Rede von
Rudolf
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende der Ruhr-Knappschaft hat in Nr. 4 der Zeitung „Bergbau-Industrie" einen offenen Brief an das Bundesarbeitsministerium gerichtet, dessen Schlußsatz lautet:
Es wird die allerhöchste Zeit, eine Änderung der
Rentenleistungen für die berufsunfähigen
und invalidisierten Bergarbeiter zu schaffen. Das Bundesarbeitsministerium hat uns nun — Drucksache Nr. 2058 — ein Gesetz zugeleitet, das eine Änderung der Verordnung über die Knappschaftsversicherung vom 4. Oktober 1942 vorsieht, und hat damit anerkannt, daß die jetzigen Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung der durch langjährige schwere und gefahrvolle Arbeit hervorgerufenen Erwerbsminderung in keiner Form gerecht werden. Wir hätten allerdings gewünscht, daß das Bundesarbeitsministerium endlich einmal von der Methode abgehen würde, Vorschläge zur Lösung des Gesamtproblems der Sozialversicherung hier im Bundestag geradezu „tropfenweise" zu unterbreiten. Denn auch diese Vorlage zeigt mit aller Eindringlichkeit erneut wieder die zwingende Notwendigkeit, an die gesamte Problematik der Sozialversicherung von Grund Mus heranzugehen.
Bei einer Prüfung der Vorlage müssen wir feststellen, daß die Knappschaftsrente im Durchschnitt 99,31 DM und die Knappschaftsvollrente monatlich 139,50 DM beträgt. Letztere erhält der Bergmann allerdings nur, wenn er keine Möglichkeit mehr hat, seine Arbeitskraft irgendwo anders einzusetzen. Wenn man dabei den tariflichen Hauerdurchschnittslohn bei 25 Schichten mit 347,50 DM zugrunde legt, ergibt sich, daß der Anteil der Renten nur ca. 35 % ausmacht. Den Unsicherheitsfaktor, der in diesen niedrigen Sätzen der knappschaftlichen Rentenversicherung liegt, versuchte man abzuschwächen, indem man — unter Anwendung besonderer Bestimmungen — zum Zwecke der Anpassung einen Zuschlag von 180 DM jährlich als
Bestandteil der Rente gab. Darauf baut sich die uns nun in Drucksache Nr. 2058 vorliegende Gesetzesvorlage auf.
Bei der Rentenberechnung zur Knappschaftsversicherung haben wir die bemerkenswerte Tatsache zu verzeichnen, daß der Arbeitsverdienst bis zum 31. Dezember 1942 ein fingierter gewesen ist und mit durchschnittlich 242,50 Mark verrechnet wurde. Aus den ermittelten Beitragszeiten nahm man den fingierten End- und Mittelbetrag und errechnete so den Gesamtarbeitsverdienst. Aus diesem ermittelten Verdienst werden 1,5 % Knappschaftsrente und 2,4 % Knappschaftsvollrente errechnet. Diese Art der Berechnung nach dem zum großen Teil fingierten Jahresarbeitsverdienst bildet die Grundlage der niedrigen Renten, eine Tatsache, unter der vor allem der Frühinvalide außerordentlich stark zu leiden hat. Das Hereintragen einer ganzen Reihe juristischer Begriffe — ich spreche hier nicht nur von der Knappschaftsrente, sondern von der gesamten Sozialversicherung — erschwert selbstverständlich die gesamte Berechnung. Bei der Berechnung der Knappschaftsrente werden Beziehungen zu anderen Versicherungsträgern — beispielsweise zur Bergbauberufsgenossenschaft, Ruhrknappschaft usw. — und auch die Kürzungsbestimmungen des § 1274 der Reichsversicherungsordnung oder des § 50 des Reichsknappschaftsgesetzes berücksichtigt, was die Situation auf dem Gebiete der Knappschaftsversicherung in ihrer Gesamtheit verschärft.
Dieser ungeheure Wust von gesetzlichen Bestimmungen führt zu einer Verzerrung des Rechtes der Bergarbeiter und ist die Ursache sehr kostspieliger Streitverfahren mit den Versicherungsbehörden. Man könnte an einzelnen Berechnungen die Unmöglichkeit dieser Grundlage der Rentenberechnung eingehend unter Beweis stellen. Man soll aber an einer Tatsache, die bereits von meinem Vorredner skizziert worden ist, nicht vorbeigehen. Allein im Monat September 1950 kehrten sich nach den statistischen Berichten 257 Arbeitskräfte von der Bochumer Zeche ab. Unter den jungen Bergarbeitern und den neuen Kräften, die dem Bergbau zufließen, besteht weiterhin starke Neigung, wieder von dort abzuwandern. Sie haben täglich die Schicksalstragödie ihrer alten Kameraden vor Augen und erkennen, daß das Verfahren von freiwilligen „Panzerschichten" im Bergbau wesentlich schneller zur Invalidität führt. Nach einwandfreien Ziffern beginnt die Invalidität im Durchschnitt im Alter von 49 Jahren. Wenn man die Härte der Berufsarbeit des Bergmannes anerkennen will, muß nach unserer Meinung mehr geschehen, als mit der vorgesehenen Abänderung der Verordnung vom 4. Oktober 1942, über die wir heute in erster Lesung zu beraten haben, erreicht werden kann.
Ich darf abschließend sagen, daß bei der Beratung dieses Entwurfes im Ausschuß drei Forderungen entscheidend sind, die mit behandelt werden müssen und hinsichtlich derer man zu einer Klärung kommen muß. Erstens: die sofortige Aufhebung der Kürzungsbestimmungen des § 50 des Reichsknappschaftsgesetzes in Anlehnung an den § 1274 der Reichsversicherungsordnung. Zweitens: der Grundbetrag bis zu 156 DM aus der Invalidenversicherungsleistung darf bei der Knappschaftsvollrente nicht gekürzt werden. Drittens: die Berechnung der Rente muß nach dem Jahresarbeitsverdienst der höchsten Berufsgruppe erfolgen, und alle Lohnerhöhungen im Ruhrbergbau müssen sich mit in steigenden Renten auswirken. Man soll nicht versuchen, diese Dinge mit einer Steigerung der Beiträge zu realisieren, sondern soll die notwendigen Beträge von den 9 Milliarden DM abzweigen, die Sie als Sicherheitsleistung jährlich zu zahlen gewillt sind.