Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet
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Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Lukaschek.
Dr. Lukaschek, Bundesminister für Vertriebene. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem ersten Weltkrieg gibt es in Europa ein Problem der Flüchtlinge. Damals wurden Angehörige verschiedener Nationen erstmals in größerem Ausmaß entwurzelt. Die Länder, die diesen Flüchtlingen Aufnahme gewährten, versuchten Lösungen, um diesen Menschen Rechtsschutz und Betreuung zu sichern. Zu Beginn der dreißiger Jahre, als die politische Entwicklung eine neue Welle von Flüchtlingen hervorrief, sahen sich zahlreiche Regierungen veranlaßt, eine einheitliche Sicherung der Belange der Flüchtlinge herbeizuführen. Internationale Abkommen von 1933 und 1938 regelten für viele Länder erstmals den rechtlichen Status dieser Personen.
Der zweite Weltkrieg führte zu einem neuen Anschwellen der Flüchtlingszahlen. Sein Ende brachte es mit sich, daß auch in Deutschland Millionen von Ausländern lebten, die zum größten Teil während des Krieges zur Arbeitsleistung nach Deutschland verbracht waren. Die Betreuung dieser verschleppten Personen und Flüchtlinge, wie sie in der Gesetzessprache genannt wurden, übernahmen internationale Organisationen, zuerst die UNRRA, später die IRO. In rechtlicher Beziehung wurde dieser Personenkreis bei uns nach dem Besatzungsstatut der Jurisdiktion der Besatzungsmächte unterstellt. Namentlich die dankenswerte Tätigkeit der IRO erreichte es, durch Rückführung in die Heimat und Auswanderungen die Zahl der in der Bundesrepublik verbleibenden ausländischen Flüchtlinge auf gegenwärtig etwa 285 000 zu verringern.
Mit Wirkung vom 1. Juli 1950 ist nun der Bundesrepublik die Sorge für diejenigen heimatlosen Ausländer übertragen worden, die für eine Auswanderung oder Rückführung nicht mehr in Frage kommen. Nur die Betreuung der in Umsiedlung befindlichen Personen ist noch bei der IRO verblieben. Rund 60 000 Personen sind auf .fieser Grundlage bereits in die deutsche Betreuung überführt. Als obere Grenze kann meines Erachtens mit einer Übernahme von insgesamt 80- bis l00 000 Personen gerechnet werden. Die Übernahme in die deutsche Betreuung rechtfertigt es, diesen Personenkreis nunmehr auch in die deutsche Jurisdiktion zu übernehmen.
In einem Memorandum vom 9. Februar 1950 hat die Alliierte Hohe Kommission die Bundesregierung ersucht, Gesetze zu erlassen, um den diesen Flüchtlingen innerhalb des Bundesgebietes zu gewährenden rechtlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Status zu definieren. Eine solche Regelung der Rechtsstellung ist notwendig. Den internationalen Abkommen von 1933 und 1938, durch die andere Nationen die internationale Rechtsstellung der Flüchlinge geordnet hatten, ist Deutschland nicht beigetreten. Eine neue Konvention, deren Grundzüge durch einen Ausschuß des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen im Frühjahr 1950 festgelegt und die im Sommer 1950 unter Weglassung gewisser diskriminierender Bestimmungen revidiert wurde, wird frühestens in Jahresfrist ratifiziert werden und in Kraft treten können. Der Beitritt der Bundesregierung zu dieser Konvention ist vorgesehen und durch eine Erklärung der Bundesregierung vom 31. Juli 1950 in Aussicht gestellt worden.
Das Ihnen nunmehr vorgelegte Gesetz soll die Rechtsstellung der heimatlosen Ausländer, wie wir diesen Personenkreis nennen wollen, vorläufig regeln, bis die internationale Konvention das Problem einheitlich und umfassend regeln wird. Wir sind bei dem Gesetzentwurf von dem Grundgedanken des Konventionsentwurfs des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen ausgegangen. Wir haben uns bei den Formulierungen von der besonderen Not leiten lassen, in der sich Heimatlose befinden, die kein Land haben, das sich ihrer annimmt, aber auch von der erhöhten Verantwortung, die das deutsche Volk gerade bei diesem Problem nun einmal zu tragen hat.
Das Gesetz soll die Voraussetzungen für die Eingliederung der in der Bundesrepublik verbleibenden heimatlosen Ausländer in die deutsche Gemeinschaft schaffen. Die Gesetzesregelung wird den. heimatlosen Ausländer vor Ausweisung schützen und insbesondere die Abschiebung in ein Land, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht ist, ausdrücklich verbieten. Die in die Obhut der Bundesregierung übergegangenen heimatlosen Ausländer werden an den Grundrechten nach Maßgabe der Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes teilnehmen. Darüber hinaus soll das Gesetz diesen Ausländern alle die bürgerlichen und öffentlichen Rechte gewähren, die zum Aufbau einer eigenen Existenz notwendig sind. Im Berufsleben
sollen sie im allgemeinen die gleichen Rechte genießen wie die deutsche Bevölkerung. In der Sozialversorgung ist die Gleichstellung mit den deutschen Staatsangehörigen vorgesehen. Auch in der öffentlichen Fürsorge sollen sie Leistungen in gleicher Höhe erhalten wie deutsche Staatsangehörige. Es soll ihnen Zutritt zu Schulen aller Art zu den gleichen Bedingungen wie Deutschen gewährt werden. Eine besondere Bestimmung sieht vor, daß die Bundesrepublik ihnen einen Rechtsschutz gewährt, dessen sie bedürfen, weil sie nicht mehr den Schutz ihres Heimatstaates genießen, auch wenn sie formell dessen Staatsangehörige sind. Der Gesetzentwurf geht damit in einigen Punkten bereits über den Konventionsentwurf, dessen Grundsätze Mindestforderungen für die Behandlung heimatloser Ausländer darstellen, hinaus und schließt sich damit den Nationen an, die einer Lösung dieses Problems in einer besonders freiheitlichen und humanitären Weise zustreben.
Noch ist es nicht möglich, alle Regelungen in deutscher Zuständigkeit zu treffen. Auf dem Gebiete des zivilen Rechts und des strafrechtlichen Schutzes der heimatlosen Ausländer sowie auch hinsichtlich des Ausweisungsrechtes gelten zur Zeit noch besatzungsrechtliche Vorschriften. Die Bundesregierung erwartet aber, daß gerade das vorgelegte Gesetz und der Geist dieses Gesetzes den Besatzungsmächten den Entschluß erleichtern werden, der Bundesrepublik die volle Verantwortung für die heimatlosen Ausländer zu übertragen. Wenn durch die Annahme des Ihnen vorgelegten Gesetzes das deutsche Volk seine Bereitschaft bekundet, die Eingliederung der heimatlosen Ausländer in die deutsche Betreuung in jeder nur möglichen Weise zu erleichtern, so gehen wir dabei von der Erwartung aus, daß auch die heimatlosen Ausländer bemüht sein werden, sich in die nun einmal gegebene Lage einzufügen. Sie werden sich dabei bewußt sein müssen, daß auch die Lane der deutschen Bevölkerung schwierig ist und daß viele Zehntausende insbesondere ven Heimatvertriebenen noch immer arbeitslos sind und über keinen angemessenen Wohnraum verfügen. Es wird nicht zu vermeiden sein, daß auch der heimatlose Ausländer viele der Härten dieser Nachkriegszeit mit den Deutschen im Gebiete der Bundesrepublik wird teilen müssen. Die Bundesrepublik ist aber überzeugt, daß ein gutes Zusammenstehen von Deutschen und Ausländern am ehesten zu einer Überbrückung dieser gemeinsamen Nöte führen wird.
Dieses Gesetz ist also nicht nur eine Verpflichtung für uns, sondern — so hoffen wir zuversichtlich — auch richtungweisend. Es bedeutet den ersten formalen Schritt in die Völkergemeinschaft. Es ist ein Dokument der Bereitschaft zu einer völkerverbundenen Humanität mit dem Ziel, die Freiheit und die materielle Existenz aller derjenigen zu sichern, die eines der wertvollsten irdischen Güter hergeben mußten, nämlich ihre Heimat.