Rede von
Dr.
Conrad
Fink
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Parteifreunde und ich vermögen — erlauben Sie mir, Herr Kollege Tichi, daß ich das zu Beginn meiner Ausführungen sage - nicht einzusehen, welchen praktischen Nutzen für das Problem, das hier zur Debatte steht, polemische Ausführungen der Art haben sollen, wie sie hier von Ihrer Seite aus gemacht worden sind. Wir wollen kein politisches Kapital aus dem Heimatvertriebenen- und Flüchtlingsproblem schlagen.
Es handelt sich bei uns nicht darum, die Heimatvertriebenen „loshaben" zu wollen. Uns geht es um die Sache , uns geht es wirklich hierbei um den Menschen, sowohl um den Einheimischen bei uns als auch um den Heimatvertriebenen und den Flüchtling und schließlich auch um die Besserstellung des Loses der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge. Das wissen wir alle, daß Bayern heute einfach dieses Problem zu lösen nicht mehr imstande ist.
Im übrigen, Herr Kollege Tichi, warum immer
die alten Ladenhüter von Dr. Fischbacher usw.
auftischen? Sprechen Sie doch mit uns selbst. Ich
glaube, Sie werden bei uns Menschen finden, die
ein aufgeschlossenes Ohr für diese Dinge haben.
Auf dieser Ebene kann man besser verhandeln und
auch zu einem Ergebnis kommen. Es war im
übrigen, als am 24. Januar 1951 im Bayerischen
Landtag die Interpellation der Bayernpartei über
das Umsiedlungsproblem, über die Heimatvertriebenenfrage auf der Tagesordnung stand, eine
weitgehende Übereinstimmung in der Auffassung
der Interpellanten meiner Partei und des BHE-
Staatssekretärs Prof. Dr. Oberländer festzustellen!
Die Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat schon zu wiederholten Malen dieses Hohe Haus beschäftigt, und ich kann und muß es mir ersparen, im einzelnen darauf einzugehen. Ich kann auf die Protokolle der Plenarsitzungen vom 23. März, 4. Mai und 13. Dezember 1950 verweisen.
Grundsätzlich möchte ich aber klar und eindeutig folgendes aussprechen. Nachdem die Bundesregierung schon am 29. November 1949 eine Rechtsverordnung über die Umsiedlung der Heimatvertriebenen aus Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein erlassen hatte und nachdem der Bundestag am 4. Mai des vergangenen Jahres fast einstimmig einer Umsiedlung von 600 000 Heimatvertriebenen zugestimmt hatte, die mit tunlichster Beschleunigung durchgeführt werden sollte, fragen wir uns heute — und, ich glaube, mit Recht —: Was ist denn in der Zwischenzeit nun wirklich geschehen und was ist in der Zwischenzeit in der Tat durchgeführt worden? Da lautet die Antwort und kann nur lauten, daß wir, nachdem wir eineinhalb Jahre gewartet haben, heute nur ein denkbar mageres Ergebnis zu verzeichnen haben, das sich für Bayern noch besonders mager darstellt, weil wir prozentual bis heute bei der Abgabe von Heimatvertriebenen an letzter Stelle gestanden haben, dabei aber den größten Prozentsatz an erwerbstätigen Heimatvertriebenen abgegeben haben, was schließlich auch bei der Betrachtung des ganzen Problems eine Rolle spielen dürfte.
Herr Minister Lukaschek hat im Vorjahr schon erklärt — und die Regierung hat eine diesbezügliche Verordnung erlassen —, daß 1950 statt der
ursprünglich vorgesehenen Zahl von 600 000 nur 300 000 Flüchtlinge umgesiedelt werden könnten. Aber nicht einmal diese Zahl ist erreicht worden. Der Herr Minister hat die, schleppende Durchführung der Aktion u. a. damit zu begründen versucht, daß die sogenannten Aufnahmeländer erheblichen Widerstand gegen das ihnen auferlegte Soll leisteten. Sieht so — die Ausführungen des Herrn Kollegen Zawadil möchte ich nur begrüßen — der Föderalismus in Wirklichkeit aus? Was wäre geschehen, wenn 1945/46 auch Bayern einen solchen Widerstand geleistet hätte? Wie war es denn damals? Ich erinnere mich noch sehr gut, mit welchen Schwierigkeiten ich damals als Landrat in meinem nahe an der Grenze gelegenen Landkreis zu kämpfen gehabt habe, wo die Flüchtlinge zu Hunderten und Tausenden hereingeströmt sind, wo jede Woche Transporte mit 400 und 600 Flüchtlingen gekommen sind, die eine Nacht, vielleicht auch zwei Nächte, im Lager bleiben durften und dann in zwei oder drei Tagen in die Gemeinden hinausgebracht und dort untergebracht werden mußten. Da gab es keinen Widerstand, da gab es kein Nein, und da gab es auch keine Klagelieder à la Kater Hidigeigei, die die Steine hätten erweichen können.
Wir mußten mit diesem Problem einfach fertig werden.
Nun stehen wir also wieder am Anfang. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir über dieses Problem hier im Bundestag, ich möchte sagen, fast gerungen haben, stehen wir vor einem neuen Gesetzentwurf, der für das Jahr 1951 wiederum eine Gesamtumsiedlung von 300 000 Heimatvertriebenen vorsieht, wobei auf SchleswigHolstein 150 000, auf Niedersachsen 85 000 und auf Bayern entgegen der ursprünglichen Fassung — die Ausschußfassung stellt eine Verbesserung gegenüber der ursprünglichen Fassung dar — statt 50 000 65 000 fallen. Diese Zahl ist wirklich bei unserer Anzahl von fast 2 Millionen Heimatvertriebenen in Bayern viel, viel zu gering. Sie entspricht bei weitem nicht dem zu behebenden Notstand Bayerns. Doch wir wollen darüber heute nicht weiter rechten und uns zunächst mit dieser Zahl abfinden. Aber wir verlangen, daß wenigstens damit raschestens einmal Ernst gemacht wird. Wir sind ja so bescheiden geworden.
Im übrigen darf man nicht nur die relativen Zahlen ins Auge fassen, sondern muß auch an die absoluten Zahlen denken. Es ist doch eine unbestreitbare Tatsache, daß Bayern bei einer Stammbevölkerung von etwa 8 Millionen nahezu 2 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge beherbergt, wobei die Zahl der DPs und Evakuierten — das Problem ist heute auch schon angeschnitten worden — noch nebenher läuft.
Schließlich noch ein kurzer Hinweis auf die Familienzusammenführung. Der neue Gesetzentwurf sieht für Bayern 65 000 Umzusiedelnde vor. Demgegenüber möchte ich darauf hinweisen, daß uns die Familienzusammenführung des vergangenen Jahres nahezu 40- bis 45 000 Neuzugänge gebracht hat. Was bleibt dann praktisch noch von diesen 65 000? Kaum ein nennenswerter Bruchteil all dessen, was wir bis jetzt verlangt haben und was wir mit Fug und Recht verlangen können. Das praktische Ergebnis ist also fast gleich null.
Wenn meine politischen Freunde und ich trotz aller schwerwiegenden Bedenken dem Entwurf in
der jetzt vorliegenden Fassung zustimmen, so deswegen, weil wir die Erwartung hegen, daß damit nun wenigstens endlich einmal Ernst gemacht wird. Wir möchten aber heute schon betonen, daß es dabei nicht bleiben kann, und wir möchten Herrn Minister Lukaschek und die gesamte Bundesregierung auffordern, alles zu tun, um dieses Problem für Bayern so zu lösen, wie wir es nicht nur von unserem eigenen Interesse aus, sondern vom Standpunkt der Gerechtigkeit und vom Standpunkt des im Grundgesetz verankerten Föderalismus aus wirklich fordern können.