Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Punkt 2 der heutigen Tagesordnung betrifft zweifellos eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ich will im Augenblick nicht feststellen, welche Werte an ehemaligem Reichsvermögen verlorengegangen sind, noch jetzt den Verlust dieser Werte beklagen. Ich will nur eine Anmerkung politischer Art machen: daß auf dem Gebiet der Regelung der Vermögenswerte des ehemaligen Reiches und des ehemaligen Landes Preußen der Länderegoismus, der sich ja auch auf anderen Gebieten in furchtbarer Form gezeigt hat, dem föderativen Gedanken einen sehr schweren, ich hoffe, nicht tödlichen Schlag versetzt hat.
Ich bin in der angenehmen Lage, namens der sozialdemokratischen Fraktion den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff voll zustimmen zu können. Wir machen uns die von ihm vorgetragene rechtliche Auffassung zu eigen. Daher brauche ich auf die rechtliche Seite der Sache, wie ich mir ursprünglich vorgenommen hatte, nicht einzugehen. Aber selbst für den Fall, daß jemand diese rechtliche Würdigung formal nicht anerkennen sollte, ist doch über das Formalrechtliche hinaus, glaube ich, dieses noch wichtiger: Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes mußte für die deutschen Länder das Grundgesetz die oberste Rechtsquelle sein. Ferner: Gewisse Länder wollen in die Verbindlichkeiten des früheren Reiches und des früheren Landes Preußen nicht eintreten, aber bei der Behandlung und Verwertung von deren Aktivwerten beanspruchen sie die eigene Zuständigkeit unter Berufung auf alliierte Gesetze. In dem Gesetz Nr. 19 der amerikanischen Zone, Art. XV Ziffer 20, steht aber der von Herrn Dr. Höpker-Aschoff erwähnte Generalvorbehalt. Diesen Generalvorbehalt erkennen die Länder, die sich auf die alliierte Gesetzgebung berufen, eigentümlicherweise nicht an. Man ist hier also in keiner Weise konsequent. Ich bin weiter der Meinung, daß um des Ansehens des neuen Staates willen und aus allgemeinen rechtspolitischen Erwägungen mit alliierten Gesetzen nicht mehr operiert werden sollte.
Das große ehemalige Reichs- und preußische Vermögen und die großen Beteiligungen sind unter einheitlicher Verwaltung gewesen, bis der Zusammenbruch und die Auflösung bzw. die Aufteilung des Territoriums des früheren deutschen Reiches in Zonen sie dieser einheitlichen Verwaltung entzogen. Aus dieser Einheitlichkeit müßte aber klar hervorgehen, daß ein so großes Vermögen auch nur einheitlich abgewickelt und in einzelnen Teilen nur von einer zentralen Stelle aus liquidiert werden kann, damit die notwendige Rationalisierung erfolgen und die dann unvermeidbare Neuordnung durchgeführt werden kann.
Ich will hier nicht gegen die Länder opponieren. Aber die im Bundesrat herrschende Einstellung ist mir heute wieder klar geworden, als ich mir noch einmal den Sitzungsbericht der Sitzung des Bundesrates vom 18. August 1950 zur Hand nahm. In dieser Sitzung sagte der Herr Vorsitzende des vom Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff als „Stiefvaterkollegium" bezeichneten Bundesrates zu dem „Entwurf eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen" nach Aufrufung des Punktes: „Sind dazu Ausführungen zu machen oder wollen wir gleich ablehnen?"
Sie sehen, man war also ohne weiteres bereit, gleich abzulehnen.
Bevor ich nun aus dem Gesagten einige Schlußfolgerungen ziehe, möchte ich noch auf eines hinweisen: Wir dürfen nicht immer nur von „Reichsvermögen" sprechen, sondern wir müssen dieses Reichsvermögen auch unterschiedlich betrachten; denn manche von diesen Vermögen, welche im Zuge der Aufrüstung geschaffen worden sind, können in Zukunft weder Reichs- noch Landesvermögen sein, sondern müssen eben liquidiert werden. Der Anschaulichkeit halber gebe ich ein Beispiel für viele:
Im Jahre 1936 oder 1937 wurden der Stadt Mölln im Kreise Herzogtum Lauenburg mitten aus ihrem Stadtforst 200 ha herausgeschnitten, um eine Muna dort einzurichten. Nach dem Kriege, als ich Landrat des Kreises Lauenburg war, gelang es mir, gegen die Zusicherung, dieses gesamte Gebiet binnen eines Jahres zu entmilitarisieren, es für die Wirtschaft freizubekommen. Inzwischen ist eine ganz neue Stadt entstanden: 18 Industriebetriebe in 42 Häusern, 7 Gewerbebetriebe in 8 Häusern, 6 Handelsbetriebe in 7 Häusern, eine Bankfiliale in einem Hause, eine Postdienststelle. Eine Güterabfertigung ist im Augenblick im Entstehen. Von den 75 über der Erde liegenden, aber völlig eingeerdeten und zugewaldeten Bunkern wurde die Erde abgetragen, und aus jedem Bunker wurden 4 Wohnungen hergestellt. Nach meinen Erhebungen vom vorgestrigen Tage arbeiten in der Muna in Mölln jetzt 1025 Menschen. Es sind bereits über 4 Millionen D-Mark - überwiegend privates - Kapital dort investiert worden. Allein die „Möllner Textilwerke", die zum Phryx-Konzern gehören, beschäftigen dort 600 Personen. Nun kann man natürlich einen solchen Komplex in Zukunft nicht mehr als geschlossene Anlage bewahren. Ich habe vielmehr, als ich Unternehmer dafür geworben habe. immer gesagt: Ich werde mich dafür einsetzen, daß Sie später Ihr Areal als Eigentum oder im Erbbaurecht erwerben können." Ich möchte also dem Herrn Bundesfinanzminister die Anregung geben, diese Dinge auch zu prüfen und sie nicht generell und schematisch zu regeln.
Ich komme jetzt zu den Schlußfolgerungen, die ich zu ziehen habe. Es besteht kein Zweifel, daß die endgültige Auseinandersetzung dieses gesamten großen Vermögenskomplexes mutmaßlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Andererseits darf meines Erachtens in diesem Hause kein Zweifel darüber bestehen, daß der gegenwärtige Zustand nicht fortgeführt werden kann. Es ist also notwendig, daß Klarheit geschaffen wird. Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin gesagt, welche Gesetze in Vorbereitung sind. Aber bevor diese Gesetze durchberaten und verabschiedet werden, müßten — ich stimme auch darin mit Herrn Kollegen Höpker-Aschoff überein — die vorhandenen Werte, soweit sie nicht bereits eindeutig Verwaltungsvermögen der Länder sind, beim Bund zusammengefaßt werden. Die Anlage zum Einzelplan XXIII des Bundeshaushaltsplans 1950 enthält den Wirtschaftsplan des Vermögensteiles „Ehemaliges Reichsvermögen ohne Beteiligungen des ehemaligen Reichs und Preußens". Wenn ich mir diesen Wirtschaftsplan ansehe, so muß ich feststellen, daß er bereits ein gewaltiger Fortschritt ist. Aber ist es nicht grotesk, daß wir für die britische Zone einen solchen Wirtschaftsplan haben und für die beiden anderen Zonen nicht? Für die anderen Zonen brauchen wir ihn
auch. Wir sollten überhaupt allmählich aufhören, in Zonen zu denken.
Ein ähnlicher Wirtschaftsplan — das fordere ich — müßte also für 1951 auch für das Gebiet der Bundesrepublik aufgestellt werden.
Es ist demnach zu fordern, daß alle Vermögenswerte einschließlich der Beteiligungen zunächst in eine einheitliche Bundesvermögensverwaltung übergehen, die am 1. April dieses Jahres eingerichtet sein sollte. Über das Strittige können wir dann. wenn der erste Schritt getan ist, in Ruhe verhandeln. Ich glaube ferner, daß der Herr Bundesminister der Finanzen dem Bundestag schleunigst den Entwurf eines Vorabgesetzes vorlegen sollte, damit die Verwaltung und die Haushaltsführung am 1. April in Kraft treten können. Selbstverständlich soll den Ländern nichts genommen werden, was den Ländern gebührt; aber des Bundes muß sein, was des Bundes ist. Ich empfinde es tief bedauerlich, wenn nicht gar als schandbar, daß sechs Jahre nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches. welches so gewaltige Vermögenswerte angesammelt hatte. daß anderthalb Jahre nach der Etablierung des Deutschen Bundestages und einer deutschen Bundesregierung die :e Frage noch immer nicht geklärt ist. Darum ist das oberste Gebot. Klarheit zu schaffen und alle Rechtsunsicherheiten zu beseitigen.
Die Manager der einzelnen Liegenschaften und insbesondere der Betriebe mit den Beteiligungen haben — diesen Eindruck hat man oft - vielleicht größeres Interesse an der Stärkung oder Erhaltung ihrer Position als an den höheren Belangen des Ganzen, des Bundes.
Wenn die Manager dieser Betriebe sich nun mit der Länderbürokratie zusammentun - und dieser Zusammenschluß scheint mir ziemlich sichtbar erfolgt zu sein —, dann werden Manager und Bürokratie zu einer gewissen Gefahr. Ich komme deshalb zu dem Schluß, daß es notwendig ist, den ganzen Fragenkomplex in Parlamentsnähe zu rücken. Es ist doch ein unerträglicher Zustand, daß der Deutsche Bundestag die Frage bis heute noch nicht entscheidend an sich gerissen hat. Ihre Verdienste, Herr Kollege Höpker-Aschoff, seien dabei nicht bestritten; Sie haben die Angelegenheit ja früher schon angeschnitten. Nachdem Länderregierungen und Bundesregierung das bisher nicht vermocht haben — für die Bundesregierung ist es außerordentlich schwer, gegen die Länderregierungen anzukommen; ich weiß das durchaus; ich bin nicht ganz ohne Erfahrungen auf diesem Gebiet —, bin ich der Meinung, daß nur die Heranziehung an den Bundestag uns zu einer schnellen und befriedigenden Lösung führen kann. Ich beantrage deshalb: Der Bundestag wolle beschließen, den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, den Haushaltsausschuß und — weil wichtige wirtschaftspolitische Fragen entschieden werden müssen — auch den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu beauftragen, die Vermögensverhältnise und die Beteiligungen des ehemaligen Reiches und Preußens mit dem Ziel einer neuen Ordnung im Sinne des Grenclgeset7es zu prüfen. Ich gebe dabei die Anregung„ daß die drei Ausschüsse sich überlegen möchten, ob es nicht sinnvoll wäre. aus ihrer Mitte einen Unterausschuß ,,Ehemaliges Reichsvermögen" zu bilden der sich mit diesem gesamten Komplex unverzüglich zu befassen hätte.