Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich wollte Ihnen — es liegen noch Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vor — eigentlich den Vorschlag machen, die Entscheidung über diesen von Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling gestellten Antrag erst dann zu treffen, wenn die zweite Beratung abgeschlossen ist und ein Überblick über das Ergebnis der zweiten Beratung besteht.
— Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling ist einverstanden. Wir brauchen also im Augenblick über diesen Antrag nicht zu entscheiden.
Ich darf dann in die Tagesordnung eintreten. Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes über den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Wahlperiode der Landtage der Länder Baden und Württemberg-Hohenzollern (Nm. 2057, 2071, 2088 der Drucksachen).
Berichterstatter für den Vermittlungsausschuß ist der Herr Bürgermeister Dr. Nevermann. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Dr. Nevermann, Bürgermeister von Hamburg, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat am 15. März 1951 das Gesetz über die Verlängerung der Wahlperiode der Landtage Baden und Württemberg-Hohenzollern beschlossen. Der Sinn dieses Gesetzes war, in diesen Ländern eine besondere Volksabstimmung über die Verlängerung der Legislaturperioden unnötig zu machen. Darüber hinaus war das Land Württemberg-Hohenzollern landesrechtlich noch in einer besonders unangenehmen Lage, weil es kein gültiges Landeswahlgesetz besitzt. Die Hohe Kommission hat ein Veto gegen das jetzt vorhandene Landtagswahlgesetz eingelegt. Die Volksabstimmung, die ohne Bundesgesetz notwendig werden würde, soll deswegen vermieden werden, weil in diesen Ländern eine Häufung von Wahltätigkeit der Bevölkerung eintreten würde. Demnächst wird eine weitere Volksabstimmung wegen der Neugliederung selbst notwendig werden. Anschließend wird wieder die Wahl für das zu erwartende gemeinsame Parlament stattfinden müssen. Deswegen sind gerade aus den beteiligten Ländern praktische, auch Kostengesichtspunkte sowie staatspolitische Gründe für die Vermeidung einer solchen besonderen Volksabstimmung vorgetragen worden. Es ist deswegen mit Recht der Gedanke an ein Bundesgesetz gemäß Art. 118 aufgetaucht. Alle Beteiligten — auch diejenigen, die staatsrechtliche Bedenken haben — sind sich auch darüber klar, daß das in diesem Hohen Hause beschlossene Gesetz sehr praktisch und wünschenswert sei. In der Diskussion ist einmal gesagt worden, das Gesetz sei „zu schön, um juristisch wahr zu sein".
Der Bundesrat hat dann auch nach sehr ernsthaften Überlegungen aus verfassungsrechtlichen Gründen den Vermittlungsausschuß angerufen, weil „das Gesetz keine Stütze im Art. 118 habe". Es handelt sich, wie der Vermittlungsausschuß anerkennen mußte, um sehr beachtliche Gründe. Denn alle Beteiligten sind sich selbstverständlich darüber klar, daß die Zweckmäßigkeit allein noch nicht genügt, um das Gesetz staatsrechtlich möglich zu machen. Die Frage der Übereinstimmung mit dem Grundgesetz ist im Vermittlungsausschuß sehr eingehend erörtert worden. Die Mehrheit des Vermittlungsausschusses — 12 zu 4 Stimmen — hat geglaubt, die Vereinbarkeit des Gesetzes — allerdings in abgeänderter Form, wie es Ihnen heute vorgeschlagen wird — mit dem Grundgesetz bejahen zu können.
Ich darf ganz kurz die wichtigsten Gesichtspunkte, die den Vermittlungsausschuß zu diesem Votum geführt haben, vortragen.
Es ist selbstverständlich im Grundgesetz keine Rechtsgrundlage für ein selbständiges Gesetz über irgendeine Verlängerung der Legislaturperiode irgendeines Landtages gegeben. Ein solch genereller Eingriff in die Organtätigkeit der Länder wäre ein unzulässiger Eingriff. Eingriffe in Länderorgane sind generell nur auf dem Wege über Art. 29 des Grundgesetzes möglich. Ebenso klar ist aber auch, daß der Art. 118 gegenüber der generellen Regelung in Art. 29 eine lex specialis darstellt. Die Länder, für die er gilt, sind ausdrücklich in ihm aufgeführt worden, und es heißt ferner in Art. 118 ausdrücklich, daß der dort vorgesehene Weg für dieses Neuordnungsgebiet „abweichend von Art. 29" gegangen werden könne und solle.
Nun ist richtig, daß auch Art. 118 nicht ausdrücklich etwas über die Möglichkeit, Legislaturperioden der Landtage zu verlängern, sagt. Er spricht nur über ein Gesetz über die „Neugliederung" des Südwestgebiets. Der Inhalt eines Gesetzes, das der Bundestag auf Grund des Art. 118 verabschieden will, muß also der dem Bund übertragenen Materie der Neugliederung angehören; er muß ein Teil dieser Neugliederungsmaterie sein. Nach Meinung des Vermittlungsausschusses ist es die entscheidende staatsrechtliche Frage, ob das vorliegende Gesetz diese Voraussetzung erfüllt..
Die Rechtslage würde ganz klar sein, wenn die
Verlängerung der Landtagslegislaturperioden in dem endgültigen Neugliederungsgesetz enthalten sein würde. Die Tatsache, daß in diesem Falle niemand staatsrechtliche Bedenken hätte, zeigt doch, daß im Rahmen der Neughederungsmaterie auch eine Verlängerung der Legislaturperioden der Landtage möglich ist. Es ist ja auch versucht worden, im Neugliederungsgesetz diese Frage zu regeln, aber die Zeit reichte dazu nicht aus. Die Verlängerung der Landtagslegislaturperioden war auch in der vorgesehenen freien Vereinbarung der Länder enthalten. Nun also ist die Frage, die der Vermittlungsausschuß bejaht hat, die, ob dieses Gesetz als Teil der Neugliederungsmaterie im Sinne des Art. 118 anzusprechen sei.
Die. Neugliederungsmaterie ist bereits vor der Tätigkeit des Bundes durch die Länderverhandlungen in Angriff genommen worden, die ja ausdrücklich als Teil des Art. 118 im Grundgesetz vorgesehen sind und die sogar die Voraussetzung dazu bilden, daß der Bund auf diesem Gebiet tätig werden kann. Erst nach Scheitern dieses Neugliederungsversuchs der Länder und nach Eingang der offiziellen Mitteilung des Staatspräsidenten Müller bei der Bundesregierung ist der Bund tätig geworden, und erst da konnte der Bund auf diesem Gebiet tätig werden. Das uns vorliegende Gesetz ist also schon wegen dieser Entwicklung keine Vorwegnahme an sich, sondern es ist schon der zweite Akt des Art. 118. Ich glaube, das ist verfassungsrechtlich beachtlich. Das Gesetz ist zwischen dem freien Akt der Länder, der von Mißerfolg begleitet war, und dem endgültigen Neugliederungsgesetz zwischengeschaltet. Es ist also keine völlig isolierte Materie, die wir hier behandeln, sondern es ist ein Teil der Neugliederungsmaterie.
Art. 118 schreibt, was ebenfalls unstreitig war, nicht vor, daß die ganze Neugliederung in einem Bundesgesetz geregelt sein müsse. Das ist auch praktisch gar nicht möglich, weil nach der Zusammenlegung der Gebiete ja erst nur e i n Element des neuen Staates vorhanden ist, nämlich das Staatsgebiet, und dann erst die Staatsorgane geschaffen werden müssen. Die Neugliederungsmaterie — darüber war sich der Vermittlungsausschuß einig — kann in mehreren Gesetzen geregelt werden. Es muß sich eben nur bei jedem Gesetz um einen Teil der Materie handeln.
In der vom Vermittlungsausschuß vorgeschriebenen Änderung des § 1 wird wegen dieser Gedankengänge das Gesetz stärker auf die Materie des Art. 118 abgestellt. Der erste Entwurf des Bundestags sah in bezug auf die Verlängerung der Landtags-Legislaturperioden keine Fristen vor. Die Verlängerung ist jetzt bis zum 31. März 1952 befristet. Sollte also auf Grund des Bundesgesetzes und der Volksabstimmung eine Neugliederung nicht beschlossen werden, laufen die Legislaturperioden der Landtage am 31. März des nächsten Jahres ab. Die nach Landesrecht notwendigen Neuwahlen sind also von der Neugliederung abhängig gemacht worden. Der Vermittlungsausschuß ist der Überzeugung, daß damit deutlich ein weiterer Teil der Neugliederungsmaterie geregelt worden ist. In diesem Zusammenhang gewinnt bei der jetzigen Formulierung des § 1 auch das vielerörterte argumentum a maiore ad minus doch an Gültigkeit.
Ich glaube, wir können uns auch ferner darüber klar sein, daß ein Gesetz, wenn es die Neugliederungsmaterie zum Teil regelt, dann auch mehr regeln kann als nur das Notwendige, daß es dann auch etwas Wünschenswertes und Praktisches regeln kann. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber über das absolut Notwendige der Neugliederung hinausgeht, bedeutet nicht, daß eine solche Bestimmung dem Grundgesetz widerspräche.
Um diesen materiell-rechtlichen Bezug des § 1 auch äußerlich deutlicher zu kennzeichnen, schlägt der Vermittlungsausschuß ferner die Änderung des Titels vor und bittet, zu beschließen, das Gesetz zu benennen „Erstes Gesetz zur Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiet gemäß Artikel 118".
Meine Damen und Herren, wegen der speziellen Materie des Art. 118 und wegen der nunmehr im Text und in der Überschrift deutlichen Verbindung zu dem, speziellen, nur bei diesen drei Ländern vorgesehenen System der Neugliederung bestehen nach Auffassung des Vermittlungsausschusses keine Gefahren der Verallgemeinerung dieses Weges für andere Länder, und es besteht auch nicht die Gefahr von Präjudizien. Natürlich bleibt die Entscheidung dieser Frage eine Auslegungssache. Aber nach systemlogischer Auslegung hält die Mehrheit des Vermittlungsausschusses das Gesetz für verfassungsgemäß.