Rede von
Rudolf
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Bei der dritten Beratung der Drucksache Nr. 1354 möchte ich den Standpunkt meiner Fraktion zu diesem gesamten Fragenkomplex noch einmal kurz darlegen. Wir betonen ausdrücklich, daß wir selbstverständlich an einer Änderung des bisherigen Zustandes in der Sozialversicherung deswegen interessiert sind, weil wir bei seiner Fortdauer schwere Auswirkungen zum Schaden der Versicherten an sich befürchten. Wir haben allerdings erwartet, daß der Herr Bundesarbeitsminister als Exponent der früheren christlichen Gewerkschaftsbewegung dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegt, den man wenigstens in seinen entscheidenden Teilen als fortschrittlich hätte ansprechen können. Bezeichnend war, daß in den Einzelberatungen zur zweiten Lesung die Regierungsmehrheit dieses Hauses darauf verzichtete, in der Öffentlichkeit ihren Standpunkt zu den umstrittenen Problemen darzulegen, und auf Grund ihrer parlamentarischen Mehrheit einem Gesetz zustimmte, das nach unserer Überzeugung sich in der Sozialversicherung nicht zum Guten auswirken wird. Man hat ängstlich vermieden, im Zusammenhang mit diesem Gesetz die gesamte Problematik der mit zur Diskussion stehenden Fragen
zu erörtern, und auch weiterhin vermieden, zu den strittigen Fragen im Plenum eindeutg Stellung zu nehmen.
Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist eine Angelegenheit, der die Gewerkschaften seit ihrem Bestehen die stärkste Aufmerksamkeit gewidmet haben, weil sie in erster Linie an einer fortschrittlichen Sozialversicherung interessiert waren. Bereits auf dem 13. Gewerkschaftskongreß in Hamburg im Jahre 1928 — ich betone das deshalb, weil die Frage der Reform der Sozialversicherung und ihrer Fortentwicklung nicht neu ist — wurde in einer Entschließung verlangt, daß mit der verhängnisvollen Zersplitterung und der damit verbundenen Verschwendung an Zeit und Mitteln in der Sozialversicherung ein Ende zu machen sei. Zur Frage der Selbstverwaltung forderte der Kongreß Befreiung von der Vormundschaft und der behördlichen Bürokratie und erklärte, die Versicherten hätten ein Anrecht auf Selbstverwaltung. Ich stelle diesen Satz deshalb heraus, weil gerade in diesem Hause es Mitglieder der Gewerkschaft waren, die im Auftrage der Regierungskoalition die Erklärung abgaben, daß in der Frage der Selbstverwaltung die paritätische Besetzung mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern die einzig fortschrittliche Form einer modernen Sozialpolitik, einer modernen Selbstverwaltung darstelle.
Man braucht wirklich nicht als Vertreter der freien Gewerkschaftsbewegung zu diesen Fragen zu sprechen, sondern man soll einen Mann zitieren, der Ihnen nahesteht, nämlich den stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Matthias Föcher, der erst in der letzten Zeit sehr eindeutig zur Frage der Selbstverwaltung Stellung genommen hat und in sehr drastischen. Formulierungen zur Ablehnung des Standpunkts dieser Regierungsmehrheit gekommen ist.
Bei der Herstellung der inneren Ordnung in der Sozialversicherung geht es Ihnen darum, in den Organen das Übergewicht der Versicherten einzuschränken. Die in diesem Gesetz vorhandene Begrenzung dieses Einflusses durch die Parität ist in keiner Form zu rechtfertigen. Man soll sich darüber im klaren sein, daß die Versicherten hierin ein Mißtrauen in ihre Fähigkeiten erblicken, daß sie glauben, man spreche ihnen genau wie in der Frage des Mitbestimmungsrechts die Fähigkeiten zur Durchführung einer ordnungsmäßigen Verwaltung und Handhabung ab. Seit dem Bestehen der Krankenversicherung war die Zusammensetzung zwei Drittel Arbeitnehmer und ein Drittel Arbeitgeber. Kein Sozialpolitiker, der in all den vergangenen Jahrzehnten auf diesem Sektor tätig war, wird sagen können, daß es irgendwie zu Reibungen in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung gekommen ist.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes in der dritten Lesung in der vorgelegten Form benachteiligen Sie Millionen schaffender Menschen, und der Vorwurf kann Ihnen nicht erspart werden, daß Sie Ihre parteipolitischen, taktischen Überlegungen bei der Verabschiedung dieses Gesetzes in den Vordergrund gestellt haben. Zum Beweis dafür sei noch darauf hingewiesen, daß bereits am 3. Dezember 1947 in Rheinland-Pfalz die Selbstverwaltung in der vor 1933 bestehenden Form wieder eingeführt wurde, nämlich zwei Drittel Arbeitnehmer und ein Drittel Arbeitgeber — —
— Schön, nur in der Krankenversicherung; aber Sie werden zugeben müssen, daß auch dort Differenzen in der Verwaltung in keiner Form eingetreten sind.
In meinen Ausführungen zur zweiten Beratung des vorliegenden Gesetzes habe ich darauf hingewiesen, daß vom Herrn Bundesarbeitsminister Storch die Erwägung bisher unwidersprochen geblieben ist, die Leistungen der Krankenkassen erheblich zu vermindern. Die Beiträge für die Pflichtkassen sollen auf 7 % des Grundlohnes erhöht werden. Die Patienten sollen in Zukunft an den Kosten des zweiten bis zehnten Arztbesuches mit einem Viertel beteiligt werden; die Arzneikosten soll der Patient bis zur Hälfte tragen, und man strebt weiter eine Verlängerung der dreitägigen Karenzzeit bis zum Bezuge des Krankengeldes an. Das bedeutet, eine weitere zusätzliche Last auf die Schultern der Versicherten zu legen.
In denselben Rahmen fällt die Frage der Selbstbeteiligung der Versicherten, die auf dem 53. Deutschen Ärztetag, der vor einigen Wochen in Bonn stattfand, als Allheilmittel zur Sanierung der sozialen Krankenversicherung angepriesen worden ist. Man muß dabei feststellen, daß gerade bei den Ortskrankenkassen mehr als 60 % der Versicherten im Einkommen weit unter dem Existenzminimum liegen und die Jahresdurchschnittslohnsumme der Ortskrankenkassen als Beweis dafür herangezogen werden kann. Die Selbstbeteiligung in der hier aufgezeigten Form wäre ein Rückschritt in der sozialen Krankenversicherung, der sich zwangsläufig auch auf die Volksgesundheit auswirken würde. Hier scheint mir der Angelpunkt zu liegen, mit dem in Zusammenhang mit der Selbstverwaltung in der sozialen Krankenversicherung die Formen einer Sozialpolitik entwickelt werden müssen, die man als wirklich fortschrittlich ansprechen kann. Dabei setzen wir ganz bewußt ein, daß die Wirksamkeit der Selbstverwaltung in stärkstem Maße von Persönlichkeiten abhängig ist, die selbst innerlich von dem Wert der Selbstverwaltung überzeugt sind und die den Willen zum Eigenleben und zur Eigenverantwortung mitbringen müssen.
Der Bundestag wird der Reform der Sozialversicherung nicht ausweichen können. Mit Ihrer Zustimmung zum § 14 dieses Gesetzes legalisieren Sie einen Zustand, der schon seit Jahren einer dringenden Änderung bedarf. Ich weiß, daß die Mehrheit dieses Hohen Hauses gegen einen einheitlichen Versicherungsträger sich wendet; aber wir fühlen uns verpflichtet, die Gefahren aufzuzeigen, die mit der Annahme dieses Gesetzes erneut scharf in den Vordergrund gestellt worden sind und die nicht zu einer Einheitlichkeit, sondern zu einer weiteren Zersplitterung in der gesamten Krankenversicherung führen werden. Diese Vielheit ist noch nicht einmal in normalen Zeiten angenehm, aber gerade in der Jetztzeit bedeutet sie eine ungeheure Gefahr.
Setzen wir nun ein - die Zahlen der Krankenkassen liegen vor —, daß der monatliche Durchschnittsverdienst eines Landarbeiters, der bei der Landkrankenkasse versichert ist, 80 DM beträgt und aavon der Versicherungsträger 6 %, also monatlich 4,80 DM, erhält und die Landkrankenkasse dem Versicherten und seinen Familienangehörigen Arztbehandlungen, Arzneimittel, Krankenhausbehandlungen und dem Versicherten selbst noch Krankengeld gewähren muß, so zeigt dieses einfache Beispiel die verheerenden Folgen der
Zersplitterung in der Krankenversicherung, die e noch durch die Annahme dieses Gesetzes verstärkt werden.
Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Ortskrankenkassen, wo der durchschnittliche Monatsverdienst der Versicherten zwischen 100 und 120 DM beträgt und die Beitragseinnahmen der Kassen zwischen 6 und 7 DM pro Versicherten liegen. Niemand wird leugnen wollen, daß jede Art Krankenkasse, die auf dieser finanziellen Basis fundiert, keine ausreichende Grundlage hat, ihren Verpflichtungen gerecht zu werden.
Eine zweckentsprechende Ordnung ist das einzig richtige, um einen sicheren Risikoausgleich schaffen zu können. Das ist das Kernproblem, und es ist Unsinn, dabei von zentralistischen Tendenzen in dieser Frage zu sprechen. Wir fordern, daß der Bundesarbeitsminister seinen Versprechungen nachkommt und dem Bundestag recht bald ein Gesetz über die Reform der Sozialversicherung vorlegt. Nach der hier vorliegenden Kostprobe mit diesem Gesetz werden allerdings unsere Erwartungen nicht allzu hoch gespannt sein. Es liegt aber an diesem Hohen Hause, zu entscheiden, ob es für eine fortschrittliche Sozialpolitik und für eine Änderung der gegenwärtig unhaltbaren Zustände bereit sein wird. Wir Kommunisten sehen uns nicht in der Lage, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu geben, und lehnen es ab.