Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Materie des Wiedergutmachungsrechtes hat den Deutschen Bundestag vor mehr als Jahresfrist bereits einmal befaßt. Ich darf den Antrag meiner Fraktion auf Drucksache Nr. 159 vom 4. November 1949 in Ihre Erinnerung zurückrufen, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vielleicht verlesen darf:
Die Bundesregierung wird gebeten, gemäß Ziffer 4 in Verbindung mit Ziffer 2 b des Besatzungsstatutes die Besatzungsbehörden um ihr Einverständnis zu bitten, daß ein Bundesgesetz betreffend Rückerstattung feststellbarer Vermögenswerte erlassen wird, mit dessen Inkrafttreten die jetzt in den drei Besatzungszonen geltenden Gesetze der jeweiligen Militärregierung aufzuheben wären. Bis zum Inkrafttreten des einheitlichen Bundesgesetzes sollten die schwebenden Verfahren ausgesetzt werden.
Wir hatten damals schon die Absicht, über die angesprochene Materie hinaus das gesamte Wiedergutmachungsrecht auf der Bundesebene möglichst vereinheitlichen zu lassen.
Der Antrag wurde dann in den Rechtsausschuß verwiesen, und dort wurden insbesondere auch von den Sprechern der Fraktion, die heute die Interpellation eingebracht hat, außenpolitische Bedenken geltend gemacht. Es wurde der Standpunkt vertreten, daß zweckmäßigerweise wohl keine Erörterung im Plenum des Bundestages vorgenommen würde, sondern daß man über die Ministerien einen Versuch unternehmen sollte, mit den Hohen Kommissaren in Fühlung zu kommen. Ich freue mich, daß dieser Standpunkt heute anscheinend nicht aufrechterhalten werden soll, und ich möchte nur meinen, es wäre besser gewesen, wir hätten den Standpunkt, den wir heute einheitlich einnehmen, bereits vor Jahresfrist eingenommen.
Dann hätte vielleicht in dieser Zeit schon manches
geschehen und manches verhütet werden können.
Zur Frage des Wiedergutmachungsrechts selbst möchte ich folgendes bemerken: Ich glaube, es ist notwendig, zunächst einmal die Problemstellung klar zu umreißen. Ich kann mir nicht denken, daß es irgend jemanden in diesem Hause gibt, der nicht aus vollem Herzen die Notwendigkeit der Wiedergutmachung bejahen würde,
und in diesem Sinne scheinen mir die Ausführungen des Herrn Kollegen Schmid dergestalt zu sein, daß sie von uns allen unterschrieben werden.
Aber es handelt sich hier, glaube ich, nicht um die Bejahung des Prinzips, sondern es handelt sich um die Frage, ob der bisher beschrittene Weg diesem Prinzip gerecht geworden ist, und das möchte ich doch füglich bezweifeln.
Sehen Sie, meine Damen und Herren: wenn man von Wiedergutmachung spricht, dann muß man doch die selbstverständliche Konsequenz ziehen, daß man getanes Unrecht durch Recht ersetzt,
und ich habe den Eindruck, als ob das, was angesichts der auseinandergelaufenen Behandlung in den Ländern in den letzten Jahren geschehen ist, nicht immer diesem Kardinalsatz gerecht geworden ist.
Meine Damen und Herren, es läßt sich doch nicht verkennen, daß begangenes Unrecht in Berlin nicht anders gesühnt werden kann als etwa in Bayern, nicht anders in der britischen Zone als in der amerikanischen Zone. Wenn man diese Tatsache anerkennt, dann kann man kein Verständnis dafür haben, daß die Wiedergutmachungsgesetzgebung in den Ländern so völlig auseinandergelaufen ist.
Ich möchte meinen, allein diese Tatsache bedingt es mit absoluter Konsequenz, daß man den Versuch einer bundeseinheitlichen Regelung unternimmt.
Ich habe auch noch ein anderes Bedenken, meine Damen und Herren, das gilt insbesondere auf dem Gebiet des Rückerstattungsrechts. Die generalfiter getroffene Feststellung, daß alle seinerzeitigen Veräußerungen jüdischen Besitzes unter Zwang erfolgt sind, bedingt doch die Folgerung, daß nicht der einzelne, sondern derjenige, der seinerzeit den Zwang ausgeübt hat, nämlich der Staat, für die Wiedergutmachung einzutreten hat.
— Ich gebe Ihnen durchaus zu, Herr Kollege Schmid, daß selbstverständlich in denjenigen und leider nicht seltenen Fällen, in denen derjenige, der jüdischen Besitz „übernommen" hat, eine Schuld auf sich geladen hat, die endgültige Haftung bei ihm verbleiben muß.
Das ändert aber nichts an dem Prinzip, daß, wenn man schon den Kollektivzwang bejaht, man daraus auch die Konsequenz ziehen muß, daß derjenige geradezustehen hat, der diesen Zwang ausgeübt hat, der sich dann selbstverständlich an demjenigen, der im Einzelfalle eine Schuld auf sich geladen und sich bereichert hat, schadlos halten kann.
Und noch ein weiteres scheint mir nicht richtig gelaufen zu sein, zumindest oder meinetwegen auch ausschließlich in denjenigen zahlreichen Fällen, in denen seinerzeit die Übernahme jüdischen Grundbesitzes von durchaus gutgläubigen Menschen vorgenommen worden ist,
vielfach sogar von Menschen, die diesen Leuten haben helfen wollen.
Ich halte es für völlig abwegig, meine Damen und Herren, daß man in diesen Fällen den Rückerstattungsanspruch mit der Währungsreform koppelt. In solchen Fällen kann man die Entschädigung eines durchaus gutwillig handelnden Menschen nicht durch eine Abwertung im Verhältnis 1 :10 herabsetzen.
— Ob die Zahl dieser Fälle gering ist oder nicht,
steht auf einem anderen Blatt; ich rede ja nur
von den Fällen, die so gelagert sind, und ich glaube,
daß da im Sinne einer höheren Gerechtigkeit
meine Meinung durchaus anerkannt werden muß.
Wir wollen das Problem auch unter einem andern Gesichtspunkt nicht gerade leicht nehmen. Die deutsche Rechtsprechung ist dadurch, daß sie an Gesetze gebunden ist, von denen man vielfach den Eindruck hat, daß sie zumindest nicht das Letzte an Gerechtigkeit beinhalten, in eine Krise hineingeraten, die zu beheben unser aller Anliegen sein sollte. Denn die Rechtsprechung muß das Vertrauen des Volkes besitzen, und sie kann es nicht besitzen, wenn sie an Gesetze gebunden ist, die in ihrer letzten Konsequenz nicht immer gerecht sind.
Meine Damen und Herren, aus diesen Darlegungen, glaube ich, ergibt sich die Konsequenz, die .auch der Herr Berichterstatter gezogen hat, daß wir alles dareinsetzen müßten, die Kompetenz für die Wiedergutmachungsgesetzgebung in die Hände des Bundes zu bekommen, um eine Vereinheitlichung des Wiedergutmachungsrechtes zu erreichen. Ich persönlich bin der Ansicht, daß man das gesamte Wiedergutmachungsrecht einheitlich regelt
— einschließlich des Rückerstattungsrechts — und nicht lauter Teilgebiete,
und daß man dabei einige Grundsätze von vornherein zugrunde legen sollte. Es geht also darum: erstens, einheitliches Recht für das gesamte Bundesgebiet zu schaffen, zweitens, ein Gesetz zu schaffen, das die Einzelprüfung des seinerzeitigen Verschuldens zum Zwecke einer gerechten Behandlung ermöglicht, drittens ein Gesetz, das die Haftpflicht des Staates in den Fällen statuiert, in denen ein persönlicher Zwang nicht vorgelegen hat, schließlich ein Gesetz, das die Verkoppelung von Restitutionen und Währungsgesetzgebung aufhebt, und wenn irgend möglich ein Gesetz, das eine Revisionsinstanz schafft auch für Fälle, die einstweilen rechtskräftig entschieden sind,
von denen man aber der Ansicht sein kann, daß sie nicht im Sinne einer wahren Gerechtigkeit entschieden worden sind.
Ich bejahe auch ihr Prinzip, Herr Kollege Schmid, daß eine Entschädigung auch in den Fällen erfolgen sollte, in denen Erben des seinerzeit Geschädigten nicht mehr vorhanden sind. Ich lasse es dahingestellt, ob die juristischen Bedenken, die der Herr Staatssekretär vorgetragen hat, richtig sind; ich habe sie nicht prüfen können. Ich möchte aber meinen, daß es schwierig wäre, den Staat Israel als eine Art Rechtsnachfolger zu betrachten, weil der Staat Israel letzten Endes nicht die gesamte Judenschaft vertritt. Man könnte statt dessen vielleicht in Erwägung ziehen, gewisse Träger sozialpolitischer Einrichtungen des Judentums als Ersatzträger dieses Rechtsanspruches zu bestimmen. Darüber wollen wir uns sehr gerne unterhalten, und darüber wird es zwischen uns zweifellos eine Verständigung geben.
Meine Herren, ich möchte anregen, daß wir die Interpellation mit der Antwort des Herrn Finanzministers dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überweisen, damit wir in Verbindung mit erneuter Behandlung des Antrags Drucksache Nr. 159 dort versuchen, bald gemeinsam eine vernünftige Regelung dieses Problems zu finden.