Rede von
Konrad
Wittmann
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Herr Vorredner wies auf die Gefahr eines dritten Weltkrieges hin und möchte wahrscheinlich — das entnehme ich seinen Ausführungen — den Lastenausgleich so gestaltet sehen, daß deutscherseits diese Gefahr eines dritten Weltkriegs oder die Ursache, die von hier ausgehen könnte, beseitigt wird. Ich darf dazu auf folgendes hinweisen. Wenn die Herren vom Osten und Westen - die Siegermächte insgesamt — nicht nur über die Erledigung der Diktatur gejubelt, sondern die demokratischen Versprechungen in die Wirklichkeit umgesetzt hätten, brauchten wir uns heute erstens nicht über den Lastenausgleich in dieser Form zu unterhalten und zweitens keine Befürchtungen bezüglich eines dritten Weltkrieges zu äußern.
Im Verlaufe der Debatte über die Lastenausgleichsentwürfe, die uns nun vorgelegt wurden, mußte ich unwillkürlich an die ersten Zeitungsmeldungen zurückdenken, die mir so im Februar, März 1948 in Mittelfranken in die Hände kamen. Dann ging mir die Eingabe des Länderrats an General Lucius Clay durch den Kopf. Ich bekam sie auch im Februar 1948 von einem Flüchtlingsvertrauensmann in die Hände; da wurden die Themata in einer ähnlichen Form behandelt, als ob daraus wörtlich zitiert worden wäre. Ich darf mir deshalb als Heimatvertriebener erlauben, dieses Problem kurz herauszugreifen und einige Punkte in Anlehnung an die heutige Debatte zu streifen.
In der Eingabe des Länderrats an den zitierten General hieß es: das Problem der Heimatvertreibung ist das erste, größte, schwierigste Problem, vor das sich Deutschland in seiner ganzen Geschichte je gestellt sah. Es wurde auch in ähnlicher Form, wie das der amerikanische Professor Austin App getan hat, darauf hingewiesen: selbst das reiche, unzerstörte Amerika wäre, wenn eine derartige Zahl von Heimatvertriebenen — von 18 Millionen war damals die Rede — hineingepfercht würde, nicht in der Lage, die Aufgabe zu lösen; wie soll nun das Restdeutschland, zerkleinert, verarmt, zerbombt, an die Lösung dieses Problems herangehen?
Man muß es in diesem Zusammenhang schärfstens ablehnen, daß man uns immer wieder erklärt, das Problem der Heimatvertriebenen sei ein rein deutsches Problem. Ein rein deutsches Problem — auch jetzt hinsichtlich des Lastenausgleiches — ist es nur insofern, als es auf dem Rücken der Deutschen ausgetragen wird.
Die Lastenträger waren wir 18 Millionen Menschen,
von denen nach den Angaben Gustav Stolpers, des Begleiters des Expräsidenten Hoover, 6 Millionen verschwunden sind. Wo und wie sie umgebracht, ermordet wurden, wissen wir nicht, sagte er. Wir aber, die wir es erlebt haben, die Übriggebliebenen, wir wissen es, und wir bitten immer wieder Volk und Welt, auf uns zu hören, bevor es für die andern zu spät ist. Wir bitten also, sich ein bißchen in die Lage dieser Leidgesättigten zu versetzen; dann werden die Schwierigkeiten, die bei den Entwürfen des Lastenausgleichgesetzes oder bei anderen Problemen auftauchen, schneller und leichter überbrückt werden können.
Dieses Problem ist nicht nur ein deutsches, sondern auch ein internationales Problem, ein Weltproblem. Es geht doch nicht an, wie heute, glaube ich, von Herrn Kollegen Kriedemann erwähnt wurde, zu sagen, daß das deutsche Unglück — und ich nehme da wieder den Abschnitt der Heimatvertreibung heraus — etwa erst auf den Konferenzen von Jalta, Teheran oder eventuell von Potsdam angefangen habe, es sei schon früher dagewesen, unter den Nazis und ihrer Methode. Warum immer wieder, wie erst unlängst, sagen: Hitler ist an allem schuld, auch an dem ist er schuld! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Geschichtsphilosophie, daß es einer auf den anderen schiebt, kommen wir letzten Endes auf den Brudermörder Kain zurück.
Damit lösen wir aber die Probleme der Gegenwart nicht.
Die Sieger beider Gattungen, die Demokraten und die Volksdemokraten, waren in der Lage, abgeschreckt von den Verbrechen, die das Nazisystem begangen hat, die Politik der Macht aufzugeben und eine Politik des Rechts zu führen.
Dann stünden wir heute nicht vor dem Problem der Heimatvertriebenen.
Es ist nicht so, daß wir zwischen Ost und West zu
wählen hätten. Gerade wir als Heimatvertriebene
haben überhaupt nicht zu wählen, wir haben schon
längst gewählt. Wir haben nur eine Bitte — —
— Die Affen machen es auch so; sie äffen auch nach, wenn sie sonst nichts können! - Wir haben nur eine Bitte an die gesamte Welt: das zertretene Recht wiederherzustellen und vom Standpunkt des Rechtes aus die Neuordnung und die Neugestaltung allerorten durchzuführen.
Darum möchten den Worten auch die Taten folgen.
Wir haben im September 1949 in der Regierungserklärung gehört, wie rasch und wie umfassend gerade den Armen und Ärmsten geholfen werden soll. Wir haben hinsichtlich der Weltkrise vernommen — und ich zitiere hier Persönlichkeiten, die wohl ganz unumstritten sind —, daß ab 1945 die Neugestaltung auch hinsichtlich der Besiegten durchgeführt werden muß, im Geiste der Bergpredigt. So wurde es nicht nur einmal, sondern öfter in die Welt hinausgeschrieen, in demselben Sinne, wie es Roosevelt 1942 in einem langen Gebet geformt hat, wie die neue Gerechtigkeit in der Welt aussehen soll und wie dann der kleine, gemarterte, bis jetzt unterdrückte Mann bei allen Völkern zu Worte kommt und wie die vier Freiheiten ein Leben — nun, nicht gerade wie im Paradies, aber doch ein schönes und erträgliches Leben gestalten sollten.
Die Entwürfe des Lastenausgleichsgesetzes wurden von verschiedenen Gruppen abgelehnt. Ich will darauf nicht näher eingehen, sondern aus der Debatte noch eins herausgreifen. Herrn Kollegen Dr. Horlacher schien die Mobilisierung des Lastenausgleichs notwendig zu sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was heißt denn das: die Mobilisierung des Lastenausgleichs? Die Mobilisierung der Hirne! Die ist da und wird noch weiter wirksam werden.
Die besten Wirtschafts- und Sozialpolitiker, Advokaten und alle, die wirklich das Recht haben, hier in erster Linie mitzureden, werden ihr Bestes hergeben, von allen Gruppen und von allen Seiten. Darüber besteht für mich kein Zweifel. Das Wissen um den Lastenausgleich ist also da.
Ich möchte aber auf etwas anderes hinweisen, was vielleicht etwas notwendiger ist als die Mobilisierung des Lastenausgleichs. Mir erscheint wichtiger und notwendiger die Mobilisierung der Herzen, und zwar im Volk und in der Welt, daß sich die Gebenden und noch Habenden ein bißchen in die Lage derer hineindenken, die seit 1945 in vorbildlicher Geduld ausharren, immun gegen das Gift aus dem Osten sowieso, darüber brauche ich kein Wort zu verlieren. Wenn jemand den Beweis dafür angetreten hat, daß er gegen dieses Gift immun ist, dann sind es die Millionen der Heimatvertriebenen; ihre Geduld ist allerdings auch begrenzt und beschränkt.
Wenn man guten Willens in Volk und Welt sich in diese Notlage hineindenkt, dann werden die Schwierigkeiten, die heute von allen Seiten mit Recht angeschnitten werden, rascher überwunden werden können. Dann wird man auch nicht soviel befürchten müssen, daß die Wirtschaft geschädigt wird, daß die Wirtschaft zum Erliegen kommt.
Oder gar die Äußerungen unseres Bundesfinanzministers: es muß ein Eingriff in die persönliche Sphäre vermieden werden! Es könnte eine Unruhe ins öffentliche Leben hineingetragen werden! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unruhe ist ja bereits im öffentlichen Leben drin. Die Frage ist nur die, daß wir die Unruhe sistieren, daß aus der Unruhe nicht eine Art Revolution wird, sondern daß durch beschleunigte Taten der Evolution denen, die in Geduld harren und hoffen, endlich geholfen wird. Den Schädigungen der Wirtschaft wollen wir ja gerade durch den Lastenausgleich Rechnung tragen, aber nicht nach der Losung — gemäß den Worten eines Amerikaners —: .,Es lebe die Wirtschaft! Es lebe das Geld! Laßt die Menschen verrecken!" Nein, so nicht! Zuerst ist der Mensch, und die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen! Wie wäre denn das, wenn die Gebenden, denen es so schwerfällt, in die Lage der Verzweifelten sich hineindenken würden? Dann möchten diese Schwierigkeiten von selber ein wenig geringer werden.
Ich fasse zusammen: Die Schwierigkeiten, die aufgezeigt wurden, lassen sich überwinden, wenn wir die Sache nicht von diesem oder jenem Standpunkt aus betrachten, sondern mit der Losung: nicht gegeneinander, nicht Stammbevölkerung gegen Heimatvertriebene, nicht Geschädigte gegen Gebende, wenn wir versuchen, so zu handeln, wie es Tag für Tag Tausende schon in Vorbildlichkeit getan und bewiesen haben, die den Lastenausgleich in tätiger Nächstenliebe und Gottesliebe schon durchgeführt haben, nicht gegeneinander, sondern Volk und Welt miteinander und füreinander. In diesem Sinne darf ich auch auf den von Bundesfinanzminister Schäffer und von einigen anderen Herren angeschnittenen Gedanken hinweisen und die Bitte aussprechen, eine Anleihe von seiten der noch freien Welt gerade zur Lösung des Problems der Heimatvertriebenen zu erhalten. Wir bitten darum. Es wird das notwendig sein zur endgültigen Lösung hier und zur anfänglichen Lösung in der zurückgegebenen Heimat; denn auch dort muß irgendeine Anleihe, eine Aufbauhilfe wirksam werden.
Die Siegermächte haben geäußert, und zwar um die Zeit der Potsdamer Konferenz durch den amerikanischen Staatspräsidenten Truman: Wenn wir das gewaltige Potential, das uns den Sieg ermöglichte, für den Frieden einsetzen, dann gehen wir den herrlichsten Zeiten der Geschichte entgegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben dies überlebt, aber wir wollen doch auch die Verwirklichung erleben, nachdem sie ja nicht nur ihr Potential haben, sondern auch das unsere, aus dem Sudetengau allein nach Schätzungen mindestens 19 Milliarden Dollar.
Dieses Potential, mit dem sie den Frieden aufbauen und der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen wollten, wurde noch ergänzt durch den Raum, den sie uns im Frieden abgenommen haben, nicht durch das Verbrechen eines Krieges. Dieses Potential wurde erweitert und erhöht durch die Werte der Demontage, durch die Werte der deutschen Patente usw.
So bitten und hoffen wir, daß der Appell nicht nur an die Bundesrepublik gerichtet wird — selbstverständlich —, sondern daß der Appell auch an die bis heute noch freie Welt ergeht: Laßt nichts unversucht, sondern steht opfernd zusammen, damit der Lastenausgleich nicht nur innerhalb des deutschen Volkes durchgeführt wird, sondern ein gerechter Lastenausgleich im Sinne der so oft zitierten Bergpredigt in Volk und Welt.