Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Behandlung meines Haushalts benutzen, um Ihnen in Kürze über die Arbeiten und über die Aufgaben meines Ministeriums zu berichten. Der Herr Abgeordnete Erler hat Ihnen die Überzeugung des Haushaltsausschusses vermittelt, daß der Stellenplan meines Ministeriums sehr sparsam aufgestellt ist. Wenn überhaupt in einem Ministerium, dann kommt es in dem meinen auf die Qualität der Mitarbeiter an.
Ein Justizministerium muß eine Gemeinschaft von Könnern sein.
Mir steht gewissermaßen als verpflichtendes Vermächtnis das vor Augen, was jemand, der es erfahren hat, nämlich der frühere Reichsjustizminister Dr. Gustav Radbruch, vom Reichsjustizministerium berichtet hat. Er hat es dargestellt als eine Bauhütte von Handwerkern und von Künstlern der Gesetzgebung, als eine Stätte der höchsten Objektivität, in der es eben nur eine Leidenschaft geben solle, nämlich die heiße Hingabe an das Recht.
Aber, meine Damen und Herren, es ist schwerer, als man meint, diesen Stab von Mitarbeitern zu bekommen. Das Reservoir an hochwertigen Kräften ist gering geworden, und man muß auch beifügen: die Neigung der Menschen, die dafür in Frage kommen, hierher nach Bonn in die Zentralbehörden, die man nicht ohne Grund als „Nervenmühlen" bezeichnet, zu gehen, ist geringer, als man erwarten sollte, auch schon deswegen, weil diese Übersiedlung für manche ein erhebliches wirtschaftliches Opfer bedeutet. Das Bundesjustizministerium verfügt auch nicht über Mittel- und Unterinstanzen, sondern ist darauf angewiesen, daß die Landesjustiz-
verwaltungen ihre Kräfte zur Verfügung stellen; und diese sind oft nicht gewillt, gerade ihre besten Leute herzugeben.
Es war für mich vor allem sehr schwierig, die Vorschrift des Art. 36 des Grundgesetzes zu erfüllen, nämlich Beamte aus allen Ländern in angemessenen Verhältnis zu verwenden, besonders deswegen, weil ich das Zentraljustizamt in Hamburg und ferner das Rechtsamt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes in Frankfurt übernommen habe, Ämter, die beide landsmannschaftlich — na, ich darf wohl sagen, etwas einseitig zusammengesetzt waren, und weil sich — das möchte ich doch auch einmal sagen — Beamte aus süddeutschen Ländern seltener zur Verfügung stellen, als es der Idee und der Verpflichtung des Föderalismus entspräche.
Häufig streben diese süddeutschen Beamten auch zu bald wieder in ihre Heimat zurück. Aber ich darf glauben, daß es uns trotz dieser besonderen Schwierigkeiten, die dem Aufbau und dem Ausbau meines Ministeriums entgegenstanden, gelungen ist, im wesentlichen den vielfältigen Aufgaben, die an mich herangetreten sind, gerecht zu werden.
Ich halte das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts, das am 1. Oktober vorigen Jahres in Kraft getreten ist und das seit dem 1. Januar dieses Jahres auch für Berlin gilt, für einen Meilenstein auf dem Wege zur Rechtseinheit, zur Rechtssicherheit und vielleicht auch zur Rechtserneuerung. Wir haben erreicht, daß für die ordentliche Gerichtsbarkeit wieder ein einheitliches Verfahrensrecht gilt, das von dem Gestrüpp der Kriegszeit und der Nachkriegszeit befreit ist. Alle Praktiker, Anwälte, Richter und Staatsanwälte, erkennen diese Neuerung als wertvoll, als eine fühlbare Erleichterung ihrer Arbeit an. Aber dieses Gesetz stellt nur ein Fundament dar, auf dem die sehr wichtigen und für unsere Rechtsentwicklung bedeutsamen Reformarbeiten weitergetrieben werden müssen. Insbesondere wird eine Neugestaltung der GerichtsverFassung nicht zu umgehen sein, ein Ziel, das i a dann zwangsläufig auch zu Änderungen der Zivilprozeßordnung und der Strafprozeßordnung führen muß.
Dieses Vereinheitlichungsgesetz hat, wie der Herr Abgeordnete Erler Ihnen schon dargestellt hat, als Nachfolger des Reichsgerichts den Bundesgerichtshof in Karlsruhe geschaffen und damit der ordentlichen Gerichtsbarkeit wieder die um der Rechtseinheit und um der Rechtssicherheit willen notwendige oberste Spitze gegeben. Wir waren uns von Anfang an der Schwierigkeiten der Aufgabe bewußt, dieses anspruchsvolle verletzliche Institut eines obersten Revisionsgerichtes wieder zu schaffen. Diese Schwierigkeiten sind auch aufgetreten. Die Bildung des Richterkorps hat sich verzögert, und es ist leider nicht so, wie es der Herr Abgeordnete Erler unterstellt hat, daß dieses Gericht erst allmählich anläuft. Es mußte ja sofort die Erbschaft des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone übernehmen.
Man muß schon sagen: es ist eine Flut von Arbeit an dieses Gericht herangekommen. Ich will Ihnen nur einige Zahlen nennen. Die Revisionen in Strafsachen haben im November 120 und jetzt im Februar schon 414 betragen, die Revisionen in Zivilsachen im November 484, jetzt im Februar schon 674. Dazu kommen jetzt noch die Revisionen von Berlin rückwirkend vom 1. Januar dieses Jahres an. Also eine gewaltige Arbeitsfülle!
Ich werde von der Möglichkeit, die mir in § 130 des neugefaßten Gerichtsverfassungsgesetzes eingeräumt worden ist, Gebrauch machen und möglichst rasch in Berlin einen detachierten Strafsenat des Bundesgerichtshofes errichten. Dafür ist allerdings wieder ein kleiner Stab von Richtern — ein Senatspräsident, mindestens sechs Bundesrichter, ein Bundesanwalt und die Hilfsstellen — erforderlich.
Ich muß auch jetzt schon darauf hinweisen, daß sich mit der Errichtung des Bundesverfassungsgerichts höchstwahrscheinlich die Notwendigkeit einer Erhöhung der Richterzahl am Bundesgerichtshof ergeben wird; denn die Richter, die vom Bundesgerichtshof als Richter für das Bundesverfassungsgericht gewählt werden, werden für den Bundesgerichtshof ausfallen, und es wird nicht zu umgehen sein, daß die Planstellen dann wieder ergänzt werden. Auf jeden Fall: so wie die Dinge augenblicklich liegen, kann der Bundesgerichtshof seine Aufgabe nicht so erfüllen, wie wir es wünschen. Ich nehme an, daß Klagen über die Verzögerung seiner Arbeit auch schon an Sie herangetragen worden sind. Diese werden erst verstummen, wenn wir die Ihnen eben vorgetragene Ergänzung der Planstellen geschaffen haben. Der Rechtsschutz des Bürgers ist erst dann gewährleistet, wenn nicht nur mit einer gründlichen und hochwertigen, sondern auch mit einer raschen Erledigung der anhängigen Verfahren gerechnet werden kann. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mein Bemühen, diesen Rechtsschutz wirksam zu machen und zu stärken, unterstützen wollten.
Zu den für die Praxis wichtigen Gesetzen, die in meinem Ministerium bearbeitet worden sind — ich darf Ihnen einige nennen — und besonders der Vereinheitlichung, Säuberung und Vereinfachung der unübersichtlich und verworren gewordenen Rechtsgebiete dienen, gehören das handelsrechtliche Bereinigungsgesetz, das Gesetz über die Neuordnung des Verschollenheitsrechts, das Gesetz, das das Verjährungsrecht ergänzt und vereinheitlicht, das Gesetz über die Anerkennung von Nottrauungen, das Gesetz über die Anerkennung von freien Ehen rassisch und politisch Verfolgter.
Aus der Arbeit meiner wirtschaftsrechtlichen Abteilung gehören hierher das D-Mark-Bilanzgesetz, das Gesetz über die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten aus Aktien, die teilweise überaus komplizierte Verhältnisse rechtlich klären und ordnen mußten, dann der Abschluß der Gesetzgebung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes.
Das für unser Verfassungsrecht wohl wichtigste Gesetz war das von Ihnen erst vor einigen Wochen verabschiedete Bundesverfassungsgerichtsgesetz, das hier bei der Behandlung eine eingehende Würdigung gefunden hat. Seine Bedeutung für unser Verfassungsleben kann wohl kaum überschätzt werden. Es wird in diesen Tagen verkündet werden. Ich habe immer geglaubt, ich könnte die Verkündung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes verbinden mit der Verkündung der beiden anderen notwendigen Gesetze, die nach Ihrer Entscheidung ausgesprochene Sondergesetze geworden sind, nämlich des Besoldungsgesetzes für die Richter am Bundesverfassungsgericht und des Gesetzes über den Sitz des Bundesverfassungsgerichts. Mit der Verkündung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes beginnen einige wichtige Ausschlußfristen zu laufen. Das Gericht kann aber unmöglich schon mit der Verkündung, mit dem Inkrafttreten des Ge-
setzes seine Tätigkeit aufnehmen; die Richter müssen gewählt, die notwendigen sächlichen Mittel beschafft, die Räume für das Gericht geschaffen werden. Alle diese notwendigen Maßnahmen sind zwar vorbereitet, aber die Durchführung hängt davon ab, daß Sie, meine Damen und Herren, das Gesetz über den Sitz des Gerichtes verabschieden, und zwar möglichst rasch. Gerechnet von diesem Zeitpunkt ab, in dem der Sitz bestimmt ist, wird man wohl etwa drei Monate rechnen müssen, bis das Bundesverfassungsgericht funktionsfähig ist. Ich wäre Ihnen zu besonderem Danke verpflichtet, wenn Sie die Entscheidung über den Sitz des Bundesverfassungsgerichtes möglichst umgehend fällen wollten.
In diesem Zusammenhang darf ich eine andere Bitte wiederholen, die ich schon vor Wochen ausgesprochen habe, mir Vorschläge für die Bundesverfassungsrichter zu übermitteln. Nach § 3 des Gesetzes können solche Vorschläge nur von den Fraktionen des Bundestags, von der Regierung und von den Länderregierungen gemacht werden. Ich bin dann gehalten, diese Vorschläge in eine Liste aufzunehmen und sie den Wahlkörperschaften zuzuleiten.
— Ja, aber ich kann diese Vorschläge nicht in die Liste aufnehmen, solange sie nicht gemacht sind; sie können erst bei den Beratungen der Wahlkörperschaften behandelt werden. Ich darf also nochmals die Bitte aussprechen, mir die Vorschläge für dieses sehr hohe Amt in unserer Demokratie möglichst bald zu machen. _
Ein Gesetz, dem ich für die Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den nächsten Jahren Bedeutung beimesse, ist das Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht, dessen Fassung in meinem Ministerium entstanden ist. Es war bisher nur einem verhältnismäßig kleinem Teil unseres Volkes möglich, das eigene Heim zu Eigentum zu erwerben. In Zukunft kann praktisch jeder mit den gleichen Mitteln, die er bisher für die Miete aufgewendet hat, seine Wohnung zu Eigentum erwerben.
Auf dem Gebiete des Strafrechts ist das Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949 zu erwähnen, besonders bemerkenswert wegen der Bejahung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet, wichtig auch für die künftige Strafverfahrensreform wegen des Experiments des objektiven Feststellungsverfahrens bei Beleidigungen, eines nach meiner Überzeugung im wesentlichen gelungenen Experimentes.
Weiter darf ich das nach meiner Ansicht für die Sicherung der Existenzgrundlagen unseres Staates außerordentlich wichtige und dringende Strafrechtsänderungsgesetz erwähnen, das zur Zeit bei Ihrem Rechtsausschuß liegt und dessen baldige Verabschiedung mir eine Sorge ist. Weiterhin erwähne ich den Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und eines Wirtschaftsstrafgesetzes, der heute von Ihnen in erster Lesung zu behandeln ist. Ich glaube, daß das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten einen Versuch der Scheidung zwischen kriminellem Unrecht und Verwaltungsunrecht, der im alten Wirtschaftsstrafgesetzbuch begonnen wird, systematisch und wirksam weiterführt.
Damit Sie einen Überblick über die Tätigkeit meines Ministeriums bekommen können, darf ich vielleicht noch kurz das Gesetz zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt, das Gesetz über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse, das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über Schiffsregister, das Gesetz über die Behandlung wiederkehrender Leistungen bei Immobiliarzwangsvollstreckungen und das Gesetz über die Kraftloserklärung von Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefen erwähnen.
Im vergangenen Jahr ist das Bundesjustizministerium in ganz außerordentlichem Umfange auf einem Rechtsgebiet beschäftigt worden, das in Zukunft nach der Errichtung des Auswärtigen Amtes wenigstens zum Teil dort bearbeitet werden wird. Ich meine die sehr vielfältigen Fragen der Überleitung der besatzungsrechtlichen Vorschriften in das deutsche Recht, die Vorarbeiten und Untersuchungen mit dem Ziele der Lockerung und Ersetzung des Besatzungsstatuts, die Mitwirkung an den Verhandlungen des Schuman-Plans, die Prüfung der Rechtsfragen über den Beitritt zum Europarat, die mit der Unterzeichnung der Konvention über die Menschenrechte zusammenhängen.
Das Schwergewicht meines Ministeriums lag auf dem Gebiete der Gesetzgebung. Aber auch seine Verwaltungstätigkeit ist, wie Sie aus dem Bericht des Herrn Abgeordneten Erler entnommen haben, nicht gering. Sie ist allerdings beschränkt, und es besteht ein Anlaß, daß ich auf diese Beschränkung hier einmal hinweise, weil die Gerichte mit Ausnahme der oberen Bundesgerichte grundsätzlich Ländergerichte sind, so daß mir als Bundesjustizminister hier insoweit jede Dienstaufsicht, jeder irgendwie geartete Einfluß auf die Personalpolitik und die Verwaltungszuständigkeit fehlt. Wenn daher an die Presse und auch in täglichen Eingaben an mich Anregungen, Beschwerden wegen gewisser Vorgänge in Strafverfahren, wegen des Strafvollzuges, auf gnadenweisen Erlaß von Freiheits- oder Geldstrafen, auf Einschreiten gegen Richter einlaufen, so ist das ein völliges Verkennen meiner Zuständigkeit. Der Bundesjustizminister ist in diesen Fällen ein völlig einflußloser Mann. Er kann nichts anderes tun als diese Eingaben an die Länderjustizverwaltungen weiterleiten.
Die bedeutsamste Verwaltungszuständigkeit, die ich habe, hat der Herr Abgeordnete Erler stark unterstrichen. Das ist der Aufbau des Bundespatentamtes in München und die Ausübung der Dienstaufsicht über diese Behörde. Der Aufbau ist im wesentlichen abgeschlossen. Das Bundespatentamt ist in einem Teil des Deutschen Museums in München untergebracht. Eine Zweigstelle ist in Berlin errichtet worden in einem Teil der Räume des alten Reichspatentamtes. Das Bundespatentamt ist zur Zeit die größte Bundesoberbehörde — Sie haben die Zahlen gehört — mit 1187 Planstellen, 1051 in München und 136 in der Dienststelle in Berlin. Die Arbeit des deutschen Patentamtes ist über Erwarten gut angelaufen; ich habe deshalb die Absicht, spätestens im nächsten Jahr die gegenwärtige Beschränkung auf dem Gebiete der Neuheitsprüfung aufzuheben und zu dem alten und bewährten amtlichen Vorprüfungsverfahren, das, ich darf es wohl sagen, den Ruf des alten deutschen Reichspatentamtes begründet hat, wieder zurückzukehren, ein Wunsch, der besonders auch von seiten der Erfinder fortgesetzt an mich herangetragen wird.
Sie haben aus den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Erler auch gehört, daß wir nicht nur durch das Bundespatentamt, sondern auch durch die Herausgabe des Bundesgesetzblattes und des
5128 Deutscher Bundestag — 135. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. April 19t1
Bundesanzeigers finanziell und geschäftlich gut abschneiden. Es ist, darf ich wohl sagen, mit völlig neuen Mitteln in sehr kurzer Zeit gelungen, die Gesetze und die Verordnungen mit der gleichen Genauigkeit und Raschheit, mit derselben technischen Vollkommenheit zu publizieren, wie wir das früher beim Reichsgesetzblatt und beim Reichsanzeiger gewohnt waren.
Ein gewaltiges Stück Arbeit ist in meinem Ministerium im letzten Jahr entsprechend einem Beschluß dieses Hohen Hauses auch in der Rechtsschutzstelle geleistet worden, die meinem Ministerium organisch eingegliedert worden ist. Diese Rechtsschutzstelle betreibt die Sammlung der Nachrichten, der Unterlagen über die noch immer in der Sowjetunion und in den kommunistischen Staaten des Ostens und Südostens Europas zurückgehaltenen Kriegsgefangenen, über das Schicksal der Vermißten, der in jenen Staaten verurteilten und inhaftierten Deutschen.
Sie arbeitet an einer sehr gründlichen Dokumentation über diese — ich darf es vielleicht so nennen — Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auch für die internationale Behandlung dieser Frage von Bedeutung sein wird. Die Rechtsschutzstelle leiht daneben ihre Hilfe den zahlreichen ehemaligen deutschen Wehrmachtsangehörigen, die in ausländischen Staaten wegen Handlungen oder Unterlassungen im Zuge der Besetzung der fremden Länder in Untersuchungshaft sitzen oder verurteilt wurden. Sie vermittelt Auskünfte, sie bemüht sich um Beweismaterial, sie sorgt für die Rechtsberatung der Angeklagten und stellt ihnen im Rahmen des Möglichen geeignete Verteidiger. Ich glaube, das ist ein Stück praktischen Kampfes geien die Legende von einer deutschen Kollektivschuld.
Dann befassen wir uns mit einer sehr umfangreichen und zeitraubenden Arbeit, deren Ergebnis für alle Zentralbehörden, für die gesetzgebenden Organe des Bundes und der Länder und auch für die Wissenschaft von Bedeutung sein wird, nämlich mit der Überprüfung und mit der Sichtung des Gesamtbestandes des alten Reichsrechts und auch des nach 1945 erlassenen Rechtes, der Gesetze und Verordnungen, mit dem Ziele einer Bestandsaufnahme des gesamten als Bundesrecht fortgeltenden Rechtes aus der Zeit vor und nach 1945.
Parallel damit geht die Sammlung aller vom deutschen Recht abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge und die Untersuchung, inwieweit sie noch fortgelten oder inwieweit sie einer Erneuerung bedürfen.
Damit habe ich in großen Zügen den Kreis der Aufgaben und Arbeiten umschrieben oder wenigstens angedeutet, auf denen das Bundesjustizministerium federführend ist. Dazu ist ein umfangreiches und in reiner rechtspolitischer Bedeutung nicht leicht abschätzbares Arbeitsgebiet getreten. Durch einen Beschluß des Kabinetts ist das Justizministerium mit der Überprüfung aller Gesetz-und Verordnungsentwürfe der übrigen Bundesministerien auf ihre Rechtsförmlichkeit und ihre materielle Vereinbarkeit mit dem übrigen Recht und mit dem Grundgesetz beauftragt worden. Bei der Fülle der Entwürfe, die seit Beginn der gesetzgeberischen Arbeit von der Bundesregierung vorgelegt wurden, war die damit verbundene Arbeit sehr erheblich. Sie kommt aber, so hoffe ich, der Gesetzestechnik und der Gesetzessprache zugute. Sie fördert die Entwicklung einheitlicher Grundsätze über die Auslegung des Grundgesetzes. Dieser Beschluß, das Bundesjustizministerium in diesem Sinne zum Rechts ministerium innerhalb der Regierung zu machen, stellt — so sehe ich es — einen erheblichen Fortschritt auf dem Wege zur Verwirklichung des Rechtsstaates dar. — Soviel über die Vergangenheit.
Ich darf Ihnen nun einiges über die nächsten Aufgaben meines Ministeriums, also über den Arbeitsplan der nächsten Jahre, sagen. Ich habe Ihnen die in meinem Ministerium entstandene Denkschrift zum Problem der Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des Familienrechtes zugeleitet. Sie ersehen daraus, daß ich die Verwirklichung der Forderung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes nach Gleichberechtigung von Mann und Frau als vordringlich behandele. Auf dem Gebiete des ehelichen Güterrechts, der gegenseitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten, auch hinsichtlich der Frage, inwieweit Mann und Frau in der Ehe den andern Teil in Rechtsgeschäften verpflichten können, wird sich die gerade hier in die Augen springende Benachteiligung der Frau verhältnismäßig leicht beseitigen lassen.
Wesentlich schwieriger wird es dagegen sein, über den Inhalt und die Tragweite des Begriffes der Gleichberechtigung im Eherecht im engeren Sinne Einverständnis zu erzielen. Hier wird zu klären sein, inwieweit sich aus dem Wesen der Ehe Folgerungen für die Konkretisierung des Satzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" ergeben. Es wird aber auch, nachdem es inzwischen wohl allgemeine Überzeugung geworden ist, daß Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes keine mechanische Gleichmacherei fordert, sondern Gleichberechtigung unter Beachtung der natürlichen Verschiedenheit von Mann und Frau, sehr sorgfältig und gewissenhaft im einzelnen zu prüfen sein, in welcher Weise und in welchem Umfang die Verschiedenheit der Geschlechter sich auch in der vom Grundgesetz geforderten neuen rechtlichen Ordnung des Instituts der Ehe durch die Anerkennung besonderer Rechte und Pflichten des Mannes und der Frau äußert. Die Fragen sind überaus schwierig. Ich habe es deshalb lebhaft begrüßt, daß sich Mitglieder dieses Hohen Hauses zu einem Ausschuß vereinigen wollen, der mir bei der weiteren Arbeit auf diesem Gebiete der Erneuerung des Familienrechts beratend zur Seite steht.
Möglichst bald will ich Ihnen, meine Damen und Herren, den Entwurf einer neuen Rechtsanwaltsordnung vorlegen. Die alte Reichsrechtsanwaltsordnung ist teilweise wegen ihrer nationalsozialistischen Tendenz, teilweise aber auch infolge der seit 1945 entstandenen Rechtsverschiedenheit dringend erneuerungsbedürftig.
Das Prinzip der freien Advokatur hat unseren Anwaltsstand groß gemacht. Deshalb bin ich der Meinung, daß es einen numerus clausus in Zukunft nicht geben darf. Voraussetzung für die Zulassung muß und darf nur sein die fachliche Eignung, die nachgewiesen wird durch die erfolgreiche Ablegung der beiden juristischen Staatsprüfungen, die auch die Befähigung zum Richteramt verleiht. Der Stand des Rechtsanwaltes muß das Recht der Selbstverwaltung besitzen. Daraus kann aber, möchte ich meinen, nicht gefolgert werden, daß die Standesorganisation selbst über die Zulassung oder Nichtzulassung entscheidet: Diese Entscheidung muß aus mehrfachen Gründen in der Hand der
1 Justizverwaltung liegen. Die anwaltschaftlichen Ehrengerichte, die ein unentbehrliches Attribut der Selbstverwaltung sind, werden getrennt und unabhängig von dem Selbstverwaltungsorgan des Berufsstandes errichtet werden müssen und ihre Spitze, insbesondere für die schweren Dienststrafen des Berufsverbotes und der Zurücknahme der Zulassung, in einem Ehrengerichtshof haben müssen, der zugleich die Qualitäten eines obersten staatlichen Gerichtes besitzt.
Ich habe Ihnen damit einige der Probleme angedeutet, die mir für die Erneuerung des Rechtes des Anwaltstandes von besonderer Bedeutung zu sein scheinen. Mein Ziel ist es, mit der neuen Bundesrechtsanwaltsordnung die Grundlage für einen beruflich ausgezeichneten, charakterlich hochwertigen, freiheitlichen, mutigen, mit Selbstzucht und Verantwortung gegenüber dem Recht arbeitenden Anwaltstand zu schaffen, der sich als wichtiges, ich sage: als unentbehrliches Organ der Rechtspflege fühlt und bewährt.
Parallel mit den Arbeiten an der Rechtsanwaltsordnung laufen bei mir die Arbeiten an einem Richtergesetz. Es wird nach meiner Vorstellung die Rechtsstellung der Richter aller Gerichte, nicht nur der ordentlichen, sondern auch der Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, nicht allein der Bundesrichter, sondern — in Rahmenvorschriften — auch der Landesrichter regeln. So wird dieses Gesetz ein sichtbares Zeichen der Einheit der rechtsprechenden Gewalt in unserem Staate sein. Ich möchte mit diesem Gesetz aber mehr erreichen. Ich möchte darin die Grundlage schaffen für die Entwicklung eines neuen Richtertyps; richtiger wäre es, zu sagen: die Grundlage für die Verwirklichung des Richtertyps, den alle unsere guten Richter anstreben, aber augenblicklich aus Gründen, die außerhalb ihrer Kraft und außerhalb ihrer Verantwortlichkeit liegen, nicht erreichen können. Ich will den im vollen Sinne des Wortes allseitig gebildeten Richter, die in sich gefestigte Richterpersönlichkeit mit dem wachen Sinn für das Leben, für dieses so mühselige, harte, drängende und verzehrende Leben unseres Volkes, mit dem Verständnis für die Nöte und die Bedürfnisse des einzelnen und der Gemeinschaft, mit dem Willen, zu helfen, mit der Aufgeschlossenheit gegenüber den sozialen, wirtschaftlichen, politischen und geistigen Fragen unserer Zeit, aber auch mit dem unbestechlichen Blick für das Richtige und Gerechte und mit der Standhaftigkeit, die allein die innere Freiheit, Unbefangenheit und Unabhängigkeit bewahren, auch wenn sie von außen bedroht wird.
Meine Damen und Herren! Dieser Richter gedeiht nicht, wenn er in Arbeit erstickt, besonders wenn ihm angesichts der Dürftigkeit der Justizetats unserer Länder die primitivsten Voraussetzungen zur Arbeit fehlen, wenn er weder Zeit noch Mittel hat, um sich zu bilden, wenn er — man muß das schon sagen — in beschränkten Verhältnissen verkümmert. Nach meiner Meinung müssen deshalb im Richtergesetz Wege gefunden werden, um den Richter in seiner Stellung zu heben, ihn freier zu machen. Dazu wird es nötig sein, den Richter von allen ihrer Natur nach nicht richterlichen Aufgaben zu befreien, die Richtergeschäfte, auch die Zahl der Richter und der Gerichte zu vermindern und die Versorgung der Richter fühlbar zu verbessern.
In diesem Zusammenhang wird man sich überlegen müssen, ob nicht der Instanzenzug in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vereinfacht werden kann. Mir schwebt als Endziel die Dreiteilung des
Rechtszuges vor: das Tatsachengericht des ersten Rechtszuges mit dem Einzelrichter, die Berufungsinstanz auch als Tatsachengericht mit Kollegialverfassung und darüber das Rechtsrügegericht. Wir müssen auf, jeden Fall auch überlegen, ob durch die Beseitigung kleiner und kleinster Amtsgerichte etwas gewonnen werden kann. Wir müssen prüfen, welche Geschäfte, die bis jetzt den Richtern obliegen, im einzelnen in die ausschließliche Zuständigkeit der Rechtspfleger verwiesen werden können.
Es geht, meine Damen und Herren, nicht um den Richter. Es geht um das Recht, um die Rechtspflege, um den wirksamen Rechtsschutz des einzelnen Staatsbürgers, der doch gerade von der Güte des Richters, dieses Vertreters eines Urberufes der Menschheit, abhängt. Im Hintergrund steht — das ist mein persönlicher Wunsch — das Streben nach der Einheit der Rechtsprechung, nach d e m Gericht, vor dem das Volk sein Recht suchen kann. Es wäre deswegen aus mehrfachem Grunde richtig, sämtliche Zweige der rechtsprechenden Gewalt verwaltungsmäßig schon jetzt an einer Stelle, zwangsläufig beim Justizministerium zusammenzufassen.
In diesem Zusammenhang ist es mir ein Bedürfnis, an diesem Platz ein Wort für den deutschen Richter zu sagen. Er erweist sich — so gut wie ausschließlich — als ein pflichteifriger, kenntnisreicher und unparteiischer Diener des Rechts, der unser Vertrauen und unseren, Dank verdient.
Die Tätigkeit unserer Gerichte findet in der Presse zunehmend Verständnis. Nach meinen Feststellungen ist das Zusammenwirken zwischen Justiz und Presse ein durchaus fruchtbares geworden.
Dem ersten Strafrechtsänderungsgesetz, das noch von Ihnen beraten werden wird, soll möglichst bald ein zweites Strafrechtsänderungsgesetz folgen. das Lücken des Strafrechts schließen soll, die auf Grund der Entwicklung — teilweise bedrohlichen Entwicklung — der Kriminalität sichtbar geworden sind, das Überspanntheiten im Strafmaß, die vor 1945 hineingekommen sind, und Unklarheiten und Zweifel, die durch die Rechtsprechung und durch die Gesetzgebung nach 1945 entstanden sind, beseitigen soll.
Daran muß sich die allgemeine Reform unseres Strafrechts anschließen. Meine Damen und Herren! Es ist meine Überzeugung, daß eine Fülle von Problemen des Strafrechts neu durchdacht werden muß.
Mein Ministerium wird nach der Beendigung dieses zweiten Strafrechtsänderungsgesetzes sofort an diese Arbeit gehen und wird sich dabei auf das reichliche Material der früheren Strafrechtsreformarbeiten stützen können. Das Ergebnis dieser Arbeit wird sodann mit den Länderjustizverwaltungen besprochen werden. Ich werde mir dann darüber schlüssig werden müssen, ob es erforderlich ist, dann noch einmal — wie es einem angekündigten Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei entspricht — einen besonderen Reformausschuß einzusetzen.
Das reformbedürftige Gebiet des Jugendstrafrechts einschließlich des Jugendgerichtsgesetzes ist bereits Gegenstand der Überprüfung mit dem Ziel, eine Gesetzesvorlage zu erstellen, in der nicht nur das Strafverfahren vor den Jugendgerichten erneuert, sondern auch das materielle Jugendstrafrecht weiterentwickelt wird. Die von dem Abgeordneten Erler erwähnten Arbeiten über die Einführung des sogenannten Probationsverfahrens
sind auch ein Teil dieser Arbeiten. Weiterhin hoffe ich, daß sich auch meine Überlegungen über die Verbesserung des Strafvollzugs bald zu einer Gesetzesvorlage verdichten können.
Das Auslieferungsrecht muß uns sehr bald beschäf Ligen. Die Praxis des letzten Jahres hat ergeben, daß das deutsche Auslieferungsgesetz in verschiedenen Punkten nicht mehr mit dem Recht des Grundgesetzes zu vereinbaren ist und deswegen erneuert werden muß. Dazu wird eine Reihe von Rechtshilfeverträgen mit fremden Staaten kommen, die Ihnen nach Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes als Bundesgesetze dann zur Verabschiedung vorgelegt werden.
Ein sehr wichtiges Gesetz für den Rechtsschutz des Bürgers gegenüber Eingriffen in seine persönliche Freiheit wird das Gesetz zur Ausführung des Art. 104 des Grundgesetzes sein, das in seinen Grundzügen schon fertiggestellt ist. Ich darf auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Wehner, die er am vergangenen Freitag an dieser Stelle gemacht hat, Bezug nehmen. Er hat gerügt, daß ein Beschluß des Bundestags vom 14. September 1950 noch nicht ausgeführt worden sei, in dem verlangt wurde, daß gegen alle Personen, die an Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der sowie-tischen Besatzungszone beteiligt sind, im Gebiete der Bundesrepublik Strafverfolgung eingeleitet wird und daß gegen alle Personen vorgegangen wird, die im Auftrag und im Sinne der auf Gewalthandlungen abzielenden Beschlüsse des dritten Parteitages der kommunistischen SED und des sogenannten Nationalen Kongresses wirken. Ich darf darauf hinweisen, daß die hier umschriebenen Aufgaben zum Teil in dem Strafrechtsänderungsgesetz, zum Teil in dem Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit behandelt worden sind, das besonders die Tatbestände der Denunziation und der Verschleppung behandelt. Das Gesetz wird in der nächsten Zeit eingebracht werden. Die Verzögerung ist nicht von mir verschuldet; sie hat sich dadurch ergeben, daß das Gesetz selbstverständlich mit Berlin abgestimmt werden mußte.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß die Vereinheitlichung, Vereinfachung und Bereinigung des überaus unübersichtlich gewordenen Rechts der Zwangsvollstreckung mir ebenfalls eine dringliche Angelegenheit ist.
Sie sehen aus der Fülle des Stoffes, welche Arbeitsgebiete mir obliegen. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit vielleicht noch einen Augenblick in Anspruch nehmen, weil es sich wirklich um bedeutsame Materien handelt, die im übrigen besonders auch auf dem Gebiete des Wirtschaftsrechts von mir zu erfüllen sind. Hier darf ich auf meine Arbeiten an einem Antimonopolgesetz, das den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellung verhüten soll, gerade wegen seiner Bedeutung für die Wirtschaftspolitik und für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft in ihrer Gesamtheit hinweisen.
Die Neuordnung des Rechts der Arbeitnehmererfindungen ist vorbereitet und wird bald in den Gesetzgebungsgang kommen. Ich denke auch an die Erneuerung des Urheberrechts. Einen besonderen Raum nehmen dann die Bemühungen ein, im Laufe des kommenden Jahres auf dem Gebiete des Urheberrechts den Anschluß an die internationalen Übereinkünfte zu finden. So sind insbesondere die Vorarbeiten im Gange, die in Kürze den Beitritt Deutschlands zu der 1947 in Brüssel revidierten Fassung der internationalen Berner Übereinkunft ermöglichen sollen.
Von Bedeutung wird auch die Reform des Aktienredits sein. Das Aktienrecht von 1937 wird in dieser Gestalt nicht weiter bestehen können. Es wird auch zu überlegen sein, inwieweit es mit der heutigen Wirtschafts- und Rechtsauffassung noch in Einklang steht und inwieweit es mit dem übrigen Gesetzgebungswerk dieses Hauses in Einklang zu bringen ist.
Eine Reform des Aktienrechts wird zwangsläufig eine Erneuerung des Rechts der Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach sich ziehen. Auch das Genossenschaftsgesetz bedarf in einzelnen Punkten der Reform.
Aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen ist von mir weiterhin eine Neufassung des Handelsvertreterrechts ins Auge gefaßt, eine Materie, die im Ausland schon längst eine Kodifizierung gefunden hat, während in Deutschland zwei Weltkriege den Abschluß der Arbeiten immer wieder verhindert haben.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß dem Bundesjustizministerium Zuständigkeiten auf dem Gebiete der Justizverwaltung im allgemeinen fehlen. Auf der anderen Seite habe ich selbstverständlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf dem Gebiete der Justizverwaltung die materielle Übereinstimmung der Vorschriften durch Verhandlungen mit den Länderjustizverwaltungen anzuregen und zu fördern. Überall, wo ein Bedürfnis nach der Einheitlichkeit von Justizverwaltungsvorschriften zutage getreten ist, habe ich den Landesjustizverwaltungen meine vermittelnde Tätigkeit — ich glaube, mit Erfolg — angeboten. Eine Reihe von solchen Vereinbarungen ist zustande gekommen. Ich habe die Zuversicht, daß auf diesem durchaus föderalen Wege auch in Zukunft mit Erfolg fortgeschritten werden kann. Die enge, verständnisvolle und bereitwillige Zusammenarbeit zwischen den Justizverwaltungen und dem Bundesjustizministerium gibt mir die Gewähr, daß es mir gelingt, auch auf diesem Wege zu einer einheitlichen deutschen Justiz und Rechtspflege zu gelangen.
Wenn ich von einheitlicher deutscher Justiz und Rechtspflege spreche, dann wendet sich unser Blick zwangsläufig nach dem Osten unseres Vaterlandes. Wir alle beobachten mit größter Sorge die Entwicklung der Rechtsprechung und der Gesetzgebung in der Sowjetzone. Der Herr Abgeordnete Wehner hat am letzten Freitag — ich glaube, in zutreffender Weise — die erschütternden Zustände des staatlichen Unrechts in der Sowjetzone geschildert. In der Strafrechtspflege treten dort drüben die politischen Strafsachen immer mehr in den Vordergrund, vor allem die Wirtschaftsstrafsachen politischen Inhalts. Weder das Verfahren noch die sachlichen Entscheidungen in diesen Strafsachen entsprechen den Grundsätzen eines demokratischen Staates. Es bedarf wohl kaum der Darlegung, daß solche Urteile von uns grundsätzlich nicht anerkannt werden. Derartige Entscheidungen mit politischer Tendenz werden deswegen im Gebiete der Bundesrepublik grundsätzlich nicht vollstreckt. Auch wird in diesen Strafsachen keinerlei Rechtshilfe geleistet, geschweige denn ein Angeklagter oder Beschuldigter in die Sowjetzone ausgeliefert.
Anders liegen die Dinge auf dem Gebiete der reinen Kriminalität. Mit wenigen Ausnahmen, kann man sagen, besteht hier kein allzu auffälliger Unterschied zwischen der Rechtsprechung der Sowjetzone und derjenigen im Bundesgebiet. Trotz
der starken Bedenken, die sich im allgemeinen, schon wegen der Besetzung der Gerichte mit ungenügend vorgebildeten Volksrichtern in immer mehr zunehmendem Maße, gegen die sowjetzonale Rechtsprechung ergeben, scheint hier zunächst — zunächst, sage ich — noch ein Rechtshilfeverkehr möglich. Aber diese Rechtshilfe muß entsprechend den wechselnden Umständen elastisch durchgeführt werden. Sie darf in keinem Falle dazu dienen, daß gegen allgemeine Grundsätze der Gerechtigkeit verstoßen wird. Bei unangemessen hohen Strafen wird deswegen grundsätzlich nur ein nach unserer Auffassung angemessen erscheinender Teil der Strafe vollstreckt. Die laufenden Verfahren werden, soweit es irgendwie möglich ist, nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung hierher übernommen. Die Durchführung dieser Rechtshilfe in diesen Angelegenheiten ist in die Hände der Generalstaatsanwalte gelegt worden, die wohl am ehesten in der Lage sind, auf Grund ihres größeren Blickfeldes und ihrer Erfahrungen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Bundesrepublik zu wahren.
Im Augenblick, sage ich, ist eine gesetzliche Regelung, wie sie jetzt in Berlin durch das Gesetz über die Behandlung der Entscheidungen und sonstigen Maßnahmen in Strafsachen von Behörden außerhalb Berlins vom 9. Januar 1951 getroffen worden ist, von uns noch nicht beabsichtigt. Ob die Regelung erforderlich ist, wird sich gerade an Hand der Erfahrungen, die Berlin mit seinem Gesetz macht, erweisen. Wir stehen deswegen selbstverständlich mit der Berliner Justizverwaltung fortgesetzt in engem Kontakt.
Um nichts außer acht zu lassen, haben die Landesjustizverwaltungen einen besonderen Ausschuß gebildet, der alle Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Rechtshilfe für die Sowjetzone ergeben, darunter auch schwierige Einzelfälle, prüft und geeignete Maßnahmen vorschlägt, um bedenkliche und unerwünschte Folgen zu verhindern. Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, daß die zunächst in der Öffentlichkeit mit gutem Grunde erhobenen Beanstandungen gegen eine zu weitgehende Leistung von Rechtshilfe aufgehört haben. Ich glaube, daß das der richtige Weg ist, um dieses überaus schmerzliche Problem zu meistern.
Die andere Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sowjetzonale Gesetze in der Bundesrepublik anzuerkennen sind, wird zur Zeit von Fall zu Fall unter Anwendung der von der Praxis und von der Wissenschaft entwickelten Grundsätze entschieden wird. Dabei wird immer im Einzelfall insbesondere geprüft, ob die Anwendung eines sowjetzonalen Gesetzes mit denen in der Bundesrepublik vereinbar ist. Die Frage, ob grundsätzlich die Anwendung ostzonalen Rechts im Bundesgebiet ausgeschlossen werden soll, ist eine politische Frage, die über den Bereich meines Ministeriums hinausgeht und die notfalls von Ihnen im Wege der Gesetzgebung geklärt werden muß.
Die Tragweite verschiedener sowjetzonaler Gesetze, z. B. des Gesetzes über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, das Mutterschutzgesetz, die Regelung der elterlichen Gewalt, Vormundschaft über uneheliche Kinder, führen ja zu erheblichen Spannungen, die von uns fortgesetzt geprüft werden. Bei einer gesetzlichen Regelung muß nach meiner Meinung auf jeden Fall vermieden werden, daß sich eine grundsätzliche Nichtanerkennung sowjetzonaler Gesetze zum Nachteil der Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs auswirkt.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht schließen, ohne der ersprießlichen Zusammanarbeit zwischen meinem Ministerium und Ihnen, besonders auch im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, dankbar zu gedenken und insbesondere für die sachkundige, verantwortungsbewußte Unterstützung meiner Bemühungen meinen Dank zu sagen. Mir geht es als Bundesjustizminister heute und in der Zukunft nur um eines: um das Recht, um die Verwirklichung der Gerechtigkeit und um die Gewährleistung eines wirksamen und starken Rechtsschutzes für jeden, gerade für den schwachen Bürger unseres Volkes. Das setzt aber eines voraus: daß unser Volk weiß, was sein Recht ist, daß unser Volk weiß, was Recht ist. Dieses Bewußtsein ist durch eine verbrecherische Zeit des Unrechts erschüttert worden. Die Rufe von der Vertrauenskrisis der Justiz oder von der Rechtskrisis werden erst verstummen, wenn unsere Menschen wieder zur inneren Anerkennung des Rechtsgebots, zur Ehrfurcht vor dem Rechte kommen. Eine namenlos schwere Aufgabe für jeden von uns! Denn jedem von uns ist diese Aufgabe gestellt. Der Gesetzgeber muß lernen, sich zu bescheiden, nicht Gesetz auf Gesetz zu türmen, sondern unser ordentliches Recht auf seine einfache und klare Grundgestalt zurückzuführen und daneben das auf bloße Zweckmäßigkeit gegründete Ordnungsrecht unseres modernen Verwaltungsstaates möglichst einzuschränken. Dann wird der Sinn unserer Menschen für die Verbindlichkeit des Rechts und der Gesetze wieder lebendig werden. Und nur wo Gesetz und Recht herrschen, können die Freiheit und die Würde des Menschen bestehen.