Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag verabschiedet heute das erste Gesetz zu einer sozialen Neuordnung; es ist das Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Die sozialdemokratische Fraktion des Bundestags hat sowohl im Ausschuß für Sozialpolitik wie auch in der zweiten Lesung zu einigen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung Abänderungsanträge eingebracht, die leider keine Mehrheit bei den Damen und Herren dieses Hauses gefunden haben. Darunter war auch unser Antrag auf Abänderung des § 14. Wir wollen mit diesem Vorschlag erreichen, daß eine weitere Zersplitterung der Krankenversicherung unterbunden wird. Wir haben grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn die in der Reichsversicherungsordnung vorgesehenen Kassenarten weiter ihre Aufgaben durchführen. Neue Krankenkassen sollten jedoch nur errichtet werden, wenn die Mehrheit der Versicherungspflichtigen und der Arbeitgeber innerhalb eines Versicherungsamtsbezirks damit einverstanden ist. Auch in dieser Frage kann weder Betriebsegoismus noch Gruppenegoismus dem Ganzen dienen. Der Grundsatz der gegenseitigen Hilfe muß nach wie vor oberstes Gesetz in der gesamten Sozialversicherung sein.
Der wesentlichste Antrag ist jedoch der über die Zusammensetzung des Vorstandes und der Vertreterversammlung bei den Trägern der Krankenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten. Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, diese Organe zu zwei Dritteln aus Vertretern der Versicherten und zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitgeber zusammenzusetzen, ist daher ein Kompromißvorschlag nach echten demokratischen Grundsätzen. Sie wollen die paritätische Besetzung. Sie sprachen von einer Schicksalsgemeinschaft der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Diese Schicksalsgemeinschaft ist uns allen bekannt. Betrachten wir nur die Löhne und Gehälter der Arbeiter und Angestellten und andererseits die hohen Gewinne und Investitionen der Arbeitgeber. Glauben Sie wirklich, mit derartigen Argumenten wie der Schicksalsgemeinschaft und ähnlichen die Versicherten von der Notwendigkeit einer paritätischen Besetzung überzeugen zu können? Fünfzig Jahre bestand in der Krankenversicherung die Besetzung der Organe aus zwei Dritteln Vertretern der Versicherten und einem Drittel Vertretern der Arbeitgeber. Der Nazismus hat dies erstmals beseitigt, und Sie verweigern nun die Wiedergutmachung auf diesem Gebiet.
Es gibt allerdings Ihnen nahestehende Personen, die zum Ausdruck bringen, daß andere Gründe für die Ablehnung unseres Antrags maßgebend sein sollen. Man hört, daß man durch die Vorstände mit den Stimmen der Arbeitgeber andere Geschäftsführer wählen will, um die Personalpolitik in den Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten ebenfalls zu beherrschen. Herr Staatssekretär Grieser hat dies im sozialpolitischen
Ausschuß kritisch mit den Worten „Köpfen der Geschäftsführer" bezeichnet. Ich vermag dies nicht zu glauben; denn das würde doch bedeuten, daß man wegen der Besetzung einiger weiterer Geschäftsführerposten mit Ihren politischen Freunden die wohlerworbenen Rechte der Arbeiter und Angestellten in der Selbstverwaltung für ein Linsengericht preisgeben würde. Aber ganz gleich, welche Gründe für ihre Haltung maßgebend waren, bringen Sie doch, ob Sie wollen oder nicht, zum Ausdruck, daß Sie die Arbeiter und Angestellten nicht für ausreichend verantwortungsbewußt und fähig halten, maßgeblich die Geschicke der Krankenkassen- und der Rentenversicherungsträger zu gestalten. Die Arbeiter und Angestellten haben in der Zeit nach 1945 durch ihr tatkräftiges Eintreten für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands den Beweis erbracht, daß für sie die Interessen des gesamten Volkes maßgebend sind.
Dieses Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung muß der Grundstein zu einer sozialen Neuordnung sein. Gestalten wir es deshalb so, daß auch der letzte Arbeiter und Angestellte von der Bedeutung der sozialen Neuordnung durchdrungen ist. Soziale Sicherheit und sozialer Wohlstand sind, wie mein Parteifreund Dr. Schumacher erst kürzlich sagte, die Grundlage WI- das Gefühl, in seinem Land etwas zu verteidigen zu haben. Auch der größte Idealismus ist nicht losgelöst von dem sozialen Wohlergehen der Menschen, die ja schließlich arbeiten, um ein menschenwürdiges Dasein führen zu können.
Wir haben uns erlaubt, meine Damen und Herren, diese beiden Abänderungsanträge zu § 2 und § 14 der Vorlage in dritter Lesung nochmals dem Hohen Haus zu unterbreiten. Wir hoffen und wünschen, daß Sie diesen Anträgen Ihre Zustimmung geben.