Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Materie ist, wie Sie aus den Vorverhandlungen wissen und auch eben aus dem Munde des Herrn Berichterstatters gehört haben, zweifelhaft. Eine starke Mehrheit im Bundestag hat das Gesetz beschlossen. Ebenso hat eine starke Mehrheit im Vermittlungsausschuß das Gesetz mit einigen Änderungen gutgeheißen. Dann ist die Angelegenheit in das Kabinett gekommen. Ich bin da in einer etwas schwierigen Lage. Ich selbst habe den Standpunkt vertreten, den das Hohe Haus eingenommen hat,
und habe auch im Kabinett meine Auffassung vertreten. Aber die Abstimmung ergab 6 zu 5; die eine Stimme Mehrheit war auf der andern Seite. Ich bin deshalb verpflichtet, hier die Meinung des Kabinetts vorzutragen. Aber ich kann das nur in der Weise tun, daß ich auf die guten Gründe sowohl der einen wie der anderen Seite hinweise, um nicht in die Versuchung zu kommen, ein einseitiges Bild darzustellen.
-Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß nach Art. 29 unseres Grundgesetzes die Vorschriften genau festgestellt sind, wie man unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz das Bundesgebiet neu gliedern kann. Das ist die Lex generalis. Wir haben aber im Art. 118 eine Lex specialis vor uns, die allerdings auf einen ganz bestimmten Zweck gerichtet ist, nämlich auf die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern.
In der Gesamtauffassung, die wohl auch in den Worten des Herrn Berichterstatters anklang, ist man zweifellos in diesem Hohen Hause bewogen
gewesen, zu bedenken, daß ein so vielfacher Gang zur Wahlurne, wie er sich unter Umständen ergeben könnte, wenn man die Zuständigkeit der Landtage nicht verlängert, doch ein außerordentlich unerfreuliches Bild ist und letzten Endes die Gefahr heraufbeschwört, daß sich bei dieser oder jener Abstimmung Zufallsmehrheiten oder -minderheiten ergeben. Die Tendenz dieses Hohen Hauses lag also durchaus im Sinne des Art. 118, nämlich in der Neugliederung auf dem unkompliziertesten und schnellsten Wege voranzukommen. Immerhin, die Bedenken bestehen, und ich möchte ihnen diese Frage kurz so vortragen, wie sie sich im Kabinett gezeigt haben.
Die verfassungsrechtliche Prüfung im Sinne des Vermittlungsausschusses konzentriert sich letzten Endes auf drei Fragen. Erstens: Inwieweit sind im Rahmen des Art. 118 Einbrüche des Bundesgesetzgebers in die Verfassungsautonomie der Länder zulässig? Grundsätzlich ist es in dieser Frage — da sind wir wohl alle einer Meinung — nicht zulässig, daß der Bund irgendwie in die Verfassung der Länder eingreifen kann. Die einzige Vorschrift, die hier zu beachten ist und besteht, ist im Art. 28 ler Verfassung aufgeführt. Es muß nämlich die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanisch-demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. Entspricht die Verfassung der Länder diesen Grundsätzen des Art. 28, so hat sich der Bund jedes Eingriffs in die Länderverfassungen zu enthalten. Aber eine besondere Ausnahme ist in dem speziellen Gesetz des Art. 118 gegeben, nämlich zu dem ausschließlichen Zweck der Neugliederung für die hier ausdrücklich genannten Gebietsteile. In diesem Umfang hat der Bund die volle Hoheit, alles zu tun, was zum Ziel der Neugliederung erforderlich ist. In dem Augenblick, als die Herren Ministerpräsidenten der beteiligten Länder dem Bundeskanzler mitteilten, daß sie sich nicht hätten einigen können, war die verfassungsmäßige Zuständigkeit des Art. 118, waren die Voraussetzungen für ein Eingreifen gegeben. Nunmehr waren der Bund und sein Gesetzgebungsapparat dafür zuständig, alles zu tun, was zum Zweck der Neugliederung notwendig war.
Die zweite Frage, die zu erledigen ist, geht dain: Kann der Bundesgesetzgeber eine Neugliederung im Sinne des Art. 118 des Grundgesetzes stufenweise mit Hilfe einer Mehrzahl von Bundesgesetzen vollziehen? Meine Damen und Herren, es ist ja ganz klar, daß dieses Gesetz neben gewissen vorbereitenden Maßnahmen wahrscheinlich auch eine Reihe von Gesetzgebungsakten notwendig macht, die man gleich zu Anfang nicht übersehen kann. Auf jeden Fall erinnere ich daran, daß er als Oberleitungsmaßnahme eine konstituierende Versammlung vorsehen wird, er wird auch eine vorläufige Regierung vorsehen, damit irgendwelche Organe vorhanden sind, die handeln können, bis das endgültige Gesetz durch die neuen Landtage oder den neuen Landtag geschaffen ist. Kurz und gut: es kommt eine Reihe von Stufen, und es ist in keiner Form einzusehen, weshalb das alles uno actu, in einer einzigen Gesetzeshandlung vollzogen werden muß, warum nicht eine Reihe von aufeinander folgenden und aufeinander abgestimmten Gesetzen, die immer wieder die Neugliederung zum Ziel haben müssen, möglich sein soll.
Auch sonst, wenn durch Bundesgesetz der Bund
ermächtigt ist, irgendeine Materie zu regeln, ist
nirgendwo gesagt oder vorgeschrieben, daß das nun in e in e m Gesetz erfolgen müsse, sondern das Hohe Haus ist durchaus souverän in der Reihenfolge seiner Gesetzesbeschlüsse.
Ich möchte deshalb auch diese zweite Frage bejahen,
daß also eine Reihenfolge von Gesetzen zulässig ist.
Wenn nun diese Frage bejaht wird, bleibt zu prüfen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit von einem Neugliederungsgesetz im Sinne des Art. 118 des Grundgesetzes gesprochen werden kann. Meine Damerr und Herren, jetzt fangen die großen Schwierigkeiten eigentlich erst an.
Was ich Ihnen eben vorgetragen habe, waren ja nur leichte Vorgenüsse. Eine Neugliederung im Sinne des Art. 118 ist etwas anderes als eine sonstige Änderung des Gebietsbestandes der Länder etwa im Sinne des Art. 29 Abs. 7 des Grundgesetzes. Während es sich im letzen Falle nur um Grenzkorrekturen handelt, liegt im Begriff der Neugliederung, daß durch sie der juristische Bestand der bisherigen Länder in Mitleidenschaft gezogen und im Zweifel sogar ein neues Land gebildet wird. In diesem Sinne berührt jede Neugliederung die Existenz und damit zwangsläufig auch die Verfassungsorganisation des betreffenden Landes oder der betreffenden Länder. Der Auftrag des Art. 118 kann daher ohne einen Eingriff in das bisherige Landesverfassungsrecht überhaupt nicht vollzogen werden,
und es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob das Grundgesetz die zuständigen Landesorgane für den Fall des Abschlusses einer Vereinbarung im Sinne des Art. 118 mit besonderen Vollmachten außerhalb der Landesverfassungen ausstatten wollte. Der Gesetzgeber hat auf jeden Fall die Vollmacht erhalten, gestützt auf Art. 118, im Interesse der Bildung neuer und der Liquidation der alten Länder alle verfassungsrechtlichen Maßnahmen zu treffen. Daher bleibt auch für die neugebildeten Länder nur noch der Grundsatz des Art. 28 der Verfassung in Wirksamkeit, daß die Maßnahmen, die dieses Hohe Haus zum Zweck der Neugliederung beschließen wird, die Voraussetzungen für eine Verfassung überhaupt erfüllen, d. h. daß hier ein demokratisch-republikanisch-sozialer Staat beschlossen wird. Wenn aber diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann kann der Bund nun nach seiner Meinung das Überleitungsgesetz schaffen.
Von diesen Gedanken ausgehend, komme ich zu den letzten Schlüssen. Wenn der Auftrag des Bundes gemäß Art. 118 unter Eingriff in die Verfassungen der Länder und in Stufen vollzogen werden kann, dann muß allerdings jedes dieser neuen Gesetze die Neugliederung zum Ziel haben, und dieser Zusammenhang kann nicht allein durch gesetzgeberische Motivation geschaffen werden, indem der Bundesgesetzgeber etwa alles regeln könnte, was ihm zum Zweck der Neugliederung subjektiv dienlich erscheint. Das gilt insbesondere für alle der eigentlichen Neugliederung vorausgehenden Maßnahmen, die ihrem objektiven Gehalt nach noch nicht als Teil der Neugliederung ausgesprochen werden können. Meine Herren, mit diesen letzten Sätzen habe ich Ihnen ausdrücklich die Auffassung der Mehrheit im Kabinett vorgetragen.
— Nicht meine, nein, aber die Meinung der sechs Stimmen Mehrheit.
Ein solcher objektiver Zusammenhang zwischen dem umstrittenen Gesetzentwurf und der Neugliederung gemäß Art. 118 soll aus der Tatsache entnommen werden, daß die Möglichkeit des Abschlusses einer Ländervereinbarung förmlich gescheitert ist und daß sich der Bundestag bereits mit einem Initiativantrag zu Art. 118 des Grundgesetzes beschäftigt. Nun ist ganz zweifelsfrei, daß alles ganz unbedenklich wäre, wenn im Rahmen des eindeutig die Neugliederung selbst zum Gegenstand habenden Gesetzes im Sinne des ursprünglichen Initiativantrages der Abgeordneten Gengler und Genossen auf Drucksache Nr. 1849 verfahren und die Legislaturperiode damit in einen förmlichen Liquidationsprozeß einbezogen worden wäre; dann wäre der objektive Zusammenhang mit der Neugliederung nämlich völlig eindeutig gewesen. Die Vorwegnahme einer einzelnen Vorschrift, die ähnlich auch bei anderen Bestimmungen denkbar wäre, zerreißt nach der Meinung der Mehrheit im Kabinett diesen objektiven Zusammenhang, so daß die Legitimation des Bundesgesetzgebers nur noch über das subjektive Kriterium des gesetzgeberischen Motivs gegeben sein würde. Dieses Junktim hält die Mehrheit für unzureichend, und dieses Junktim kann auch nicht in der Weise verstärkt werden, daß nun das Gesetz im Sinne der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses die Überschrift „Erstes Überleitungsgesetz" enthält, zumal eine Überschrift nicht rechtserheblich ist.
Ich muß, um meinem Auftrag gerecht zu werden, dann noch einmal betonen, daß am Beginn einer sich etappenweise vollziehenden Neugliederung gemäß Art. 118 nicht irgendeine gesetzgeberische Maßnahme stehen kann, die nach dem subjektiven Ermessen des Bundesgesetzgebers der Erreichung des Endzieles irgendwie dienlich ist, sondern nur eine Maßnahme, die mit dem Ziel der Neugliederung in den Bestand der Länder des Südwestraumes insgesamt eingreift. Ist dieses Stadium der Liquidation erst einmal eingeleitet, so bleibt es dem Bundesgesetzgeber unbenommen, später alle diejenigen Gesetze nachzuschieben, die sich zur Erreichung des Endzieles als notwendig erweisen. Diese Liquidation ist nach Auffassung der Mehrheit durch den umstrittenen Gesetzentwurf offenbar noch nicht eingeleitet, so daß es sich um eine reine Vorbereitungsmaßnahme handelt, für die der Art. 118 keine Handhabe bietet.
Damit habe ich meinen Auftrag erfüllt.