Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe — soweit sie bisher von den Abgeordneten aus dem betroffenen Raume geführt worden ist — hat mich bedenklich an die Zeit des Abstimmungskampfes über den Südweststaat erinnert. Es war so viel Polemik und so viel, ich will nicht sagen: Geschichtsklitterung, aber etwas willkürliche Verbiegung des Geschichtsbildes in diesen Ausführungen, daß man versucht wäre, dagegen zu polemisieren. Ich will es nicht tun. Ich glaube, die Frage, die hier zum ersten Mal auf die Bundesebene gezogen worden ist, weil sie bedauerlicherweise nicht von den Beteiligten selbst entschieden werden konnte, ist nicht eine Spezialität des südwestdeutschen Raumes, sondern sie ist in der Tat ein Anfang der Aufgabe, die nach der Auffassung meiner Freunde dieser Generation der deutschen Politiker gestellt ist,
nämlich unter völlig veränderten historischen Bedingungen den uns gegebenen Raum so zu gliedern, daß er zweckmäßig und zum Nutzen aller verwaltet werden kann.
Das liegt jenseits der beliebten These oder Antithese: Föderalismus hie und Zentralismus da. Ich bekenne mich als einen Gegner des Zentralismus in dem Sinne, wie dieser Begriff gelegentlich als ein Popanz in die politische Debatte geworfen worden ist. Ich glaube, daß echte Demokratie überhaupt nur bestehen kann, wenn die Teile lebensfähig sind, d. h. wenn sie nicht nur aus der Historie, sondern auch aus der Aufgabe der Gegenwart heraus begriffen und gestaltet worden sind und wenn sie so viel Autonomie wie nur möglich haben, um in ihrem Bereich die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu bewältigen, ohne die Hilfe des Zentrums der Staatsgewalt in jedem Falle in Anspruch nehmen zu müssen. Ich glaube, das ist eine Formel, auf die man sich sogar mit den Föderalisten einigen könnte, die den Föderalismus nicht als eine blutleere Theorie, sondern als einen Versuch betrachten, in der Praxis etwas für das Leben zu schaffen.
Meine Damen und Herren! Die Frage des Zusammenschlusses der Länder des südwestdeutschen Raumes wird seit langem debattiert. Sie ist nicht erst nach der willkürlichen Zerreißung der sogenannten alten Länder Baden und WürttembergBaden debattiert worden. Sie stand schon in früheren Zeiten zur Debatte. Das Bild des Südweststaates, der entstehen würde, wenn sich die beiden Länder wirklich organisch und aus freien Stücken, d. h. aus dem Willen ihrer Bürger, zusammenschließen würden, wäre in der deutschen Geschichte gar nicht so fremd wie die Staatsgründungen Napoleons. Das alte Herzogtum Schwaben und der Schwäbische Kreis haben schließlich auch ihre geschichtsbildende Kraft bewiesen und sind auch in die Tradition dieser Länder eingegangen. Man übersieht das gelegentlich, wenn man eine These beweisen will, deren Ursprung eben, wie Herr Kollege Hilbert sagte, 150 Jahre alt ist.
Wenn man schon in die Geschichte zurücksteigt, soll man das auch gründlich besorgen.
Aber, meine Damen und Herren, die Geschichte ist ein Gut, das wir verwalten, auf dem wir aber nicht sitzen bleiben sollten. Die Gegenwart hat uns auch Aufgaben gestellt, und es scheint mir eine große Illusion zu sein, wenn man etwa annehmen wollte, daß die Rückkehr zu den alten staatlichen Formen Württemberg und Baden die Probleme unserer Zeit lösen könnte. Es ist sehr nett, wenn man etwa die Wirtschaftszahlen aus der Zeit vor 1933 ausgräbt und beweist, daß das eine oder andere Land lebensfähig war. Aber was ist denn damit bewiesen, meine Damen und Herren?
Ist damit bewiesen etwa, daß die Stadt Mannheim und ihr Industriegebiet, die vor 1933 die Hauptsteuerquelle des badischen Landes war, das auch heute noch wäre?
Genau das Gegenteil kann man aus den Tatsachen beweisen.
Und, meine Damen und Herren, wenn man vom Volk spricht, das da in diesen beiden Ländern zusammengewachsen sei, dann sollte man die Dinge doch nicht allzusehr auf den Kopf stellen. Die Bevölkerung des badischen Baulandes hat mit der württembergischen Bevölkerung im Taubergebiet, im Fränkischen, im Hohenloheschen mindestens mehr Verwandtschaft als mit der Bevölkerung des Seekreises.
Ich glaube, hier handelt es sich gar nicht so sehr um Gegensätze des Volkstums; hier handelt es sich um verschiedene Ausformungen ein und derselben Stammeseigenart, und ich glaube, schon aus diesem Grunde könnte man sagen, daß dem Grundsatz des Grundgesetzes sehr wohl Rechnung getragen wäre, wenn diese beiden Teile, die in eineinhalb Jahrhunderten getrennt gewesen sind, sich nun organisch zusammenfügten.
Wenn man von den Aufgaben des Augenblicks und der nächsten Zukunft ausgeht, nämlich von einer stärkeren Entwicklung der wirtschaftlichen Hilfsquellen dieses Südwestraums, dann scheint es mir absolut schlüssig zu sein, daß der Zusammenschluß der beiden Länder zu einem gemeinschaftlichen Staatswesen die Ausschöpfung der wirtschaftlichen Hilfsquellen weit eher garantieren würde, als die Zersplitterung dieses Gebiets und die dauernde Inanspruchnahme der Hilfsquellen der übrigen Länder auf dem Wege über den Finanzausgleich.
Wir Sozialdemokraten im Südwestraum haben während der ganzen Debatte über diese Frage stets den Standpunkt vertreten, daß der Zusammenschluß der beiden Länder durch die Entscheidung ihrer Bürger herbeigeführt werden müsse. Aber wir haben auch immer den Standpunkt vertreten, daß dieser Zusammenschluß gegenüber dem jetzigen und gegenüber dem vorherigen Zustand ein historischer, ein wirtschaftlicher und ein politischer Fortschritt sei, für den wir uns einsetzen würden ohne Rücksicht auf unsere parteipolitischen Interessen. Ich sage das gerade hier in diesem Hause mit voller Betonung: ohne Rücksicht auf unsere parteipolitischen Interessen; denn, meine Damen und Herren, wer den Südwestraum und seine Zusammensetzung — konfessionell, bevölkerungsmäßig — kennt, der weiß, daß die Sozialdemokratie in diesem Gebiet in dem Augenblick, in dem der Südweststaat zustande kommt, politisch absolut in die Minderheit gedrängt ist. Wir hängen hier nicht an unseren speziellen Parteiinteressen, sondern wir sind der Meinung, daß der historische Fortschritt wichtiger ist als das Interesse einer einzelnen Partei.
Deshalb, meine Damen und Herren, stehen wir auf dem Boden des von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei eingebrachten Entwurfs, den Sie in der Drucksache Nr. 821 finden. Wir sind nicht in allen Punkten mit der Formulierung dieses Entwurfs einig, aber da die beiden Entwürfe in die Ausschüsse gehen, werden wir genügend Gelegenheit haben, im einzelnen an der Formulierung der verschiedenen Bestimmungen des dann zu verabschiedenden Gesetzes mitzuwirken.
Wir glauben, daß es unmöglich ist, den Wählern im Südwestraum Alternativfragen zu unterbreiten, wie sie im Entwurf des Herrn Kollegen Hilbert enthalten sind, wobei ich übrigens sagen muß: Wenn ich mir die Unterschriften unter diesem Gesetzentwurf betrachte,
dann finde ich, daß nur Herr Kollege Hilbert aus dem betreffenden Raum kommt.
Man kann ja neckischerweise die Frage stellen, wieviele von den Unterschreibenden überhaupt den Inhalt des Entwurfs gekannt haben.
Ich habe den starken Verdacht, daß eine ganze Anzahl der Herren Kollegen den Inhalt erst zur Kenntnis genommen haben, als die Drucksache vorlag, und daß sie sich in diesem Punkt genau in derselben Verdammnis befinden wie ich und meine Freunde, die wir uns die einzelnen Bestimmungen dieses Entwurfs, da er ja auch sehr kompliziert ist, nur sehr langsam zu Gemüte führen konnten.
Wir glauben nicht, daß es möglich ist, solche Alternativfragen den Wählern zu unterbreiten, weil man die Wähler dadurch verwirrt und weil man dadurch die tatsächliche Entscheidung nur erschwert.
Wir glauben deshalb, daß die Formel, die der FDP-Entwurf enthält, durchaus den Bedürfnissen genügt und daß diese Formel dem Entwurf des Herrn Kollegen Hilbert vorzuziehen ist. Ebenso glauben wir, daß die Vorschriften, die der § 3 des FDP-Entwurfs über den Abstimmungs- und den Zählmodus enthält, keine besonderen Schwierigkeiten bieten. Man muß sich die Frage nochmals im einzelnen überlegen.
Man muß unter allen Umständen auch den Schein vermeiden, als ob irgendein Teil der Bevölkerung majorisiert werden sollte. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, ist ja wohl darauf hinzuweisen, daß gerade der Entwurf des Herrn Kollegen Hilbert in verschiedenen Punkten genau das erreicht, nämlich die Majorisierung eines Teils der Bevölkerung durch einen anderen. Denken Sie nur an die Vorschriften der §§ 4, 5 und folgende, in denen praktisch durch die Zusammensetzung der Übergangskörperschaften in jedem Falle eine Majorisierung des nördlichen Teils des Gebiets durch die beiden südlichen Teile herbeigeführt würde.
Ich glaube, man kann hier nicht gerade von einer Ausgeburt demokratischer Gründlichkeit sprechen, und in diesem Punkte ziehen wir also, wie gesagt, den Vorschlag der FDP-Fraktion vor.
Was den § 4 des FDP-Entwurfs betrifft, so glauben wir, daß wir hier im Ausschuß Änderungen vorschlagen müssen. Wir sind der Meinung, daß die Bestimmungen über Wahlberechtigung, Wählbarkeit, Wahlverfahren usw., die hier angedeutet sind, sehr wohl aus dem Gesetz herausbleiben könnten und daß man gerade hier einer Vereinbarung der beteiligten Länder noch Raum geben sollte, zumal ja die Vorkehrung getroffen worden ist, daß im Nichteinigungsfalle doch die Bundesregierung einheitliche Bestimmungen für das Verfahren erläßt. Aber darüber kann man, wie gesagt, im Ausschuß reden, und ich glaube, da ist sehr wohl eine Verständigung möglich.
Wir sind auch der Meinung, daß die Versammlung, die aus dieser ersten Abstimmung hervorgeht, tatsächlich ein Landtag für das gesamte Land sein soll—vorausgesetzt, daß die Abstimmung positiv ausgeht, und das ist ja die Voraussetzung, auf der dieser Entwurf beruht — und daß dieser Landtag einen klaren Verfassungsauftrag haben soll. Ferner sind wir der Auffassung, daß der § 5 des FDP-Entwurfs in seiner jetzigen Fassung nicht ausreicht. Wir glauben, daß auch die Verfassung, die durch eine verfassunggebende Versammlung oder durch einen mit diesem Auftrag gewählten Landtag geschaffen wird, dem Volksentscheid unterliegen muß. Zu diesem Punkte werden wir im Ausschuß noch Vorschläge unterbreiten.
Im übrigen, meine Damen und Herren, möchte ich noch einmal sagen: Die sozialdemokratische Fraktion stellt sich im wesentlichen auf den Standpunkt des Antrages Drucksache Nr. 821. Ich darf nur noch eines hinzufügen: Es wäre vielleicht zweckmäßig, wenn von diesem Hause oder von irgendeiner anderen Körperschaft — aber ich glaube, daß doch dieses Haus der geeignete Autor einer solchen Empfehlung wäre — den beteiligten Ländern im Südwestraum — es sind ja nur die Länder der französischen Zone, nämlich Baden und Württemberg-Hohenzollern — empfohlen würde, die Landtagswahlen, die in diesem Frühjahr fällig sind, solange auszusetzen, bis die Entscheidung über das Zustandekommen des Südweststaates in diesem oder jenem Sinne gefallen ist. Es gibt eine Diskussion darüber, ob nicht der Bundestag bereits in einem Gesetz nach Artikel 118 GG eine derartige Vorschrift erlassen solle. Ich halte es aber nicht für möglich, daß der Bundestag den Ländern Vorschriften darüber macht, ob sie ihre Wahlen durchführen sollen oder nicht; wir sollten uns hier auf eine Empfehlung beschränken, und ich glaube auch, daß eine solche Empfehlung angesichts ihrer Zweckmäßigkeit bei keinem der Beteiligten auf taube Ohren stoßen wird. Diese Frage möchte ich gleich jetzt in der Debatte aufgeworfen haben; man wird sich nachher im Ausschuß noch im einzelnen damit zu beschäftigen haben.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Die sozialdemokratische Fraktion — ich glaube, ich habe das in meinen Ausführungen hinreichend dargetan — steht auf dem Boden des historischen Fortschritts. Sie ist der Meinung, daß die Schaffung des staatlichen Zusammenschlusses im südwestdeutschen Raum eine der Aufgaben ist, die wir im Zusammenhang mit der Neugliederung des deutschen Raumes überhaupt zu meistern haben, und sie wird sich für die positive Entscheidung dieser Frage einsetzen, weil sie glaubt, daß das einer der Aufträge ist, die der politischen Generation der Gegenwart gegeben sind.