Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich darf mich zur Abwechslung wieder einmal als ein Angehöriger des betroffenen Raumes zu dieser Frage zu Wort melden. Ich komme nicht aus Stuttgart, sondern aus Tübingen
und hoffe, daß ich die Vermittlerrolle, die Tübingen und insbesondere unser Staatspräsident, Gebhard Müller, in der Frage des Südweststaates bisher gespielt hat, auch hier im Bundestag an seiner Stelle weiterspielen darf.
Ich bin ein überzeugter Föderalist und dennoch ein Anhänger des Südweststaatgedankens.
- Vielleicht könnte man sogar sagen: deshalb!
Denn ich bin der Meinung, daß der Föderalismus eine so wichtige Sache ist, daß man es- sich überlegen muß, wie man ihn gegen seine oft allzu eifrigen Freunde schützt.
Ich bitte meine Freunde, die entgegengegesetzter Auffassung sind, doch einmal zu bedenken, ob es ihnen möglich sein wird, vor den heranwachsenden Jungen den Gedanken eines Föderalismus,
der sich lediglich in der Konservierung bestehender kleinstaatlicher Gebilde behagt, zu vertreten, und wie sie bei dieser heranwachsenden Generation den Gedanken des Föderalismus verteidigen wollen.
Wenn ich mich im Lande umhöre und wenn ich mit Jungen über Fragen des Föderalismus spreche, dann bemerke ich immer wieder zu meinem sehr großen Bedauern, daß in dieser jungen Generation für den Föderalismus sehr wenig Verständnis vorhanden ist.
Ich sehe, daß dort immer noch der Drang nach dem Zentralismus, nach dem Unitarismus, ja vielleicht nach dem Uniformismus sehr groß ist. Ich möchte keinen Zentralismus haben. Ich möchte in der Tat ein wohlgegliedertes Ganzes haben, und meine Freunde aus meiner Heimat wollen es genau so. Ich nehme durchaus die Heimatliebe der Badener ernst.
Wenn vorhin bei Herrn Seelos gelacht wurde, als er — wenn ich nachhelfen darf — das Wort Bismarcks zitierte, daß es nur in Bayern ein echtes Staatsgefühl gebe, so muß ich zugeben, daß die so oft verspotteten Staatsgebilde von Napoleons Gnaden ein echtes Staatsgefühl entwickelt haben. Ich will keine langen Ausführungen darüber machen, warum es so gekommen ist. Darüber ist schon viel gesagt worden. Es ist da, und man soll, wenn aus Liebe zum Angestammten, zur Tradition gekämpft wird, die Argumente des Gegners auch ernst nehmen, denn nur, wenn wir das tun, kommen wir zu einer echten Lösung.
Ich wünschte, daß man in Südbaden erkannt hätte, daß die Verschmelzung der beiden alten Länder Württemberg und Baden einschließlich Hohenzollerns keine Gewaltlösung, keine unorganische Lösung, sondern eine durchaus organische Lösung, eine Lösung im Sinne der besten Traditionen dieses Raumes wäre. Ich würde mich jedem anderen Versuch, mit Zirkel und Lineal willkürlich neue deutsche Länder zu bilden, widersetzen; aber ich weiß in deutschen Landen wirklich kein Gebiet, wo alles, aber auch alles aus unserer Geschichte dahin weist, daß diese beiden Länder zu einem neuen Gebilde zusammenwachsen, das wirklich jene Voraussetzung erfüllt, die wir an einen gesunden Föderalismus stellen wollen.
Nun, ich bin aber auch der Meinung, daß jeder Versuch gemacht werden sollte, um die Bevölkerung unseres Raumes über diese Frage entscheiden zu lassen. Ich bin daher grundsätzlich nach wie vor — meine Freunde sind es auch — für eine Abstimmung, für eine Volksbefragung. Allerdings habe ich gegen den von einigen meiner Freunde vorgelegten Entwurf ganz erhebliche Bedenken. Diese Bedenken wenden sich erst einmal dagegen, daß man statt der Eventualfrage die Alternativfrage gestellt hat, daß also die Bevölkerung nur die Wahl hat, zu sagen: entweder Südweststaat oder die alten Länder, während die dritte Möglichkeit, nämlich die Beibehaltung des bisherigen Zustandes — dafür scheint für den Fall, daß der Südweststaat nicht zustandekommt, ein großer Teil der Bevölkerung dieses Raumes zu stimmen —, der Bevölkerung gar nicht gegeben wird. Wir sind also der Meinung, daß man sie dann schon darüber entscheiden lassen müßte, ob eine der drei Möglichkeiten zustandekommen sollte.
Weiter haben wir natürlich erhebliche Bedenken dagegen, daß es nun bei einer Befragung auf die Mehrheit der Stimmberechtigten abgestellt wird; denn das würde nach meiner bescheidenen Auffassung ein durchaus undemokratisches Verfahren sein. Wir würden hier einen Abstimmungsfall erleben, wie ich ihn in der Geschichte demokratischer Abstimmungen noch nicht kennengelernt habe.
Ich hoffe, daß wir immer noch zu einer Lösung dieser Volksbefragung kommen werden und daß es möglich sein wird, im Laufe der Debatte in den Ausschüssen und vielleicht auch noch einmal durch Fühlungnahme der Regierungen der betreffenden Länder
zu einer echten, unmittelbaren, ursprünglichen Abstimmung aus dem Raume heraus zu kommen, so daß wir nicht vor der Notwendigkeit stehen, eine definitive Entscheidung durch dieses Parlament zu fällen.
In diesem Sinne stimme ich dem Vorschlag, die beiden Entwürfe zusammen dem Rechtsausschuß und dem Ausschuß für innergebietliche Neuordnung zuzuweisen, namens meiner Freunde aus Württemberg-Hohenzollern zu.