Herr Präsident! Meine Damer. und Herren! Der Herr Abgeordnete Neuburger hat in der zweiten Beratung die Behauptung aufgestellt, daß durch die Steuersenkung und Steueränderungen des vergangenen Frühjahrs Ausfälle an Steuern nicht eingetreten seien. Die Lautstärke, mit der diese Behauptung aufgestellt wurde, steht in keinem Verhältnis zu der Richtigkeit dieser Behauptung. Ich habe hier vor mir die Mitteilungen des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung liegen. Ich darf diesen Mitteilungen folgende Ziffern entnehmen. An veranlagten Einkommensteuern sind aufgekommen: im dritten Vierteljahr 1949 584 Millionen, im vierten Vierteljahr 1949 571 Millionen, im zweiten Vierteljahr 1950 noch 533 Millionen, im dritten Vierteljahr 1950 aber nur 444 Millionen.
Diese Mitteilungen des Presse- und Informationsdienstes der Bundesregierung
sprechen von starken Einbrüchen in das Steueraufkommen
infolge der Steuersenkungen, die im vergangenen Frühjahr von Ihnen beschlossen wurden. Ich glaube, über diese Ziffern sollten wir uns nicht streiten.
Meine Damen und Herren, selbst dann aber, wenn die Behauptung des Herrn Abgeordneten Neuburger richtig wäre, daß keine Steuerausfälle eingetreten sind — wir stellen fest, daß sie nicht richtig ist —, wäre doch zweifellos ein wesentlich höheres Aufkommen aus der Einkommensteuer zu erwarten gewesen, wenn wir bei den alten Sätzen geblieben wären.
Der wesentlich höhere Finanzbedarf der Bundesrepublik und der Länder war im Frühjahr 1950 zweifellos vorauszusehen.
In der Begründung, die uns der Herr Finanzminister für seine künftigen Steuermaßnahmen gegeben hat, beruft er sich auf neue Belastungen durch den Lastenausgleich, durch die Aufwendungen auf Grund des Art. 131 und durch die Kriegsopferversorgung. Alles das wußten wir im vergangenen Frühjahr, und trotzdem senkten Sie die direkten Steuern, die Einkommensteuer, und sind jetzt gezwungen, den höheren Finanzbedarf durch indirekte Steuern zu decken. Das ist das. was wir grundsätzlich bekämpfen.
Sie können auch nichts gegen die von uns oft wiederholte Behauptung einwenden, daß 500 Millionen DM — die Hälfte der Steuerausfälle — sich auf 50 000 Einkommensbezieher verteilen; wir haben nämlich etwa 50 000 Einkommensbezieher, die mehr als 30 000, 35 000 oder 40 000 DM verdienen. Im Durchschnitt beträgt die Steuersenkung bei jedem einzelnen dieser Einkommensbezieher 10 000 DM. Nun ist es eine sehr einfache Rechnung, daß auf diese 50 000 Einkommensbezieher, also auf einen kleinen überschaubaren Kreis, 500 Millionen DM der Steuersenkungen entfallen.
Der Herr Abgeordnete Neuburger hat unter Ihrem Beifall von den neugeschaffenen Arbeitsplätzen gesprochen, von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen, die geschaffen worden seien,
und hat nicht von den Millionen von Arbeitslosen gesprochen,
die zu einem großen Teil deswegen nicht in Arbeit gebracht werden konnten, weil es einfach an den notwendigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Arbeitsbeschaffungsprogrammen gefehlt hat. Zur Durchführung dieser Programme hätten wir die Gelder gebraucht, die uns durch die Einkommensteuersenkung entgangen sind. Die Arbeitslosigkeit war Ende 1950 größer als Ende 1949. Der Kohlenmangel,
unter dem wir heute leiden, ist im wesentlichen auch auf diese Politik zurückzuführen. Ich habe schon vorhin ausgeführt, daß die notwendigen Mittel für Investitionen im Bergbau fehlten.
Der Bergbau selbst beziffert seine notwendigen Investitionen auf 3 Milliarden D-Mark. Auf diesem Gebiete ist nichts geschehen. Aber durch Selbstfinanzierung sind seit der Währungsreform 25 Milliarden Mark für neue Investitionen aufgebracht worden. Diese Gelder waren da, und diese übertriebene Selbstfinanzierung hat man durch die Einkommensteuerreform noch unterstützt.
Mit Rücksicht auf die weitgehenden finanzpolitischen Folgen all dieser Vorlagen und mit Rücksicht aber auch auf die Vorlagen, die wir vom Herrn Finanzminister noch zu erwarten haben, habe ich Ihnen eine förmliche Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion des Bundestages vorzutragen:
Die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages hat seit dem Bestehen des Bundestags und vor allem während der Beratungen und der Beschlußfassung über die sogenannte kleine Einkommensteuerreform im Frühjahr 1950 gegen die Steuerpolitik der Bundesregierung wohlbegründete und schwerwiegende Bedenken erhoben.
'Die sozialdemokratische Fraktion hat immer wieder darauf hingewiesen, daß das Steuersystem in der Bundesrepublik durch die von der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung herbeigeführte Entwicklung immer unsozialer und rückständiger wird, ohne daß die Steuerpolitik dem Rechnung trüge. Die Hauptlasten der Besteuerung werden als indirekte Steuern von den sozial schwachen breiten Massen der Bevölkerung getragen, statt daß diese Lasten in erster Linie durch sozial gestaffelte direkte Steuern nach der steuerlichen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit getragen werden.
Die sozialdemokratische Fraktion hat insbesondere gewarnt vor der übertriebenen steuerlichen Begünstigung der Selbstfinanzierung, die dem Kapitalmarkt und der öffentlichen Hand gerade die Mittel entzogen hat, die zum Ausbau lebenswichtiger Wirtschaftszweige — Bergbau, Energiewirtschaft, Verkehr — und zur Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen — zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit — so dringend notwendig gewesen wären. Sie hat weiter protestiert gegen die Änderungen und Senkungen des Einkommensteuertarifs, die in einseitiger, unsozialer Weise vor allem die Bezieher hoher und höchster Einkommen wesentlich begünstigt und damit die sozialen Gegensätze nur noch verschärft haben.
Solange nicht die direkten Steuern in ausreichendem Maße reformiert und ausgeschöpft werden und die mit der Einkommensteuersenkung des Vorjahres verfolgte Richtung der Steuerpolitik aufgegeben wird, sieht sich die sozialdemokratische Fraktion bei aller Anerkennung der Notwendigkeit, die Aufwendungen des Bundes für soziale und für Sicherheitsaufgaben zu decken, außerstande, den steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung zuzustimmen, durch die indirekte Steuern erhöht oder neu geschaffen werden. Das gilt auch für die in Aussicht gestellten weiteren steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung.
Schon aus diesen finanzpolitischen Gründen — und das gilt auch für diese dritte Lesung des Mineralölsteuergesetzes — lehnt die sozialdemokratische Fraktion auch die Mineralölsteuer ab, ohne damit die mit dieser Steuer zusammenhängenden wirtschafts- und verkehrspolitischen Fragen, die insbesondere auch das Problem Schiene—Straße betreffen, endgültig und erschöpfend beantworten zu wollen.
Die sozialdemokratische Fraktion erwartet von der Bundesregierung, daß die Bundesregierung endlich das bisher von ihr geübte, immer unerträglicher werdende System der Teillösungen verläßt und dem Parlament die lang erwartete umfassende organische Steuerreform vorlegt, die die Steuergesetze und die Verwaltung und die Erhebung der Steuern wesentlich vereinfacht, die Steuerbelastung sozial und gerecht verteilt und damit zur sozialen Befriedung des ganzen Volkes beiträgt.