Rede:
ID0113301200

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 1133

  • date_rangeDatum: 11. April 1951

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    Deutscher Bundestag — 18g. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. April 1951 5119 133. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. April 1951 Geschäftliche Mitteilungen 5120B Änderungen der Tagesordnung 5120C Erste Beratung des Entwurfs eines Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) (Nr. 2090 der Drucksachen) 5120C Storch, Bundesminister für Arbeit 5120C Ausschußüberweisung 5121C Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen): Einzelplan VII — Haushalt des Bundesministeriums der Justiz (Nr. 1908 der Drucksachen, Umdruck Nrn. 99, 130) . 5121D Erler (SPD), Berichterstatter . . . . 5121D Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5125C Dr. Arndt (SPD) 5131D Dr. von Merkatz (DP) 5139B Kiesinger (CDU) 5141C Neumayer (FDP) 5145A Dr. Schneider (FDP) 5147C Loritz (WAV) 5149C Dr. Reismann (Z) 5151C Müller (Frankfurt) (KPD) 5154D Dr. Greve (SPD) 5156A Abstimmungen 5156D Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarats (Nr. 2109 der Drucksachen) 5157A Dr. Seelos (BP) 5157B Dr. Horlacher (CSU) 5158A Abstimmungen 5158B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Ermöglichung der Kapitalkreditbeschaffung für landwirtschaftliche Pächter (Nr. 2091 der Drucksachen) 5158C Ausschußüberweisung 5158C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 127) 5158D Ausschußüberweisung 5158D Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und eines Wirtschaftsstrafgesetzes (Nr. 2100 der Drucksachen) 5158D Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5158D Ausschußüberweisung 5159A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Aufhebung von Kriegsvorschriften (Nr. 2093 der Drucksachen) . . 5159A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5159A Ausschußüberweisung 5159B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Schaffung eines Internationalen Patentbüros (Nr. 2094 der Drucksachen) . . . . 5159B Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5159C Ausschußüberweisung 5159C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über die Verlängerung von Prioritätsfristen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes (Nr. 2095 der Drucksachen) 5159C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 5159C Ausschußüberweisung 5159D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung der in den ersten Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Nrn. 720, 1153 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht (25. Ausschuß) (Nr. 2106 der Drucksachen) 5159D Dr. Kleindinst (CSU), Berichterstatter 5159D Strauß (CSU) 5160B Arnholz (SPD) 5160B Abstimmungen 5160A, C Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen): Einzelplan VI — Haushalt des Bundesministeriums des Innern (Nr. 1907 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Wiederbesiedlung der Insel Helgoland (Nr. 2017 der Drucksachen), der Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Sicherung von Eigenturn auf der Insel Helgoland (Nr. 2018 der Drucksachen), der Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Bemühungen zur Freilassung von in der Ostzone inhaftierten Jugendlichen (Nr. 2019 der Drucksachen) sowie der Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Zurückziehung des Beschlusses der Bundesregierung über Maßnahmen gegen Unternehmungen, die politische Organisationen verfassungsfeindlichen Charakters unterstützen (Nr. 2099 der Drucksachen) . . 5160D Steinhörster (SPD), Berichterstatter . 5161A Dr. Hamacher (Z), Antragsteller . 5164A Renner (KPD): als Antragsteller 5164C als Abgeordneter 5189D Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 5166A, 5172D, 5182C, 5183C, 5195C Maier (Freiburg) (SPD) 5167A Dr.-Ing. Decker (BP) 5177A Dr. Wuermeling (CDU) . . . . 5177C, 5189C Brunner (SPD) 5179B Bausch (CDU) 5180D Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . 5183A Neumayer (FDP) 5184A Frau Dr. Weber (Essen) (CDU) . . 5184D Loritz (WAV) 5185C Frau Dr. Steinbiß (CDU) 5187B Brese (CDU) 5188C Kunze (CDU) (zur Geschäftsordnung) 5195D Dr. Reismann (Z): zur Geschäftsordnung 5196A zur Sache 5196C Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 5196B Weiterberatung vertagt 5197D Nächste Sitzung 5197D Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß der Schaden, der für die gemeinsame Rechtsüberzeugung in unserem Lande mit der vorhergehenden Rede angerichtet worden ist, beträchtlich ist.

    (Zustimmung und Beifall in der Mitte und rechts.)

    Es fällt außerordentlich schwer, auf diese Anwürfe gegen einen Mann und gegen die Führung einer Regierungspolitik in seinem Ressort in einer Form zu antworten, die nicht in jedem Wort Empörung ist. Es fällt schwer, sich nicht provoziert zu fühlen und daher eine Rede hinzulegen, wie wir sie in diesem Hause nicht hören wollen. Aber eins sei festgestellt. Sie sagten, Herr Kollege Arndt, wir beklagten uns über eine gewisse Entwicklung zur Radikalisierung in Niedersachsen im Wahlkampf.
    Ich stelle hiermit fest: ohne das Verfahren, das Sie bei Ihrer Rede angewandt haben und Ihre Parteifreunde unter Ansprechen der verletzten Gefühle unseres gequälten Volkes seit den eineinhalb Jahren, in denen wir hier im Bundestag sitzen, anwenden, ohne dieses Verschulden einer Volksverhetzung wäre es unmöglich, daß wir in Deutschland diese Radikalisierung hätten.

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Arnholz: Das ist eine Gemeinheit! — Anhaltende Zurufe. — Erneuter lebhafter Beifall. — Abg. Meyer [Bremen]: Ohne Ihre Arroganz könnte man ruhig zuhören!)

    Wir haben alle Energie angewandt, daß ein solches Verfahren in der politischen Auseinandersetzung nicht stattfindet.

    (Andauernde Zurufe links.)

    Wir haben uns bemüht, in allen Dingen Maß zu halten.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Tübingen].)

    — Was ich eben gesagt habe, mußte einmal ausgesprochen werden.

    (Zustimmung und Beifall rechts.)

    Es tut mir leid, daß ich so etwas aussprechen mußte. Ich habe bisher in meinen gesamten Ausführungen und auch meine politischen Freunde haben in der Art, wie wir unsere politischen Gedanken vorgetragen haben, diesen Ton vermieden. Aber nachdem es hier möglich gewesen ist, daß die Politik des Bundesjustizministers und damit die Politik der Regierung,

    (Zuruf links: Das nennen Sie Politik?) insbesondere alles das, was zugunsten unserer Kriegsgefangenen getan worden ist, von meinem Herrn Vorredner in einer solchen Form kritisiert worden ist, wie man es als Deutscher nicht verantworten kann, muß ich sagen: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus! Diese Auseinandersetzung m u ß einmal stattfinden. Aber es ist ein Trauerspiel, daß wir uns in diese Auseinandersetzung hineinbegeben müssen ausgerechnet bei der Erörterung des wichtigsten gemeinsamen Fundaments, nämlich dem Gebiet der Rechtspolitik, dem kostbaren Gut des Rechts, von dem auch Herr Kollege Arndt gesprochen hat.


    (Zuruf von der SPD: Das hätten Sie beachten sollen!)

    Aber ich halte es für meine Pflicht, in aller Deutlichkeit klarzustellen: Wenn Sie dieses Gut, das uns alle verbindet und dem wir alle verpflichtet sind, zerstören wollen, dann üben Sie eine Kritik an der Justizpolitik, wie Sie es getan haben, eine Kritik, in der nicht ein Wort darüber enthalten gewesen ist, was in diesen schweren Jahren auf dem Gebiete der Rechtsschöpfung in der Bundesrepublik geschehen ist!

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

    Nicht ein positives Wort ist darin gewesen!

    (Zuruf links: Da lachen ja die Hühner!)

    Das aber ist die Politik, die Sie und Ihre Freunde zum Nachteil des gemeinsamen Wohls nun bereits eine ganze Weile treiben.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Sie haben kritisiert, daß das Bundesjustizministerium angesichts der Frage des vörkerrechtlichen Status' Deutschlands keine klare Konzeption entwickelt habe und mit ihm auch die gesamte Regierung nicht. Ich weise diese völlige Ent-


    (Dr. von Merkatz)

    stellung, die davon zeugt, daß man von den Arbeiten dieses Ministeriums offenbar überhaupt nichts kennt, mit allem Nachdruck zurück. Die Regierung und mit ihr die Koalition und jeder Deutsche, Sie und wir, sind immer von dem einen Grundsatz ausgegangen, daß das Deutsche Reich als Rechtspersönlichkeit, — so auch gemäß der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 —, bestehen geblieben ist. Wir sind von dem Grundsatz ausgegangen, daß zwischen der Bundesrepublik und der Rechtspersönlichkeit des alten Deutschen Reiches Identität besteht und daß auf der Grundlage der Identität die künftige politische Konzeption zu gewinnen ist, insbesondere unsere Einstellung gegen etwaige Vorwegnahmen vor dem Friedensvertrag. Die Frage, die Herr Kollege Arndt hier angeschnitten hat, gehört nur zu einem Teil zum Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums; es ist eine Frage, die in der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes zu behandeln ist.
    Ich weise, obwohl das nicht Gegenstand der heutigen Debatte sein kann, mit allem Nachdruck zurück, daß im Hinblick auf die Saarfrage die Bundesregierung und als deren Berater der Bundesjustizminister auch nur das geringste unterlassen habe, was in dieser Frage zu tun gewesen sei.

    (Abg. Niebergall: Die Saar habt ihr abgeschrieben! Schon lange!)

    In dieser Frage können wir lediglich mit dem Hinweis auf das Völkerrecht und mit den Mitteln der Rechtsverteidigung kämpfen. Alles, was auf diesem Gebiet überhaupt geschehen konnte, ist geschehen,

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts)

    und ich bin überzeugt, diese Interessen Deutschlands, die die Interessen des Deutschen Reiches sind, werden nicht nur von der Koalition, sondern von diesem ganzen Hause in voller Gemeinsamkeit wahrgenommen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daß man es für notwendig befunden hat, das Urteil gegen Hedler nochmals zum Gegenstand der Aussprache zu machen, — nun, dazu muß ich sagen, daß ich es eigentlich für etwas gedankenarm halte,

    (Sehr richtig! rechts)

    diese abgestandene Sensation erneut hervorzuziehen.

    (Zuruf von der SPD: Das ist Ihnen wohl unangenehm?!)

    — Das Urteil ist uns nicht unangenehm! Ich teile sogar die Auffassung von Kollegen Arndt in diesem Punkte, daß es nicht Aufgabe eines Gerichtes sein kann, historische Vorgänge justitiabel zu machen. Das ist tatsächlich nicht möglich. In der Weimarer Zeit haben alle diese Urteile einen außerordentlich schädlichen Einfluß gehabt, gleichgültig, wie sie ausgefallen sind.

    (Abg. Arnholz: Na also!)

    Aber daß man daraus für sich die Befugnis ableitet, einen Richter, der seine Pflicht tut, vor Abschluß des Verfahrens zu kritisieren, und zwar in einer ziemlich starken Weise sogar zu diffamieren, ist untragbar. Daß sich dann der Justizminister gegen dieses die richterliche Unabhängigkeit und die Würde der Justiz beeinträchtigende Verfahren zur Wehr setzt, das halten wir allerdings — und wir haben es damals zum Ausdruck gebracht —
    für die einzig mögliche Haltung eines Justizministers in einem Rechtsstaat.

    (Anhaltender lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Es sind hier Ausführungen über das alte Reichsgericht gemacht worden. Es ist gesagt worden, dieses Reichsgericht habe sich in allen Senaten dem vergangenen totalitären Regime gefügig gezeigt. Zur Ehre der deutschen Justiztradition halte ich es für notwendig, diesen Anwurf als eine schwere Entstellung zurückzuweisen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Greve.)

    Die Tradition des Reichsgerichts war die letzte
    Bastion, die überhaupt für Rechtsstaatlichkeit und
    Rechtsgesittung in diesem Lande zurückgeblieben
    war. Wenn wir diese Tradition nicht gehabt hätten,
    hätten wir nun keine Möglichkeit des Neubeginns.

    (Abg. Dr. Greve: Eine sehr morsche Bastion war das schon!)

    — Daß diese Bastion so „morsch" war, Herr Kollege Greve, ist nicht das Verschulden des Reichsgerichts. Wenn die Methode, die aus der heutigen Debatte und aus der Kritik der Justizpolitik zu erkennen war, wiederum an Boden gewinnt, dann sind wir binnen fünf Minuten genau wieder soweit, daß wir sagen können: das deutsche Rechtsgefühl ist morsch!

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts. — Abg. Dr. Greve: Weil Sie nur die Klassenjustiz gebrauchen können, Herr von Merkatz!)

    — Ach, was heißt „Klassenjustiz"? Was ist das für ein Unsinn? Was ist das für eine Diffamierung des deutschen Richters?

    (Sehr richtig! rechts.)

    Richter, die sich für das Interesse einer Klass hätten mißbrauchen lassen, — so etwas hat es niemals gegeben; wenn man mit einiger Unvoreingenommenheit auf die deutsche Justizgeschichte zurückblickt, wird man dies feststellen können.
    Meine Damen und Herren! Das deutsche Schicksal ist nicht zuletzt eine Tragödie des Rechts gewesen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir sollten die Männer, die auf der letzten Schanze gestanden haben und die uns das lautere deutsche Rechtsdenken und die lautere deutsche Justiz in ihrer Tradition überkommen ließen, wir sollten unser eigenes Nest und unsere eigene Vergangenheit nicht beschmutzen. Wir Juristen kennen diejenigen, die charakterlich schwach gewesen sind, ganz genau.
    Zu dem Vortrag, der das Gebiet des Richterwahlausschusses betraf, habe ich nichts weiter zu sagen. Wir haben uns auf diesem Gebiet einmal ausgesprochen, und unser Wort ist ein bindendes und endgültiges. Ich versage mir daher, auf die Polemik unseres Kollegen Arndt in diesem Punkt näher einzugehen.
    Im Namen meiner Fraktionsfreunde habe ich nun noch — leider habe ich mich so lange mit der Polemik gegen die Rede des Kollegen Arndt aufhalten müssen — einige positive Dinge vorzutragen, die wir als Wünsche für die Zukunft haben. Mit besonderem Interesse verfolgen wir die Frage der Ausbildung und des Nachwuchses. Bei der Rechtspolitik des Bundes sollte die Möglichkeit einer neuen einheitlichen Justizausbildungsordnung erwogen werden, dabei insbesondere auch schon für den Referendar die Möglichkeit einer gewissen


    (Dr. von Merkatz)

    sozialen Sicherung, d. h. eines ausreichenden Unterhaltsbetrages erwogen werden. Ich bin mir bewußt, daß das eine Angelegenheit der Länder und nicht des Bundes ist, aber dabei sollten auch vom Bunde Impulse ausgehen.
    Auch auf dem Gebiet des Presserechtes bestehen Lücken und Mißstände, die unbedingt ausgefüllt bzw. beseitigt werden müßten. Vor allen Dingen glaube ich, daß es — und darin hat das Justizministerium bereits viel geleistet — notwendig sein wird, eine Bereinigung der beiden Sphären, nämlich der des Besatzungsrechts und des deutschen Rechts, vorzunehmen, damit wir nunmehr von der Befugnis, das deutsche Recht in die deutsche Sphäre voll und ganz zurückzubilden, Gebrauch machen.
    Ferner ist es unbedingt notwendig, die seit vielen Jahrzehnten anstehende Strafrechtsreform in vollem Umfange durchzuführen und im Zusammenhang mit dieser Strafrechtsreform auch eine Reform des Strafvollzuges, die alle Erfahrungen der modernen Psychologie berücksichtigt. Das ist eine Angelegenheit, die vom Bundesjustizministerium nur in Zusammenarbeit mit den Ländern in Angriff genommen werden kann. Aber in der gemeinschaftlichen Arbeit mit den Landesjustizministern muß auch Vorsorge getroffen werden, daß für den Strafvollzug in den Ländern größere Mittel zur Verfügung gestellt werden. Denn es hat sich durch die Not der Zeit eine ungewollte und im Urteilsspruch nicht begründete Verschärfung des Strafvollzugs ergeben, die unbedingt beseitigt werden muß. Die Not, die beim Strafvollzug allerorten besteht, ist groß.
    Ferner müßten alle Versuche, die einer weiteren Zersplitterung des deutschen Rechts Vorschub isten, in enger Zusammenarbeit mit den Landesjustizministern bekämpft werden. Besonders auf dem Gebiet des Rechts ist eine enge Fühlungnahme zwischen dem Bundesjustizminister und den Landesjustizministern - erforderlich. Was Herr Kollege Arndt_ im Hinblick .auf die Begriffe ,,Bundesgebiet" und „Geltungsbereich des Grundgesetzes" ausgeführt hat, teile ich voll und ganz. Hier ist eine praktische und klare Konzeption zu erarbeiten, die vor allem bei der Frage des Geltungsbereichs der Gesetze, die in der Bundesrepublik erlassen werden, einer genauen Prüfung bedarf.
    Ich teile auch die Auffassung von Herrn Abgeordneten Arndt, daß die in der sowjetisch-besetzten Zone von einer angemaßten Gewalt erlassenen Gesetze als deutsche Gesetze nicht angesehen werden können, daß insbesondere bei Fragen der Rechtshilfe besondere Aufmerksamkeit erforderlich sein wird, damit nicht aus reinem Formalismus Mißstände entstehen.
    Alles in allem möchte ich am Schluß meiner Darlegungen nochmals auf die dringende Notwendigkeit hinweisen, daß das rechtsstaatliche Denken und die Einstellung gegenüber dem Gesetz und gegenüber der Justiz ein gemeinsames Fundament sein muß, daß wir alles dazu beitragen müssen, um in Deutschland und in unserem Volk wieder eine lautere, feste, ja charakterfeste Rechtsgesinnung zu ermöglichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und der BP.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Dr. Arndt zwingen auch mich,' einiges dazu zu extemporieren. Die Gelegenheit einer Aussprache über den Justizetat hätte uns an sich zwingen können, uns in Sachlichkeit und Ruhe über das Nötige zu unterhalten. Ich habe wohl um die tragischen menschlichen Gegensätze, die zwischen Herrn Dr. Dehler und Herrn Dr. Arndt seit langer Zeit bestehen, gewußt und daher gefürchtet, daß die Debatte eine andere Wendung nehmen werde. Sie hat sie in der Tat auch genommen. Ich will nicht versuchen, mit derselben sprachlichen Schärfe, mit der Herr Dr. Arndt zu den Dingen Stellung genommen hat, zu antworten. Ich werde aber mit aller sachlichen Entschiedenheit antworten.

    (Sehr gut! rechts.)

    Ich möchte an die letzten Worte von Herrn Dr. Arndt anknüpfen, der gesagt hat, daß auch ein gewisses Mindestmaß an Menschlichem in der Demokratie unentbehrlich sei. Vielleicht ist sich Herr Dr. Arndt selber nicht immer klar bewußt, wie stark seine allzu zugespitzten Formulierungen den Gegner verwunden müssen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Man hat häufig kein echtes kritisches Vermögen mehr seinen eigenen Formulierungen gegenüber. Ich kenne Herrn Dr. Arndt ja aus der Arbeit der Ausschüsse und gestehe gern, daß ich dort seine sachliche Mitarbeit jederzeit geschätzt habe. Um so mehr tut es mir leid, daß er, sobald er hier auf die Tribüne tritt, eine wesentlich andere Sprache spricht, als er dies in der sachlichen Unterhaltung tut. So viel möge er mir, ohne daß ich irgendwie schulmeisterlich werden will, zu sagen erlauben.

    (Abg. Dr. Arndt: Sie brauchen mir keine Grabrede zu halten!)

    — Nein, das tue ich nicht. Im Gegenteil, ich will Sie durch meine Worte zu neuem, menschlicherem Leben erwecken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie haben, Herr Dr. Arndt, den Vorteil gehabt, hier gewisse Äußerungen und, wenn sie so stimmen, wie Sie sie vorgetragen haben, auch ohne Zweifel gewisse rednerische Entgleisungen des Herrn Bundesjustizministers vorzulesen. Aber, Herr Dr. Arndt, wenn wir schon vom Mindestmaß des Menschlichen in unserem gegenseitigen politischen Verkehr sprechen: es bedürfte wirklich nicht großer Mühe, um hier Berge von Äußerungen Ihrer politischen Freunde vorzulesen, die im Augenblick dieses Haus in eine wilde Orgie von Zorn und Entrüstung verwandeln würden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir kennen doch alle diese Reden und diese Auslassungen. Ich selber, der ich mich vom ersten Tag meiner Tätigkeit an in diesem Hause bemüht habe, selbst im wildesten Wahlkampf noch eine Sprache zu sprechen, die des Respektes auch vor dem politischen Gegner nicht enträt, darf dazu ein Wort sagen. Ich verteidige keine rednerischen Entgleisungen, von niemandem. Ich verteidige aber auch nicht die rednerischen Entgleisungen des Herrn Dr. Schumacher. Sie sind häufig und sie sind so, daß gerade auch die Gutwilligen unter uns, die seiner Persönlichkeit Respekt zollen wollen, sich oft genug mühsam bändigen müssen, um nicht ihrerseits rednerische Entgleisungen zu begehen.

    (Zustimmung in der Mitte.)



    (Kiesinger)

    Sie haben die Freundlichkeit gehabt, das Haus an mein Wort vorn ideologischen Existenzminimum zu erinnern. In der Tat, ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß unsere moderne Demokratie sich dieses ideologische Existenzminimum unter allen Umständen bewahren muß, wenn sie nicht in. einem wilden Kampf der Interessen untergehen will.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Aber dieses ideologische Existenzminimum wird nicht so leicht erarbeitet. Es wird auch auf dem Gebiete des Rechts nicht so leicht erarbeitet. Wir nehmen alle die Schlagworte aus dem vergangenen Jahrhundert, auch das Schlagwort des Rechtsstaates oder der rechtsstaatlichen Demokratie gern in den Mund. Aber wie sieht es um dieses Wort als Begriff in den verschiedenen Gehirnen aus? Der heute schon einmal zitierte und von mir als Mensch, Jurist und Politiker gleichermaßen verehrte, einstige politische Gegner meiner Richtung, Gustav Radbruch, hat in seinen jüngst erschienenen Lebenserinnerungen zu diesen Dingen einiges gesagt. Er hat z. B. gesagt, er persönlich habetiefe Genugtuung darüber, daß er jederzeit auch stürmischem Verlangen seiner Parteifreunde gegenüber auf der Unabhängigkeit des Richters bestanden habe. Wir wissen doch, daß der Rechtsstaat, wie er auf uns überkommen ist, eine Schöpfung des liberalen bürgerlichen Staates des 19. Jahrhunderts ist, daß von dort her seine Tradition lebt, vielleicht nicht immer in allem so, wie es die heutige Zeit fordern darf. Wir wissen aber auch, daß gerade auf der Seite des Sozialismus gewisse Tendenzen bestehen, die den Rechtsstaat gefährden können. Gustav Radbruch schreibt z. B. in diesen Erinnerungen, wie gewisse Tendenzen der damaligen jungen sozialistischen Generation sich in der Kampfparole verdichtet hätten: „Re-. publik, das ist nicht viel — Sozialismus ist das Ziel!" -

    (Aha-Rufe bei den Regierungsparteien.) Hier liegt ein Problem, vor dem wir die Augen nicht verschließen dürfen. Der Sozialismus hat Tendenzen, die dem Rechtsstaat, wie wir ihn wollen und bewahren wollen, gefährlich werden können. Sie müssen es nicht. Ich bin nicht unbedingt der Meinung etwa des Sozialisten Schumpeter, der sagt: Der Sozialismus wird kommen, aber er wird ganz anders kommen, als seine Anhänger dies glauben; er wird eher faschistische als demokratische Züge tragen.


    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Hier sind Tendenzen, vor denen wir auf der Hut sein sollen. Mehr möchte ich nicht sagen. Ich akzeptiere gern, daß im deutschen Sozialismus, in der Tradition der deutschen Sozialdemokratischen Partei — und das ist ein Verdienst, das man anerkennen soll — die demokratische Tradition neben der sozialistischen immer stark gewesen ist, und ich hoffe, daß sie dieser Tradition auch in der neuen Ara treu bleiben wird.
    Hier sehe ich gewisse Gegensätze nicht menschlich-persönlicher, sondern geistiger Art in der Auffassung von der rechtsstaatlichen Demokratie zwischen Herrn Dr. Dehler und Herrn Dr. Arndt. Niemand in diesem Hause wird Herrn Dr. Dehler, der heute so scharf attackiert worden ist, wirklich bestreiten können, daß er zu denen unter den neuen Politikern gehört, in denen das rechtsstaatliche Ethos und Pathos .am stärksten lebt.

    (Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In der Kritik, die Herr Dr. Arndt an ihm geübt I hat, ist er fast als ein autokratischer Finsterlin, erschienen, ein Mann, der die Rechte des Parlaments durch seine düstere Gutachtertätigkeit ständig einzuschränken trachte. Herr Dr. Arndt weiß genau, daß auch ich nicht mit alien Auffassungen des Herrn Bundesjustizministers einverstanden gewesen bin. Wie sollte es auch anders sein? Wir alle sind Menschen mit verschiedenen Auffassungen, Menschen auch mit unseren Widersprüchen. Aber ich kann mich an kein einziges Gutachten erinnern, in dem wirklich diese kritisierte Tendenz auch nur in eines Gedankens Blässe zum Ausdruck gekommen wäre.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Rufe bei der SPD: Oho!)

    Die rechtsstaatliche Demokratie, die parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes, sie ist ja eine noch nicht zu Ende diskutierte Angelegenheit. Es wird immer so sein, daß diejenigen, die auf den Regierungsbänken sitzen, stärker danach tendieren werden, die Prärogative der Exekutive zu betonen, und diejenigen, die auf diesen Bänken sitzen —, dazu zähle auch ich mich — werden bemüht sein, die Rechte des Parlaments gegen Übergriffe der Exekutive zu sichern. Darüber sollten wir uns nicht großen Aufregungen hingeben. Überhaupt hatte ich leider aus den Ausführungen von Herrn — —(Abg. Dr. Greve: Wenn ein Gesetzgebungsmonopol des Ministeriums daraus gemacht
    wird!)
    — Gut, wenn Sie mich an dieses Wort erinnern, Herr Kollege Greve, Sie sind Jurist und wissen, was in Wahrheit gemeint war: Nicht das Gesetzgebungsmonopol, das Rechismonopol war es ja wohl, das Herr Dr. Arndt zitiert hat.

    (Abg. Dr. Greve: Ich sage jetzt: Gesetzgebungsmonopol des Ministeriums!)

    Aber daß die Schaffung, die Fortbildung, die Weiterentwicklung des Rechts in einer Demokratie nicht ausschließlich Angelegenheit des Parlaments ist, liegt doch offenbar vor aller Augen. Die Richterschaft jedes Landes hat die hohe Aufgabe, das Recht weiterzubilden. Jeder, der auch nur einmal in irgendeinem Lande die lange Reihe von Bänden der Rechtsprechung der obersten Gerichte durchgesehen hat, weiß doch, wie aus den schmalen Räumen eines Gesetzes heraus eine gewaltige Fülle von Recht durch Rechtsprechung geschaffen und entfaltet wird.
    Aber nun zu einigen kritischen Feststellungen von Herrn Dr. Arndt ein — ich muß schon sagen — mahnendes Wort. Zunächst hatte ich den Eindruck, als ob Herr Dr. Arndt. hier eine außenpolitische Debatte heraufbeschwören wolle, als er dem Herrn Bundesjustizminister die Verantwortung für die Außenpolitik des Bundes auferlegen wollte. Ich bin gewiß, daß der Herr Bundesminister diesen hohen Ehrgeiz nie gehabt hat.

    (Zuruf von der SPD: Wer weiß!)

    Ich muß aber vor allen Dingen zu einer Bemerkung von Herrn Dr. Arndt Stellung nehmen, und zwar zu der Kritik gegenüber der Äußerung des Herrn Bundeskanzlers, als er über die Kriegsgefangenenfrage sprach. Hier hat Herr Dr. Arndt zunächst einmal festgestellt, nach seiner Auffassung sei nicht genügend geschehen, um das Los unserer Kriegsgefangenen draußen zu lindern. Verehrter Herr Dr. Arndt! Sie haben genau so wie ich die Tätigkeit der Rechtsschutzstelle im Bundesjustiz-


    (Kiesinger)

    ministerium verfolgt. Wir alle waren doch ständig damit beschäftigt. Bin ich denn blind gewesen, als ich bei meinen Nachforschungen die Arbeit dieses Amtes beobachtete? Wer immer an diese Stelle herankam, wegen eines Angehörigen bangend, gewann den Eindruck, daß dort Menschen tätig sind, die alles tun, um das Los der Gefangenen zu erleichtern!

    (Sehr richtig! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich frage dieses Haus und alle, die einmal mit dieser Stelle zu tun hatten, ob sie etwa den Eindruck bekommen haben, daß dort schwere Versäumnisse begangen worden sind.

    (Zuruf rechts: Im Gegenteil!)

    Gewiß, Herr Dr. Arndt, ich will gern zugestehen, wenn es um das Schicksal unserer noch immer im Ausland befindlichen Kriegsgefangenen geht, sollte man gar nicht das Wort gebrauchen: Es ist alles getan worden, was geschehen kann. Jeder, der in diesen Dingen tätig ist, müßte sagen: Es ist noch nicht genug geschehen! Es kann überhaupt nicht genug geschehen in diesen Dingen. Aber es ist soviel geschehen, wie in Menschenkraft, was in der Kraft dieser Regierung steht, und wir schulden den Menschen, die sich dafür eingesetzt haben, allen Dank.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun lassen Sie mich — um auch wieder zu rügen, daß Herr Dr. Arndt gewisse Dinge in einer übermäßigen Zuspitzung formuliert hat, so daß sie, ohne daß er's vielleicht will, falsch erscheinen — zu dem Wort des Herrn Bundeskanzlers Stellung nehmen. Ich habe mir das Protokoll geben lassen und lese mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers noch einmal zur Stärkung der Erinnerung des Hauses vor. Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hatte zu der Verurteilung des Generals Ramcke Stellung genommen und gesagt: „Seine Verurteilung ist unerwartet." Dann fuhr er wörtlich fort:
    Ich möchte mich in diesem Augenblick aller weiteren Bemerkungen enthalten. Bei dieser Frage wie auch bei der Frage nach dem Los deutscher Gefangenen in anderen Ländern spielen psychologische Dinge auch auf der anderen Seite eine sehr große, manchmal sogar eine entscheidende Rolle. Ich bitte diese Gefangenen, und zwar alle und ihre Angehörigen, davon überzeugt zu sein, daß die deutsche Bundesregierung alles tut, was in ihrer Kraft steht, um das Los der Gefangenen zu erleichtern und ihnen baldmöglichst die Freiheit wiederzuverschaffen. Aber in diesen Dingen kommt man viel weiter, wenn man nicht zu viel darüber redet.
    Meine Damen und Herren, alle, die sich mit diesen Dingen zu befassen hatten, wissen doch, daß auf ganz weiten Strecken dieses Gebietes einfach nicht geredet und gelärmt werden durfte, gerade damit die armen Kriegsgefangenen ihre Freiheit wiederbekamen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Ich will auch jetzt nicht darüber reden, aus dem gleichen Grunde, der uns schon früher veranlaßt hat, die Dinge nicht an die große Glocke zu hängen. Der Herr Bundeskanzler hat doch nicht vom Rechte gesprochen, das eingeschränkt werden müßte. Er hat einfach darauf hingewiesen, daß das Pochen auf das Recht unter Umständen für diese armen Menschen das Gegenteil dessen bewirke, was man ihnen erstreiten will.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, damit kann ich diese Frage verlassen.
    Wenn Herr Dr. Arndt den Herrn Justizminister Dr. Dehler mitverantwortlich macht für eine falsche staats- und völkerrechtliche Konzeption, die die Deutsche Bundesregierung vor allen Dingen in eine — wie er meint — verkehrte und verhängnisvolle Außenpolitik hineintreibe, dann ist es das gute Recht des Vertreters der Opposition, seine Auffassung darzustellen und die nach seiner Auffassung falsche Politik der Regierung zu rügen. Allerdings läßt sich im Rahmen einer solchen kurzen Debatte dieses schwierige Gebiet natürlich nicht behandeln. Wenn ich die Saarfrage herausgreifen darf, dann genüge die Feststellung, daß die Bundesregierung hier vom ersten bis zum letzten Augenblick eine völlig klare Konzeption gehabt hat, die Konzeption nämlich, daß die vollzogenen Akte und faktischen Zustände Unrecht sind und daß dieses Unrecht bei einem kommenden Friedensvertrage gutzumachen ist.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Die Frage der Methode, mit der man dieses Ziel erreicht, also die Frage, ob man die Saarfrage heute zu einer großen aktuellen Tagesstreitfrage macht oder ob man dieses Problem zu einem anderen Zeitpunkt aufgreift, wird im übrigen immer streitig bleiben. Kein Mensch kann von sich behaupten, vor allen Dingen kein Außenpolitiker, daß er allwissend sei. Wir müssen Vorwürfe dieser Art in Kauf nehmen, und wir hoffen und erwarten, daß die kluge, maßvolle, vorsichtige und bei aller Vorsicht feste Politik der Bundesregierung eines Tages beweisen wird, daß sie richtig war.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich will mich noch ganz kurz zu der Frage der Eigenart des deutschen Richtertums, der richterlichen Unabhängigkeit usw. äußern. Ich weiß mich mit Herrn Kollegen Dr. Arndt in vielen dieser Fragen völlig einig. Ich bin z. B. mit ihm einig — wir haben es ja im Rechtsausschuß gemeinsam durchgehalten —, daß man sicherlich beim Gebrauch von bestimmten eingebürgerten Schlagwörtern, Ausdrücken, vorsichtiger sein könnte. Das Wort vom Geltungsbereich des Grundgesetzes zum Beispiel, für das Herrn Dr. Arndt das Verdienst gebührt, ist richtig; es zeigt unseren rechtlichen Standpunkt. Aber man sollte es nun nicht zum Anlaß einer großen, scharfen Kritik nehmen, wenn sich ein solcher guter Sprachgebrauch nicht sofort allgemein einbürgert. Auch ich bin dafür, daß wir bei uns im Lande einen Richterstand bekommen, der ebenso unabhängig — äußerlich wie innerlich —wie volksnahe ist; und ich bin weit davon entfernt, zu sagen, daß dieser Richterstand ideal sei. Meine Damen und Herren, dieses ganze deutsche Volk ist nicht ideal!

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wie alle Menschen auf der Welt höchst problematische Wesen sind, so teilt auch das deutsche Volk dieses menschliche Schicksal. Vielleicht hat es am allgemeinen menschlichen Schicksal in den letzten Jahren etwas zu stark nach der Richtung des Kranken hin teilgenommen. Jeder, der im Volke herumhört, mit den Leuten diskutiert, spürt doch,


    (Kiesinger)

    wie verstört und verwirrt die Herzen unserer Menschen sind.
    Hier knüpfe ich an eine Kritik an, die Herr Dr. von Merkatz geübt hat. Meine Damen und Herren von der Opposition, auch ich stehe wie die meisten von uns ständig draußen in der Auseinandersetzung mit den Leuten; und etwas von dem, was Herr von Merkatz gesagt hat, muß auch ich in schwerer Sorge — nur sie bewegt mich dazu — Ihnen zu bedenken geben: daß in einer Zeit wie der unseren, wenige Jahre nach einer furchtbaren Katastrophe, diesem Volke ununterbrochen vorgeredet wird: „Dir geht es schlecht, es könnte dir besser gehen, es geht dir nur deswegen nicht besser, weil irgendein stures Besitzbürgertum das nicht anders haben will und weil Kapitalismus, Klassenstaat und alle diese Dinge da sind."

    (Zuruf von der SPD: Ist das etwa nicht wahr?!)

    Meine Damen und Herren, gestern hatten wir hier ein gemeinsames großes Werk zustande gebracht; und am Schluß dieses gemeinsamen großen Werkes wagte es einer Ihrer Abgeordneten, hier aufzustehen und zu sagen, die Regierungsparteien hätten durch ihre Politik unsägliches Leid über Millionén von Menschen gebracht!

    (Zuruf von der SPD: Wahrheit! — Weitere Zurufe von der SPD. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Das ist doch einfach nicht wahr! Der wirkliche Gegensatz zwischen uns ist doch ein ganz anderer, wenn wir es ehrlich sagen. Hüben wie drüben wird es Menschen geben, die mit echter und idealistischer Überzeugung Politik machen, und es wird Leute geben, die aus irgendwelchen anderen Gründen Politik machen. Aber eines steht fest: Willen zu sozialer Gerechtigkeit müssen wir Menschen aus beiden Lagern zugestehen. Die Frage ist nur, ob soziale Gerechtigkeit auf sozialistischem Wege gefunden werden kann, oder ob der Weg zu sozialer Gerechtigkeit ein nichtsozialistischer sein muß.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Mellies.)


    (Abg. Mellies: Kennen Sie die durch diese Wirtschaftspolitik entstandene Lage der Sozialrentner?)

    — Herr Mellies, auch die Lage der Sozialrentner wird in allerkürzester Zeit von meiner Fraktion gebessert werden; denn meine Fraktion ist nicht willens, etwa ein Gesetz nach Art. 131 durchzubringen und gleichzeitig die Lage der Sozialrentner nicht erheblich zu bessern.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Abwarten!)

    Wenn ich überzeugt wäre, daß der sozialistische
    Weg der Weg der sozialen Gerechtigkeit wäre,
    dann würde ich heute Sozialist werden. Weil ich
    aber davon überzeugt bin, daß dieser Weg nicht
    der richtige Weg ist, deswegen bin ich es nicht.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Zuruf links.)

    Warum ich das alles sage? — Weil ich draußen in unserem Volk ununterbrochen auf Menschen treffe, die, von Schlagworten gefüttert, von Schlagworten verstört und über sie empört,

    (lebhafter Beifall in der Mitte)

    .die politische Diskussion in unserem Vaterland zu jenem unseligen Schauspiel machen, das wir tagtäglich erleben müssen.

    (Abg. Mellies: Wen meinen Sie damit? — Abg. Dr. Greve: Kommen Sie bloß mal nach Niedersachsen, wie da Bundesminister reden, in Hannover in der Niedersachsenhalle!)