Rede von
Dr.
Kurt
Schumacher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die Frage der deutschen Einheit ist für unser Volk ein zentrales Problem. Sie ist aber auch eine bedeutsame Frage für die Erhaltung der Freiheit in der Welt. Alle europäischen Probleme und Projekte werden nicht europäisch behandelt, wenn man aus der Teilung Deutschlands Nutzen ziehen will. Die Kosten für eine solche Politik zahlt nicht Deutschland allein, die Kosten zahlt die Sache der Freiheit in der ganzen Welt.
Jede Betrachtungsweise hat von der Tatsache auszugehen, daß es Sowjetrußland gewesen ist, das seine Zone separiert und isoliert hat.
Das ganze Kampfgeschrei der Kommunisten und ihrer Anhänger für die Einheit, wie sie sie verstehen, wäre völlig unnötig, wenn sich die kommunistische Praxis der Teilung Deutschlands dem angeblichen kommunistischen Wunsche der Einigung Deutschlands untergeordnet hätte.
Die Stärke der totalitären Position beruht weitgehend auf der Unkenntnis und der Unklarheit über das Wesen des Totalitarismus bei den westlichen Demokratien und erst recht bei großen Teilen des deutschen Volkes.
Die Uneinheitlichkeit und Unentschlossenheit der westlichen Demokratien in ihrer Deutschlandpolitik, die vielen Vorbehalte und Unklarheiten in der Behandlung und der Zusammenarbeit mit den Deutschen schwächen die Front der Freiheit, nehmen ihr die Geschlossenheit und bedrohen ihre letzte Gemeinsamkeit.
Wir haben einen Gegner, dessen Einheit und Konzentration seiner politischen Kräfte zentral dirigiert wird. Die deutsche Frage kann nicht für sich allein betrachtet werden; sie kann aber auch nicht vom Westen her mit Deutschland als Objekt gelöst werden.
Wenn wir auf der Viererkonferenz nicht am Tisch sitzen, so gibt es doch in der Sache nur die eine große Möglichkeit: man darf nicht über Deutschland beraten, man muß letzten Endes mit Deutschland beraten.
Es dient der Sache der Demokratie nicht, wenn man in einer Hauptstadt der westlichen Welt kürzlich lesen konnte, die Aussichten für das Gelingen der Viererkonferenz würden davon abhängen, daß Westdeutschland ausgeschaltet bliebe.
Nein, das ist der falsche Weg! Auch das Mittel der gelegentlichen Information und Konsultation würde nicht genügen. Die Information der deutschen Politik vor, während und nach der Viererkonferenz bei der Behandlung des ganzen Komplexes muß permanent und vollständig sein. Die Deutschen sollten auch wirklich befragt werden, sie sollten auch wirklich die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern. Es liegt im Interesse einer großen gemeinsamen Sache, daß die Erkenntnisse und aktiven demokratischen Kräfte unseres Volkes mobilisiert werden.
Letzten Endes gibt es keinen Erfolg der kommenden Viererkonferenz, wenn nicht das Ergebnis der Beratungen vom deutschen Volk bejaht und darum als verbindlich angesehen wird.
Man hat in einem Teil der westlichen Presse sehr leichtfertig empfohlen, die deutsche Einheit nach dem österreichischen Vorbild zu organisieren. Man übersieht dabei, daß der Prozeß und die Methoden, die in Österreich 1945 begannen, etwas grundsätzlich Verschiedenes und Unvergleichbares sind, wenn sie auf das Deutschland von 1951 angewandt werden.
Hier in Deutschland sind in sechs Jahren durch die sowjetischen Besatzungsmethoden tatsächlich Machtpositionen des Kommunismus geschaffen worden. Angesichts dieser Tatsache wäre die Übertragung des österreichischen Beispiels die Auslieferung Deutschlands an den Kommunismus mit Privilegierung der kommunistischen Chancen.
Das deutsche Volk kann weder diesem noch einem
anderen Vorschlag zustimmen, der zur Viermächte-
kontrolle oder gar zur Viermächtekontrolle mit Vetorecht führt.
Die sowjetische Politik versucht jetzt, entgegen der Tatsache, daß sie die Deutschen als bloßes Material handhabt, bei denselben Deutschen das Gefühl zu erzeugen, als ob sie ein selbständiges, nach eigenem Willen handelndes, souveränes Subjekt seien. Tatsächlich ist die Ostzonenverwaltung nur der Bestandteil eines Satellitensystems, in dem es nur einen Willen gibt, nämlich den Willen des zentralen Auftraggebers und Herrschers, der Sowjetunion.
Das System von Pankow ist die völlige Entdeutschung und die völlige Sowjetisierung der Politik.
Die angebliche deutsche Initiative aus dem Osten für die Einheit ist ein Bestandteil der nationalrussischen Außenpolitik.
Sie dient der Stärkung der sowjetischen Position gegenüber den westlichen Alliierten. So war es vor jeder Viererkonferenz. So war es vor Moskau im März 1947, so war es vor London im November 1947, so war es vor Paris im Mai 1949, und so ist es auch heute wieder. Man will bei unserem Volk den Blick für die Realitäten der Macht und für die Motive der Machtpolitik vernebeln, und man will den Typen, die ausgesprochene Marionetten sind, einreden, aus eigenem freiem Willen handeln zu dürfen.
Nun ist Propaganda bei einem Volk mit den speziellen Erfahrungen des deutschen Volkes in ihrer Wirksamkeit doch recht beschränkt. Dafür haben wir ein großes Beispiel, das Beispiel Berlins. Der 20. Oktober 1946 wäre nicht möglich gewesen, wenn die Propadanda allmächtig wäre. Der 20. Oktober 1946 ist der Sieg des Willens zur Freiheit über die Propaganda der Totalitären.
Jetzt steigert sich die Intensität der Propaganda. Die vorsichtigste Schätzung über die Briefe und Postsachen, die wöchentlich in das Gebiet der Bundesrepublik kommen, beläuft sich auf mehr als 2 Millionen Stück wöchentlich!
An dieser Stelle ist es unsere Aufgabe, die Ahnungslosen, Wohlmeinenden in unserem Volk vor jeder Form der Gemeinsamkeit zu warnen, mag sie noch so freundlich angebahnt werden.
Es darf keine Unterschriften geben, es darf keine Gemeinsamkeit der Kundgebungen geben, es darf keine Aktionseinheiten geben.
Es ist Tatsache, daß die Sozialdemokratische Partei in der Bundesrepublik 8000 Ortsvereine hat. Kein einziger Ortsverein hat mit ihnen verhandelt.
Die agitatorische Betriebsamkeit kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß zwischen ihrem System und den Menschen in diesem Lande jede menschliche Beziehung fehlt.
Den Wohlmeinenden, den Redewütigen und Repräsentationshungrigen hier in diesem Lande möchte ich sagen: Man kann nicht mit den Peinigern verhandeln und die Gepeinigten ignorieren.
Die Opfer der Freiheit, die Eingekerkerten, die Verschleppten, die gesamten Bewohner der Ostzone, die Kriegsgefangenen, sie alle haben Anspruch auf unsere menschliche und nationale Solidarität.
In der Propaganda ist jetzt das soziale Moment etwas in den Hintergrund getreten. Es ist als Realität aber immer da. Die Bundesrepublik sollte in einer Periode der steigenden Preise, denen Löhne, Gehälter und Renten nicht nacheilen können, daran denken, diese Dinge mit letztem Ernst zu behandeln.
Gerade die demokratische Staatsverfassung ist stärker als jede andere auf die soziale Fundamentierung angewiesen.
Worte gegen den Kommunismus verlieren an Wirkung ohne Tate für die soziale Gerechtigkeit.
Die Kommunisten machen jetzt eine große Propagandaaktion mit angeblichen Preissenkungen, die in der Sowjetzone durchgeführt sein sollen. Man will damit die soziale Deklassierung der arbeitenden Menschen und das Aufhören jeder sozialen Gemeinschaft durch Ausbeutung und Herabdrücken auf ein Helotendasein verdecken. Man will den Blick ablenken von dem ungeheuren wirtschaftlichen Rückschritt in den Satellitenländern und in der sowjetischen Besatzungszone.
Man sollte bei uns nie vergessen: Wenn einmal das Wort galt: Die Gerechtigkeit ist die Grundlage der Staaten, dann heißt es heute: Die soziale Gerechtigkeit ist die Grundlage der Demokratie.
.)
In den Mittelpunkt der östlichen Propaganda ist jetzt das nationale Moment getreten. Es wird dort das Problem gelöst, wie man nationalrussische Politik mit nationaldeutschen Phrasen macht.
Wenn ich diese nationale Agitation untersuche, dann ist das ins Auge springende Resultat: Diese nationalistische Agitation aus dem Osten hat keine einzige eigene Idee und keine einzige neue Idee. Alle Parolen sind Zwangsanleihen aus den diversen Mottenkisten des deutschen Nationalismus.
Sie sind alle so „angenehm" historisch; man trifft nur alte Bekannte wieder.
Die Satellitenparteien der sowjetischen Besatzungszone, die offiziell nicht auf das Programm des Leninismus-Stalinismus verschworen sind, haben dabei eine besondere Aufgabe. Sie haben die Aufgabe, in gewissen Schichten des deutschen Volkes in der Bundesrepublik dieses Geraune und Gewisper zu erzeugen, daß diesmal Sowjetrußland ganz besondere, für die Deutschen außerordentlich positive Maßnahmen plane. Wir kennen aber diese Methode aus den Perioden vor Beginn jeder der vergangenen Außenministerkonferenzen. Außerdem mögen viele Leute, die heute noch in der Ostzone
sind, sich einmal daran erinnern, daß auch sie einst Träger dieser Parolen waren. Wir haben seit 1945 viele deutsche Hirtenknaben kennengelernt, die das sowjetische Lämmlein hüten wollten.
Die Führungsschichten gewisser rechtsradikaler Gruppen glauben, die sowjetische Politik überspielen und für sich, die deutschen rechtsradikalen Gruppen, nutzen zu können. Es ist das alte Unglück in unserem Lande, daß gerade unser extremster Nationalismus in den Stunden der großen Gefahr nicht national genug im einfachen, anständigen Sinne des Wortes gewesen ist.
Der Hunger nach Macht für die eigene Clique und Richtung hat sie immer wieder verführt und droht, sie auch jetzt zu verführen, das Schicksal des Staates und Volkes ihrem Gruppenegoismus unterzuordnen.
Alle die Illusionisten und Spekulanten, sie sollten das eine wissen: Was sollen Verhandlungen, bei denen der kommunistische Partner seinen Auftraggeber nicht binden kann? Der große Auftraggeber im Hintergrund behält freie Hand; seine deutschen Beauftragten mögen tun und lassen, was sie wollen. Aus dem Mangel auch nur der Möglichkeit einer Vertragstreue sollte sich die Meinung unseres Volkes in der Behandlung dieser Personen und Komplexe bestimmen. Es ist eben jedem Totalitarismus strukturell unmöglich, sich mit einem anderen zu verständigen oder gar auszusöhnen.
Was er dem andern an Selbständigkeit läßt, soll immer nur dem Totalitarismus als Deckwand dienen und ihm nützen. Ob dieser Totalitarismus also eine politische Partei zertrümmert oder andere politische Parteien bestehen läßt, ist nur unter dem Gesichtspunkt des Nutzens eben für diesen Totalitarismus entschieden worden und wird in Zukunft so entschieden werden. Die Rolle, die der Kommunismus den deutschen Illusionären zugewiesen hat, ist doch eine sehr kurzfristige. Sie sollen die Aufgabe erfüllen, dem antidemokratischen, dem totalitären, dem diktatorischen Prinzip zur Macht zu verhelfen. Haben sie ihm dazu verholfen, dann werden sie überflüssig und als hinderlich zertreten und zerschlagen. Die Geschichte der Eroberung der Macht durch die Kommunisten in den Satellitenstaaten spricht eine eindeutige und unwiderlegbare Sprache.
Jetzt steht neben dem nationalen Moment im Vordergrund der angebliche Kampf für den Frieden, ausgerechnet durch die Partei der Kriegsrüstung in der ganzen Welt für die stärkte Militärmacht in der ganzen Welt!
Der Sinn dieser Propaganda ist nicht Krieg dem
Kriege, sondern in der kommunistischen Formulierung: Krieg dem imperialistischen Kriege, d. h.
für die Kriegspotenz der Sowjetunion und für die
Ohnmacht der demokratischen Länder einzutreten.
Was der Kommunismus wirklich denkt über den Frieden, seine Bedeutung, seine sittlichen Werte, seine Wohltaten für die Völker, das zeigt am besten eine Rede, die Stalin am 13. Juni 1928 vor der kommunistischen Parteiorganisation in Leningrad gehalten hat. Dort heißt es klar und eindeutig:
Das am weitesten verbreitete Mittel, um die Arbeiterklasse einzulullen und sie vom Kampf gegen die Kriegsgefahr abzulenken, ist der heutige Pazifismus mit seinem Völkerbund, seinen Friedenspredigten, mit dem Verbot des Krieges, mit seinem Abrüstungsgeschwätz.
Ich glaube, an dem Tage hat der spätere Generalissimus Stalin einen tiefen Blick in seinen Spiegel getan.
— Ich bin doch nicht dazu da, Ihre Makulatur zu verlesen!
Die Behandlung der Abrüstungsfrage seit 1945 bringt Aufklärung genug. Die Abrüstung ist von den Angelsachsen, besonders den Amerikanern, weitgehend durchgeführt worden. Aber bis heute hat ein großes Land praktisch die Abrüstung verweigert: Sowjetrußland. Wenn die Viererkonferenz eine Aufgabe hat, dann ist es die, vor der Welt über diese Tatsache Klarheit zu schaffen.
Die Auslösung der großen Aufrüstungswelle in der ganzen Welt ist doch durch den sowjetischen Militarismus erfolgt.
Die Aufwendungen für die großen Militärlasten und damit die Verringerung des Anteils der arbeitenden Menschen am Sozialprodukt, die Senkung der Lebenshaltung ganzer Völker, sie sind doch im letzten Grunde das Ergebnis der sowjetischen Militär- und Rüstungspolitik.
Offen muß aber auch gegenüber dem Westen gesagt werden: Die uns im vergangenen Jahre von dort reichlich unbesonnen aufgezwungene Diskussion über einen deutschen militärischen Beitrag hat entscheidend daran gekrankt, daß sie ohne die Fixierung absolut fester Voraussetzungen und ohne Rücksicht auf die möglichen Gefahren für das deutsche Volk eingeleitet worden ist.
ist der alte Fehler des Westens, unser Volk gar zu sehr als Materie zu betrachten, die von fremdem Willen geformt werden könnte. Das hat praktisch und in der Propaganda nur der heuchlerischen Friedensattacke der östlichen Übermilitaristen gedient, ohne die Realitäten der Macht auf dem Kontinent zu verändern.
Es waren und es sind die Sowjets, die die internationale Kontrolle der Atombombe verhindert haben. Es waren und es sind die Sowjets, die die internationale Inspektion des Rüstungsstandes vereiteln. Sie haben es heute in der Hand, in der Frage der Atomkontrolle und der internationalen Rüstungsinspektion in der ganzen Welt, auch in Sowjetrußland selbst, den Völkern den Eindruck ihres Friedenswillens zu vermitteln.
Der Westen hat lange genug dem Osten die deutsche Einheit gütigst überlassen zur Ausnutzung als Schwindelparole. Er darf nicht denselben Fehler beim Ideenkampf um den Frieden begehen. Von der kommenden Viererkonferenz erwarten die Völker
die Erhaltung des Friedens und die Verbesserung der Aussichten seiner Bewahrung. Diese große Menschheitsfrage bewegt alle. Hier haben die Mächte Zeugnis abzulegen für ihre menschlichen und moralischen Werte.
Die Erkenntnis von der Gleichheit als der Grundlage eines von allen Teilen leidenschaftlich gewollten Europas ist zum großen Teil doch noch recht theoretisch. Die Behandlung des Besatzungsstatuts in diesen Tagen ist die Manier eines vorsichtigen Kaufmanns, allerdings, meine Damen und Herren, eines pfennigfuchsenden Kaufmanns,
der damit nie in das große politische Geschäft kommen kann.
Sie ist nicht geeignet, die moralischen Kräfte des
gutwilligen deutschen Volkes aufzurütteln und
wachzurufen. Dazu gehören beim Westen die Einmaligkeit und die Eindeutigkeit befreiender Taten.
Völlig ungeeignet aber erscheint uns ein System, eine Vereinigung Europas durch Maßnahmen auf Spezialgebieten, wie jetzt durch Pläne militärischer oder wirtschaftlicher Struktur, herbeizuführen, solange die grundlegende Ungleichheit im Politischen besteht.
Der Schaden, den das Bemühen um die Durchsetzung dieser Pläne unter den gegebenen Voraussetzungen anrichtet, ist in jedem Falle größer als ihr eventueller Nutzen. Außerdem tragen die jetzigen Projekte vielzusehr die Züge eines rein machtpolitischen, nationalistischen Egoismus.
Diese Politik bedeutet den Versuch, die sich zwangsläufig anbahnende politische Gleichheit durch eine Politik der vollendeten Tatsachen der Ungleichheit zu dämpfen.
Gemeinsamkeit aber mit der Konsequenz der Gleichheit auf den einzelnen besonderen Gebieten gibt es nur unter Gleichen.
Der politische und propagandistische Angriff der Totalitären soll den Angreifern das Gesetz des Handelns in der Frage der deutschen Einheit in die Hand spielen. Sie wollen die Themen bestimmen, die Reihenfolge und die Art ihrer Behandlung und die Umstände der Diskussion. Sie sind die alles bestimmenden Fragesteller. Derjenige verspielt die Sache der Freiheit, der sich als Antwortender in das System dieser Fragen hineindrängen läßt.
Sie wollen überall hineinreden und alles bestimmen. Sie selbst aber wollen sich in nichts hineinreden lassen und keinen anderen Wunsch respektieren. Zur gleichen Zeit, in der sie sich jetzt als kameradschaftliche Gesprächspartner aufführen, versuchen sie mit der Einheitsfront von unten dem Gesprächspartner der anderen Seite den festen politischen Boden unter den Füßen wegzuziehen. Je härter man aus unseren Reihen das Nein gegen das diktatorische Manöver ausspricht, desto mehr geht die heuchlerische Kameradschaftlichkeit in die Binsen. Wenn Sie in den letzten Wochen die SED-Presse in Berlin und in der Ostzone gelesen hätten, dann würde Ihnen grauen vor der letzten Unflätigkeit dieser Sprache und dieser Methoden gegenüber
denselben Leuten, mit denen man sich angeblich,
wie es so schön heißt, „an einen Tisch setzen" will.
Diesmal aber ist der Angriffsplan genauer durchdacht und enthält mehr Alternativen. Scheitert der eine Schritt, soll der andere Schritt getan werden. Ist der Brief Grotewohls an den Bundeskanzler ohne Erfolg geblieben, dann schreibt eben die Volkskammer an den Bundestag. Aber das sind ja alles nur noch Ersatzmaßnahmen ohne politische Bedeutsamkeit. Es gehört schon die schauerliche Talentlosigkeit in der Politik dazu, die leider bei vielen Menschen in unserem Lande vorhanden ist, wenn man gestern und heute im Rundfunk hören konnte: Der Bundestag versammelt sich heute, um den Brief der Volkskammer zu beantworten.
Es gab eine Stunde der politischen Entscheidung. Das war die Antwort, die der Bundeskanzler im Auftrag und im Einverständnis mit allen Parteien gegeben hat. Die Diskussion aber über die Ersatztaktiken ist völlig uninteressant und überflüssig.
Es ist die Entschlossenheit, Bewußtheit und Zielklarheit des demokratischen Widerstands, die in diesen letzten Wochen die Kommunisten gezwungen hat, viel von dem zu sagen, was sie erst nach Erreichung ihres ersten Ziels, nämlich des Konstituierenden Rates, hatten sagen wollen.
Jetzt haben sie erkennen lassen, daß sie die freien Wahlen mit den gleichen Chancen für alle Beteiligten mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser.
Davon zeugen die Anweisungen, die zentral und in den einzelnen Ländern der sowjetischen Besatzungszone von der Führung der „Nationalen Front" an ihre sogenannten „Aufklärer" gegeben werden. Dort bekennt man sich zur Blockpolitik; dort erklärt man gegenüber den aufgeregten Anhängern, man wolle Konzessionen nur formal und vorübergehend machen und man habe alles für die Machtergreifung im Stile der Prager Vorgänge vorbereitet. Die Leute, die die Aufgabe haben, propagandistisch auch gegenüber den eigenen Anhängern die Taktik der Kommunisten abzudecken, haben sich gar dazu verleiten lassen, den Terrorakt des 15. Oktober und die Einheitslisten als demokratische Vorbilder für die zukünftige Gestaltung Deutschlands zu preisen.
Das oberste Ziel; auf das vom Osten her alle Kräfte konzentriert werden, ist also, um in der kommunistischen Sprache zu sprechen, die Errichtung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates. Dieser Konstituierende Rat ist das Stück im taktischen System, durch das alles bedingt ist. Von seiner Schaffung oder von seiner Verweigerung hängt das Gelingen oder Mißlingen der kommunistischen Politik ab. Der Konstituierende Rat soll, wie die Kommunisten sagen, die „Repräsentanz des deutschen Volkes" sein. Aber diese Repräsentanz des deutschen Volkes soll nicht gewählt werden, sie soll den Willen des deutschen Volkes nicht ausdrücken, weil eine solche Einrichtung dann für die sowjetische Besatzungsmacht gar zu schwer zu handhaben wäre. Es ist kein Zufall, daß in dem Brief Grotewohls an den Herrn Bundeskanzler der Passus bezüglich des Gesamtdeutschen Konstituierenden Rats wörtlich abgeschrieben ist aus dem Be-
schluß der Prager Außenministerkonferenz der Oststaaten vom 21. Oktober 1950.
— Wenn man das ganze Drum und Dran betrachtet, dann ist es nicht nur der Geist der Prager Außenministerkonferenz, sondern auch sogar der Geist des Warschauer Abkommens, der die kommunistischen Kräfte in ihrer Propaganda vorwärts-treibt.
Der Konstituierende Rat soll paritätisch zusammengesetzt sein. Die Parität zwischen zahlenmäßig ungleich Starken ist immer der Versuch, die Herrschaft der Minderheit über die große Mehrheit zu etablieren.
Dabei rechnen die Leute des Totalitarismus auf das Bündnis mit den Illusionären und den Rückversicherern der Bundesrepublik.
Dieser Konstituierende Rat ist die nationale Methode zur Erkämpfung der kommunistischen Diktatur in Deutschland. Viel zu wenig wird in unserem Lande die zur gleichen Zeit angewandte internationale Methode beachtet. Wenn die nationale Methode, der Kampf um die Etablierung des Konstituierenden Rates, eine propagandistische Aktion ist, bei der die Wahrheit unterdrückt werden muß, so ist die internationale Methode, die es auch mit anderen Kräften als den Deutschen zu tun hat, von dem Wunsche nach Klarheit und nach Ausdruck der wirklichen Absichten bestimmt. — Im Februar dieses Jahres fand in Berlin — ausgerechnet in Berlin! — eine internationale „Friedenskonferenz" statt, die aus 81 Ländern beschickt war. Dort wurde kein einziges versöhnliches Wort gegenüber dem deutschen Volke gesprochen.
Dort haben sich die Kommunisten, die überall in der Welt die rücksichtslosesten Feinde Deutschlands sind, und ihre deutschen Satelliten und Mitläufer mit den fremden Kommunisten geeinigt in dem Willen zur Unterdrückung und Entrechtung Deutschlands.
Dort verlangte man die Rückkehr zu den Abkommen, die die Alliierten während der härtesten Perioden des Krieges miteinander geschlossen haben.
Dort erklärte ausgerechnet der französische Kommunist Farge unter einmütigem Beifall der Versammlung etwas, das sich jeder Deutsche einprägen sollte: man müsse „eine Friedenssolidarität schaffen, die im Interesse der Völker die Solidarität des Krieges weiterzuführen" habe.
Man will also eine neue Welt mit den Mitteln der Kriegspsychose aufbauen. Daß Deutsche dazu ihre Zustimmung geben können, ist eine Warnung für die Ahnungslosen in unserem Lande. Daß ausgerechnet die Kommunisten in der Welt sich auf die Heiligkeit der Verträge besinnen, nämlich der Verträge mit sehr unheiligem Inhalt,
das ist um so überraschender, als doch die Kommunisten die Verträge mit einem heiligen Inhalt, nämlich die Friedensverträge, die den Balkanländern
Rumänien, Bulgarien und Ungarn die Freiheit und die Demokratie sichern sollten, rücksichtslos gebrochen haben.
Auf dem Berliner Friedenskongreß bekannten sich die Kommunisten der ganzen Welt zu dem Vernichtungswillen von Jalta und Quebec und all den anderen Konferenzen. Dort bekannte man sich ausdrücklich immer wieder zu Potsdam. Dort wurde nicht nur politische und militärische Abwehr gegen den Westen gepredigt und das deutsche Volk unter diesem Gesichtspunkt negativ behandelt; dort erklärte man dem Sinne nach jede deutsche Industrie zu einer Kriegsindustrie und deklarierte wörtlich den Passus der Forderung der Quebecer Konferenz vom September 1944: „Schließung oder Zerstörung aller metallurgischen, chemischen und elektrischen Industrien der Ruhr und der Saar."
— Lesen Sie nach, Sie Kenner der diplomatischen Akten!
Die beiden Hauptziele der kommunistischen Kampagne sind: erstens propagandistisch die Kompagne gegen die sogenannte Remilitarisierung.
Aber, meine Damen und Herren, diese sogenannte Remilitarisierung ist in diesem Munde ja wohl eine Lähmungsaktion ohne sachlichen Ernst. Die Diskussion, die jetzt auf einer kommenden, von der Weltfriedenskonferenz eingesetzten „Europäischen Arbeiterkonferenz gegen die Remilitarisierung Deutschlands" begonnen wird, hat ja tatsächlich ein anderes Ziel. Tatsächlich erstrebt man die Verlangsamung, wenn nicht gar das Abstoppen bei der Aufstellung der ungeheuren Produktionskaders der amerikanischen Rüstungsindustrie.
Neben dieser propangandistischen Attacke gibt es aber eine sehr realpolitische. Man will dem undemokratisch zustande gekommenen totalitären Konstituierenden Rat als Hauptaufgabe den Abschluß eines Friedensvertrages noch im Jahre 1951 zuweisen.
Was in einem solchen Friedensvertrag stehen soll, haben die Sowjets ja unvorsichtigerweise vor der Pariser Außenministerkonferenz 1949 erzählt. Sie forderten die Entnahme von Reparationen für die Sowjets aus der laufenden Produktion Westdeutschlands. Sie wollen die sowjetische Mitkontrolle und die Heranziehung ihrer Satellitenstaaten bei der Mitkontrolle des Ruhrgebiets. Sie erstreben die verstärkte politische Einwirkungsmöglichkeit auf die Gestaltung des deutschen Staatswesens. — Diese undemokratische Zweckeinrichtung des Konstituierenden Rates soll eine ebenso undemokratische Zweckregierung schaffen. Die Aufgabe dieser sogenannten Regierung wäre, die Politik der vollendeten Tatsachen im kommunistischen Sinne durchzuführen.
Alle Parteien sollen mit diesem Friedensvertrag, der eine Kapitulation vor den Sowjets unter Verleugnung der deutschen Lebensnotwendigkeiten zu sein hat, belastet werden. So will man den Weg zur Eroberung der Macht nach dem Vorbild der Satel-
litenstaaten gehen. Es ist eine Illustrierung der Leninschen Theorie von der provisorischen Regierung, die so viel Tatsachen zu schaffen hat, daß sie nachher durch demokratische Wahlen nicht mehr korrigiert oder gar aus der Welt geschafft werden können.
Der Hauptbestandteil eines Friedensvertrags noch 1951 wäre aber ein anderer. Er soll die Befreiung der Sowjets von ihrer größten europäischen und deutschen Sorge sein, die imstande ist, das ganze Satellitensystem zu schwächen und zu lähmen. Das Hauptziel dieses Friedensvertrages wäre, die deutsche Zustimmung zur Oder-NeißeLinie als der endgültigen Grenze zu erlangen.
Zur gleichen Zeit, in der man hier wilhelminisch, hitlerisch und in allen anderen Sprachen des Nationalismus unserem Volk propagandistisch kommt, verhandelt der sogenannte Ministerpräsident von Pankow mit Polen! Dieser Monat März ist der Monat der deutsch-polnischen Freundschaft.
Wir wollen die Freundschaft mit dem polnischen Volk, — aber nicht um den Preis des deutschen Selbstmords.
Die Kommunisten haben nicht das Recht, auf Menschen und Gebiete Deutschlands zu verzichten, die ihnen doch nicht gehören, diese kommunistische Partei, eine Funktion einer Besatzungsmacht!
Dabei ist wichtig, daß bei den Erklärungen und gemeinsamen Aufrufen im Osten die Oder-Neiße-Linie nicht mehr die bloße Grenze ist. Im Stil der Agitation des vorigen Jahres ist sie nicht einmal nur die berühmte „Friedensgrenze" und die „Friedensgrundlage". Jetzt ist sie noch mehr! Es heißt in dem gemeinsamen großen Aufruf der „Blockparteien" wörtlich: „Die Oder-Neiße-Grenze ist ein Bindeglied beider Völker geworden."
Man schwärmt in diesen Erklärungen davon — ich zitiere wieder wörtlich —, „daß sowjetisches Erz und polnische Kohle zu deutschem Friedensstahl verarbeitet werden".
Bloß wie die Kommunisten zu anständigen Deutschen gemacht werden, dafür ist kein Programm vorgesehen.
Die „Nationalzeitung", das Blatt des organisierten Rechtsradikalismus im Dienste Sowjetrußlands,
das Organ des früheren Generals Vinzenz Müller, schreibt sogar: „Die Friedensgrenze an der OderNeiße ist heute für beide Völker zur begünstigenden Brücke geworden."
So weit — und das mögen sich viele Leute in Westdeutschland zur Lehre dienen lassen — sinken die
Vertreter des alten Nationalismus, wenn sie mit
dem sowjetischen Totalitarismus zusammenarbeiten.
Von dieser Stelle aus ist es unsere Aufgabe, die Offiziere und Mannschaften der Volkspolizei in der sowjetischen Besatzungszone zu fragen, wie lange sie noch den Weg unter den Fahnen des Kommunismus gegen ihr eigenes Vaterland weitermarschieren wollen.
Alle Bemühungen der östlichen Politik haben nur das eine Ziel, den Konstituierenden Rat zu schaffen und ihm die Funktion der Gesetzgebung und der Regierungsbildung zu überlassen. Demgegenüber haben wir Sozialdemokraten schon seit 1946 immer wieder gleiche und freie Wahlen unter den gleichen Chancen für alle Beteiligten als den Schritt Nr. 1 angesehen. Wenn die kommunistische Taktik siegen oder auch nur auf dem Wege des Kompromisses gewisse Erfolge haben würde, dann, meine Damen und Herren, wäre nicht nur eine Schlacht, dann wäre der Feldzug um die Freiheit in Deutschland, vielleicht in Europa verloren.
Alles steht und fällt damit, daß die freien Wahlen unter den gleichen Bedingungen und Voraussetzungen für alle politischen Richtungen der Demokratie der Schritt Nr. 1 sind.
Die deutsche Frage auf der Außenministerkonferenz ist die Frage nach den freien Wahlen und damit die Frage nach einer freien und starken Regierung.
— Nein; wir werden unsere Bundesgenossen aber auch nicht aus der Kirgisensteppe holen.
Das ist politischer Sinn und Inhalt des Briefes der Sozialdemokratischen Partei vom 31. Januar an den Herrn Bundeskanzler. Ich hoffe, die Befriedigung von vielen außerhalb der Regierungskoalition auszudrücken, wenn ich sage, daß das auch der entscheidende Punkt der Note und der Erklärung der Bundesregierung gewesen ist.
Ein frei gewähltes und freies Parlament hat nicht nur eine Verfassung zu schaffen, es hat die ganze Gesetzgebung zu bewältigen und es hat die oberste Aufgabe der Bildung einer demokratischen Regierung, einer starken Zentralgewalt. Diese Zentralgewalt und das sie tragende Parlament haben nicht nur Recht zu setzen, sondern sie haben Tatsachen zu schaffen. Diese Tatsachen haben übereinzustimmen mit den Tatsachen, die vor, während und nach den Wahlen durch die demokratischen Kräfte der ganzen Welt gestaltet und organisiert werden sollen.
Die propagandistische Welle der Kommunisten wird weitergehen. Aber die politische Aktion ist für diese Situation gescheitert. Die politische Eroberung der Deutschen Bundesrepublik durch den Kommunismus findet nicht statt.
Sie findet wenigstens legal nicht statt.
Sie dürfen aber nicht übersehen, daß die Kommunisten das, was sie legal nicht erreichen, in der Illegalität einer durch nichts gehemmten Propaganda zu erreichen versuchen werden.
Das heißt: die Gefahr bleibt vorn Propagandistischen her, und die Gefahr steigert sich. Die Gegenseite erreicht ihren Konstituierenden Rat nicht, weil sich die Bundesrepublik im Interesse der Notwendigkeiten des deutschen Volkes und der Notwendigkeiten der Freiheit in der Welt verweigert. Darum werden die Kommunisten den Versuch machen, ein Schattenparlament, ein Scheinparlament, auch Konstituierender Rat genannt, zu schaffen und dabei die Vertreter aus dem Westen nach ihrer kommunistisch-sowjetischen Einsicht benennen.
Bei dieser Gelegenheit werden wir einmal die ganze trojanische Kavallerie hier vorbeigaloppieren sehen,
und wir werden dann die Möglichkeit haben, uns politisch, moralisch und juristisch mit den Leuten auseinanderzusetzen, die Deutschland im Stich lassen, um Sowjetrußland zu dienen.
Dieses Schattenparlament hätte dann die Aufgabe, eine Schattenregierung zu bilden.
- Ja, das höre ich gerade.
Genau wie dieses Schattenparlament wäre diese Schattenregierung auch ein Propagandainstrument der Sowjets. Diese Tatsache legt dem deutschen Volk, soweit es das Glück hat, seinen politischen Willen frei bilden und frei vertreten zu können, eine große Aufgabe für die deutsche und für die Demokratie der Welt auf.
Die Viererkonferenz mag ausgehen, wie sie will: Wir können nicht in einem Zustand der Passivität, des Sichabfindens mit den Dingen verharren.
Die Teilung Deutschlands kann man nicht in dem Stil behandeln, als sei sie eine hoffentlich vorübergehende Angelegenheit. Das Resignieren ist eine Chance für die Diktatur.
Die westdeutsche Bundesrepublik muß bei jedem Ausgang der Viererkonferenz und bei jedem Verhalten der Propagandamaschinerie der Kommunisten immer wieder von dem einen Gebot ausgehen: Wir freien, wir demokratischen Deutschen haben die Aufgabe, politisch und propagandistisch für die deutsche Einheit aktiv und kämpferisch zu bleiben und diese Aktivität um dieses Zieles willen weiterzuentwickeln.
Wir haben dabei drei große Komplexe zu behandeln. Wir haben eine starke soziale Ordnung zu schaffen, die den weltweiten Unterschied im Sozialen zwischen den Ländern der Demokratie und den Ländern der Diktatur auch den Menschen im Osten, auch den Bewohnern der Satellitenstaaten klarmacht.
Wir haben zum anderen eine demokratische Praxis
im eigenen Lande und eine demokratische Praxis
der Außenpolitik zu entwickeln, die die Gleichberechtigung zum idealen Vorbild für die Völker des Ostens macht, die Gleichberechtigung, die aus der Vernunft und der natürlichen Solidarität der Demokratie allen Völkern gegeben ist.
Wir haben schließlich ein System praktischer Maßnahmen zu schaffen, wie sie von den Kräften der Demokratie bei der Rückgewinnung der sowjetischen Besatzungszone nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich für die Eroberung und Sicherung der Freiheit durchgeführt werden sollen.
Meine Damen und Herren! Mit dem Kampf für die deutsche Einheit dienen wir unserem eigenen Volk. Mit dem Kampf für die deutsche Einheit dienen wir aber auch der Sache der Freiheit und der Menschlichkeit in der ganzen Welt!