Rede von
Dr.
Fritz
Oellers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle im Namen derjenigen meiner politischen Freunde, die als Abgeordnete des nordwestdeutschen Raums an der Frage der Küstenkohlentarife ein besonderes Interesse haben, den lediglich hinsichtlich des Termins geänderten Antrag, den meine Fraktion bereits in der Drucksache Nr. 72 vom 5. Oktober 1949 gestellt hat, nämlich:
Die Bundesregierung wird ersucht, die im Tarif- und Verkehrsanzeiger der Deutschen Eisenbahnen Nr. 30 vom 21. 9. 1949 unter lfd. Nr. 881 veröffentlichten Änderungen der Küstenkohlentarife 6 B 11 und 6 B 14 mit Wirkung vom 1. Januar 1951 ab wieder rückgängig zu machen.
Es hat meines Erachtens den Anschein, als ob der Herr Bundesverkehrsminister bei seinen Überlegungen, auf Grund deren er die Küstenkohlentarife zur Aufhebung gebracht hat, nicht gewußt hat, daß es sich um eine Einrichtung handelt, die inzwischen 90 Jahre alt ist.
Jedenfalls habe ich mich davon überzeugen können, daß die Kabinettsmitglieder, die diesen Beschlüssen zugestimmt haben, von dieser Tatsache nicht unterrichtet waren.
Es muß aber jedem Einsichtigen klar sein, daß es eine Standortbedingung für eine Industrie ist, wenn eine Frachtvergünstigung bereits 90 Jahre läuft. Ebensosehr wie andere Industrieunternehmen aus dem gleichen Grunde an den Rhein und die Ruhr gehen oder wie sich Industrieunternehmen in der Gegend der Wasserkräfte Bayerns ansiedeln, so war es für die schleswig-holsteinische Industrie eine Grundlage ihrer Kostenkalkulation, sich auf die Küstenkohlentarife berufen zu können. Wenn man die schleswig-holsteinische Industrie nicht in die ernstesten Schwierigkeiten bringen will, ist es meines Erachtens völlig unmöglich, diese Dinge von heute auf morgen zu beseitigen.
Ziffernmäßig ergibt sich folgende Situation. In die 40%ige Tariferhöhung vom 15. 8. 1948 wurden bereits die Küstenkohlentarife eingezogen. Durch diese lineare Erhöhung wurden bereits die Nachteile für das Grenzland Schleswig-Holstein erheblich verschärft. Die Situation ist mit der Aufhebung der Küstenkohlentarife unhaltbar geworden, seitdem mit dem 1. 10. 1950 die bisherige Aussetzung für Schleswig-Holstein aufgehoben worden ist. Ein einziges ziffernmäßiges Beispiel: vor dem 15. 8. 1948 betrug der Frachtsatz ab Gelsenkirchen für eine Station im 100-km-Umkreis 4,30 DM und für Kiel 8,10 DM, nach dem 15. 8. 1948 ist sie für die Station im Umkreis von 100 km von 4,30 auf 6,02 DM gestiegen — das sind 40% —, für die Station Kiel aber von 8,10 DM auf 16,40 DM, das sind 102%.
Die jährliche Mehrbelastung des Landes SchleswigHolstein beläuft sich, wie Herr Kollege Schröter bereits dargelegt hat, auf über 10 Millionen DM. Wenn der Herr Bundesverkehrminister diese Ziffern weiterhin bezweifeln sollte, bin ich in der Lage, ihm das Unterlagenmaterial dafür zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus kann es gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Aufhebung der Küstenkohlentarife zu einer völligen Katastrophe führt, wenn demnächst wieder unter Einbeziehung dieser Aufhebung neue Frachterhöhungen eingeführt werden. Ich möchte die Beispiele, die Herr Schröter hier angeführt hat, insbesondere das der Zementindustrie, nicht weiter erläutern. Ich glaube, es muß jedem
Einsichtigen klar sein, daß eine solche Verschiebung der Konkurrenzlage für die schleswig-holsteinische Industrie zu katastrophalen Folgen führen muß.
Ich bin keineswegs gewillt, hier als Vertreter für irgendeine Industrie eines Landes zu sprechen. Aber schließlich muß man die Dinge im politischen Raum sehen. Solange wir das Armenhaus Schleswig-Holstein haben, das mit allen Kräften einigermaßen in Ordnung zu bringen unser Bemühen sein sollte, so lange ist es doch absurd, Maßnahmen zu treffen, die in ihren Folgen genau das Gegenteil mit sich bringen müssen. Wenn schon die Umsiedlung nicht klappt und gewissen Ländern in dieser Beziehung nicht unberechtigte Vorwürfe zu machen sind, muß man doch zumindest alle Möglichkeiten erschöpfen, um in dem Lande selbst der Bevölkerung zu einer Arbeitsmöglichkeit zu verhelfen. Man darf keine Maßnahmen treffen, die die Industrie dieses Elendslandes einfach konkurrenzunfähig machen. Man darf keine Maßnahmen treffen, die verhindern, daß im Lande Schleswig-Holstein eine neue Industrialisierung, die dringend notwendig ist, vorgenommen wird.
— Ich spreche das zu diesem Hause, weder zu Ihnen noch zu einer anderen Seite. — Was man hier tut, ist praktisch etwas, was man beim besten Willen nicht tun darf. Wir müssen uns nach allen Kräften bemühen, die schleswig-holsteinische Industrie zu stützen und neue Industrieunternehmen nach Schleswig-Holstein zu bringen. Wir dürfen aber keine Maßnahme treffen, die dem Abwanderungsdrang der Industrie aus Schleswig-Holstein, der sich jetzt bereits bemerkbar macht, noch Tür und Tor öffnen. Ich meine, auch diejenigen, die an der Erhöhung dieser Tarife ein Interesse haben, sollten nicht so kurzsichtig sein. Es kommt ja auch einmal wieder die Zeit, wo der Import englischer Kohle nicht mehr so schwierig ist wie heute, und wenn ich Ihnen sage, daß bereits heute die englische Kohle cif Kiel billiger ist als die Ruhrkohle, dann sollte auch das ein Mahnmal sein für diejenigen, die glauben, daß man jetzt den ursprünglichen Grund, warum man diese Küstenkohletarife eingeführt hat, beiseite lassen könne.