Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es steht mir lediglich eine Redezeit von 15 Minuten zur Verfügung, und ich kann mich deshalb nur über die grundsätzliche Einstellung meiner Partei zum Lastenausgleichsentwurf äußern.
— Ich glaube, das könnten Sie wissen, Herr Kollege.
Der Herr Bundesfinanzminister hat die historische Bedeutung der heutigen Stunde mit einem Rückblick auf die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs unterstrichen. Wir, die wir die Leidtragenden sind, sind wohl einer etwas anderen Meinung über die Ursachen dieses Zusammenbruchs. Wir würden nur wünschen, daß die Regierung dem deutschen Volke in dieser schicksalsschweren Stunde den wahren sozialen Frieden gäbe, von dem der Herr Finanzminister und auch die anderen Redner wiederholt gesprochen haben. Ich habe aber den Eindruck, daß mit dem Regierungsentwurf zum Lastenausgleich dieser soziale Friede nicht herbeigeführt wird, insbesondere weil er ein Werk des Herrn Finanzministers Schäffer ist. Sollte dieser Regierungsentwurf Gesetz werden, dann werden die Gegensätze zwischen den Geschädigten und den Nichtgeschädigten noch mehr verschärft werden, und sie können auch in einen offenen Kampf ausarten.
Wenn der Deutsche Bundestag, meine Frauen und Männer, heute in die Behandlung des Gesetzes über den allgemeinen Lastenausgleich eintritt, müssen wir uns, wie Herr Kollege Kather bereits gesagt hat, völlig darüber klar sein, daß Millionen Heimatvertriebene, Flieger- und Bombengeschädigte in diesem Augenblick mit allen ihren Hoffnungen nach Bonn blicken und darüber wachen werden, ob die Regierung, aber auch die politischen Parteien ihr Versprechen in bezug auf einen gerechten Lastenausgleich einhalten werden. Ich muß offen gestehen: ich habe die Sorge, daß der von diesen Millionen ersehnte Lastenausgleich eine bittere und böse Enttäuschung bringen wird. Wir, die wir für diese Gruppe sprechen — und jetzt,
Herr Kollege Kriedemann, sage ich es Ihnen deutlicher —,
haben eine ernste Mission übernommen. Ich meine nicht die kleine Gruppe des BHE, die hier im Bundestag vertreten ist, sondern die Millionen Wähler, die sich bei den letzten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, in Bayern, in Württemberg und in Hessen zu uns bekannt haben.
— Das sind schon eine große Anzahl von Flüchtlingen, und für diese können wir hier sprechen, und wir haben auch den Mut und das Recht, für diese Menschen hier einzutreten. Wir haben es bisher verhindert, daß diese oft verzweifelten Menschen, die Vermögen, Existenz und ihre Heimat verloren haben, dem Bolschewismus oder einem unangebrachten Radikalismus verfallen. Wir haben es gebilligt, daß unsere Leute auch in zwei Regierungen sitzen und die Mitverantwortung tragen. Auch in diesem Hause haben wir bis heute immer eine vernünftige Oppositionspolitik, nicht Opposition in jedem Fall, getrieben. Das müssen alle bedenken, die sich der Verantwortung bewußt sind.
Das aber, was der Bundesrat, nicht nur bei der Behandlung des Unterbringungsgesetzes, sondern insbesondere bei Behandlung des Lastenausgleichsgesetzes in seiner Sitzung vom 19. Januar 1951 geleistet hat, läßt das Böseste befürchten. Wir wissen, was wir von dieser Gesellschaft auch in der Zukunft zu erwarten haben. Wir führen seit einem Jahr einen zähen Kampf um den Art. 131 und wissen heute, daß diese Frage, wenn sie gelöst ist, auch die heimatvertriebenen Beamten kaum befriedigen wird. Der Bundesrat torpediert auch dieses Gesetz dadurch, daß er das Unterbringungsgesetz wieder zurückgewiesen hat. Das Gesetz wird dadurch illusorisch, daß inzwischen alle in Betracht kommenden Behörden die Zeit gefunden haben, die wahren Absichten des Unterbringungsgesetzes zu durchkreuzen.
Das Problem, einen Ausgleich für die Lasten des gemeinsam verlorenen Krieges zu finden, ist das ernsteste deutsche Problem der Nachkriegszeit. Es ist für beide Teile, Geschädigte und verschont Gebliebene, höchste Zeit, daß es endlich — sechs Jahre nach Beendigung der Kampfhandlungen — einer praktischen Lösung zugeführt wird. Ein sozialer Friede ohne Ausgleich der krassen sozialen Spannungen ist undenkbar. Nachdem das Kabinett den Entwurf des Lastenausgleichsgesetzes in einer viermal abgeänderten Form zu Weihnachten verabschiedet hat, tritt der Lastenausgleich nun den Lauf des parlamentarischen Weges an. Wer die Behandlung des Lastenausgleichsgesetzes im Bundesrat und damit die erste Parlamentsdebatte verfolgt hat, muß tief erschüttert sein. Ein Gesetz, das das Schicksal von Millionen armer Teufel bestimmen soll, wird im Eiltempo in dreieinhalb Stunden verabschiedet und durchgepeitscht. Der Antrag meines Freundes Kraft, der Finanzminister von Schleswig-Holstein ist und im Bundesrat Sitz und Stimme hat, eine Generaldebatte zu führen, wird bagatellisiert und abgewiesen. Man will nicht, daß zu dieser brennenden Schicksalswunde in einer langen Debatte Stellung genommen wird. Alle von Minister Kraft vorgetragenen Forderungen der Geschädigten wurden bagatellisiert und nicht beachtet. Er verlangte die quotale Entschädigung, individuelle Schadensfestsetzung, Verkehrswert statt Einheitswert, Eingriff in die Vermögenssubstanz,
sofortige Fälligkeit der Abgabe, Rechtsanspruch der Geschädigten. Alle diese unsere Forderungen sind im Regierungsentwurf entweder gar nicht oder sehr abgeschwächt enthalten.
Für uns und für jedermann muß völlig klar sein: alle Deutschen müssen den gemeinsam verlorenen Krieg gemeinsam bezahlen, nicht wir allein. Wir lehnen es entschieden ab, daß diese Verluste aus Steuern ausgeglichen werden, und verlangen, daß der Eingriff in die Substanz erfolgt, auch dann, wenn der Herr Finanzminister Schäffer in diesem Falle von einem Bürgerkrieg spricht oder einen Bürgerkrieg an die Wand malt.
Aus dem Regierungsentwurf zum Lastenausgleich weht der Geist des Bundesfinanzministers. Nun kommt der Bundesrat und verschlechtert diesen ohnehin schlechten Gesetzentwurf. Ich glaube, der Herr Finanzminister Schäffer hat eine Freude daran, daß er als Wohltäter der Heimatvertriebenen gelten wird, weil er sagt: der Bundesrat hat nicht soviel Gefühl und Einsicht wie ich, der Herr Schäffer.
Innerhalb des Deutschen Bundestages sind die Gegner eines von den Geschädigten geforderten Lastenausgleichs auch bereits zum Kampf angetreten. Die heutige Rede des Herrn Kollegen Kriedemann war deutlich genug, und die Haltung bei der Behandlung des Feststellungsgesetzes sagt uns ganz genau, daß die Gegner nicht nur bei den Regierungsparteien zu finden sind, sondern daß es auch im Lager der Opposition Menschen gibt, die der Meinung sind, der Lastenausgleich und das Feststellungsgesetz seien in der Form nicht notwendig. Nach meiner Überzeugung ist ein Lastenausgleich ohne vorherige Schadensfeststellung unmöglich und undenkbar.
Ebenso gefährlich ist auch die Front, die sich gegen den Lastenausgleich außerhalb des Parlamentes heute schon formiert. Es ist der Deutsche Städtetag, der zu Protestversammlungen gegen den Lastenausgleich aufruft. Sie finden in allen möglichen Städten statt. Die Landwirtschaft, die Industrie- und Handelskammern tun das gleiche; kurz: alle Gegner des Lastenausgleichs haben sich bereits in einer gemeinsamen Front zusammengefunden.
Man erzähle uns nicht, daß der Lastenausgleich den Zusammenbruch der Wirtschaft oder der staatlichen Finanzen herbeiführen würde. Das sind Mätzchen, über die man ernstlich nicht nachzudenken braucht. Kein Mensch von uns verlangt, daß der kleine, vom Schicksal verschonte einheimische Bauer, Handwerker oder Unternehmer wirtschaftlich umgebracht wird.
Man nehme sich ein Beispiel an dem kleinen und heldenhaften finnischen Volk, das ein halbes Jahr nach Kriegsschluß bereits einen Lastenausgleich geschaffen hat, der alle befriedigt. Natürlich haben die verschont Gebliebenen Opfer gebracht. Neubauernhöfe und Siedlungen sind auf Grund eines Wohnungsbeschaffungsgesetzes entstanden. Freiwillig haben einheimische Bauern einen Teil ihres ohnehin mageren Besitzes an ihre vertriebenen Brüder aus Karelien abgegeben.
Auch wir weisen mit Nachdruck darauf hin, daß die Forderung nach einem gerechten Lastenausgleich nicht das Verlangen einer Gruppe nach Bereicherung ist, sondern eine geistig-politische Auseinandersetzung von entscheidender Bedeutung zum Gegenstand hat. Wir wissen uns beim Kampf urn den Lastenausgleich frei von dem Verdacht, daß wir etwa selbstsüchtigen Interessen dienen, sondern wir sind zutiefst davon überzeugt, daß es um die Schaffung und die Erhaltung einer deutschen Not- und Schicksalsgemeinschaft geht. Die Geschichte lehrt, daß Besitz nicht ohne Opfer erhalten werden kann. Wir richten in letzter Stunde von dieser Stelle an die vom Schicksal verschonten Besitzenden den dringenden Appell, einen Teil der erhaltenen Substanz herzugeben, um der unbeschreiblichen Not der Geschädigten zu steuern. Auch die Verteidigung der Freiheit ist ohne Sicherheit und sozialen Frieden ein hoffnungsloses Beginnen. Die Lesung im Bundesrat hat gezeigt, welche erschreckenden Möglichkeiten zu einer Vermassung in einem falsch angelegten Lastenausgleich enthalten sind und welche Gefahren hierdurch für eine gegliederte Demokratie und für unsere abendländischen Kulturwerte heraufbeschworen werden. Wer nicht von solcher Schau aus an die Lösung dieser deutschen Schicksalsfrage herantritt, macht sich — wenn auch unbewußt — zum Schrittmacher des Bolschewismus und versündigt sich an der Zukunft eines freien Europas.
Wir lehnen aus diesen Gründen den Regierungsentwurf grundsätzlich ab und hoffen, mit allen jenen Volksvertretern, die es mit den Opfern des letzten Weltkrieges ehrlich meinen, eines Sinnes zu sein. Wir appellieren insbesondere an unsere Kollegen, die heimatvertriebenen Abgeordneten, nicht nur in den Reihen der Regierungsparteien, sondern auch in den Reihen der SPD, sich der Verantwortung, die sie gegenüber den Heimatvertriebenen und Geschädigten übernommen haben, bewußt zu sein. Wird dieser Regierungsentwurf Gesetz, dann wissen wir genau, was geschieht. Wir warnen vor diesen unabsehbaren Folgen.
Wir . beantragen, den Regierungsentwurf über den allgemeinen Lastenausgleich auch dem Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen, damit wir dort unsere Forderungen stellen können.