Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife das Wort nicht zu einer Er klär u n g, sondern in einer A u s s p r a c h e über die eben abgegebene Erklärung der Bundesregierung.
Ich glaube, s o ist die geschäftsordnungsmäßige Situation. Jedesmal, wenn die Bundesregierung eine Erklärung abgibt, hat dieses Haus das Recht, diese Erklärung zu diskutieren.
Wir diskutieren nicht und debattieren nicht über die Vorteile oder Nachteile des Vorschlags des Vermittlungsausschusses, sondern über den Grad der Wohlbegründetheit der Erklärung, die der Herr Bundesinnenminister soeben im Auftrag der Bundesregierung abgegeben hat.
Wenn ich an den letzten Satz in der Rede meines Freundes, des Herrn Innenministers von Württemberg-Hohenzollern, anknüpfen darf: Wir wollen uns durch die Scheinwerfer der Jurisprudenz nicht blenden lassen, — nein! Wir wollen aber mit ihren Scheinwerfern den Tatbestand erhellen, so daß wir die Dinge klarer erkennen. Wir werden dann sehen, daß sie sehr viel einfacher liegen, als es offenbar die Meinung der Justitiare der Bundesregierung ist.
Es kann kein Zweifel bestehen: Unser Grundgesetz steht auf dem Standpunkt der Verfassungsautonomie der Länder. Der Bund hat den Ländern keine Verfassungen zu machen. Er hat ihnen ihre Verfassungen auch nicht zu genehmigen. Die Schranken für die Verfassungsautonomie der Länder sind in Art. 28 des Grundgesetzes erschöpfend aufgezählt. Wenn ein Land sich eine Verfassung gibt, die diesem Artikel widerspricht, dann gilt diese eben insoweit nicht, als sie diesem Art. 28 widerspricht. Auf der anderen Seite: wenn der Bund im Rahmen seiner grundgesetzlichen Zuständigkeit ein Gesetz erläßt, dann gilt dieses Gesetz in den Ländern und für die Länder auch dann, wenn eine Landesverfassung diesem Gesetz entgegenstehen sollte. Insoweit bricht Bundesrecht Landesrecht, auch Landesverfassungsrecht.
Nun ist die Frage, ob Art. 118 des Grundgesetzes dem Bund eine solche Zuständigkeit gibt. Der Bund hat nach Art. 118 die Zuständigkeit erhalten, die staatliche Neugliederung im Südwestraum durch ein Bundesgesetz vorzunehmen. Der Bund ist in den Maßnahmen, die er dafür für erforderlich hält, völlig frei. Die einzige Vorschrift, an die er durch das Grundgesetz gebunden ist, ist, daß das Neugliederungsgesetz eine Volksbefragung vorsehen muß. Das Grundgesetz schreibt nicht einmal vor, in welcher Weise dem Ergebnis dieser Volksbefragung Rechnung zu tragen ist.
In dem Bundesgesetz über die Neugliederung ist natürlich auch das Verfahren dieser Neugliederung zu regeln, und zu dieser Verfahrensregelung gehört die Schaffung der Institutionen, die der Bundesgesetzgeber für erforderlich hält, um die Neugliederung gesetzmäßig und zweckmäßig durchführen zu können. Es kann keinem Zweifel unterliegen — und wenn ich recht verstanden habe, steht dies auch für das Kabinett außer Zweifel —, daß es z. B. zur Durchführung der Neugliederung gehört, zu bestimmen, ob und in welcher Weise die Organe der jetzigen Länder in der Übergangszeit
— und die Übergangszeit beginnt mit dem Erlaß des Neugliederungsgesetzes — zu funktionieren haben. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß das Neugliederungsgesetz von sich aus in den drei Ländern bestimmte neue Organe für die Interimszeit schaffen könnte. Es hat es auch getan: der Ministerrat und anderes darin Vorgesehenes sind ja Länderorgane, die in den Länderverfassungen nicht vorgesehen sind. Und daß es sich um eine Interims zeit handelt, ist doch ganz offenkundig; denn unter gar keinen Umständen werden, nachdem der Mechanismus des Neugliederungsgesetzes abgelaufen ist, die Länder WürttembergBaden, Baden und Württemberg-Hohenzollern weiter bestehen. Entweder wird es den Südweststaat geben oder Württemberg im alten Sinne mit Hohenzollern und Baden im alten Sinne. Auf jeden Fall also ist der Zustand der drei Länder vom Erlaß des Neugliederungsgesetzes ab bis zu seiner Abwicklung ein Interimszustand. Mit dem Erlaß des Neugliederungsgesetzes steht somit fest, daß innerhalb der darin vorgesehenen Fristen die heutigen Länder Württemberg-Baden, WürttembergHohenzollern und Baden in ihrer heutigen Gestalt und mit ihren heutigen Verfassungen untergehen werden.
— Auch in den Verfassungen, meine ich. Aber wir können uns über die Frage von Form und Materie heute nicht ausgiebig genug unterhalten, Herr Kollege.
Wenn es aber dem Bund möglich ist, auf Grund des Art. 118 einmal diese drei Länder untergehen zu lassen und dann die Organe zu bestimmen, die vom Erlaß des Neugliederungsgesetzes ab bis zur Durchführung der Neugliederung in den heutigen Ländern wirken sollen, dann kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Neugliederungsgesetz — und damit sachlich zusammenhängende Rechtsvorschriften — auch die Legislaturperioden der Landtage von Württemberg-Hohenzollern und Baden verlängern könnte. Eine solche Maßnahme ginge ja doch nicht weiter, als wenn das Neugliederungsgesetz bestimmt hätte — was es ja tun könnte —, daß von seiner Verkündung ab an die Stelle gewisser verfassungsmäßig vorgesehener Einrichtungen in den drei Ländern andere Einrichtungen treten sollten.
Das Neugliederungsgesetz hätte doch zweifellos bestimmen können: Die Landtage hören auf, an ihre Stelle tritt ein anderes Organ, das allerdings den Voraussetzungen des Art. 28 zu entsprechen hätte. Die Verlängerung der Legislaturperioden der Landtage bedeutet aber nichts anderes, als daß in Ausführung des Art. 118 die jetzigen Landtage die Funktion der Gesetzgebung und der Regierungskontrolle für diese Übergangszeit und zeitlich begrenzt ausüben sollen. Wenn es möglich gewesen wäre, hierfür neue Organe zu schaffen, dann ist es doch erst recht möglich, die jetzt schon bestehenden Einrichtungen in ihrer Wirksamkeit zu verlängern. -
Nun wird gesagt: Schön, das ist richtig, aber es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen dem sogenannten Blitzgesetz und der in Art. 118 vorgesehenen Operation. Meine Damen und Herren, ich gestehe, daß ich soviel juristischem Scharfsinn zu folgen außerstande bin. Zu welchem anderen Zweck hat man denn dieses Gesetz erlassen als zu dem Zweck, den Art. 118 durchzuführen? Es kann doch nicht von irgendwelcher Bedeutung sein, ob diese Bestimmungen in zwei Gesetzen stehen oder ob man sie redaktionell in einem Gesetz zusammenfaßt. Das sind doch keine juristischen Argumente mehr!
Auf der anderen Seite muß ich mich dagegen wehren, wenn gesagt wird, daß die Überschrift eines Gesetzes ohne Rechtserheblichkeit sei. Warum stimmen wir denn dann hier immer über Einleitung und Überschrift eines Gesetzes ab?
Die Überschrift ist ein Teil des Gesetzes, sie qualifiziert das Gesetz, und das Gesetz ist unter Umständen von seiner Überschrift aus auszulegen; es bekommt möglicherweise erst durch sie seinen Sinn und wird erst dadurch verwendbar.
Die Regelung, die das Haus beschlossen hat und die der Vermittlungsausschuß vorschlägt, ist vernünftig. Sie wird auch von den Beteiligten gewollt; sie ist auch von unserem badischen Kollegen im Ausschuß gewollt worden; auch er ist für diese Regelung eingetreten. Der Landtag von Württemberg-Hohenzollern hat sie nachträglich ausdrücklich bestätigt. Weswegen der Herr badische Staatspräsident noch Bedenken gefunden hat, weiß ich nicht.
Es wäre vollkommen sinnlos, zwei Volksabstimmungen und eine Wahl binnen drei Monaten durchzuführen. Ich glaube, damit würden wir dem Ansehen des demokratisch-parlamentarischen Systems nur schaden können. Wahlbeteiligungen von 10 und 5 °/o, die wir dann bekämen, trügen doch sicher nicht zur Steigerung des Ansehens unseres parlamentarischen Systems bei.
Ich stelle hier fest: Niemand will, daß Bundesmacht den Ländern gegenüber mißbräuchlich angewandt wird, und jeder weiß, daß hier nichts anderes gewollt wird als etwas Vernünftiges, zu dem das Grundgesetz uns die Möglichkeit gibt. Will man denn unbedingt Vernunft zu Unsinn werden lassen?
Und nun noch zwei Dinge. Man hat mir gesagt — der Herr, der es mir sagte, 'sollte es eigentlich wissen —, im Kabinett werde die Auffassung vertreten, es bestehe die Möglichkeit, daß der Herr Bundeskanzler dem von uns etwa zu beschließenden Gesetz die Gegenzeichnung verweigert oder gar daß man sich weigern könnte, den Gesetzesbeschluß an den Herrn Bundespräsidenten zur Ausfertigung weiterzuleiten.
Meine Damen und Herren, wenn solches beabsichtigt sein sollte, müßte dieses Haus dagegen energisch protestieren!
Der Herr Bundeskanzler hat gegenzuzeichnen, wenn festgestellt ist, daß das im Grundgesetz für die Gesetzgebung vorgesehene Verfahren getreulich eingehalten worden ist. Dasselbe gilt für die Ausfertigung durch den Herrn Bundespräsidenten. Weder der Herr Bundeskanzler noch der Herr Bundespräsident sind etwas wie Organe eines Vorverfahrens, das etwa einem Verfassungsgerichtshofverfahren vorgeschaltet wäre; sie haben nicht die Möglichkeit zu sagen: Dieses Gesetz erachten wir materiell für verfassungswidrig, also zeichnen wir nicht gegen und fertigen wir nicht aus. Sie haben zu prüfen, ob alles geschehen ist, was das Grundgesetz für einen Gesetzesbeschluß vorschreibt. Und
daß das vorgeschriebene Verfahren hier eingehalten worden ist, darüber kann doch kein Zweifel bestehen!