Rede von
Johannes
Kunze
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir nach der Entgegennahme der Begründung zu diesem Gesetzentwurf heute in die Debatte der ersten Lesung eintreten, dann kann es meines Erachtens nicht unsere Aufgabe sein, jetzt die Einzelheiten dieses umfangreichsten Gesetzeswerkes, das der Deutsche Bundestag zu behandeln hat, darzustellen, sondern es kann sich lediglich darum handeln, zu den Grundsätzen dieser Regierungsvorlage das zu sagen, was vom Standpunkt des Volksvertreters oder der Vertretungen der einzelnen Fraktionen dieses Hauses zu sagen ist.
Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung! Es ist im Laufe der letzten Monate, soweit ich die Dinge übrsehen kann, immer deutlicher sichtbar geworden, daß wir ein Volk sind, daß es sich in einer be-
sonders schweren Zeit dadurch bequem macht, daß es die großen und schweren Probleme simplifiziert; und man sucht die Masse dadurch zu beeinflussen, daß man ganz bestimmte Phrasen und Leitsätze in das Volk hineinschleudert und es dadurch für Auffassungen gewinnen will, die bei einer nüchternen Betrachtung der Wirklichkeit sich als undurchführbar herausstellen.
Der Herr Bundesfinanzminister ist in seinen Darlegungen auf eine Reihe von Grundsatzproblemen eingegangen. Erlauben Sie mir, einige von diesen Fragen aufzugreifen und Ihnen die Meinung, die ich und meine Freunde vertreten, hierzu zu sagen.
Sie haben gehört und wissen alle aus den Diskussionen in der Öffentlichkeit, aus den Forderungen, die hier und dort erhoben worden sind, daß man auf der einen Seite das Grundsatzprinzip des Kollektiven mit dem Grundsatzprinzip des Individuellen und auf der andern Seite den Grundsatz des Quotalen mit dem Grundsatz des Sozialen als Gegensätze gegenüberstellt. Es ist außerordentlich wichtig, wenn wir uns darauf besinnen, daß es einer der Grundfehler im Denken des deutschen Volkes ist, immer in Extremen zu denken, als ob wir mit einem rein Quotalen oder einem rein Sozialen eine Lösung finden könnten.
Über den kollektiven Lastenausgleich als Prinzip brauchen wir nicht zu sprechen, denn der Gedanke eines kollektiven Lastenausgleichs ist in der Öffentlichkeit und auch in der Meinung der Mehrheit dieses Hauses zu Ende gedacht.
Wenn wir also, meine Freunde und ich, uns darüber auseinandersetzen, welche Grundgedanken und welche Grundsätze wir zur Anwendung bringen sollen, so erkläre ich Ihnen: Wir wollen einen Weg, der weder rein quotal noch rein sozial ist, sondern wir wollen einen gesunden Weg, der weg von der Phrase, die diese Worte enthalten, zu der wirklichen Lösung durchdringt.
Würden wir rein sozial im Sinne der Gedankengänge, die von extremen Seiten ausgehen, diesen Grundsatz zur Anwendung bringen, so würden wir in logischer Folge den Grundsatz der Anerkennung des Privateigentums aufgeben.
Dazu sind meine Freunde nicht bereit.
Wollten wir aber nach dem Grundsatz der Anerkennung des Privateigentums jetzt mit eben der gleichen Fehlkonstruktion des überspitzt Quotalen handeln, dann würden wir, meine Damen und Herren, völlig vergessen, wie denn die wirkliche Lage des deutschen Volkes ist.
Erlauben Sie mir, Ihnen dazu nur einmal ein paar Zahlen zu sagen. Erstens: Mehr als 70 % des deutschen Volkes in der Vergangenheit und Gegenwart haben überhaupt kein Vermögen besessen, wobei ich den Hausrat in diesem Sinne nicht als Vermögen bezeichne, ohne ihm damit seinen Wert nehmen zu wollen; denn diesen Hausrat braucht jeder. Diese 70 und mehr Prozent haben von dem gelebt und leben heute noch von dem, was sie mit ihrer Hände Arbeit schaffen wollen und schaffen können. Ich würde also von vornherein bei einem rein quotalen Denken dann nur echte Vermögensverluste, die in Sachwerten, in Grund und Boden, in Häusern, in landwirtschaftlichen oder sonstigen Vermögen bestünden, heranziehen, um zwischen den Besitzenden und den Geschädigten einen Ausgleich herbeizuführen. Dann würde ich die 70 % übergehen, dann würde ich den sozialen Gedanken totschlagen.
Darum habe ich mit meinen Freunden die Auffassung: Wir werden hier den gesunden Weg finden müssen, der allein gegangen werden kann, wenn das letzte Ziel dieses Gesetzes erreicht werden soll. Wir werden den Weg suchen müssen, um zum sozialen Frieden zu kommen, und wir werden in der Beratung dieser Regierungsvorlage miteinander diesen Weg finden.
Erlauben Sie mir hier am Anfang ein Wort, da ich mich verpflichtet fühle, einige Male auf die Stellungnahme des Bundesrates einzugehen. Der Bundesrat hat — so hat die Presse berichtet — mit 22 gegen 21 Stimmen die Regierungsvorlage abgelehnt. Der Herr Bundesfinanzminister hat diese irrtümliche Berichterstattung bereits korrigiert. Es ist eine große Gefahr, die hier bei der Presse liegt, daß sie über eine Unmasse von Dingen, die sich in diesem Hause tun, berichten soll, daß ihr nicht der nötige Raum zur Verfügung steht und daß sie darum in die Gefahr gerät, mit Schlagzeilen zu arbeiten. Ich habe daher die Bitte an die Tagespresse, daß sie der Formulierung ihrer Schlagzeilen die Bedeutung beimessen möge, die sie für weiteste Kreise der Leser hat. Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren: breite Massen des deutschen Volkes lesen in der Presse nur die Schlagzeilen und haben dann ihr Urteil fertig. Was dahinter im Kleindruck steht, wird mehr oder weniger oberflächlich oder gar nicht gelesen.
Zu der Stellungnahme des Bundesrates habe ich grundsätzlich ein Doppeltes zu sagen; einmal eine Feststellung zu treffen: Ich bitte die hochverehrten Mitglieder des Deutschen Bundesrates, es mir nicht zu verübeln, wenn ich frage, ob die Stellungnahme des Deutschen Bundesrates wirklich die des Rates eines Bundes oder einer Interessenvertretung der Länder ist.
Denn wir haben hier das Groteske, daß der Bundesrat da zu einem Nein kommt, wo ein Teil des Bundesrates Forderungen stellt, die die Abgabenseite berühren, und der zweite Teil der Mehrheit dadurch zustande gebracht wird, daß Forderungen auf der Entschädigungsseite erhoben werden. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mitglieder des Bundesrates, die solche Beschlüsse fassen, müssen doch einen Augenblick prüfen, woher denn diese Differenz bei der Kürzung der Abgabenseite kommt und wie die Erhöhung der Ausgabenseite letztlich gedeckt werden soll. Ich glaube, es wird zu den Aufgaben des Ausschusses für den Lastenausgleich gehören, mit den Vertretern des Bundesrates hier Wege zu suchen, damit wir diese Diskrepanz nicht hinterher unter Anrufung von Art. 77 des Grundgesetzes auch bei diesem Gesetz beseitigen müssen.
Und das Zweite, was die Öffentlichkeit hierbei auch nicht bedenkt: Wenn ich die Stimmen der Länder im Bundesrat in Beziehung setze zu der Bevölkerungsziffer dieser Länder, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß die Länder, die — wenn Sie den Ausdruck erlauben — mit Nein votiert haben, nicht ganz 10 Millionen Menschen, und die Länder, die mit Ja votiert haben, über 40 Millionen Menschen in ihren Grenzen haben.
Es ist doch einfach eine Tatsache, daß ich die drei Stimmen des Landes Bremen im Bundesrat nicht so bewerten kann wie etwa die Stimmen des Landes Bayern, in dem 23 % Vertriebene sitzen und dessen Bewohnerzahl 15mal so groß ist wie die des Landes Bremen.
Ich möchte deshalb darum bitten, daß man die Stellungnahme des Deutschen Bundesrates auch unter diesem Gesichtspunkt einer kritischen Prüfung unterzieht.
Die zweite Problematik, mit der sich der Bundesrat und vor allem die deutsche Öffentlichkeit befaßt haben, meine Damen und Herren, ist, sowohl auf der Abgabe- wie auf der Nehmerseite, der Einheitswert. Die Bundesregierung hat in ihrer Vorlage — und in diesem Punkte hat der Bundesrat einmütig zugestimmt — die Einheitswerte als Grundlage genommen. Über dieses Problem ist in Sachverständigenkreisen quer durch alle Fraktionen dieses Hohen Hauses noch und noch diskutiert worden. Wir haben, soweit ich die Dinge übersehen kann, bis zu dieser Stunde eine andere Lösung als die, die Einheitswerte zum Ausgangspunkt zu nehmen, nicht finden können.
Ich darf die deutsche Öffentlichkeit auch einmal auf folgende Tatsache aufmerksam machen: Auch hier wird mit Worten herrlich gestritten, ohne daß die Wirklichkeit des Lebens erkannt wird. Es wird mit dem Wort „Verkehrswerte" statt „Einheitswerte" gearbeitet. Ja, meine Damen und Herren, wo kein Grundstücksmarkt ist, gibt es doch auch keinen Verkehrswert. Das Reichsbewertungsgesetz wird sehr oft, bewußt oder unbewußt, in seinen Grundlagen nicht erkannt. Wovon geht beispielsweise die Bewertung beim landwirtschaftlich genutzten Vermögen aus? Doch von nichts anderem als von der Ertragsseite, von dem durchschnittlichen Ertrag, der in Jahrzehnten, d. h. in längeren Erntezeiträumen ermittelt worden ist. Wenn ich dann in den Tausenden von Briefen, die mir auf den Schreibtisch geflattert sind und die wahrscheinlich sehr vielen von Ihnen in der gleichen Form und in dem gleichen Tenor täglich auf den Schreibtisch flattern, lesen muß, sei es von Vertriebenen: der Einheitswert des landwirtschaftlichen Grundbesitzes sei mindestens der dreifache — und das geht selbst bis zum Zehnfachen —, und von landwirtschaftlichen Kreisen: der Einheitswert sei völlig übersetzt, sei viel zu hoch, so komme ich doch zu der Überzeugung, daß die Regierungsvorlage, die die Einheitswerte als Grundlage genommen hat, damit den richtgien Weg gegangen ist.
Es wird Aufgabe der Beratungen dieses Hohen Hauses, insbesondere des Ausschusses, sein, zu prüfen, ob sich bei der Anwendung dieses Grundsatzes irgendwelche offensichtliche Härten ergeben. Ich habe z. B. in sorgfältigen Prüfungen feststellen können, daß die Durchführungsverordnungen zum Reichsbewertungsgesetz in den Ländern verschieden ausgelegt worden sind, so daß man zu dem grotesken Schluß kommen muß, daß z. B. — ohne das generalisieren zu wollen - in Württemberg mit anderen Maßstäben als in anderen Ländern gearbeitet wurde. Wir werden in aller Ruhe diese Frage auf die Substanz prüfen und da zu bestimmten Konsequenzen kommen müssen, weil wir bei all unseren Beratungen und Entscheidungen uns alle von dem Grundsatz leiten lassen, im Rahmen des Menschenmöglichen gerecht zu sein.
Sowohl in der Regierungsvorlage als auch in der Stellungnahme des Deutschen Bundesrates ist als weiterer Grundsatz festgelegt worden, daß eine einheitliche Vermögensabgabe erreicht werden soll. Darüber sind sich alle Sachverständigen klar, daß Vermögen nicht gleich Vermögen ist, sondern daß je nach der Art des Vermögens auch der Ertrag verschieden sein wird. In dem Bemühen, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß es hier unbestreitbar zwei Möglichkeiten gibt, nämlich entweder entsprechend den verschieden hohen Erträgen die Abgabe prozentual auch verschieden zu gestalten oder bei einer Bleichhohen Abgabe die Verzinsung dieser Abgabe zu staffeln, ist die Regierung in Übereinstimmung mit den Sachverständigen der Regierungsparteien zu der letzteren Lösung gekommen. Auch darüber mögen die Auffassungen geteilt sein. Im Ziel wird erreicht werden müssen. eine schon gefundene Lösung zu akzeptieren oder eine neue zu erarbeiten, die diesen Grundsatz der Belastung des Vermögens bis zur Grenze des wirtschaftlich Tragbaren verwirklicht oder die Möglichkeit der Verwirklichung schafft.
Wir haben uns in unseren Überlegungen davon leiten lassen - und die Bundesregierung hat sich dieser Überlegung und ihren Ergebnissen nicht verschlossen —, daß wir andere soziale Rücksichten nehmen müssen, als sie das Soforthilfegesetz genommen hat. Es ist doch ein Unterschied, ob ein Arbeiter oder Angestellter in zwanzigjähriger Arbeit Groschen auf Groschen zusammenlegt, um endlich zum Ziele eines kleinen Eigenheims zu kommen und so vermögend zu werden, oder ob jemand vom Vater her zehn Häuser ererbt hat, die 500 000 DM wert sind. Wir haben die Überzeugung, daß, wenn hier nicht mit echten sozialen Freigrenzen gearbeitet wird, das Gesetz nicht verstanden werden könnte, weil es auch an dem Punkte eine falsche Gleichsetzung von Vermögen und Vermögen mit sich bringen würde.
Darum ist die Freigrenze sozial gestaffelt nach dem Grundsatz: selbst erarbeitetes kleineres Vermögen soll jetzt nicht durch den Lastenausgleich wiederum vernichtet oder in seiner Erhaltungsmöglichkeit ernsthaft gefährdet werden. Das bedingt selbstverständlich — ich komme nachher darauf zu sprechen - auch, daß wir auf der andern Seite bei den kleineren Vermögen der Geschädigten den gleichen Grundsatz anwenden. Sonst würde der Grundsatz sozialer Gerechtigkeit nur für den einen Teil, den besitzenden Teil, exerziert werden, und wir würden vergessen, es bei dem anderen Teil zu tun.
Der Bundesrat hat gegen die Grundsatzkonzeption der Regierungsvorlage, Einbeziehung der Vermögenssteuer in den Lastenausgleich, Bedenken erhoben, die niemals grundsätzlicher Art sind, sondern die auf einer verständlichen Wahrung der Interessen der Länder beruhen. Der Herr Bundesfinanzminister hat dazu seinerseits bereits so klar und deutlich Stellung genommen, daß ich sagen kann: was er zu dem Punkte ausgeführt hat, entspricht auch der Auffassung, die meine Freunde und ich teilen. Ich brauche mich daher zu dem Punkte nicht zu äußern.
Lassen Sie mich noch kurz auf die verschiedenen weiteren Abgaben eingehen, die die Regierungsvorlage vorsieht, die Hypothekengewinnabgabe, die Obligationengewinnabgabe, die Währungsgewinnabgabe oder die Kreditgewinnabgabe und auf die Sonderabgabe vom Vorratsvermögen.
Meine Damen und Herren, soweit es die ersten drei Kapitel angeht, handelt es sich um sehr
schwierige Spezialfragen, mit denen sich die besten Sachverständigen dieses Hauses bei den Beratungen noch ernsthaft zu beschäftigen haben. Aber ein großes Ziel ist doch hier in wenigen, schlichten Worten darzustellen und aus dem, was die Gesetzesvorlage will, zu folgern. Sie will auf der einen Seite durch die Abgabe von Vorratsvermögen und von übersteigertem Vorratsvermögen bis zu den Grenzen des Möglichen Hortungsgewinne erfassen, so wie es das Soforthilfegesetz getan hat; auf der andern Seite will sie Währungsgewinne erfassen, damit nicht derjenige seinen Gewinn behält, der Schulden gemacht hatte, um sich Vorräte zu kaufen, und um Mitternacht vom 20. zum 21. Juni 1948 mit dem beglückenden Gefühl aufwachen oder noch wach sein konnte: Mein Vermögen habe ich, und meine Schulden betragen nur noch 10 %. Das ist der Kerngedanke, der diesen Maßnahmen, die uns vorgeschlagen werden, zugrunde gelegt werden muß.
Dahinter stecken aber nun — der Herr Bundesfinanzminister hat es angedeutet — eine große Reihe von schweren Fragen, die in Sachverständigenkreisen durchdacht und erörtert werden müssen. Erlauben Sie mir auch dazu ein grundsätzliches Wort. Wer die Regierungsvorlage gründlich studiert hat — und das haben ja zumindest die verehrten Abgeordneten dieses Hohen Hauses getan —, der wird festgestellt haben, daß die Zahl der vorgesehenen Rechtsverordnungen bis an die 50 herangeht. Das zeigt auf der einen Seite die einzigartige Schwierigkeit, mit der wir zu arbeiten haben, auf der andern Seite stellt es uns aber auch die Aufgabe, zu prüfen, inwieweit wir in den Beratungen dieses Hauses die Schwierigkeiten meistern und unserer uns obliegenden Pflicht gerecht werden, die Gesetze zu schaffen und sie in ihrer Substanz nicht der Exekutive zu überlassen. Das kann nur grundsätzlich gesagt werden. Es ist keine Zeit, darüber im einzelnen Ausführungen zu machen.
Lassen Sie mich zu der Frage der Ausgleichsleistungen kommen. Es ist bereits der Gegensatz der Auffassungen zwischen dem „Bundesrat" — einem Teil der Bundesratsvertretungen, die nur ein Bruchteil der Ländervertretungen sind, wenn ich die Bevölkerungsziffer zugrunde lege — und der Bundesregierung dargestellt worden. Ich persönlich vertrete — und das darf ich im Namen meiner Freunde sagen— grundsätzlich die Auffassung, die ich anfangs darstellte und auch jetzt im Zusammenhang mit diesem Teil noch einmal wiederholen möchte. Wir lehnen jeden Versuch, einen wirklich erlittenen und als solchen ermittelten Schaden durch generelle soziale Maßnahmen zu berücksichtigen, ab. Wir verschließen uns aber nicht der Erkenntnis, daß es Verluste gibt, die sich nicht in Geld oder nachgewiesenen Grund- und Bodenverlust ausdrücken lassen, und daß diesen Menschen auch geholfen werden muß und es notwendig ist, sie einzugliedern. Ich bin der Meinung, daß es möglich werden muß und möglich ist, daß jedem, der, wenn ihm der Start gegeben wird, die Kraft zu einem neuen Anfang hat — sei es zur Seßhaftmachung, Eingliederung, Wiederselbständigwerdung oder zum Neuselbständigwerden —, auch die Chance gegeben werden muß.
Das fordert kein vernünftig denkender Mensch, daß ich, der ich keinen Pfennig Vermögen gehabt habe, nun qua Lastenausgleich 10 000 DM geschenkt bekomme, um mich selbständig zu machen; aber es entspricht den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit,
daß man mir, wenn ich die Möglichkeit habe, eine Existenz aufzubauen, den Start .dazu gibt. Diesen Start müssen wir den Menschen geben. Ich sehe hier darum, wenn ich Sie an meine Ausführungen über die extreme Denkweise des deutschen Volkes erinnern darf, durchaus den Weg, zu einer gesunden mittleren Lösung zu kommen und eine Verständigung zwischen den Auffassungen beider Teile dieses Hauses herbeizuführen, weil ja die Auffassungen zu diesem Punkte nicht etwa parteipolitisch festgelegt sind, sondern je nach dem Standort, von dem aus der einzelne es betrachtet, hat er auch eine verschiedene Auffassung von den Notwendigkeiten und Möglichkeiten.
Ein sehr strittiges Kapitel sowohl in den Beratungen der Regierungsvorlage als auch in den Beratungen im Bundesrat war die Frage der Kriegsschadenrente. Es ist zweifellos richtig — ich führe das als meine persönliche Auffassung hier aus —, daß es für weiteste Kreise der Geschädigten und auch der Öffentlichkeit schwer verständlich ist, wenn man irgend jemandem, der geschädigt ist, eine Rente von 10 DM im Monat anbietet. Es ist gar keine Frage, daß die gegenwärtige Gestalt der Kriegsschadenrente einer sorgfältigen Prüfung und nach meiner Überzeugung auch grundsätzlichen Reform bedarf. Nur haben wir uns eines vor Augen zu halten: daß das Ziel, Menschen einzugliedern, wieder neu zu fundieren, dabei nicht aus den Augen gelassen werden darf. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß wir den Weg u. a. dadurch finden könnten, daß wir sagen: das, was jetzt nach der Regierungsvorlage in den normalen Haushalt der Fürsorge-Etats der Länder, Gemeinden und des Bundes gehört, wird herausgenommen und diese Mittel werden global dem Lastenausgleich zugeführt, so daß dadurch wirklich die Möglichkeit von Rentenleistungen gegeben ist, die zu verantworten sind, nicht nur von Rentenleistungen, meine Damen und Herren, die optisch besser aussehen. Die Optik hält nur so lange stand, wie die Propaganda läuft. In dem Moment, in dem die erste Zahlung kommt, hört die Wirkung der Optik auf; darüber sollten wir uns klar sein.
Ein weiteres Problem ist die Hausratentschädigung. Da werden wir sorgfältig zu überlegen haben — unter Berücksichtigung der Grund- und Leitgedanken des Gesetzes —, ob nun wirklich die jetzt von der Regierung vorgeschlagene total nivellierende Lösung von uns akzeptiert werden kann. Wir haben uns im Ausschuß für den Lastenausgleich bei den überaus wertvollen Beratungen über die Feststellung bereits darüber verständigen können, daß wir eine gestaffelte Tabelle bei der pauschalen Festsetzung des Hausratverlustes zugrunde legen wollen, und waren uns darüber klar, daß das auch folgerichtig bei der Beratung des Ausschusses für den Lastenausgleich über die Lastenausgleichsgesetzgebung zur Auswirkung kommen muß.
Aber vergessen Sie bitte eines nicht, meine Damen und Herren: die Regierungsvorlage nimmt nach den statistischen Erhebungen aus den aufkommenden Mitteln 3,6 Milliarden für Hausratentschädigung an; die von uns gemeinsam erarbeitete neue Tabelle frißt etwa 5,4 bis 6 Milliarden auf. So hart das klingt, müssen wir uns doch darüber klar sein, das ist meine persönliche Überzeugung, daß wir den Hausratschaden niemals in seiner vollen Höhe erfassen und in normalen Relationen den Geschädigten ersetzen können. Das wäre zwar gerecht, aber, meine Damen und Herren, wehe uns, wenn
wir uns der formalistischen Gerechtigkeit unterwerfen würden, statt den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit zur Maxime unserer Entscheidungen zu erheben.
Erhebliche Kritik ist an der Wohnraumhilfe geübt worden. Lassen Sie mich ganz schlicht eines sagen. Wir haben beispielsweise im Raum GroßAugsburg Platz für Tausende von Spinnern. Die Spinner sitzen, aus dem Sudetenland vertrieben, im Bayerischen Wald. Ich könnte fortfahren, Ihnen ähnliche Bilder, ähnliche Verhältnisse zu schildern, die Sie aber alle kennen. Das ist doch bester Lastenausgleich, wenn ich Mittel benutze, um jetzt dort im Großraum Augsburg Wohnungen zu schaffen und den Menschen das Ziel ihres Kampfes zu geben, nämlich wieder Arbeit statt Almosen. Jeder Mensch, auch wenn er aus der Soforthilfe oder Wohlfahrt Geld bekommt, empfindet sich im tiefsten Grunde deklassiert. Schaffe ich ihm die Grundlage der Existenz durch einen neuen Arbeitsplatz und eine Wohnung, habe ich seine Lastenausgleichsfrage gelöst. Leider besteht keine Möglichkeit, heute schon zu sagen: diese Wohnraumfrage hat doch mit dem Lastenausgleich nichts zu tun; das möge die Regierung aus anderen Mitteln decken, wenn der Haushalt das nicht erlaubt. Wenn der Gürtel enger geschnallt werden muß, dann wage ich auch, Mittel des Lastenausgleichs für solche Zwecke zu verwenden, zumal wenn die Regierungsvorlage sie ausdrücklich bestimmt: a) in erster Linie für den Kreis der Anspruchsberechtigten aus diesem Gesetz, b) befristet zeitlich nach der Höhe und c) als Darlehn verzinslich. Dann rollen doch eines Tages diese Mittel wieder zurück und können dann nach den Grundsätzen dieses Gesetzes weitere Verwendung finden.
Ich komme kurz noch auf drei Probleme. Die Regierungsvorlage sieht die Bildung eines Härtefonds vor. Meine Damen und Herren, hinter dieser Bildung stehen zwei sehr schwere und ernste Fragen. Es steht erstens die ganze Frage der Behandlung der Bewohner der Ostzone dahinter, die in den Raum der Bundesrepublik geflüchtet oder gekommen sind. Bis zur Stunde sind alle Überlegungen und Prüfungen, ob man auf anderen Wegen durch Einbeziehung dieser Gruppe von Menschen in dieser Frage einer Lösung näherkommen könne, gescheitert. Darum hat die Regierung vorgesehen, sich zunächst einmal mit diesem Vorschlage zu begnügen. Wir werden uns in der Ausschußberatung noch sehr ernsthaft damit zu befassen haben.
Aber noch eine zweite Frage — ich glaube, daß ich da nicht nur im Namen meiner Freunde spreche, sondern der Zustimmung des ganzen Hauses gewiß sein kann —, wir sind gewillt und entschlossen, bis zu den Grenzen des staatsrechtlich und politisch Möglichen zu gehen, d. h. praktisch, Berlin in den Lastenausgleich einzubeziehen.
Wie wir das formaljuristisch machen, das überlassen wir freundlich den bewährten und qualifizierten Juristen dieses Hauses. Aber ich glaube, daß Sie auch alle mit mir einig sein werden, daß wir, soweit uns die Macht gegeben ist, gleiches Recht in Deutschland für alle setzen.
Nun kommen die letzten beiden Punkte, einmal: Mittel für sonstige Förderungsmaßnahmen. Sehen Sie, schlummernde Kräfte in der Jugend der Kriegsgeschädigten und Vertriebenen, Kräfte der Intelligenz und des Geistes können heute weitgehend nicht zum Zuge kommen, weil den Eltern die Mittel fehlen, ihren Kindern die entsprechende Ausbildung zu geben. Es erscheint mir politisch richtig, sozial gerecht und volkswirtschaftlich nötig, dieses brachliegende Kapital für die Zukunft zu erschließen. Wir können uns in Deutschland den Luxus nicht leisten, Menschen, die zu Größerem fähig sind, aus Mangel an Mitteln die Ausbildung zu verweigern. Das wird sich in der nächsten Generation rächen.
Das allerletzte Problem ist das der Währungsgeschädigten. Eins ist in der Regierungsvorlage festgelegt und dürfte zweifelsohne die Zustimmung dieses Hohen Hauses finden, daß ein durch die alliierte Währungsgesetzgebung eingetretenes Unrecht beseitigt wird, daß man nämlich den Heimatvertriebenen, deren Konten in der Heimat nicht aufgewertet werden konnten, nunmehr die Möglichkeit gibt, daß ihre am Währungsstichtage nachgewiesenen Guthaben genau der gleichen Aufwertung unterstellt werden, wie das mit den Geldguthaben innerhalb der Bundesrepublik geschehen ist. Das sind die berühmten 6,5%.