Rede von
Käte
Strobel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion stimmt der Vorlage ohne Abänderungsvorschlag zu und möchte sich ersparen, dazu eine Begründung zu geben. Wir haben Ihnen im Umdruck Nr. 94 einen Antrag vorgelegt, der keine Änderung dieses Gesetzes fordert, aber bei dieser Gelegenheit behandelt werden soll. Ich darf Sie von vornherein um Ihr Verständnis dafür bitten, daß wir bei dieser Gelegenheit auch auf die materielle Veranlassung zu diesem Antrage eingehen müssen. Ich bitte Sie, nicht mich dafür verantwortlich zu machen, sondern die Regierung, die dafür verantwortlich i , daß diese Debatte heraufbeschworen wurde, weil sie durch ihre Anordnung an die Preisbehörden praktisch gegen dieses Gesetz verstößt.
Diese von der Bundesregierung den Landesbehörden nahegelegte stillschweigende Duldung von erheblichen Preisüberschreitungen bei Getreide ist mit den Grundlagen eines Rechtsstaates nicht vereinbar.
Ich darf ganz kurz chronologisch feststellen: Der Bundestag hat am 6. Oktober 1950 die Verordnung Pr. 59/50 angenommen, in der die Preise für in-und ausländisches Getreide vom Oktober 1950 bis Juni 1951 festgelegt wurden. Diese Verordnung beruhte auf dem zur Zeit geltenden Preisgesetz, das wir uns im Augenblick anschicken zu verlängern. Nach § 1 dieses Gesetzes bedarf eine Veränderung der Getreidepreise wegen der grundlegenden Bedeutung für den gesamten Preisstand der Zustimmung des Bundestags.
Dies ist bis jetzt weder beantragt worden noch erfolgt. Wir stehen aber vor der erschreckenden Tatsache, daß die Bundesregierung durch eine amtliche Bekanntmachung die Mißachtung dieser Verordnung geradezu empfiehlt und den Behörden und Beamten zumutet, eine vom Gesetz mit Zuchthaus bedrohte Handlung zu begehen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung verläßt damit eindeutig den Boden des Rechts. Wie kann sie von den Staatsbürgern die Achtung vor dem Gesetz erwarten, wenn sie selbst, wenn auch nur in diesem einzigen speziellen Fall, ankündigt, daß die Nichtbeachtung dieser Preisverordnung nicht bestraft wird?
Meine Herren und Damen! Über die Höhe der heute der Landwirtschaft und den Verbrauchern zumutbaren Getreidepreise mögen die Auffassungen in diesem Hause auseinandergehen. Nicht auseinandergehen dürfen sie nach unserer Meinung darüber, daß die Regierung keine rechtswidrigen Anordnungen geben darf.
Die Bundesregierung mag die Tragweite ihrer amtlichen Mitteilung nicht bedacht haben. Um so notwendiger ist es, daß das Parlament solchen Anfängen wehrt, wenn es den Anspruch erheben will, die Volksvertretung eines Rechtsstaates zu sein und zu bleiben.
Bitte, verstehen Sie so unseren Antrag Umdruck Nr. 94!
Nun muß ich aber auch noch einiges zur materiellen Veranlassung dieser Situation sagen. Die Getreidepreise sind auf dem Weltmarkt gestiegen. Die innerdeutschen Getreidepreise sind davongelaufen, und zwar so sehr davongelaufen, daß auch die Ankündigung der Bundesregierung, sie auf 420 DM pro Tonne Weizen und 380 DM pro Tonne Roggen zu erhöhen, ,den grauen Markt nicht beseitigen wird. Es ist bekannt, daß die Tonne Weizen heute bereits mit 520 DM gehandelt wird. Solange aus Versorgungsrunden jede Tonne inländischen Brotgetreides Mangelware ist, solange Futtergetreide knapp und teuer ist. solange die Verwertung von Brotgetreide über den Schweinemagen mehr einbringt als der direkte Verkauf, werden sich immer Menschen finden, die diese Situation ausnutzen. Dabei interessiert uns gar nicht so sehr, wer von dieser Verdienstmöglichkeit Gebrauch macht, sondern wer diese Möglichkeit gibt. Die mangelnde rechtzeitige Vorratshaltung der Regierung hat die Knappheit heraufbeschworen.
Darf ich Ihnen ins Gedächtnis rufen, daß das am 27. Juli 1950 von uns verabschiedete Getreidegesetz der Marktordnung dienen soll. Dazu gehört die Sicherstellung der Versorgung, der Schutz der Landwirtschaft vor unnatürlich sinkenden Preisen genau so wie auch der Schutz der Verbraucher vor unnatürlich steigenden Preisen.
Eine solche Marktordnung kann aber nur funktionieren bei entsprechend vorausschauender Vorratshaltung; und gerade diese ist von unserer Bundesregierung gründlich versäumt worden. Der übliche rosarote Optimismus, von dem heute schon mehrmals die Rede war, hat maßgebende Minister der Bundesregierung dazu veranlaßt, die rechtzeitige Anlage einer genügenden Bundesreserve nicht durchzuführen. Ich muß Herrn Minister Blücher zitieren, der am 21. Juli 1950 hier ausgeführt hat — und ich darf Sie, meine Herren und Damen, daran erinnern, daß das vier Wochen nach Ausbruch des Koreakrieges geschehen ist —:
Unsere jetzige Vorratslage, die Möglichkeit, die Vorräte zu vermehren, und nicht zuletzt die ergriffenen Maßnahmen, um auch die Ernte in Sicherheit einzubringen, und ein entsprechender Preisschutz für denjenigen, der nunmehr abliefern soll; alles das zusammen gibt uns die Möglichkeit, mit Ruhe daran zu denken, wie sich die Versorgung der Bevölkerung in den nächsten Monaten abwickeln wird.
Sie wird auf lange Zeit gesichert sein.
Als im August, also unmittelbar danach, Mitglieder des Bundesrats eine Vorratshaltung in Höhe eines Dreimonatsverbrauchs forderten, ist das an der Nichtbereitstellung von 600 Millionen DM gescheitert. Dieses Versäumnis ist nicht wiedergutzumachen. Natürlich muß man bei objektiver Betrachtung zugeben, daß die krisenhafte Entwicklung auf dem Weltmarkt nicht unbedingt voraus- zusehen war. Deutschland trifft sie aber deswegen so besonders hart, weil unsere Regierung — von der man billigerweise verlangen kann, daß sie auch mit Schwierigkeiten rechnet — völlig unvorbereitet war, da sie planende und lenkende Maßnahmen sowohl in der Geld als auch in der Wirtschaftspolitik immer abgelehnt hat.
Deswegen trifft die Schuld an dieser Mangelsituation und allen ihren Folgen eindeutig die Bundesregierung.
Und wer profitiert davon, meine Damen und Herren? — Doch nicht die Landwirtschaft, allgemein gesprochen. Seit Monaten bemüht sich das Bundesernährungsministerium durch Appelle an das Verantwortungsbewußtsein, durch die Milakorn-Aktion, das noch vorhandene Brotgetreide herauszuholen. Der kleine oder mittlere Bauer, der im Vertrauen auf die Versicherungen der Herren Bundesminister und Staatssekretäre, daß die Getreidepreise während des Wirtschaftsjahres nicht geändert würden, damals abgeliefert hat oder verkaufen mußte, weil er das Geld brauchte, wird jetzt praktisch für diese rechtzeitige Ablieferung bestraft.
Frau Strobel)
Wer trotz aller Aufforderungen dieses für die Versorgung der Bevölkerung so notwendige Brotgetreide zurückgehalten hat, wird heute durch phantastische Preise dafür belohnt
und von der Regierung noch dazu aufgefordert, ohne Gefahr das Gesetz zu verletzen.
Und die Zeche, meine Damen und Herren, zahlt doch wieder einmal mehr der Verbraucher; und wieder einmal mehr wird eine Verbitterung gegen die Landwirtschaft und das Gewerbe heraufbeschworen, obwohl nicht sie, sondern die Bundesregierung die Schuld an der Entwicklung trifft.
Bitte, glauben Sie nicht, daß die angekündigte Erhöhung der Unterstützungen und Renten eine fühlbare Erleichterung für die kaufkraftschwache Bevölkerung bringt. Die paar Mark, die die armen Leute mehr bekommen, sind doch längst durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten vorweggenommen. Als wir im Mai vorigen Jahres und seitdem laufend vor der drohenden Entwicklung gewarnt haben, haben wir bei Ihnen niemals das notwendige Verständnis gefunden. Immer wieder haben Sie Herrn Minister Erhard für seine optimistischen Behauptungen und Prophezeiungen Beifall gezollt, ohne sie einmal wirklich kritisch nachzuprüfen. Ich muß auch Herrn Minister Erhard zitieren, der hier im Hause erst am 14. Dezember 1950 behauptet hat:
Ich kann Ihnen verraten, daß immer mehr
europäische Länder an uns herantreten, um
sich zu erkundigen, mit welchen Mitteln wir
es bewerkstelligt haben, daß bei uns die Preise
stabiler geblieben sind als im ganzen europäischen Ausland.
So weit Herr Professor Erhard im Dezember des vergangenen Jahres! — Wie sieht diese Stabilität in Wirklichkeit aus? —
— Wenn Sie zu Hause Ihre Frau fragen, dann können Sie das nachprüfen!
Sie weisen in Ihren Zwischenrufen so gern immer auf England hin. Ich bitte Sie, sich doch einmal genau darüber zu informieren, wie die Lebenshaltungskosten in England wirklich sind. Dann werden Sie nämlich erfahren, daß man dort durch Subventionen den Lebensstandard gehalten hat.
Ich muß aber — nur ganz kurz — auch die Preise für Brot nennen. Im Juli kostete das Roggenfeinbrot je Kilo 50 Pfennig, heute 58 Pfennig. Das ist eine Steigerung um 16 %; ,das Weißbrot im Juli 70 Pfennig, heute 85 Pfennig, eine Steigerung um 21 %,
wobei ich Sie darauf aufmerksam machen darf,
daß das Weißbrot für Kranke und Kinder sehr notwendig ist. — Und weil Sie das Konsumbrot anführen, darf ich Sie bitten, sich doch einmal bei den Bäckern zu erkundigen, wie das Konsumbrot überhaupt gefragt ist. Die Backlohnspanne für Konsumbrot ist jedenfalls auch um 2 Pfennig gesenkt worden. Ich muß Ihnen auch weiter sagen, daß in meiner Heimatstadt z. B. der Anteil des Konsumbrotes nur 25% des gesamten Brotumsatzes beträgt.
— Das ist darauf zurückzuführen, daß die Menschen nicht imstande sind, einen Brotaufstrich zu kaufen,
und daß es ihnen deswegen unmöglich ist, das Konsumbrot zu essen. Ich erinnere mich im Augenblick daran, daß Herr Minister Blücher damals hier sagte, daß er dieses Brot schon lange essen würde. Das glaube ich gerne: Wenn man imstande ist, Butter darauf zu streichen. ist das Brot angenehm.
Meine Herren und Damen! Die SPD-Fraktion hat Ihnen am 12. Dezember einen Antrag vorgelegt, den Sie mit uns angenommen haben und in dem es u. a. heißt:
Die Bundesregierung wird außerdem aufgefordert, alle Maßnahmen zu treffen und zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung ein ortsübliches Brot zum alten Preis in einer guten Qualität zur Verfügung zu stellen und dariiber hinaus jede weitere Erhöhung der Preise für Brot und Backwaren zu verhindern.
Diesen Antrag haben Sie angenommen. Die Bundesregierung hätte besser daran getan. diesem Antrag zu folgen, anstatt neue Preiserhöhungen für Brot usw. heraufzubeschwören. Angesichts dieser unhaltbaren Lage fragen wir heute die Bundesregierung:
In welchem Umfange ist die Versorgung der Bevölkerung mit Brot, Mehl. Nährmitteln usw. sichergestellt? Was beabsichtigt die Regierung zu tun, um die Preise für Brot, Mehl, Backwaren usw. auf den Stand vom 15. Dezember zurückzuführen?
Im Namen von Millionen Hausfrauen und von ebensovielen besorgten Familienvätern muß ich Sie auffordern, dafür zu sorgen, daß diese Preistreiberei nun endlich sofort beendet wird. Es kann und soll gar nicht bestritten werden, daß es notwendig und richtig ist, auch der Landwirtschaft die Produktionskosten und einen angemessenen Verdienst zu sichern. Konjunktur- und Spekulationspreise, die noch dazu gar nicht der Landwirt bekommt, sind aber nicht der richtige Weg dazu und die Aufforderung zur Gesetzwidrigkeit schon gar nicht. Jeder, der gesunden Menschenverstand hat, weiß, daß es so auf keinen Fall weitergehen darf.
Wir bitten deshalb, unsern Antrag Umdruck Nr. 94 anzunehmen, damit zu der an sich völlig verfahrenen Lage nicht auch noch die Tatsache kommt, daß der Bundestag eine Rechtswidrigkeit der Regierung sanktioniert.