Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß der Schaden, der für die gemeinsame Rechtsüberzeugung in unserem Lande mit der vorhergehenden Rede angerichtet worden ist, beträchtlich ist.
Es fällt außerordentlich schwer, auf diese Anwürfe gegen einen Mann und gegen die Führung einer Regierungspolitik in seinem Ressort in einer Form zu antworten, die nicht in jedem Wort Empörung ist. Es fällt schwer, sich nicht provoziert zu fühlen und daher eine Rede hinzulegen, wie wir sie in diesem Hause nicht hören wollen. Aber eins sei festgestellt. Sie sagten, Herr Kollege Arndt, wir beklagten uns über eine gewisse Entwicklung zur Radikalisierung in Niedersachsen im Wahlkampf.
Ich stelle hiermit fest: ohne das Verfahren, das Sie bei Ihrer Rede angewandt haben und Ihre Parteifreunde unter Ansprechen der verletzten Gefühle unseres gequälten Volkes seit den eineinhalb Jahren, in denen wir hier im Bundestag sitzen, anwenden, ohne dieses Verschulden einer Volksverhetzung wäre es unmöglich, daß wir in Deutschland diese Radikalisierung hätten.
Wir haben alle Energie angewandt, daß ein solches Verfahren in der politischen Auseinandersetzung nicht stattfindet.
Wir haben uns bemüht, in allen Dingen Maß zu halten.
— Was ich eben gesagt habe, mußte einmal ausgesprochen werden.
Es tut mir leid, daß ich so etwas aussprechen mußte. Ich habe bisher in meinen gesamten Ausführungen und auch meine politischen Freunde haben in der Art, wie wir unsere politischen Gedanken vorgetragen haben, diesen Ton vermieden. Aber nachdem es hier möglich gewesen ist, daß die Politik des Bundesjustizministers und damit die Politik der Regierung,
insbesondere alles das, was zugunsten unserer Kriegsgefangenen getan worden ist, von meinem Herrn Vorredner in einer solchen Form kritisiert worden ist, wie man es als Deutscher nicht verantworten kann, muß ich sagen: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus! Diese Auseinandersetzung m u ß einmal stattfinden. Aber es ist ein Trauerspiel, daß wir uns in diese Auseinandersetzung hineinbegeben müssen ausgerechnet bei der Erörterung des wichtigsten gemeinsamen Fundaments, nämlich dem Gebiet der Rechtspolitik, dem kostbaren Gut des Rechts, von dem auch Herr Kollege Arndt gesprochen hat.
Aber ich halte es für meine Pflicht, in aller Deutlichkeit klarzustellen: Wenn Sie dieses Gut, das uns alle verbindet und dem wir alle verpflichtet sind, zerstören wollen, dann üben Sie eine Kritik an der Justizpolitik, wie Sie es getan haben, eine Kritik, in der nicht ein Wort darüber enthalten gewesen ist, was in diesen schweren Jahren auf dem Gebiete der Rechtsschöpfung in der Bundesrepublik geschehen ist!
Nicht ein positives Wort ist darin gewesen!
Das aber ist die Politik, die Sie und Ihre Freunde zum Nachteil des gemeinsamen Wohls nun bereits eine ganze Weile treiben.
Sie haben kritisiert, daß das Bundesjustizministerium angesichts der Frage des vörkerrechtlichen Status' Deutschlands keine klare Konzeption entwickelt habe und mit ihm auch die gesamte Regierung nicht. Ich weise diese völlige Ent-
stellung, die davon zeugt, daß man von den Arbeiten dieses Ministeriums offenbar überhaupt nichts kennt, mit allem Nachdruck zurück. Die Regierung und mit ihr die Koalition und jeder Deutsche, Sie und wir, sind immer von dem einen Grundsatz ausgegangen, daß das Deutsche Reich als Rechtspersönlichkeit, — so auch gemäß der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 —, bestehen geblieben ist. Wir sind von dem Grundsatz ausgegangen, daß zwischen der Bundesrepublik und der Rechtspersönlichkeit des alten Deutschen Reiches Identität besteht und daß auf der Grundlage der Identität die künftige politische Konzeption zu gewinnen ist, insbesondere unsere Einstellung gegen etwaige Vorwegnahmen vor dem Friedensvertrag. Die Frage, die Herr Kollege Arndt hier angeschnitten hat, gehört nur zu einem Teil zum Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums; es ist eine Frage, die in der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes zu behandeln ist.
Ich weise, obwohl das nicht Gegenstand der heutigen Debatte sein kann, mit allem Nachdruck zurück, daß im Hinblick auf die Saarfrage die Bundesregierung und als deren Berater der Bundesjustizminister auch nur das geringste unterlassen habe, was in dieser Frage zu tun gewesen sei.
In dieser Frage können wir lediglich mit dem Hinweis auf das Völkerrecht und mit den Mitteln der Rechtsverteidigung kämpfen. Alles, was auf diesem Gebiet überhaupt geschehen konnte, ist geschehen,
und ich bin überzeugt, diese Interessen Deutschlands, die die Interessen des Deutschen Reiches sind, werden nicht nur von der Koalition, sondern von diesem ganzen Hause in voller Gemeinsamkeit wahrgenommen werden.
Daß man es für notwendig befunden hat, das Urteil gegen Hedler nochmals zum Gegenstand der Aussprache zu machen, — nun, dazu muß ich sagen, daß ich es eigentlich für etwas gedankenarm halte,
diese abgestandene Sensation erneut hervorzuziehen.
— Das Urteil ist uns nicht unangenehm! Ich teile sogar die Auffassung von Kollegen Arndt in diesem Punkte, daß es nicht Aufgabe eines Gerichtes sein kann, historische Vorgänge justitiabel zu machen. Das ist tatsächlich nicht möglich. In der Weimarer Zeit haben alle diese Urteile einen außerordentlich schädlichen Einfluß gehabt, gleichgültig, wie sie ausgefallen sind.
Aber daß man daraus für sich die Befugnis ableitet, einen Richter, der seine Pflicht tut, vor Abschluß des Verfahrens zu kritisieren, und zwar in einer ziemlich starken Weise sogar zu diffamieren, ist untragbar. Daß sich dann der Justizminister gegen dieses die richterliche Unabhängigkeit und die Würde der Justiz beeinträchtigende Verfahren zur Wehr setzt, das halten wir allerdings — und wir haben es damals zum Ausdruck gebracht —
für die einzig mögliche Haltung eines Justizministers in einem Rechtsstaat.
Es sind hier Ausführungen über das alte Reichsgericht gemacht worden. Es ist gesagt worden, dieses Reichsgericht habe sich in allen Senaten dem vergangenen totalitären Regime gefügig gezeigt. Zur Ehre der deutschen Justiztradition halte ich es für notwendig, diesen Anwurf als eine schwere Entstellung zurückzuweisen.
Die Tradition des Reichsgerichts war die letzte
Bastion, die überhaupt für Rechtsstaatlichkeit und
Rechtsgesittung in diesem Lande zurückgeblieben
war. Wenn wir diese Tradition nicht gehabt hätten,
hätten wir nun keine Möglichkeit des Neubeginns.
— Daß diese Bastion so „morsch" war, Herr Kollege Greve, ist nicht das Verschulden des Reichsgerichts. Wenn die Methode, die aus der heutigen Debatte und aus der Kritik der Justizpolitik zu erkennen war, wiederum an Boden gewinnt, dann sind wir binnen fünf Minuten genau wieder soweit, daß wir sagen können: das deutsche Rechtsgefühl ist morsch!
— Ach, was heißt „Klassenjustiz"? Was ist das für ein Unsinn? Was ist das für eine Diffamierung des deutschen Richters?
Richter, die sich für das Interesse einer Klass hätten mißbrauchen lassen, — so etwas hat es niemals gegeben; wenn man mit einiger Unvoreingenommenheit auf die deutsche Justizgeschichte zurückblickt, wird man dies feststellen können.
Meine Damen und Herren! Das deutsche Schicksal ist nicht zuletzt eine Tragödie des Rechts gewesen.
Wir sollten die Männer, die auf der letzten Schanze gestanden haben und die uns das lautere deutsche Rechtsdenken und die lautere deutsche Justiz in ihrer Tradition überkommen ließen, wir sollten unser eigenes Nest und unsere eigene Vergangenheit nicht beschmutzen. Wir Juristen kennen diejenigen, die charakterlich schwach gewesen sind, ganz genau.
Zu dem Vortrag, der das Gebiet des Richterwahlausschusses betraf, habe ich nichts weiter zu sagen. Wir haben uns auf diesem Gebiet einmal ausgesprochen, und unser Wort ist ein bindendes und endgültiges. Ich versage mir daher, auf die Polemik unseres Kollegen Arndt in diesem Punkt näher einzugehen.
Im Namen meiner Fraktionsfreunde habe ich nun noch — leider habe ich mich so lange mit der Polemik gegen die Rede des Kollegen Arndt aufhalten müssen — einige positive Dinge vorzutragen, die wir als Wünsche für die Zukunft haben. Mit besonderem Interesse verfolgen wir die Frage der Ausbildung und des Nachwuchses. Bei der Rechtspolitik des Bundes sollte die Möglichkeit einer neuen einheitlichen Justizausbildungsordnung erwogen werden, dabei insbesondere auch schon für den Referendar die Möglichkeit einer gewissen
sozialen Sicherung, d. h. eines ausreichenden Unterhaltsbetrages erwogen werden. Ich bin mir bewußt, daß das eine Angelegenheit der Länder und nicht des Bundes ist, aber dabei sollten auch vom Bunde Impulse ausgehen.
Auch auf dem Gebiet des Presserechtes bestehen Lücken und Mißstände, die unbedingt ausgefüllt bzw. beseitigt werden müßten. Vor allen Dingen glaube ich, daß es — und darin hat das Justizministerium bereits viel geleistet — notwendig sein wird, eine Bereinigung der beiden Sphären, nämlich der des Besatzungsrechts und des deutschen Rechts, vorzunehmen, damit wir nunmehr von der Befugnis, das deutsche Recht in die deutsche Sphäre voll und ganz zurückzubilden, Gebrauch machen.
Ferner ist es unbedingt notwendig, die seit vielen Jahrzehnten anstehende Strafrechtsreform in vollem Umfange durchzuführen und im Zusammenhang mit dieser Strafrechtsreform auch eine Reform des Strafvollzuges, die alle Erfahrungen der modernen Psychologie berücksichtigt. Das ist eine Angelegenheit, die vom Bundesjustizministerium nur in Zusammenarbeit mit den Ländern in Angriff genommen werden kann. Aber in der gemeinschaftlichen Arbeit mit den Landesjustizministern muß auch Vorsorge getroffen werden, daß für den Strafvollzug in den Ländern größere Mittel zur Verfügung gestellt werden. Denn es hat sich durch die Not der Zeit eine ungewollte und im Urteilsspruch nicht begründete Verschärfung des Strafvollzugs ergeben, die unbedingt beseitigt werden muß. Die Not, die beim Strafvollzug allerorten besteht, ist groß.
Ferner müßten alle Versuche, die einer weiteren Zersplitterung des deutschen Rechts Vorschub isten, in enger Zusammenarbeit mit den Landesjustizministern bekämpft werden. Besonders auf dem Gebiet des Rechts ist eine enge Fühlungnahme zwischen dem Bundesjustizminister und den Landesjustizministern - erforderlich. Was Herr Kollege Arndt_ im Hinblick .auf die Begriffe ,,Bundesgebiet" und „Geltungsbereich des Grundgesetzes" ausgeführt hat, teile ich voll und ganz. Hier ist eine praktische und klare Konzeption zu erarbeiten, die vor allem bei der Frage des Geltungsbereichs der Gesetze, die in der Bundesrepublik erlassen werden, einer genauen Prüfung bedarf.
Ich teile auch die Auffassung von Herrn Abgeordneten Arndt, daß die in der sowjetisch-besetzten Zone von einer angemaßten Gewalt erlassenen Gesetze als deutsche Gesetze nicht angesehen werden können, daß insbesondere bei Fragen der Rechtshilfe besondere Aufmerksamkeit erforderlich sein wird, damit nicht aus reinem Formalismus Mißstände entstehen.
Alles in allem möchte ich am Schluß meiner Darlegungen nochmals auf die dringende Notwendigkeit hinweisen, daß das rechtsstaatliche Denken und die Einstellung gegenüber dem Gesetz und gegenüber der Justiz ein gemeinsames Fundament sein muß, daß wir alles dazu beitragen müssen, um in Deutschland und in unserem Volk wieder eine lautere, feste, ja charakterfeste Rechtsgesinnung zu ermöglichen.