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ID0109105200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 91. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Oktober 1950 3365 91. Sitzung Bonn, Freitag, den 13. Oktober 1950. Geschäftliche Mitteilungen . 3366D, 3375A, 3405C Zustimmung des Deutschen Bundesrats zum Ersten Gesetz zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Erstes Überleitungsgesetz) . . . 3367A Gesetz zur Verlängerung des Notgesetzes für die deutsche Hochseefischerei . . 3367A Gesetz über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofs 3367A Gesetz zur Änderung des Konsulargesetzes 3367A Gesetz über Personalausweise 3367A Beschlußfassung des Deutschen Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes über eine vorläufige Finanzhilfe für das Land Schleswig-Holstein im Rechnungsjahr 1950 3367B Anfrage Nr. 115 der Fraktion der BP betr Verteilung der für den Wiederaufbau kriegszerstörter landwirtschaftlicher Anwesen zur Verfügung gestellten Kredite auf die deutschen Länder (Nr. 1321 und 1451 der Drucksachen) 3367B Anfrage Nr. 119 der Fraktion des Zentrums betr. Münzprägung (Nrn. 1383 und 1454 der Drucksachen) 3367B Überweisung der Anträge der Fraktionen der SPD bzw. der WAV betr. Verordnung PR Nr. 51/50 über Änderung des Einheitstarifs für Kraftfahrtversicherungen an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik (Nrn. 1365 und 1369 der Drucksachen) 3367B Schreiben des Bundeskanzlers vom 12. Oktober 1950 betr. Ernennung des Bundestagsabgeordneten Dr. Dr. Lehr zum Bundesminister des Innern 3367C Vereidigung des Bundesministers des Innern Dr. Dr. Lehr 3367C Erklärung der Fraktion der DP außerhalb der Tagesordnung betr. Flugblatt gegen den Wahlbetrug in der Ostzone 3368A Dr. Mühlenfeld (DP) 3368A Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betr. Aufwendungen für Kunstwerke (Nr. 1325 der Drucksachen) . . . . 3368B Dr. Koch (SPD), Interpellant . . . . 3368B Hartmann, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen . 3369C Dr. Bertram (Z) 3370C Erste und zweite Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP, WAV und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Freistellung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages von Haftpflichtansprüchen (Nr. 1417 der Drucksachen) . 3371A Dr. Oellers (FDP), Antrag- steller 3371A, 3372A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 3371C Erler (SPD) 3372D Ewers (DP) 3373A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Vorläufige Haushaltsführung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950 vom 23. Juni 1950 (BGBl. S. 219) (Nr. 1401 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses (10. Ausschuß) (Nr. 1448 der Drucksachen) 3373B Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP), Berichterstatter 3373B Schoettle (SPD) 3374D, 3376D Dr. Leuchtgens (DRP) . . 3375B, 3378B Bausch (CDU) 3376A, 3378D Paul (Düsseldorf) (KPD) 3378A Austritt der Abgeordneten Fröhlich, Ott, Tichi und Weickert aus der Fraktion der WAV und Bildung einer parlamentarischen Gruppe „Deutscher Gemeinschaftsblock der Heimatvertriebenen und Ent rechteten" 3375A Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung (Nrn. 1424, 1354, 444, 248 der Drucksachen) 3379B Richter (Frankfurt) (SPD) . 3379C, 3383C Kohl (Stuttgart) (KPD) 3380B Storch, Bundesminister für Arbeit 3381C Degener (CDU) 3382B Frau Korspeter (SPD) 3383A Dr. Hammer (FDP) 3383A Frau Kalinke (DP) . . . . 3383C, 3384D Schoettle (SPD) 3384D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Tabaksteuervergünstigungen für gewerbliche Tabakpflanzer im Erntejahr 1950 (Nr. 1288 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11.Ausschuß) (Nr. 1395 der Drucksachen) 3385A Dr. Kneipp (FDP), Berichterstatter . 3385B Herbig (SPD) 3386A Zweite Beratung des von den Abg. Strauß, Kemmer u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (Nr. 180 der Drucksachen) 3387B Zur Geschäftsordnung: Brandt (SPD) 3387C Strauß (CSU) 3388A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Genossenschaftskasse (Nr. 1281 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) (Nr. 1423 der Drucksachen) . 3388B Schill (CDU), Berichterstatter . . . 3388B Günther (CDU) 3389D Dr. Dr. Müller (Bonn) (CDU) . . . . 3390A Mensing (CDU) 3390C Dr. Horlacher (CSU) 3390D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Preisgesetzes (Nr. 972 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) (Nr. 1422 der Drucksachen) 3391A, 3396A Dr. Preusker (FDP), Berichterstatter 3391B Zur Geschäftsordnung: Etzel (Duisburg) 3394B, D Dr. Wellhausen (FDF) . . . 3394C, 3395A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der BP betr. Hilfsmaßnahmen für unwettergeschädigte Gebiete (Nrn. 1399, 1149 der Drucksachen) . . . 3395A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Ermächtigung des Bundestages zur Strafverfolgung wegen Verächtlichmachung des Bundestages (Nr. 1405 der Drucksachen) 3395B Dr. Horlacher (CSU), Berichterstatter 3395B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Eingaben gegen die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Reimann (Nr. 1406 der Drucksachen) 3396A Ritzel (SPD), Berichterstatter . . 3396A Paul (Düsseldorf) (KPD) 3398A Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (10. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion des Zentrums betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über Schwerbeschädigten-Betriebe (Nrn. 1449, 571 der Drucksachen) 3399A Arndgen (CDU), Berichterstatter . 3399A Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Anpassung von Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Arbeitslosenfürsorge, der Körperbeschädigten- und Hinterbliebenenversorgung, der Soforthilfe und der öffentlichen Fürsorge (Nr. 1271 der Drucksachen) 3399C Fischer (SPD), Antragsteller 3399C, 3404D Müller (Offenbach) (KPD) . . . . . 3402C Storch, Bundesminister für Arbeit 3403C Horn (CDU) 3404B Beratung es Interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Nr. 1411 der Drucksachen) . 3405A Nächste Sitzung . . . . 3405C Die Sitzung wird um 9.19 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Rede von Willi Richter


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag verabschiedet heute das erste Gesetz zu einer sozialen Neuordnung; es ist das Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Die sozialdemokratische Fraktion des Bundestags hat sowohl im Ausschuß für Sozialpolitik wie auch in der zweiten Lesung zu einigen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung Abänderungsanträge eingebracht, die leider keine Mehrheit bei den Damen und Herren dieses Hauses gefunden haben. Darunter war auch unser Antrag auf Abänderung des § 14. Wir wollen mit diesem Vorschlag erreichen, daß eine weitere Zersplitterung der Krankenversicherung unterbunden wird. Wir haben grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn die in der Reichsversicherungsordnung vorgesehenen Kassenarten weiter ihre Aufgaben durchführen. Neue Krankenkassen sollten jedoch nur errichtet werden, wenn die Mehrheit der Versicherungspflichtigen und der Arbeitgeber innerhalb eines Versicherungsamtsbezirks damit einverstanden ist. Auch in dieser Frage kann weder Betriebsegoismus noch Gruppenegoismus dem Ganzen dienen. Der Grundsatz der gegenseitigen Hilfe muß nach wie vor oberstes Gesetz in der gesamten Sozialversicherung sein.
    Der wesentlichste Antrag ist jedoch der über die Zusammensetzung des Vorstandes und der Vertreterversammlung bei den Trägern der Krankenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten. Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, diese Organe zu zwei Dritteln aus Vertretern der Versicherten und zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitgeber zusammenzusetzen, ist daher ein Kompromißvorschlag nach echten demokratischen Grundsätzen. Sie wollen die paritätische Besetzung. Sie sprachen von einer Schicksalsgemeinschaft der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Diese Schicksalsgemeinschaft ist uns allen bekannt. Betrachten wir nur die Löhne und Gehälter der Arbeiter und Angestellten und andererseits die hohen Gewinne und Investitionen der Arbeitgeber. Glauben Sie wirklich, mit derartigen Argumenten wie der Schicksalsgemeinschaft und ähnlichen die Versicherten von der Notwendigkeit einer paritätischen Besetzung überzeugen zu können? Fünfzig Jahre bestand in der Krankenversicherung die Besetzung der Organe aus zwei Dritteln Vertretern der Versicherten und einem Drittel Vertretern der Arbeitgeber. Der Nazismus hat dies erstmals beseitigt, und Sie verweigern nun die Wiedergutmachung auf diesem Gebiet.
    Es gibt allerdings Ihnen nahestehende Personen, die zum Ausdruck bringen, daß andere Gründe für die Ablehnung unseres Antrags maßgebend sein sollen. Man hört, daß man durch die Vorstände mit den Stimmen der Arbeitgeber andere Geschäftsführer wählen will, um die Personalpolitik in den Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten ebenfalls zu beherrschen. Herr Staatssekretär Grieser hat dies im sozialpolitischen


    (Richter [Frankfurt])

    Ausschuß kritisch mit den Worten „Köpfen der Geschäftsführer" bezeichnet. Ich vermag dies nicht zu glauben; denn das würde doch bedeuten, daß man wegen der Besetzung einiger weiterer Geschäftsführerposten mit Ihren politischen Freunden die wohlerworbenen Rechte der Arbeiter und Angestellten in der Selbstverwaltung für ein Linsengericht preisgeben würde. Aber ganz gleich, welche Gründe für ihre Haltung maßgebend waren, bringen Sie doch, ob Sie wollen oder nicht, zum Ausdruck, daß Sie die Arbeiter und Angestellten nicht für ausreichend verantwortungsbewußt und fähig halten, maßgeblich die Geschicke der Krankenkassen- und der Rentenversicherungsträger zu gestalten. Die Arbeiter und Angestellten haben in der Zeit nach 1945 durch ihr tatkräftiges Eintreten für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands den Beweis erbracht, daß für sie die Interessen des gesamten Volkes maßgebend sind.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Dieses Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung muß der Grundstein zu einer sozialen Neuordnung sein. Gestalten wir es deshalb so, daß auch der letzte Arbeiter und Angestellte von der Bedeutung der sozialen Neuordnung durchdrungen ist. Soziale Sicherheit und sozialer Wohlstand sind, wie mein Parteifreund Dr. Schumacher erst kürzlich sagte, die Grundlage WI- das Gefühl, in seinem Land etwas zu verteidigen zu haben. Auch der größte Idealismus ist nicht losgelöst von dem sozialen Wohlergehen der Menschen, die ja schließlich arbeiten, um ein menschenwürdiges Dasein führen zu können.
    Wir haben uns erlaubt, meine Damen und Herren, diese beiden Abänderungsanträge zu § 2 und § 14 der Vorlage in dritter Lesung nochmals dem Hohen Haus zu unterbreiten. Wir hoffen und wünschen, daß Sie diesen Anträgen Ihre Zustimmung geben.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl.

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    Rede von Rudolf Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Bei der dritten Beratung der Drucksache Nr. 1354 möchte ich den Standpunkt meiner Fraktion zu diesem gesamten Fragenkomplex noch einmal kurz darlegen. Wir betonen ausdrücklich, daß wir selbstverständlich an einer Änderung des bisherigen Zustandes in der Sozialversicherung deswegen interessiert sind, weil wir bei seiner Fortdauer schwere Auswirkungen zum Schaden der Versicherten an sich befürchten. Wir haben allerdings erwartet, daß der Herr Bundesarbeitsminister als Exponent der früheren christlichen Gewerkschaftsbewegung dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegt, den man wenigstens in seinen entscheidenden Teilen als fortschrittlich hätte ansprechen können. Bezeichnend war, daß in den Einzelberatungen zur zweiten Lesung die Regierungsmehrheit dieses Hauses darauf verzichtete, in der Öffentlichkeit ihren Standpunkt zu den umstrittenen Problemen darzulegen, und auf Grund ihrer parlamentarischen Mehrheit einem Gesetz zustimmte, das nach unserer Überzeugung sich in der Sozialversicherung nicht zum Guten auswirken wird. Man hat ängstlich vermieden, im Zusammenhang mit diesem Gesetz die gesamte Problematik der mit zur Diskussion stehenden Fragen
    zu erörtern, und auch weiterhin vermieden, zu den strittigen Fragen im Plenum eindeutg Stellung zu nehmen.
    Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist eine Angelegenheit, der die Gewerkschaften seit ihrem Bestehen die stärkste Aufmerksamkeit gewidmet haben, weil sie in erster Linie an einer fortschrittlichen Sozialversicherung interessiert waren. Bereits auf dem 13. Gewerkschaftskongreß in Hamburg im Jahre 1928 — ich betone das deshalb, weil die Frage der Reform der Sozialversicherung und ihrer Fortentwicklung nicht neu ist — wurde in einer Entschließung verlangt, daß mit der verhängnisvollen Zersplitterung und der damit verbundenen Verschwendung an Zeit und Mitteln in der Sozialversicherung ein Ende zu machen sei. Zur Frage der Selbstverwaltung forderte der Kongreß Befreiung von der Vormundschaft und der behördlichen Bürokratie und erklärte, die Versicherten hätten ein Anrecht auf Selbstverwaltung. Ich stelle diesen Satz deshalb heraus, weil gerade in diesem Hause es Mitglieder der Gewerkschaft waren, die im Auftrage der Regierungskoalition die Erklärung abgaben, daß in der Frage der Selbstverwaltung die paritätische Besetzung mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern die einzig fortschrittliche Form einer modernen Sozialpolitik, einer modernen Selbstverwaltung darstelle.
    Man braucht wirklich nicht als Vertreter der freien Gewerkschaftsbewegung zu diesen Fragen zu sprechen, sondern man soll einen Mann zitieren, der Ihnen nahesteht, nämlich den stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Matthias Föcher, der erst in der letzten Zeit sehr eindeutig zur Frage der Selbstverwaltung Stellung genommen hat und in sehr drastischen. Formulierungen zur Ablehnung des Standpunkts dieser Regierungsmehrheit gekommen ist.
    Bei der Herstellung der inneren Ordnung in der Sozialversicherung geht es Ihnen darum, in den Organen das Übergewicht der Versicherten einzuschränken. Die in diesem Gesetz vorhandene Begrenzung dieses Einflusses durch die Parität ist in keiner Form zu rechtfertigen. Man soll sich darüber im klaren sein, daß die Versicherten hierin ein Mißtrauen in ihre Fähigkeiten erblicken, daß sie glauben, man spreche ihnen genau wie in der Frage des Mitbestimmungsrechts die Fähigkeiten zur Durchführung einer ordnungsmäßigen Verwaltung und Handhabung ab. Seit dem Bestehen der Krankenversicherung war die Zusammensetzung zwei Drittel Arbeitnehmer und ein Drittel Arbeitgeber. Kein Sozialpolitiker, der in all den vergangenen Jahrzehnten auf diesem Sektor tätig war, wird sagen können, daß es irgendwie zu Reibungen in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung gekommen ist.
    Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes in der dritten Lesung in der vorgelegten Form benachteiligen Sie Millionen schaffender Menschen, und der Vorwurf kann Ihnen nicht erspart werden, daß Sie Ihre parteipolitischen, taktischen Überlegungen bei der Verabschiedung dieses Gesetzes in den Vordergrund gestellt haben. Zum Beweis dafür sei noch darauf hingewiesen, daß bereits am 3. Dezember 1947 in Rheinland-Pfalz die Selbstverwaltung in der vor 1933 bestehenden Form wieder eingeführt wurde, nämlich zwei Drittel Arbeitnehmer und ein Drittel Arbeitgeber — —

    (Abg. Dr. Wuermeling: Nur in der Krankenversicherung!)



    (Kohl [Stuttgart])

    — Schön, nur in der Krankenversicherung; aber Sie werden zugeben müssen, daß auch dort Differenzen in der Verwaltung in keiner Form eingetreten sind.
    In meinen Ausführungen zur zweiten Beratung des vorliegenden Gesetzes habe ich darauf hingewiesen, daß vom Herrn Bundesarbeitsminister Storch die Erwägung bisher unwidersprochen geblieben ist, die Leistungen der Krankenkassen erheblich zu vermindern. Die Beiträge für die Pflichtkassen sollen auf 7 % des Grundlohnes erhöht werden. Die Patienten sollen in Zukunft an den Kosten des zweiten bis zehnten Arztbesuches mit einem Viertel beteiligt werden; die Arzneikosten soll der Patient bis zur Hälfte tragen, und man strebt weiter eine Verlängerung der dreitägigen Karenzzeit bis zum Bezuge des Krankengeldes an. Das bedeutet, eine weitere zusätzliche Last auf die Schultern der Versicherten zu legen.
    In denselben Rahmen fällt die Frage der Selbstbeteiligung der Versicherten, die auf dem 53. Deutschen Ärztetag, der vor einigen Wochen in Bonn stattfand, als Allheilmittel zur Sanierung der sozialen Krankenversicherung angepriesen worden ist. Man muß dabei feststellen, daß gerade bei den Ortskrankenkassen mehr als 60 % der Versicherten im Einkommen weit unter dem Existenzminimum liegen und die Jahresdurchschnittslohnsumme der Ortskrankenkassen als Beweis dafür herangezogen werden kann. Die Selbstbeteiligung in der hier aufgezeigten Form wäre ein Rückschritt in der sozialen Krankenversicherung, der sich zwangsläufig auch auf die Volksgesundheit auswirken würde. Hier scheint mir der Angelpunkt zu liegen, mit dem in Zusammenhang mit der Selbstverwaltung in der sozialen Krankenversicherung die Formen einer Sozialpolitik entwickelt werden müssen, die man als wirklich fortschrittlich ansprechen kann. Dabei setzen wir ganz bewußt ein, daß die Wirksamkeit der Selbstverwaltung in stärkstem Maße von Persönlichkeiten abhängig ist, die selbst innerlich von dem Wert der Selbstverwaltung überzeugt sind und die den Willen zum Eigenleben und zur Eigenverantwortung mitbringen müssen.
    Der Bundestag wird der Reform der Sozialversicherung nicht ausweichen können. Mit Ihrer Zustimmung zum § 14 dieses Gesetzes legalisieren Sie einen Zustand, der schon seit Jahren einer dringenden Änderung bedarf. Ich weiß, daß die Mehrheit dieses Hohen Hauses gegen einen einheitlichen Versicherungsträger sich wendet; aber wir fühlen uns verpflichtet, die Gefahren aufzuzeigen, die mit der Annahme dieses Gesetzes erneut scharf in den Vordergrund gestellt worden sind und die nicht zu einer Einheitlichkeit, sondern zu einer weiteren Zersplitterung in der gesamten Krankenversicherung führen werden. Diese Vielheit ist noch nicht einmal in normalen Zeiten angenehm, aber gerade in der Jetztzeit bedeutet sie eine ungeheure Gefahr.
    Setzen wir nun ein - die Zahlen der Krankenkassen liegen vor —, daß der monatliche Durchschnittsverdienst eines Landarbeiters, der bei der Landkrankenkasse versichert ist, 80 DM beträgt und aavon der Versicherungsträger 6 %, also monatlich 4,80 DM, erhält und die Landkrankenkasse dem Versicherten und seinen Familienangehörigen Arztbehandlungen, Arzneimittel, Krankenhausbehandlungen und dem Versicherten selbst noch Krankengeld gewähren muß, so zeigt dieses einfache Beispiel die verheerenden Folgen der
    Zersplitterung in der Krankenversicherung, die e noch durch die Annahme dieses Gesetzes verstärkt werden.
    Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Ortskrankenkassen, wo der durchschnittliche Monatsverdienst der Versicherten zwischen 100 und 120 DM beträgt und die Beitragseinnahmen der Kassen zwischen 6 und 7 DM pro Versicherten liegen. Niemand wird leugnen wollen, daß jede Art Krankenkasse, die auf dieser finanziellen Basis fundiert, keine ausreichende Grundlage hat, ihren Verpflichtungen gerecht zu werden.
    Eine zweckentsprechende Ordnung ist das einzig richtige, um einen sicheren Risikoausgleich schaffen zu können. Das ist das Kernproblem, und es ist Unsinn, dabei von zentralistischen Tendenzen in dieser Frage zu sprechen. Wir fordern, daß der Bundesarbeitsminister seinen Versprechungen nachkommt und dem Bundestag recht bald ein Gesetz über die Reform der Sozialversicherung vorlegt. Nach der hier vorliegenden Kostprobe mit diesem Gesetz werden allerdings unsere Erwartungen nicht allzu hoch gespannt sein. Es liegt aber an diesem Hohen Hause, zu entscheiden, ob es für eine fortschrittliche Sozialpolitik und für eine Änderung der gegenwärtig unhaltbaren Zustände bereit sein wird. Wir Kommunisten sehen uns nicht in der Lage, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu geben, und lehnen es ab.

    (Beifall bei der KPD.)