Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie der Herr Berichterstatter bereits gesagt hat, berührt die Frage der Küstenkohlentarife ganz besonders das Land Schleswig-Holstein. Wir haben in der letzten Zeit wiederholt gehört, daß Schleswig-Holstein ein völlig lebensunfähiges Land sei. Es lohne sich nicht, dieses Land durch Finanzausgleich und andere Maßnahmen künstlich am Leben zu erhalten. Man hat uns ein besonderes Rezept vorgeschlagen: man solle doch die Masse Schleswig-Holstein zusammen mit Hamburg, Bremen und Niedersachsen in einen Nordweststaat einbringen. In der Zwischenzeit wird die Antwort, die von Hamburg, von Niedersachsen und auch von Bremen gekommen ist, vielleicht die Befürworter eines derartigen Vorschlages eines Besseren belehrt haben, und ich glaube, auch wir in Schleswig-Holstein haben keine Absicht, Mitglieder eines Nordweststaates zu werden.
Aber, meine Damen und Herren, wie steht es denn damit? Ist Schleswig-Holstein wirklich ein lebensunfähiges Land? Ich glaube, es muß einmal
darauf hingewiesen werden, daß wir immer und immer wieder die Erfahrung machen, daß alles, was nördlich der Elbe liegt, im allgemeinen im deutschen Vaterlande nicht bekannt ist. Das war früher so und ist noch heute so. Ist SchleswigHolstein wirklich ein lebensunfähiges Land? Schleswig-Holstein ist eines der wenigen deutschen Länder, das eine historisch gewachsene Einheit ist; Schleswig-Holstein ist eine stärkere geschichtliche Einheit als manches andere deutsche Land. Schleswig-Holstein ist nicht von Haus aus lebensunfähig, sondern Schleswig-Holstein ist lebensunfähig gemacht worden. Die Umstände, unter denen das erfolgt ist, sind allgemein bekannt. Lassen Sie mich nur einige Tatsachen noch einmal aufzählen. Es ist Tatsache, daß gewaltige Massen von Heimatvertriebenen bei Kriegsende nach Schleswig-Holstein hineingepumpt worden sind und daß durch diese Tatsache das Land Schleswig-Holstein vor soziale und finanzielle Probleme gestellt worden ist, die Schleswig-Holstein aus eigener Kraft nicht lösen kann und, meine Damen und Herren, auch nicht verpflichtet ist zu lösen, weil die Aufgabe, für die Heimatvertriebenen zu sorgen, keine spezifisch schleswig-holsteinische, sondern eine gesamtdeutsche Aufgabe ist, wie ja überhaupt das Land Schleswig-Holstein auch in anderer Hinsicht gesamtdeutsche Aufgaben löst. Ich darf nur erinnern an den Nationalitätenkampf, den Schleswig-Holstein oben gegen die kulturelle Offensive des Neudänentums führt; ich darf Sie erinnern an die Arbeiten, die Schleswig-Holstein für die Landerhaltung und für die Landgewinnung an der Westküste seines Landes leistet.
Daraus ergibt sich aber auch, daß SchleswigHolstein Anspruch auf Unterstützung vom Bunde hat. Ich will hier nicht bestreiten, daß der Bund sich bemüht hat, Schleswig-Holstein eine gewisse Unterstützung zuteil werden zu lassen. Aber die Unterstützung, die wir bekommen haben, ist in keinem Falle ausreichend gewesen. Unter keinen Umständen haben wir deswegen aber erwartet, daß man zu Maßnahmen greifen würde, die geradezu eine Schädigung Schleswig-Holsteins darstellen. Das aber ist in dem vorliegenden Falle Tatsache.
Ich will dem Herrn Bundesverkehrsminister Seebohm zugeben, daß er sich zu wiederholten Malen bemüht hat und auch eine Verlängerung durchgesetzt hat. Aber heute weigert er sich, 6 B 11 und 6 B 14 beizubehalten. Er lehnt jeden Vermittlungsvorschlag ab. Dadurch wird der Schaden für Schleswig-Holstein um so größer, weil wir doch bereits durch die Tariferhöhung vom 15. August 1948 eine 40%ige Frachterhöhung erlebt haben. Die Folge ist, daß Schleswig-Holstein noch revierferner liegt, während es doch die Aufgabe einer gesunden Tarifpolitik sein sollte, Schleswig-Holstein an den Wirtschaftskern der westdeutschen Bundesrepublik heranzubringen. Das ist notwendig mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung Schleswig-Holsteins. Es ist unverkennbar, daß in den letzten Jahrzehnten die industrielle Entwicklung Schleswig-Holsteins einen hohen Grad erreicht hat, und diesen hohen Grad verdankt Schleswig-Holsteins Industrie nur den Frachtvorteilen, die sich aus dieser Küstenkohlentarifpolitik ergaben. Dadurch haben wir es erreicht, daß Schleswig-Holsteins Industrie sich so entfalten konnte. Die Küstenkohlentarife sind also Bestandteile der wirtschaftlichen Struktur SchleswigHolsteins.
Durch die Beseitigung dieser Küstenkohlentarife erleidet Schleswig-Holstein jetzt aber ungeheuren
Schaden. Wir befinden uns mit dem Herrn Bundesverkehrsminister nicht auf einer gleichen Basis, wenn er noch im Juni des letzten Jahres den Schaden, den Schleswig-Holstein erlitten hat, mit 8,5 Millionen DM und neuerdings nur mit 3,3 Millionen DM errechnete. Das Wirtschaftsministerium Schleswig-Holsteins hat einen Schaden von 10 Millionen DM festgestellt. Diese Summe wird von allen Industrieunternehmen, vor allem auch von den drei Industrie- und Handelskammern, die wir in Schleswig-Holstein haben, bestätigt. Man hat uns den Rat gegeben, auf die Binnenschiffahrt abzuwandern. Dieser Weg ist unmöglich, weil wir keinen direkten Wasserweg vom Ruhrgebiet nach Schleswig-Holstein haben. Auch die Abwanderung auf die Küstenschiffahrt ist aus dem einfachen Grunde nicht möglich, weil verschiedene verteuernde Umladungen die Folge sein müßten und dadurch die Kohle noch teurer werden würde.
Aber lassen Sie mich nur an einem Beispiel die katastrophalen Folgen der Beseitigung der Küstenkohlentarife nachweisen. Wir haben in Schleswig-Holstein eine vorzügliche Zementindustrie. Man weiß, daß der Kohleanteil an den Gesamtproduktionsunkosten 38 % ausmacht und daß gerade die Zementindustrie im gegenwärtigen Augenblick exportintensiv ist. Ein Drittel der Zementproduktion von Schleswig-Holstein wird ausgeführt. Unter diesen Umständen wird aber die Wettbewerbsfähigkeit unserer Zementindustrie in Schleswig-Holstein beseitigt oder zumindest gefährdet. Ich darf doch den Herrn Staatssekretär Frohne, den ich auf der Ministerbank sehe, daran erinnern, daß man in demselben Augenblick, in dem man Schleswig-Holstein den Genuß der Küstenkohlentarife versagen und nehmen will, den Zementwerken von Nordrhein-Westfalen den Ausnahmetarif 4 S 2 gegeben und damit die Zementwerke von NordrheinWestfalen zu Küstenwerken gemacht hat. Ich will nicht von den Schäden reden, die die Gas- und Elektrizitätswerke und die Bäckereibetriebe erleiden. Die Folge muß sein, daß in Schleswig-Holstein eine Abwanderung der noch vorhandenen Industrien nach frachtgünstigeren Gegenden stattfindet. Auf der anderen Seite wird die Bereitschaft industrieller Werke, nach Schleswig-Holstein zu gehen, geringer werden, und dadurch werden wir niemals das Mißverhältnis, das zwischen Bevölkerungszahl und der Wirtschaftskraft des Landes Schleswig-Holstein besteht, überwinden können.
Meine Damen und Herren! Ich will nur nebenbei die politischen Auswirkungen erwähnen. Wir erleben doch bereits, daß heute die dänische Presse oder die dänisch gesinnte Presse einen Angriff auf die Bundesregierung und auf die Landesregierung macht. Schleswig-Holstein ist sich der Lage der Bundesbahn bewußt. Schleswig-Holstein weiß, daß es vielleicht nicht möglich ist, die Küstenkohlentarife gänzlich beizubehalten. Aber wenn der Herr Bundesverkehrsminister jede Verhandlung über einen Vermittlungsvorschlag abgelehnt hat, so muß ich ihm sagen: so geht es wirklich nicht. Wir halten mit allem Nachdruck an unserer Forderung fest, daß ein Entgegenkommen gegenüber dem Lande Schleswig-Holstein, das mit so vielen Nöten vorbelastet ist, auf mittlerer Linie gezeigt wird.