Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um die Bundesrepublik in den Stand zu setzen, das ehemalige Reichsvermögen in die Hand zu nehmen, wäre nicht ein
einziger Artikel im Grundgesetz notwendig gewesen.
Dieser Artikel 134 war notwendig — und er schien nützlich zu sein —, weil man erstens über das Schicksal des preußischen Staatsvermögens im Grundgesetz etwas bestimmen mußte und weil man zweitens im Grundgesetz bestimmen wollte, daß den Ländern ein Teil des früheren Reichsvermögens zu Eigentum übertragen werden sollte. Aus diesem Grunde ist der Art. 134 notwendig gewesen und ist er nützlich.
Wenn man der Meinung ist, irgendein Artikel im Grundgesetz sei notwendig gewesen, um zu bestimmen, daß Reichseigentum Bundeseigentum wird, dann muß man eine von zwei Prämissen akzeptieren. Entweder muß man dann davon ausgehen, daß 1945 das Deutsche Reich zerbrochen ist, daß es verschwunden ist, daß sich auf seinem Gebiet neue Staaten gebildet haben und daß diese Staaten — kraft Standrechts, möchte ich sagen — das alte Reichsvermögen okkupieren konnten. Ich glaube nicht, daß jemand in diesem Saale anwesend ist, der sich zu einer solchen Prämisse bekennen würde.
Die zweite Prämisse, von der man sonst ausgehen müßte, wäre die, daß man annimmt, ein Befugter habe Reichsvermögen den Ländern übertragen, und diese Länder seien damit Eigentümer geworden und der deutsche Staat in seiner heutigen Form „Bundesrepublik" habe es damit verloren; er müsse es sich also kraft seiner Gesetzgebungsgewalt wieder zu Eigentum zurückübertragen. Das ist die zweite Prämisse, von der man ausgehen müßte.
Wenn man von ihr ausgehen will, dann muß man sich auf bestimmte Rechtshandlungen stützen können und muß sich gefallen lassen, daß diese behaupteten Rechtshandlungen auf ihre Gültigkeit hin untersucht werden. Eine staatsrechtliche Legitimation für irgend jemanden, eine solche Übertragung vorzunehmen, ist nirgends zu finden, weder in der alten Verfassung noch in der Zwischenverfassung des Dritten Reiches noch etwa in dem, was nach 1945 in Deutschland bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes geschehen ist. Die einzige „Rechtshandlung", auf die man sich stützen könnte, wären Akte der Besatzungsmacht. Da gibt es das amerikanische Zonengesetz, das britische und das französische Zonengesetz. Diese drei Gesetze sind recht verschieden. In der britischen Zone ist man ohne jede Frage am korrektesten nach dem geltenden Völkerrecht, nämlich nach der Haager Landkriegsordnung, verfahren. Dort hat der Okkupant nicht mehr an Dritte — an die Länder — übertragen, als was ihm das Völkerrecht selbst gab. Das Völkerrecht gibt dem Okkupanten nur die Rechte des Nießbrauchs und des Verwaltens und nicht mehr; und: nemo plus iuris transferre potest quarr ipse habet!
Die Amerikaner sind in der Textierung ihrer Verordnung nicht so vorsichtig gewesen; aber sie haben ganz offensichtlich dasselbe gemeint. Sie haben ganz offensichtlich nicht mehr übertragen wollen, als was sie nach Völkerrecht übertragen durften. Die Franzosen haben es anders gehalten. Sie wollten ausgesprochenermaßen mehr; sie wollten im Zuge der Politik, die sie damals für vernünftig hielten, den Ländern das Bundeseigentum übergeben, zu echtem Eigentum, damit es kein Reichseigentum mehr gäbe und so die Erinnerung an die Einheit Deutschlands nicht immer neu geweckt werde. Das geschah im Zuge der „föderalistischen" Außenpolitik der Franzosen von damals. Vielleicht ist ihre Deutschlandpolitik heute anders. Ich hoffe es; aber damals war sie s o. Das ging so weit, daß man den Ländern der französischen Zone — jedenfalls zweien davon — es geradezu aufzwingen wollte, das Eisenbahnvermögen zu übernehmen, und daß man die drei Länder der Zone veranlaßte, mit diesem ihnen nun „geschenkten" Reichseigentum eine besondere Eisenbahngesellschaft zu gründen. Wir in WürttembergHohenzollern und in Rheinland-Pfalz haben uns geweigert, das zu akzeptieren. Wir haben erklärtermaßen nur als Treuhänder und unter Vorbehalt der Rechte einer künftigen Deutschen Republik, die es damals noch gar nicht gab, unterzeichnet. Leider hat die badische Regierung sich geweigert, diesen Vorbehalt mit abzugeben.
Es tut mir leid, das feststellen zu müssen; aber es war so. Herr Abgeordneter Hilbert, es tut mir leid, daß es so war, auch um Sie!
— Ja, es tut mir leid auch um Sie. Es wäre mir
lieber gewesen, Ihr Staatspräsident hätte sich
damals uns, den beiden anderen Regierungschefs,
angeschlossen. Aber er meinte, er würde, wenn er
den Vorbehalt mit unterschriebe, die Rechte des
badischen Volkes kränken. — Nun, das ist vorbei,
und solche Sachen bleiben ein für allemal vorbei.
Verfügungen, die so gemeint gewesen sein sollten, daß Reichseigentum von der Besatzungsmacht an Länder zu Eigentum übertragen wird, sind völkerrechtswidrig. Keine Besatzungsmacht hat ein solches Recht, und es konnte darum durch diese drei Gesetze kein Eigentumstitel geschaffen werden. Alles, was an Rechten übergehen konnte, waren Verwaltungs- und Nießbrauchrechte und sonst nichts! Der Bund hat es nicht nötig, durch irgendein Gesetz zu bestimmen: Das und das, was einmal „Reichsvermögen" war, wird jetzt „Bundesvermögen", sondern das, was „Reichsvermögen" war, i s t „Bundesvermögen", ob der Art. 134 im Grundgesetz steht oder nicht.
Was durch Gesetz geregelt werden muß, sind ausschließlich die Modalitäten des Übergangs der Verwaltung aus der einen Hand in die andere.
Mit anderen Worten: Dieses Gesetz hat nicht konstitutiven Charakter, sondern ausschließlich ordnenden Charakter. Es ist ein Gesetz, durch das eine Organisation wird aufgestellt werden müssen, durch das gewisse Stellen bestimmt werden müssen, die befugt sind, diese oder jene Abrechnung oder faktische Leistung vorzunehmen, aber nicht mehr.
Und dann wird ein Gesetz nötig sein, das das ehemalige Reichsvermögen, das mit guten Gründen nunmehr an die Länder gegeben werden soll, diesen überträgt, weil die Länder jetzt Verwaltungsaufgaben zu erfüllen haben, die früher das Reich mit diesen Gütern erfüllte. Wenn das geschehen wird, dann wird man ein Gesetz erlassen müssen, das die Länder zu Eigentümern macht. — So steht die Sache!
Meine Damen und Herren, das Problem ist ernst. Wenn wir in dieser Sache — aus Bequemlichkeit oder weil es für diesen oder jenen Länderfiskus profitabel sein könnte — eine Maßnahme gutheißen, von der man einmal Rückschlüsse auf eine falsche Grundauffassung über den juristischen Sta-
tus Deutschlands ziehen könnte, dann könnte es sein, daß uns unsere Reden einmal von einer Seite präsentiert werden, mit der wir dann nicht hier, in diesem Hause, werden diskutieren können!
Und deswegen, meine Damen und Herren, bitte
ich zu entschuldigen, daß ich diese juristischen Ausführungen gemacht habe. Ich glaube, es war notwendig, daß das getan wurde, und ich glaube, es
ist notwendig, daß wir uns immer wieder auf diese
Grundlage der juristischen und politischen Existenz
der Bundesrepublik besinnen. Wenn ich mir vorhin erlaubt habe, dem Herrn Bundesfinanzminister
einen Zwischenruf zu machen, als er sagte, es sei
gleichgültig, wie man darüber denke, so war das
so gemeint: Wir sollten das nicht als eine gleichgültige Angelegenheit ansehen, als einen Sport
beflissener Juristen, ob man so oder so denkt,
sondern wir sollten eh und je wissen, daß, wenn
wir falsch in diesem Ansetzen der Gleichung unserer Existenz denken, alles, was wir damit einmal
sollten errechnen wollen, nicht mehr stimmen kann.