Rede von
Dr.
Ludwig
Schneider
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat in dankenswerter und sehr ausführlicher Weise die ganze Problematik dieses Problems, das wir heute anzusprechen haben, vor Ihnen aufgezeigt. Er hat auch dargetan, daß in einigen entscheidenden Punkten der Ausschuß, der diese Dinge zu bearbeiten hatte, zu einer einheitlichen Auffassung gekommen ist. Aber wir sind doch in verschiedenen Punkten anderer Auffassung.
Als wir unser Gesetz, das heute mit erledigt werden soll und die Drucksachen-Nr. 482 trägt, hier einbrachten, gingen wir natürlich von der selbstverständlichen Voraussetzung aus, daß der Bund für den Erlaß eines derartigen Gesetzes zuständig sei. Wir haben auch diese Auffassung heute noch nicht geändert, aber ich will dieses Problem, das der Herr Berichterstatter so ausführlich behandelt hat, hier nicht mehr aufreißen, weil uns dazu nicht die Zeit bleibt und weil es sinnlos ist, da durch die Stellungnahme der größten Fraktionen dieses Hauses feststeht, daß eine Mehrheit für unseren Standpunkt hier nicht zu finden ist. Es muß also dabei sein Bewenden haben, daß der Bund erklärt, daß er für den Erlaß eines Entnazifizierungsgesetzes nicht zuständig ist.
Wir begrüßen die Aufstellung dieser Richtlinien, wie sie in der Drucksache Nr. 1440 vom Ausschuß zum Schutz der Verfassung erarbeitet worden sind; aber wir möchten sie in einem entscheidenden Punkt ergänzt wissen, nämlich in dem Punkt, daß wir der Meinung sind, daß man endlich mit dieser unglückseligen Entnazifizierung, die noch dazu in Deutschland nach ganz verschiedenen Gesichtspunkten und Graden behandelt wurde, Schluß machen soll, und zwar endgültig und radikal, auch für die Gruppen I und II;
denn die Gruppen I und II sind ja gar nicht mehr in diesem Umfange vorhanden, jedenfalls nicht in der Zone, deren Recht ich besonders gut kenne, in der amerikanischen Zone. Alles, was in den Gruppen I und II überhaupt noch verdächtigt war, ist ja längst entnazifiziert. Wenn hier und da noch vielleicht ein Fall ausstehen sollte, lohnt es gar nicht, noch ganze Spruchkammerorganisationen mit ungeheuren Kosten aufrechtzuerhalten. Es lohnt auch um deswillen nicht, weil Ihnen in der Ziffer 2 des Antrages
des Ausschusses vorgeschlagen wird, daß strafrechtliche Handlungen ohne weiteres weiter verfolgt werden können. Diese Auffassung haben wir auch. Meistens — das lehren mich meine Erfahrungen aus der Praxis - sind bei Leuten, die nach den Entnazifizierungsbestimmungen normalerweise in die Gruppen I und II zu kategorisieren wären, strafrechtliche Tatbestände gegeben, die nach -dem Strafgesetzbuch zu erfassen sind. Diese Leute können, wenn wir sie jetzt nicht mehr weiter entnazifizieren wollen, strafrechtlich erfaßt und ihrer Sühne zugeführt werd en.
Eine andere Überlegung zwingt auch dazu; denn wenn Sie die Ziffer 1 des Ausschußvorschlages so annehmen, dann ergibt sich daraus der merkwürdige Zustand, daß es jetzt in der britischen Zone mit der Entnazifizierung der Gruppen I und II erst losgeht. Die Rechtsprechung lag für diese Kategorien in der britischen Zone nämlich nicht in deutscher Hand. Sie haben vom Herrn Berichterstatter gehört, daß man noch nicht einmal weiß, wieviel Leute dort durch die Besatzungsmacht in die Gruppen I und II eingestuft worden sind. Man weiß auch nicht, welche Sühnemaßnahmen verhängt worden sind. Wenn man jetzt die Gesetzgebung in die deutsche Hand gibt, dann besteht die Gefahr, daß in der britischen Zone erneut und heftig entnazifiziert wird.
Jedenfalls wirft sich eine Reihe von Rechtsproblemen auf, die auch im Ausschuß behandelt worden sind. Ich kenne das Recht der britischen Zone zu wenig, um hier materiell Stellung nehmen zu können. Es taucht die Frage auf, ob für die zukünftige Entnazifizierung in materieller Beziehung Besatzungsrecht gilt und nur eine deutsche Verfahrensordnung zu schaffen wäre oder umgekehrt. Ich will dieses Problem nicht vertiefen. Jedenfalls würde das unter Umständen dazu führen, daß in der britischen Zone erneut in ungeheurem Umfange entnazifiziert wird. Darin sind sich wohl alle einig, daß das, unter politischen Aspekten gesehen, ein Unglück wäre. Das ist auch die Auffassung der Mehrheit des Ausschusses zum Schutze der Verfassung; sonst wäre er nicht zu der Formulierung dieser Richtlinien gekommen.
Da meine Redezeit nur noch kurz ist, spreche ich nur noch weniges zu den einzelnen Änderungsanträgen. Wir beantragen:
Ziffer 1 erhält folgende Fassung: Entnazifizierungsverfahren sind nach dem 1. Januar 1951 nicht mehr zulässig. Anhängige Verfahren sind einzustellen.
Das bedeutet das, was ich vorhin im einzelnen ausgeführt habe.
In logischer Ergänzung dazu beantragen wir zu Ziffer 3, in Satz 1 das Wort „danach" zu streichen. Wir beantragen weiter zu Ziffer 4, an Stelle der Worte „vom 1. Juli 1951" die Worte zu setzen: „vom 1. Januar 1951". Das ist klar und logisch. Denn wenn wir schon der Auffassung sind, daß man die Entnazifizierung endgültig am 1. 1. 1951 beenden sollte, dann muß auch die Ziffer 4 in dieser Weise geändert werden.
Zu Ziffer 5 Satz 2 schlagen wir folgende Fassung vor:
Ausgenommen sind Beschränkungen für die Gruppen I und II, die sich auf die Ausübung des Berufs eines Lehrers, Predigers, Redakteurs, Rundfunkkommentators oder auf die Bekleidung des Amtes in der Polizei, im auswärtigen Dienst oder eines Amtes der höheren Beamtenlaufbahn beziehen.
Der Ausschuß hatte hier formuliert:
Beruf eines Lehrers, Predigers, Redakteurs, Rundfunkkommentators oder auf die Bekleidung eines höheren Amtes oder einer führenden Stellung des öffentlichen Lebens beziehen.
Diese Formulierungen des Ausschusses sind mir zu ungenau, zu unbestimmt und jeder willkürlichen Auslegung fähig. Deshalb schlägt meine Fraktion Ihnen das vor, was ich vorgelesen habe. Wir nehmen die besonderen Berufe, die schon im Entnazifizierungsgesetz der amerikanischen Zone besonders behandelt worden sind, so, wie das der Ausschuß vorgechlagen hat, hinein und sagen dann ganz konkret:
. . . ein Amt in der Polizei, im auswärtigen Dienst oder ein Amt der höheren Beamtenlaufbahn.
Ich glaube, wir haben die Beschränkungen in der Berufsausübung so weit gezogen, wie das nur möglich und auch nach unserer Auffassung noch nötig ist.
Zu Ziffer 7 beantragen wir, die Worte „vom 1. Juli 1951" durch die Worte zu ersetzen: „vom 1. Januar 1951".
In Ziffer 8 sind die Worte zu streichen — das ist die logische Folge unseres Änderungsantrages zu Ziffer 1 —: „von Personen der Gruppen III bis V".
In Ziffer 9 sind hinter dem Worte „Amnestie" die Worte einzufügen: „oder Begnadigung". Wir halten das für notwendig, weil wir den Ländern empfehlen wollen, von dem individuellen Begnadigungsrecht, das den jeweiligen Ministerpräsidenten zusteht, weitgehend Gebrauch zu machen.
Schließlich schlagen wir eine neue Ziffer 10 vor:
10. Bei Einstellungen sind Nachfragen über die Entnazifizierung nur soweit zulässig, als sie auf die Feststellung der Einstufung in die Gruppen I und II gerichtet sind.
Wir halten das für unbedingt erforderlich. Wenn man schon dem Entnazifizierungsverfahren überhaupt einen Wert beimißt, dergestalt, daß durch den Spruch, der in dem Entnazifizierungsverfahren ergangen ist, ein endgültiger Zustand geschaffen wird und jemand durch einen solchen Spruch oder, wenn Sie wollen, durch ein rechtskräftiges Erkenntnis in eine der Gruppen III — das war ja nur die Übergangsgruppe —, IV oder V eingereiht wurde, wir aber heute die Gleichheit dieser Gruppen nach einhelliger Auffassung des Ausschusses garantieren, dann hat es wirklich keinen Sinn mehr, mit der fortgesetzten Schnüffelei — denn etwas anderes ist es nicht — fortzufahren, so daß man bei Einstellung von Beamten dieser Gruppen wieder das Pferd am Schwanze aufzuzäumen versucht. Deshalb halten wir das nicht für tragbar und schlagen Ihnen folgende Fassung vor.