Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Interpellation wie folgt beantworten.
Erste Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß vom 25. bis 30. September 1950 der Verband der Europäischen Landwirtschaft in Straßburg getagt und u. a. in eingehenden Referaten von Vertretern der Beneluxstaaten, Frankreichs,
Italiens, der Schweiz und Deutschlands die wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Staaten und die wirtschaftlichen Folgen der angeregten Gründung der Vereinigten Staaten Europas auf die Landwirtschaft erörtert hat?
Antwort: Die Beschlüsse des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft sind der Bundesregierung bekannt. Sie begrüßt es, daß der Verband der Europäischen Landwirtschaft die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Staaten Europas grundsätzlich anerkannt hat.
Zweite Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Anschluß an diese Referate einstimmig eine Entschließung angenommen wurde, in der es u. a. heißt: a) ein zahlreicher, in seiner Existenz gesicherter, unabhängiger Bauernstand und freie landwirtschaftliche Genossenschaften seien die wichtigste Voraussetzung für eine gesicherte Zukunft und die Wohlfahrt der Völker?
Antwort: Es entspricht durchaus der Auffassung der Bundesregierung, daß die von dem Verband der Europäischen Landwirtschaft geforderten internationalen Vereinbarungen den beteiligten Staaten die Sicherheit geben müssen, ihren Bauernstand gesund und leistungsfähig zu erhalten.
Frage 2 b: Ein weiterer Abbau der bestehenden Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft im Warenverkehr solle nicht schematisch erfolgen, sondern unter sorgfältigster Prüfung der Rückwirkungen auf die nationale Produktion, insbesondere auf die Landwirtschaft, durchgeführt werden.
Antwort: Es entspricht den bisherigen Bestrebungen der Bundesregierung, einen weiteren Abbau der bestehenden Schutzmaßnahmen im Warenverkehr nicht schematisch, sondern nur nach sorgfältiger Prüfung der Rückwirkungen auf die nationale Produktion, insbesondere die der Landwirtschaft, vorzunehmen.
Frage 2 c: Die Lösung dieser Frage für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse müsse die OEEC weniger in einem weiteren schematischen Abbau der quantitativen Beschränkungen, als vielmehr in der Aufstellung besonderer Maßnahmen für die einzelnen Erzeugnisse unter Berücksichtigung ihrer Produktionskosten anstreben.
Antwort: Die Bundesregierung ist ständig bemünt, sorgfältig zu prüfen, welche besondere Maßnahmen zum Schutze der einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnisse unter Berücksichtigung der Produktionskosten getroffen werden können.
Dritte Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Entschließung des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft zum großen Teil im Einklang steht mit dem seinerzeit vom Deutschen Bundestag angenommenen Beschluß zum Schutz der deutschen Landwirtschaft?
Antwort: Der Bundesregierung ist diese Tatsache bekannt. Sie begrüßt es, daß die Stellungnahme des Deutschen Bundestags auch in der Entschließung des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft ihren Niederschlag gefunden hat.
Vierte Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Internationale Vereinigung der landwirtschaftlichen Produzenten bei ihrer Tagung in Schweden sich ebenfalls gegen eine schematische Durchführung der Liberalisierung der Landwirtschaft ausgesprochen hat?
Antwort: Auch dieser Beschluß ist der Bundesregierung bekannt. Es kann darauf verwiesen werden, daß sie bei der bisherigen Durchführung der Liberalisierung nicht schematisch vorgegangen ist, sondern die Auswahl der zu liberalisierenden Produkte nach Anhörung des Ernährungsausschusses des Bundestags sowie nach Fühlungnahme mit den beteiligten Wirtschaftskreisen vorgenommen hat.
Fünfte Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Referenten bei der Straßburger Tagung des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft sich einstimmig gegen die Hinaufsetzung auf eine 75%ige Liberalisierung bei der Landwirtschaft ausgesprochen haben?
Antwort: Auch hiervon hat die Bundesregierung Kenntnis genommen. Auf Einzelheiten darf ich bei der Beantwortung der folgenden Frage eingehen.
Sechste Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Fortführung der Liberalisierung bei der Landwirtschaft gerade die bäuerliche Wirtschaft, wie die Milch- und Viehwirtschaft, und insbesondere die Spezialkulturen der Landwirtschaft, wie Weinbau, Obstbau, Gemüsebau, Tabakbau usw., auf das schwerste treffen muß?
Antwort: Die Bundesregierung hatte zur Erfüllung der Verpflichtung, 60 % der im Jahre 1949 aus den Mitgliedstaaten der OEEC eingeführten Erzeugnisse zu liberalisieren, zunächst auf dem Agrarsektor den Satz von 60,77 % erreicht. Die OEEC überprüfte Ende Oktober 1950 die deutsche Freiliste und stellte hierbei fest, daß die in der Liste enthaltenen saisonalen Liberalisierungen — verschiedene Gartenbauerzeugnisse und frische Heringe — nicht dem Grundsatz der Liberalisierung genügen und daher in die 60 % nicht eingerechnet werden dürfen. Die Änderung der deutschen Freiliste war aber auch aus einem zweiten Grunde notwendig. Inzwischen war nämlich das Getreidegesetz in Kraft getreten und das Zuckergesetz vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. Diese Gesetze stellen die Einfuhr bestimmter Agrarerzeugnisse unter die Kontrolle staatlicher Organe. Diese Agrarerzeugnisse gelten damit nicht mehr als Teil des privaten Handels, auf den allein sich die Liberalisierungsverpflichtung erstreckt. Infolgedessen mußte die deutsche Freiliste auf dem Agrarsektor neu berechnet werden. Es ergab sich, daß die bisher liberalisierten und von der OEEC als liberalisiert anerkannten Erzeugnisse nur einen Prozentsatz von 57,69 erreichten. Um die vorgeschriebenen 60 % zu erfüllen, beschloß die Bundesregierung mit Zustimmung des Ernährungsausschusses des Bundestages, die Einfuhr von Eiern aus den Mitgliedstaaten der OEEC zu liberalisieren. Damit erfüllte die Bundesregierung die Verpflichtung zur 60%igen Liberalisierung mit 60,84 %. Die deutsche Freiliste ist der OEEC in dieser Form vorgelegt worden.
Was nun die Besorgnis über die Auswirkung der Liberalisierung auf die Tierwirtschaft sowie die Spezialkulturen anlangt, so sei folgendes bemerkt. In der derzeitigen, 60 % umfassenden Liberalisierungsliste sind folgende von der deutschen Landwirtschaft erzeugten Veredlungsprodukte enthalten: erstens von den tierischen Veredlungserzeugnissen nur Eier; zweitens bei Obst, Gemüse und Wein: Wein lediglich zur Herstellung von Brennwein, Nüsse und getrocknete Früchte; drittens: vom Tabakbau: Tabakrippen und Tabaklaugen. Im weiteren Verlauf der Liberalisierung werden zunächst alle diejenigen Erzeugnisse, die den neuen Agrargesetzen unterliegen — Getreide-, Zucker-, Milch- und Fettgesetz; das Viehgesetz liegt dem Bundestag vor- —, nicht betroffen werden, da die Liberalisierung solche Erzeugnisse nicht erfaßt, welche unter Kontrolle staatlicher Organe eingeführt werden.
Damit entfällt von vornherein die Befürchtung, daß von der Liberalisierung diejenigen Agrarprodukte betroffen werden, die etwa drei Viertel der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft ausmachen. Die Bundesregierung hat im übrigen im Augenblick noch nicht entschieden, welche von den sonst verbleibenden Erzeugnissen zur Errechnung der 75%igen Liberalisierung herangezogen werden sollen, falls diese in Kraft treten sollte; sie wird indessen bemüht sein, unter Berücksichtigung der dringendsten Versorgungsbedürfnisse die Liberalisierung so zu gestalten, daß Schädigungen für die landwirtschaftliche Erzeugung möglichst vermieden werden.
Außerdem wird wohl viel zu wenig beachtet, daß Liberalisierung nicht gleichbedeutend ist mit dem Wegfall des Zollschutzes.
Siebente Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß gerade von der Erhaltung der Milchwirtschaft und dieser Spezialkulturen das Leben der bäuerlichen Bevölkerung abhängig ist?
Antwort: Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt, daß aus der Milchwirtschaft und ihren Erzeugnissen über 30 % der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft fließen. Sie weiß ferner, daß die Milchwirtschaft gerade für die kleinen und kleinsten Betriebe das wirtschaftliche Rückgrat darstellt. Sie hat daher bisher alle Maßnahmen getroffen, um die Milchwirtschaft zu fördern, und es in diesem Zusammenhang sehr begrüßt, daß der Deutsche Bundestag am 14. Dezember 1950 das von ihr vorgelegte Milch- und Fettgesetz mit überwältigender Mehrheit angenommen hat. Hierdurch ist die Möglichkeit geschaffen worden, die Milchwirtschaft weiterhin stark zu fördern.
Achte Frage: Ist die Bundesregierung bereit, diesen Gesichtspunkten bei sich selbst und bei den europäischen Beratungen Rechnung zu tragen? Ist die Bundesregiernug insbesondere bereit, durch ihre Vertreter im Europarat und bei den europäischen Einrichtungen dahin zu wirken, daß den landwirtschaftlichen Organisationen die Stellung bei der Vorbereitung der Arbeiten eingeräumt wird, die sie gemäß der Bedeutung des Bauerntums und der Landwirtschaft für den Wiederaufbau Europas verlangen können? Ist endlich die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen, daß dem Verband der Europäischen Landwirtschaft und seinem leitenden Ausschuß das entsprechende Gehör bei der Vorbereitung europäischer Vereinbarungen verschafft wird?'
Antwort: Schon bisher hat mein Ministerium die landwirtschaftlichen Berufsorganisationen bei allen vorbereitenden Arbeiten für die europäische Zusammenarbeit weitestgehend herangezogen. Daß ich dies auch für die weitere Zukunft tun werde, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Die Bundesregierung wird sich weiterhin gern bemühen, bei den Verhandlungen im Europarat dahin zu wirken, daß dem Verband der Europäischen Landwirtschaft und seinem leitenden Ausschuß entsprechendes Gehör bei der Beratung europäischer Vereinbarungen verschafft wird.
Ich glaube, abschließend behaupten zu dürfen, daß die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen bisher den richtigen Mittelweg zwischen der dringend notwendigen Liberalisierung und dem erforderlichen Schutz der heimischen Erzeugung darstellen.