Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde haben mich beauftragt, zu erklären, daß wir dem Antrag Drucksache Nr. 1995 zustimmen, in dem ersucht wird, daß Objekte, die länger als drei Monate leerstehen, ohne weiteres von der Besatzungsmacht an die Gemeinden zurückgegebenwerden. Das würde den Anfang eines Weges zur Regelung dieser Frage bedeuten. Im Gegensatz zu meinem Herrn Vorredner bin ich nicht der Auffassung, daß nur tausend Objekte in Frage kommen, sondern ich kann auf Grund der Erfahrung in einem Bezirk, der überaus stark von der Besatzungsmacht belegt worden ist, sagen, daß mehrere tausend Häuser sich heute zum Teil in einem geradezu skandalösen Zustand befinden und unterbelegt sind und auch mehr als tausend Häuser leerstehen. Wenn die Regierung sich ernstlich mit der Frage beschäftigt, kann dieser Antrag eine Bresche in die Dinge schlagen, die hier zur Debatte stehen.
Wir dürfen uns damit nicht begnügen. Die gesamte Frage der Beschlagnahme muß unserer Auffassung nach baldigst einer endgültigen Lösung zugeführt werden. Die Proteste gegen diese Beschlagnahmen kommen aus ganz Westdeutschland und werden Tag für Tag an jeden Politiker und an alle anderen dafür Verantwortlichen herangetragen. Man kann an dieser Frage nicht wie bisher — sechs Jahre nach dem Kriege — achtlos vorübergehen. Das würde zur Folge haben, daß eine Verzweiflungsstimmung und eine geistige Widerstandsbewegung hochkommt, die nicht im In-
teresse der Alliierten liegt, auch nicht im Interesse Deutschlands und Europas überhaupt. Aust der sittlichen Verpflichtung, für das Wohl der Evakuierten zu sorgen, die heute in Westdeutschland noch fast 31/2 Millionen Menschen ausmachen, sind wir verantwortlich, uns für eine annehmbare Lösung in dieser Beziehung einzusetzen.
Meine Damen und Herren! Seit dem verhängnisvollen Jahre 1945 sind in den drei Zonen Westdeutschlands etwa 3 bis 31/2 Millionen Menschen aus ihren Wohnungen entfernt, man kann sagen, vertrieben worden, aus Häusern und Wohnungen, die durch jahrelangen Fleiß, durch Sparsamkeit und, wie in meinem Bezirk, in der Hauptsache von der minderbemittelten Bevölkerung erworben worden sind. Viele dieser Verdrängten glaubten, die Beschlagnahme ihrer Wohnungen würde, wie z. B. in den Pfingsttagen des Jahres 1945, nur eine vorübergehende Maßnahme sein. Sie sind in dieser Erwartung bitter enttäuscht worden. Schweres Leid und bittere Enttäuschung haben sie in den letzten sechs Jahren erfahren müssen. Heute, fast sechs Jahre nach Beendigung des Krieges, sehen sie immer noch keine Möglichkeit der Aufhebung der Beschlagnahme und müssen zum größten Teil noch in Elendsquartieren hausen, müssen infolge der großen Wohnungsnot darin untergebracht werden und ihr Dasein fristen.
Wir alle, die wir für eine Lösung dieser Frage im Namen des Rechts und der Menschlichkeit eintreten, müssen an die Besatzungmächte die Frage richten: Wie lange noch müssen die aus ihren Häusern und Wohnungen Vertriebenen auf die Rückgabe ihres Privateigentums warten? Die Besatzungsmächte haben bekanntlich das Grundgesetz anerkannt. In Art. 14 und in Art. 18 ist das Recht auf Privateigentum garantiert. Wir sind der Auffassung: Wenn das Verhältnis zwischen den Besatzungsmächten und der deutschen Bevölkerung sich nicht weiter verschlechtern soll, muß diese im Grundgesetz gegebene Garantie auch gegenüber den Evakuierten anerkannt werden.
Es wird bekanntlich sehr viel über die gemeinsame Verteidigung der europäischen Interessen usw. geredet. Hier könnten die Besatzungsmächte ein Beispiel geben und beweisen, daß sie wirklich nur eine Schutzmacht und keine Kriegsmacht mehr sind; und aus dieser Atmosphäre müßte sich die Möglichkeit einer Freigabe der seit sechs Jahren beschlagnahmten Häuser ergeben.
Als letzthin die Mitteilung durch die Presse ging, daß das Besatzungsstatut abermals revidiert werden solle und Erleichterungen für die Politik des Bundes und damit auch für die deutsche Bevölkerung eintreten sollten, waren sehr viele Leute der Auffassung, daß auch in der Frage der Freigabe ihrer Häuser eine Erleichterung geschaffen werde. Sie sind auch diesmal wieder sehr schwer enttäuscht worden. Die zuversichtliche Stimmung, die anfangs herrschte, wurde dadurch beeinträchtigt, daß durch die Presse die Nachricht ging, es solle weiterer Wohnraum für die neu ankommenden Truppen beschlagnahmt werden. Wir müssen fragen, ob Familienangehörige, Frauen und Kinder, überhaupt geeignet sind, einen Schutz Deutschlands zu gewährleisten. Soldaten müssen meiner Auffassung nach in Kasernen wohnen, und diese stehen, besonders in meinem Bezirk, in ausreichendem Maße zur Verfügung. Es gibt auch eine größere Anzahl von ehemaligen deutschen Wehrmachthäusern und eigens für die Besatzungsmacht gebauten Häusern, die man dem Gefolge der Besatzungstruppen zur Verfügung stellen könnte. Jeder weitere Eingriff in den augenblicklich vorhandenen Wohnraum ist meiner Meinung nach unzweckmäßig und nicht zu verantworten. Die Evakuierten wenden sich dagegen um so mehr, als sie selber, wie ich schon sagte, sich noch mit sehr miserablen Wohnverhältnissen begnügen müssen.
Mein Herr Vorredner hat eben bereits angedeutet, daß ein überhöhter Bedarf der Besatzungsmacht an Wohnraum vorhanden ist. Ich will Sie nicht damit langweilen und belästigen, daß ich Ihnen all die Beispiele dafür aufzähle, wie dieser Wohnraum von der Besatzungsmacht genutzt wird. Die Ansprüche der Besatzungsmacht stehen in krassem Widerspruch zu den Verhältnissen, unter denen unsere Evakuierten heute leben müssen. Es ist Tatsache, daß die Besatzungsangehörigen — ich kann das belegen — in deutschen Häusern in Wohnraum geradezu schwelgen. Ich habe hier eine Liste mit 12 oder 14 Beispielen, von denen ich nur 2 herausgreifen will. Fall 2: Parterre 4 Räume, belegt von einer Person; erste Etage 4 Räume, belegt von 2 Personen. Ein anderer Fall: eine große Villa ist belegt von einem Offizier, einer Hausdame mit Sohn, einem Dienstmädchen und einem Nachtwächter. Zusammenfassend kann ich Ihnen sagen, daß z. B. in 95 Räumen, die hier erfaßt sind, nur 35 Personen inklusive deutschen Personals wohnen.
Daß ein solcher Zustand auf die Dauer unerträglich ist, darüber muß sich auch die Besatzungsmacht letzten Endes einmal klar werden. Ich möchte Ihnen aus meiner Stadt, in der ich das zweifelhafte Vergnügen habe, mich mit diesen Fragen beschäftigen zu müssen, noch ein besonders markantes Beispiel geben. In dieser Stadt wurden im Jahre 1945 6000 Menschen innerhalb von 48 Stunden auf die Straße gesetzt. Wir haben es fertig gebracht, 40 % der damals beschlagnahmten 650 Häuser wieder freizubekommen. Aber nach einer Statistik vom 1. Januar dieses Jahres steht fest, daß jeder Besatzungsangehörige 51/2 mal soviel Wohnraum hat wie ein Deutscher.
Das sollte auch den Besatzungsmächten zu denken geben; sie sollten selbst daran interessiert sein, daß diese Frage endlich einmal vernünftig gelöst wird.
Meine Damen und Herren! Bei der Revision des Besatzungsstatuts hat — das habe ich vorhin schon gesagt — die evakuierte Bevölkerung Westdeutschlands große Hoffnungen gehabt, die wiederum enttäuscht worden sind. Sie muß sich weiterhin entschieden dagegen verwahren und zur Wehr setzen, daß man sie nach wie vor als Menschen zweiter Klasse behandelt und ihnen die im Bonner Grundgesetz verankerten Grundrechte vorenthält, deren gewissenhafte Beachtung man sich nach dem Besatzungsstatut zur Pflicht gemacht hat. Die Evakuierten stehen auf dem Standpunkt, daß die Angehörigen der Armeedienststellen in erster Linie in den vorhandenen Besatzungsbauten unterzubringen sind bzw. daß, wenn diese nicht ausreichen, unverzüglich mit dem Bau von Wohnungen und Unterkunftsräumen für die Angehörigen der Schutztruppe begonnen wird. Sie sind weiter der Meinung, daß es nach internationalem Recht und nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 18, dem Wohnungsgesetz, unzulässig ist, wenn Privatpersonen Privateigentum requirieren oder Requirierungen zulassen und ihre private Unterkunft aus Besat-
zungskosten bezahlen lassen. Es ist Tatsache, daß die Angehörigen der Besatzungsmacht, der Militärs oder der Beamten, die Frauen und Kinder, die Schwiegermütter, Großmütter und alles, was hierher nach Deutschland kommt, eine große Zahl der Besatzungsmacht ausmachen. In dem Gesetz Nr. 18, einem von der höchsten alliierten Instanz in Deutschland erlassenen. Gesetz, heißt es in Art. 8 Ziffer 20:
Ausländer, die sich freiwillig in Deutschland aufhalten, sind wie deutsche Staatsangehörige zu behandeln.
Und in Art. 13:
Jede Verletzung oder Nichtbefolgung dieses Gesetzes wird strafrechtlich verfolgt.
Demnach dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß Frauen und Kinder nicht zum Besatzungsheer, noch viel weniger zur Schutztruppe gehören und daß sie sich durchaus freiwillig in Deutschland aufhalten; denn es wird und kann von keiner Seite ein Zwang auf sie ausgeübt werden. Auf Grund der gleichen Vorschrift kann man aber auch nicht Privateigentum requirieren oder weiterhin requiriert lassen, um in diesen Wohnungen, wie es in einem sehr großen Maße der Fall ist, deutsche und ausländische Bedienstete der Besatzungsmacht unterzubringen. Das ist seit Jahren und jetzt noch in vielen beschlagnahmten Häusern der Fall. Ferner müssen die Evakuierten dagegen Verwahrung einlegen, daß in ihren Häusern kostspielige Umbauten vorgenommen werden, die zum großen Teil eine völlige Zweckentfremdung der Häuser herbeiführen, so daß sie späterhin als Wohnhäuser nicht mehr verwendet werden können.