungen Menschen sind es, die später zwangsläufig in wichtige Positionen des öffentlichen Lebens einrücken müssen. Diese Menschen von dem bloßen öden Trott eines handwerklichen Juristendaseins wegzubringen, sie hinzuleiten zum Staat und zu den öffentlichen Aufgaben, sie mit dem großen Ethos und Pathos der rechtsstaatlichen Demokratie zu erfüllen, ist eine Aufgabe, die wahrhaft des Schweißes der Edlen wert ist. Wenn diese Aufgabe erfüllt wird, dann werden wir einmal eine staatsbürgerliche Elite haben, auf die wir stolz sein können und auf die wir uns verlassen können. Hier sollte Länderegoismus zurücktreten zugunsten eines gemeinsamen großen Werks.
Ich kenne den ..Betrieb an unseren Universitäten und in den Vorbereitungsstadien unserer Gerichte. Es ist da keineswegs alles erfreulich. Viel zuviel ist da
noch alter öder Trott. Viel zuviel werden die jungen Kräfte mit Stoff überfüttert, der ihnen auf den Universitäten geboten und bei den Examina zugemutet wird. Viel zuviel werden die jungen Referendare während ihrer Gerichtslaufbahn mit öder Tagesarbeit überlastet, ohne dem eigentlichen Ziel der Ausbildung, nämlich der Ausbildung zum vollen Juristen, zugeführt zu werden. Ich möchte dem Herrn Justizminister dieses Anliegen sehr ans Herz legen.
Wir haben auf dem Gebiet der Jusitz eine große Arbeit zu tun. Die Rechtskrise unserer Zeit ist eine Seelenkrise, eine Erscheinung der Seelenkrise unseres Volkes. Daß es zu den bösen Dingen unserer jüngsten Vergangenheit gekommen ist, liegt in dieser Seelenkrise unseres Volkes begründet. Man darf von der Arbeit eines Justizministeriums des Bundes keine Wunder erwarten, aber wir alle sind dafür verantwortlich — nicht nur der Herr Bundesjustizminister —, daß in diesem Volk wieder ein echter Rechtssinn erwache, lebendig werde und lebendig bleibe. Ist einmal dieser Rechtssinn — gleichgültig, welcher Interessengruppe einer angehöre — wieder da, dann ist das vorhanden, was unser Staat braucht, um zu leben: dann ist auch die Seele dieses Staates wieder da!