Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehrere Kollegen dieses Hauses haben mich gefragt, wie es denn möglich sei, daß so kurze Zeit nach der Verabschiedung des Finanzausgleichsgesetzes Schleswig-Holstein mit neuen Forderungen komme. Sie haben mir zum andern gesagt, es sei ungewöhnlich, daß diese Forderungen nicht von der schleswig-holsteinischen Regierung im Bundesrat vorgebracht würden, sondern daß schleswig-holsteinische Abgeordnete des Bundestags einen Initiativgesetzentwurf einbrächten.
Zur Rechtfertigung des Herrn Landesfinanzministers möchte ich sagen, Herr Kollege Oellers: die Fremdgelder, die er jeweils verwendet, verwendet er nicht endgültig für diese Zwecke — ein Notar darf das überhaupt nicht, ich glaube, darauf steht Zuchthaus nicht unter zwei Jahren; aber ein Landesminister darf das —, sondern er nimmt diese Fremdgelder in Anspruch, bis er sie für den Zweck, für den sie vorgesehen sind, benötigt. Das haben die früheren Finanzminister getan, das tut der heutige auch. Durch das, was Sie gesagt haben, konnte ein falscher Eindruck entstehen.
Herr Kollege Oellers hat die Landessteuereinnahmen und die Bundessteuereinnahmen hier in einigen Zahlen erläutert. Ich möchte dazu noch einige Erklärungen geben. Die Landessteuereinnahmen sind im „Ist" der bisherigen zehn Monate des laufenden Rechnungsjahres hinter dem „Soll" erheblich zurückgeblieben. Die reinen Landessteuereinnahmen waren mit 227 Millionen DM in den Haushalt eingesetzt worden. Dann kam die Einkommensteuerreform und brachte dem Land erhebliche Rückschläge. Die Einkommensteuerreform mußte sich natürlich in einem so armen Land wie Schleswig-Holstein stärker auswirken
als in wohlhabenden Ländern. Tatsächlich werden die gesamten Landessteuereinnahmen, die am 31. Januar d. J. 140 Millionen DM betrugen, bis zum 31. März nicht mehr als 170 Millionen DM betragen können; es bleibt Differenz zum Einnahmesoll von 57 Millionen.
Die Ausgaben waren im vorigen Jahre nach sorgfältigen Überlegungen mit 454 Millionen DM in den Etat eingesetzt worden. Darin waren Finanzausgleichszahlungen enthalten, die vor dem 1. April 1950 220 Millionen DM betrugen, die aber mit den 110 Millionen DM dieses Jahres nicht, wie Sie, Herr Kollege Oellers, es getan haben, in Vergleich gebracht werden können. Denn am 1. April sind die Bundeslasten und die Bundessteuern nach Art. 120 GG eben auf den Bund übergegangen, so daß der gegenwärtige Finanzausgleich von 110 Millionen DM sich innerhalb des reinen Landeshaushalts bewegt.
Ich habe im Sommer vorigen Jahres als Finanzminister Schleswig-Holsteins nach sorgfältigen Überlegungen von der Ermächtigung des Haushaltsgesetzes Gebrauch gemacht und habe die ohnehin schon sehr stark gedrosselten Ausgaben um weitere 64 Millionen DM gesperrt. Ich war mir darüber klar, daß diese Sperrung gar nicht in vollem Umfang durchführbar sein würde. Aber ich bezweckte damit zweierlei. Erstens wollte ich die Ressorts zwingen, mit dem Finanzminister zu verhandeln; zweitens wollte ich eine bessere Position beim Bund und in der Konferenz der Finanzminister der Länder erreichen.
Nun zum Bundessteueraufkommen. Die Bundeslasten in Schleswig-Holstein waren am 1. April 1950 vom Herrn Bundesfinanzminister mit rund 600 Millionen DM errechnet worden. Die Bundessteuereinnahmen sollten rund 300 Millionen DM betragen, so daß der Bund in Schleswig-Holstein von vornherein ein Defizit von 300 Millionen DM übernehmen sollte. Das ist, wie Herr Kollege Oellers schon gesagt hat, anders gekommen. Ich konnte schon im August vorigen Jahres den Herrn Bundesfinanzminister darauf aufmerksam machen, daß nach dem Ergebnis der ersten vier Monate des laufenden Rechnungsjahres die Bundesausgaben um rund 100 Millionen DM geringer sein würden, als sie veranschlagt waren. Dahingegen haben die Bundeseinnahmen in Schleswig-Holstein bereits jetzt 437 Millionen DM erreicht.
Sie werden am 31. März mindestens 480 Millionen DM, wahrscheinlich 500 Millionen DM erreichen, während die Bundesausgaben in Schleswig-Holstein am 31. März nicht mehr als 480 Millionen DM betragen werden. Mit anderen Worten: der Bund hat in Schleswig-Holstein für die Bundesaufgaben keine Ausgaben, sondern er schneidet mindestens mit plus minus null ab; wahrscheinlich schneidet er mit einem Gewinn ab.
Ein Wort zur Interessenquote. Die 100 Millionen DM, von denen ich sprach, die ich im August vorigen Jahres Herrn Bundesfinanzminister Schäffer nannte, betrugen 17% des Haushalts, d. h. sie entsprachen im Schnitt genau der Größe der Interessenquote. Die Interessenquote, gegen die ich hier nicht polemisieren will, stellt sich in Wirklichkeit in Schleswig-Holstein gar nicht als Interessenquote, sondern als Alimentierungsquote dar.
Ich weiß nicht, ob der Herr Bundesfinanzminister eben zugehört hat. Ich habe gesagt, daß SchleswigHolstein keine Interessenquote, sondern eine Alimentierungsquote für den Bund geleistet habe.
Nun entsprechen die 70 Millionen, die jetzt gefordert werden, genau dem Fehlbetrag, der Interessenquote, welche Schleswig-Holstein dem Bunde schuldet:
Die Notlage Schleswig-Holsteins ist eindeutig, und nach dem, was ich eben gesagt habe, wird es mir wahrscheinlich mein Herr Nachfolger im Amte des schleswig-holsteinischen Finanzministers bestätigen, daß er nicht viel anders in der Sache sprechen könnte. Deshalb wäre die Frage zu klären, warum nicht alle schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten diesen Initiativgesetzentwurf unterzeichnet haben. Die Anregung dazu kam von der schleswig-holsteinischen Regierung. Wir haben uns das wohl überlegt, und ich erkläre: Wir sind für Schleswig-Holstein, für Annahme dieses Gesetzentwurfs. Aber wir sozialdemokratischen Abgeordneten fühlten die Verpflichtung, uns von der gegenwärtigen schleswig-holsteinischen Regierung klar zu distanzieren.
Was Herr Kollege Oellers nicht gesagt hat, ist, daß das enorme Bundessteueraufkommen in Schleswig-Holstein das Ergebnis der sozialdemokratischen Wirtschafts- und Finanzpolitik gewesen ist.
Denn wir haben durch unsere Wirtschaftspolitik
100 000 Arbeitsplätze geschaffen. Die Umsatzsteuer
aus den neuen Betrieben fließt sofort; die Verbrauchssteuern fließen sofort. Die Landessteuereinnahmen aus den neuen Betrieben kommen viel
später! Stellen Sie sich vor, daß wir in den ersten
10 Monaten dieses Jahres allein 215 Millionen
Tabaksteueraufkommen in Schleswig-Holstein erzielt haben, wo vor drei Jahren fast nichts war!
Das sind ganz eindeutige Erfolge der früheren sozialdemokratischen Regierung. Denken wir nur daran, mit welchen Mitteln diese Regierung bekämpft worden ist, was für alte Schablonen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts herangeholt wurden,
wie das rote Gespenst an die Wand gemalt wurde, wie „alle Kräfte rechts der SPD" zu einem Zusammenschluß mobilisiert werden sollten, wie gegen die einheimische schleswig-holsteinische Bevölkerung agitiert worden ist! Und was hat diese Bevölkerung geleistet?
Ein Beispiel: Die Stadt Lübeck hat 100 000 Alteinwohner und sehr viel zerstörten Wohnraum, und zu diesen 100 000 Einwohnern hat sie 85 000 Flüchtlinge dazu aufgenommen.
Der Kreis Lauenburg, den ich vertrete und dessen Landrat ich in den ersten Jahren nach dem Kriege war, hatte 68 000 Alteinwohner, dazu kamen 86 000 Flüchtlinge und 22 000 DP's.
Ich kann erklären, daß die schleswig-holsteinische Bevölkerung Unglaubliches geleistet hat
und daß es deswegen unverständlich ist und einem unverantwortlichen Parteiegoismus entspricht, wenn unter solchen Umständen die Kommunalparlamente, die Gemeinde- und Kreisvertretungen vorzeitig aufgelöst werden, um eine Unruhe in das Land hineinzutragen, die wir für ein nationales Unglück halten.
Von meiner Seite sprechen dabei keinerlei parteipolitische Erwägungen mit.
Die Sozialdemokratische Partei hat dabei nichts zu verlieren. Das wird sich als ein nationales Unglück auswirken.
Die Flüchtlinge in Schleswig-Holstein haben nicht unter dem Versagen der vorigen Regierung zu leiden, sondern — gestatten Sie mir, daß ich es ganz klar sage — unter dem schamlosen Egoismus anderer deutscher Länder, die die Aufnahme von Flüchtlingen, die bei uns schon längst nicht mehr menschenwürdig untergebracht werden können, verweigern.
Da liegt der eigentliche Grund, und die Betroffenen sollten sich an ihre Brust schlagen und überlegen, ob das so weitergehen kann.
Ich habe schon vor Jahren erklärt, daß ich da die Wiege einer künftigen sozialen Revolution in Schleswig-Holstein sehe.
Die gegenwärtige Regierung, zu der ich kein Wort im einzelnen sagen möchte, übt eine Personalpolitik, indem sie bewährte Demokraten ausschaltet
und indem sie Persönlichkeiten von zweifelhaftem Rufe und Persönlichkeiten von ganz unzweifelhafter nationalsozialistischer Vergangenheit und nationalsozialistischem Rufe — —