Ich danke schön.
Meine Damen und Herren! Zur heutigen Tagesordnung weise ich darauf hin, daß auf Wunsch der Interpellanten der Punkt 1 der Tagesordnung
Beratung der Interpellation der Fraktionen der Bayernpartei, des Zentrums und der WAV betreffend Gesetzentwürfe über eine Senkung der Tabak-, Kaffee- und Teesteuer
abgesetzt worden ist.
Von der kommunistischen Fraktion ist mir ein Antrag vorgelegt worden, einen selbständigen Antrag der Fraktion auf die heutige Tagesordnung zu setzen. Es handelt sich um die Frage, ob der Bundestag ein Disziplinarverfahren gegen den verantwortlichen Beamten der in Kiel stationierten Wasserpolizei wegen eines Vorgehens gegen einen im Kieler Hafen liegenden Tanker unter der Fahne von Honduras veranlassen soll. Die Ergänzung der Tagesordnung ist nach § 71 Abs. 3 der Geschäftsordnung nur möglich, wenn nicht widersprochen wird.
— Es ist widersprochen worden und daher nicht möglich, diesen Punkt auf die heutige Tagesordnung zu setzen.
Ich rufe auf die Punkte 2a und 2b der Tagesordnung
2a) Beratung der Interpellation der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP, des Zentrums und der WAV betreffend Gesetz Nr. 35 der Alliierten Hohen Kommission (Nr. 1368 [neu] der Drucksachen);
2b) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend IG-Farbenindustrie .
Vom Ältestenrat, meine Damen und Herren, ist für die Interpellation eine Begründungszeit von 10 Minuten vorgeschlagen worden, ebenfalls 10 Minuten für den Antrag zu 2b). Für die Aussprache ist eine Zeit von 60 Minuten vorgesehen. — Das Haus widerspricht nicht; es ist demgemäß so beschlossen.
Für die Interpellanten spricht Herr Abgeordneter Wagner.
Wagner , Interpellant: Meine Damen und Herren! Die Alliierte Hohe Kommission hat das Gesetz Nr. 35 erlassen, das, veröffentlicht in ihrem Amtsblatt Nr. 31 vom 26. August 1950, die Aufspaltung des Vermögens der IG-Farbenindustrie- AG. zum Gegenstand hat. In Art. 1 Ziffer 2 geht das Gesetz davon aus, daß die „einheitliche Kontrolle und Leitung der diesem Gesetz unterliegenden Vermögensgegenstände eine übermäßige Konzentration wirtschaftlicher Macht darstellt". In Ziffer 4 des Art. 1 wird als Grundsatz für die Aufspaltung verkündet: die Schaffung einer Anzahl wirtschaftlich gesunder und unabhängiger Gesellschaften, und zwar in der Weise, daß die Aufspaltung der Eigentums- und Kontrollrechte gewährleistet ist und der Wettbewerb in der deutschen chemischen Industrie und in verwandten Industrien gefördert wird.
Die Mehrheit der Deutschen ist durchaus der Auffassung, daß die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in den Händen von Kartellen, Trusts und Monopolen verhindert und, wo sie besteht, beseitigt werden muß. Sie weiß aber auch, daß gerade
in der chemischen Industrie Forschung und technischer Fortschritt gehemmt oder sogar lahmgelegt werden, wenn die Betriebe nicht eine gewisse Größe erreichen dürfen und sich durch Verbundwirtschaft helfen können. Sie weiß weiter, daß die sozialen Leistungen aller Art, insbesondere aber die Altersversorgung der Arbeitnehmer von Kleinbetrieben nicht in gleicher Art und in gleichem Maße vorgenommen werden können wie von Großbetrieben. Sie hält auch die Schaffung wirtschaftlich gesunder Unternehmen für richtig.
Es muß angenommen werden, daß sich die Alliierte Hohe Kommission in allen diesen Punkten mit uns in Übereinstimmung befindet. Um so unverständlicher ist es, wenn in Ziffer 3 des Art. 1 des Gesetzes Nr. 35 gesagt wird:
Die Alliierte Hohe Kommission wird die Maßnahmen treffen, die sie für erforderlich erachtet, um die Liquidierung der IG-Farbenindustrie-AG. durchzuführen und sie als juristische Person aufzulösen.
Warum will die Alliierte Hohe Kommission diese Aufspaltung von sich aus einseitig vornehmen? Warum überläßt sie die Regelung dieser Materie nicht den zuständigen deutschen Organen?
Dieses Problem ist sowohl im Wirtschaftlichen als auch im Rechtlichen derart kompliziert, daß man sich nicht gut vorstellen kann, deutsche Sachverständige seien zu seiner Bewältigung weniger geeignet als ausländische, mit den Verhältnissen viel weniger vertraute. Die westlichen Alliierten haben mit diesem Gesetz keinen Beweis für ihr Vertrauen zum deutschen Gesetzgeber erbracht. Mangelndes Vertrauen ist aber keine Grundlage für eine Zusammenarbeit und hat in der Regel als Reaktion mangelndes Vertrauen auf der andern Seite zur Folge.
Das paßt aber in keiner Weise mehr in die Politik hinein, die von den westlichen Alliierten auf anderen Gebieten proklamiert wird. Das Gesetz Nr. 35 bedeutet einen Rückfall in Zeiten, die endgültig überwunden sein müssen, wenn Europa und der gesamte Westen politisch und wirtschaftlich gesunden sollen.
Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, bei der Hohen Alliierten Kommission darauf hinzuwirken, daß die Zerlegung der IG-Farbenindustrie-AG. in wirtschaftlich gesunde, konkurrenzfähige und unabhängige Unternehmen in deutsche Hände gelegt wird; zum mindesten soll, wie es in der Interpellation Drucksache Nr. 1368 unter Ziffer 2 heißt, „ein von der Bundesregierung im Einvernehmen mit Bundestag und Bundesrat berufenes deutsches Gremium beauftragt werden, mit der Alliierten Hohen Kommission die Grundzüge für ein deutsches Gesetz zur Neuordnung des IG-
Farben-Komplexes zu erarbeiten".
Es soll aber in diesem Zeitpunkt schon betont werden, daß nach der Aufspaltung die neugebildeten Unternehmungen keinem ausländischen Sonderrecht mehr unterliegen dürfen und genau so behandelt werden müssen wie alle übrigen deutschen Wirtschaftsunternehmungen.