Rede von
Dr.
Fritz
Oellers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der schleswig-holsteinischen Abgeordneten, die diesen Entwurf eingereicht haben, seine Begründung vorzutragen. Ich bitte das Hohe Haus, dabei von vornherein von der Voraussetzung auszugehen, daß es keinerlei partikularistische Interessen sind, die uns zur Einreichung dieses Antrags veranlaßt haben, sondern daß es die bittere Not des Landes Schleswig-Holstein ist, dem die Antragsteller, gleichgültig ob sie Alteingesessene oder Heimatvertriebene sind, in gleicher Weise als ihrer Heimat verhaftet sind.
Meine Damen und Herren! Der Antrag enthält ein doppeltes Petitum, und zwar einmal die Bitte, dem Land Schleswig-Holstein für das Rechnungsjahr 1950 einen Zuschuß von 70 Millionen durch den Bund zu bewilligen, und zweitens, den Herrn Bundesfinanzminister zu ermächtigen, Schleswig-Holstein einen Kassenkredit bis zur Höhe von 35 Millionen zur Überbrückung rückständiger Leistungen aus dem Finanzausgleich der Länder zu gewähren. Beide Maßnahmen sind erforderlich, weil Schleswig-Holstein ohne sie nicht mehr in der Lage ist, seine Verpflichtungen dem Bund gegenüber zu erfüllen und seine dringendsten Landesaufgaben durchzuführen.
Ich darf zur näheren Begründung darauf verweisen, daß die außergewöhnliche wirtschaftliche und finanzielle Notlage Schleswig-Holsteins in der Begründung zu dem Gesetz über eine vorläufige Finanzhilfe für Schleswig-Holstein — Drucksache Nr. 1231 — eingehend dargestellt ist und insoweit an dieser Stelle nicht noch einmal vorgetragen zu werden braucht. Ebenso haben wir bei der Beratung des ersten Überleitungsgesetzes und zuletzt des Gesetzes über den Finanzausgleich der Länder wiederholt nicht an der Feststellung vorbeigehen können, daß die Lage Schleswig-Holsteins in beiden Gesetzen nicht so berücksichtigt werden konnte, wie das auf der Grundlage des Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes erforderlich gewesen wäre.
Es ist notwendig, daß nach diesem Artikel die Leistungsfähigkeit auch der steuerschwachen Länder gesichert wird, um eine unterschiedliche Belastung der Länder in ihren Ausgaben auszugleichen. Dieses Ziel ist für Schleswig-Holstein, das als das finanzschwächste Land die Belastung durch die größte Zahl der Heimatvertriebenen zu tragen hat, nicht erreicht worden. Dementsprechend ist bereits in den Beratungen des Finanzausgleichsgesetzes sowohl im Bundestag wie auch im Bundesrat vom Herrn Bundesfinanzminister selbst und auch von den Vertretern der anderen Länder ausdrücklich anerkannt worden, daß das Finanzausgleichsgesetz und die darin vorgesehenen Finanzzuweisungen für Schleswig-Holstein nicht ausreichen.
Das heute vorliegende Gesetz über eine Bundeshilfe zieht aus dieser Situation und aus diesen Äußerungen lediglich die Konsequenzen. Die Notwendigkeit der erbetenen Hilfe ergibt sich aus einem Überblick über die gegenwärtige finanzielle Lage Schleswig-Holsteins. Ich muß dazu kurz die folgenden wesentlichen Tatsachen hervorheben. Schleswig-Holstein ist durch die Folgen des Krieges in eine besonders schwierige Lage geraten. Kriegszerstörungen und Demontagen haben seine Wirtschaftskraft sehr geschwächt. Es ist in der Öffentlichkeit nicht weithin bekannt, daß allein die Demontage umfangreicher Betriebe Schleswig-Holsteins annähernd ein Fünftel seiner Bevölkerung der Arbeits- und Erwerbsgrundlage beraubt hat. Die Einschränkungen des Seeverkehrs und die Abschneidung vom südöstlichen Hinterland durch die Zonengrenze haben seine wirtschaftliche Erholung zur Unmöglichkeit gemacht. Die früheren Vorteile seiner geopolitischen Lage wurden in der Nachkriegszeit weitgehend überlagert durch deren Nachteile, von denen insbesondere die Ausgaben für die Sicherung der Küsten bestehen geblieben sind.
Unter diesen Umständen hat die Aufnahme und Versorgung der in Schleswig-Holstein untergekommenen Heimatvertriebenen, deren Zahl mit 70% der einheimischen Bevölkerung die Zahlen der anderen Länder weit übersteigt, zu Aufgaben geführt, die das Land aus eigener Kraft nicht meistern kann. Dies wird einmal durch die in SchleswigHolstein angefallene Dauerarbeitslosigkeit schlagartig unter Beweis gestellt. Diese Arbeitslosigkeit betrug am 1. Januar 1951 26,33% sämtlicher registrierten Arbeitnehmer. Sie ist in der Zwischenzeit auf fast eine Viertelmillion, d. h. auf zirka 30% ge-
stiegen. Eine weitere Bestätigung ergibt sich daraus, daß die Kapitalbildung und die Steuerkraft je Einwohner, auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik berechnet, weit hinter dem Durchschnitt der anderen Länder zurückgeblieben ist. Der Stand der Spareinlagen betrug am 30. Januar 1950 je Kopf der Bevölkerung im gesamten Bundesgebiet 77 DM, in Schleswig-Holstein als dem Land mit dem niedrigsten Sparbetrag nur 47 DM. In Parallele dazu betrug das Aufkommen an Landessteuern in der Zeit vom 1. April bis 30. September 1950 auf den Kopf der Bevölkerung in Hamburg 105 DM, im Durchschnitt der Bundesrepublik 61 DM. Demgegenüber steht in Schleswig-Holstein ein Steueraufkommen von nur 33 DM je Kopf der Bevölkerung. Die geringe Höhe dieses Steueraufkommens ist nicht etwa, wie es in früheren Verhandlungen gelegentlich behauptet worden ist, darauf zurückzuführen, daß Schleswig-Holstein die ihm zustehenden Steuern nicht mit der nötigen Intensität eingetrieben hat. Ich kann dazu mitteilen, daß diese Frage bereits im Finanzausschuß des Bundesrats geprüft und dahin beantwortet worden ist, daß gegen die Steuererhebung in Schleswig-Holstein irgendwelche Beanstandungen nicht am Platze sind. Im übrigen ergibt sich dies auch daraus, daß die Landessteuern auf Grund von Bundesgesetzen zu erheben und insofern einer Einflußnahme des Landes weitgehend entzogen sind. Die besondere Notlage ergibt sich schließlich weiter daraus, daß die Hebesätze der Gemeindesteuern in Schleswig-Holstein weit über dem Durchschnitt der anderen, wesentlich finanzkräftigeren Länder stehen.
Aus seinen — wie ich geschildert habe — gegenüber allen anderen Ländern wesentlich geringeren Einnahmen muß das Land um so höhere Ausgaben bestreiten. Die Notwendigkeit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Milderung der Not der Heimatvertriebenen zwingt die Verwaltung auf fast allen Gebieten zu Ausgabesteigerungen, die in diesem Umfang — das muß auch hier einmal deutlich festgestellt werden — in allen anderen Ländern in solcher Höhe nicht anfallen. Die Finanzschwäche des Landes einerseits und seine außergewöhnliche Belastung durch die Ausgaben für die Heimatvertriebenen andererseits haben zu einem Auseinanderklaffen der Einnahmen und Ausgaben im Landeshaushalt geführt, für dessen Behebung aus Mitteln des Landes eine Deckung nicht mehr gefunden werden kann.
Eine Übersicht über die Haushaltslage am 1. Januar 1951 ergibt Einnahmen in Höhe von 368 Millionen DM und Ausgaben in Höhe von 512 Millionen DM. Von dem danach verbleibenden Fehlbetrag von 144 Millionen DM bleibt auch bei schärfsten Einsparungen in Höhe von möglicherweise 74 Millionen DM ein restlicher Fehlbetrag von 70 Millionen DM, der aus Mitteln des Landes einfach nicht gedeckt werden kann. Das wiegt um so schwerer angesichts der Tatsache, daß nach dem Stande vom 31. Dezember 1950 das Land in eine Gesamtverschuldung von 684 Millionen DM — darunter eine kurzfristige Verschuldung von 251 Millionen DM — geraten ist. Wenn Sie diese Beträge zu dem Aufkommen an Landessteuern im Jahre 1950, das nur 170 Millionen DM betrug, in eine Relation setzen, dann können Sie sich die katastrophale Lage Schleswig-Holsteins durchaus vorstellen. Die Notwendigkeit einer finanziellen Hilfe ist deswegen auch in allen Verhandlungen bei der Beratung des ersten Überleitungsgesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes allgemein anerkannt worden. Leider haben diese Gesetze bislang keine ausreichende Hilfe gewähren können, auch hat der in Art. 120 vorgesehene Übergang der Besatzungsund Kriegsfolgelasten auf den Bund ab 1. April 1950 keine Entlastung gebracht. Eine Übersicht über die Auswirkungen des Überganges läßt klar erkennen, daß die zum gleichen Zeitpunkt auf den Bund übergegangenen Landessteuern im letzten Jahr ausgereicht haben würden, die auf den Bund übergegangenen Lasten in voller Höhe vom Land Schleswig-Holstein bestreiten zu lassen.