Meine Damen und Herren! Ich bewundere den wirklich erstaunlichen Mut, mit dem der Herr Abgeordnete Kohl es unternommen hat, Kritik an dieser Vorlage zu üben. Da, wo seine politischen Freunde an der Macht sind, ist bisher für die Wiedergutmachung zugunsten der Widerstandskämpfer nicht das geringste geschehen. Es gibt im ganzen sowjetischen Besatzungsgebiet keinen Pfennig Haftentschädigung;
und da, wo Renten gewährt werden, sind es die
kärglichen Pfennige, die die Sozialversicherungsanstalten auszahlen, wobei im übrigen die Gemeinden den Sozialversicherungsanstalten die verauslagten Beträge meistens noch erstatten müssen.
In sehr vielen tragischen persönlichen Fällen aber besteht die Wiedergutmachung des sowjetischen Besatzungsgebietes darin, daß die überzeugten Widerstandskämpfer, kaum aus dem Konzentrationslager entlassen, in das Konzentrationslager zurückgebracht worden sind.
Ich will nur einen einzigen Namen nennen, den Namen des sehr bewährten Berliner Polizeimajors Heinrich, des Kommandeurs der Polizeigruppe Mitte, der den Kommunisten in den Jahren vor 1933 sehr auf die Nerven gefallen ist und der, im April 1945 aus dem Zuchthaus Brandenburg entlassen, bereits Anfang Juni 1945, wahrscheinlich für immer, verschwunden ist.
) Deshalb kann die vom Herrn Abgeordneten Kohl geübte Kritik politisch nicht sehr ernst genommen werden.
Auch wir begrüßen diese Vorlage. Sie bringt eine erfreuliche Veränderung des Tons in diesem Hause mit sich; denn wenn dieses Haus sich bisher vor die Aufgabe gestellt gesehen hat, die Folgen der nazistischen Diktatur zu liquidieren, so ist das meistenteils in der Forderung nach der „Beendigung der Entnazifizierung" geschehen. Und diese Beendigung der Entnazifizierung bedeutete doch wohl — wir werden das in den nächsten Wochen noch mehr beurteilen können — nichts weiter als die Forderung nach einer Amnestie für den großen Teil derjenigen, die am Unglück unseres deutschen Vaterlandes die Verantwortung tragen.
Wenn man sich jetzt der Opfer der nazistischen Diktatur erinnert, so beklagen wir, daß diese Erinnerung nur eine sehr unvollständige ist. Die Vorlage macht den peinlichen Eindruck, daß einige der neuen Beamten der Bundesministerien festgestellt haben: es gibt keinen anderen Weg als die Vorlage eines neuen Gesetzes, um zu ihren Rechten zu kommen. Ich schließe mich in dieser Hinsicht ganz und gar der Kritik an, die der Herr Kollege Dr. Weber hier an der Vorlage geübt hat. Nicht nach bestimmten Dienstkategorien sollte die Wiedergutmachung verfahren, sondern nach einer Rangordnung derjenigen, die der Wiedergutmachung sozial am allerbedürftigsten sind. Dazu gehören in erster Linie die vom Herrn Abgeordneten Dr. Weber erwähnten Angestellten der früheren politischen Parteien, der Gewerkschaftsverbände, anderer sozialer Vereinigungen usw. Vielleicht könnte der Ausschuß prüfen, ob die in § 2 Abs. 2 des Gesetzentwurfs gegebene Ermächtigung — so bedenklich an und für sich solche Ermächtigungen sind —, den Personenkreis durch Rechtsverordnung der Bundesregierung, die der Zustimmung des Bundesrats bedarf, zu erweitern, nicht dazu benützt werden könnte, den Personenkreis dieser Vorlage entsprechend auszudehnen. Man kann sich meiner Überzeugung nach nicht, wenn man die öffentlichen Bediensteten herausnimmt, auf das Entschädigungsgesetz berufen, das im amerikanischen Besatzungsgebiet gilt. Denn wenn da die Wiedergutmachung von vermögensrechtlichen Schäden der Beamten und Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst besonders behandelt worden ist, so ist das nur ein Modell für die Wiedergutmachung aller vermögensrechtlichen Schäden.
Soviel zur Frage des Personenkreises. Besondere Bedenken aber haben wir gegen den Rechtssatz, der in § 5 des Gesetzentwurfs aufgestellt werden soll. Wie der Herr Staatssekretär hervorgehoben hat, soll sich die Entschädigung materiell und verfahrensrechtlich nach dem jetzt geltenden Landesrecht richten. Das wird eine große Zersplitterung des Rechts mit sich bringen, und es müßte abgelehnt werden, daß für Personen, die bisher in ein und demselben Rechtsverhältnis zum Staate gestanden haben, materiell und prozessual ganz verschiedenes Recht angewendet wird. Denn wenn man die Wiedergutmachungsgesetzgebung der Länder überschaut, so ergibt sich etwa folgendes Bild. In den Ländern der britischen Zone ist der Hauptteil der bisher geleisteten Wiedergutmachung die Haftentschädigung. Einzelne Länder haben durch Sonderanordnungen Wiedergutmachungsansprüche für Verluste an Leib und Leben vorgesehen. Das kleine Land Schleswig-Holstein ist insofern noch einen bedeutenden Schritt weitergegangen, als es im Sinne der Anregung, die der Herr Kollege Dr. Weber gegeben hat, auch die Aufwertung von Ansprüchen aus Versorgungskassen vorgenommen hat. Wir haben in der Sozialdemokratischen Partei, um Ihnen das an einem Beispiel darzulegen, früher eine Versorgungskasse, die nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit organisiert war, im Verein „Arbeiterpresse" gehabt. Dieser Verein besaß viele Tausend Mitglieder. Er hat in den 20er Jahren umfangreiche Jahrbücher veröffentlicht. Sie können in diesen Jahrbüchern nachlesen, welcher Personenkreis in ihm zusammengefaßt war. Heute bekommt noch niemand, der diesem Verein „Arbeiterpresse" angehört hat — es sind dabei Personen vereinigt gewesen, die 40 und 50 Jahre Mitglied waren — auch nur einen Pfennig der Rente, auf die er einen Anspruch besäße. Wenn wir das wiedergutmachen wollen, wenn wir hier das Prinzip der Einheitlichkeit gewahrt haben wollen, so sollte auch in diesem Gesetzentwurf für öffentlich Bedienstete die Einheitlichkeit möglich sein. Wir schlagen deshalb vor, daß dasjenige Wiedergutmachungsgesetz, das der Ausschuß als das fortschrittlichste ansieht, allgemein in allen Ländern so lange angewendet werden soll, bis ein Bundesgesetz für die Wiedergutmachung geschaffen worden ist. Das ist, wie mir der Herr Staatssekretär zugeben wird, im Beamtenrecht durchaus keine Neuigkeit. Wir haben ja im Beamten-Übergangsrecht sehr oft eine dementsprechende Regelung gehabt.
Meine Damen und Herren, Wiedergutmachung ist eine materielle Stärkung des Rechtsstaates und der Demokratie. Deshalb sollte auch die erste Lesung dieses Gesetzes an der Frage der Restitution entgangener Vermögenswerte nicht vorbeigehen. Wir beklagen uns darüber, daß Hunderte von Druckereien, die die Arbeiter mit Pfennigen und Groschen gegründet haben, bis heute nicht an die Sozialdemokratische Partei zurückerstattet worden sind.
Die Sozialdemokratische Partei hat auch keinen Gegenwert dafür erhalten. Sie würden uns die Zustimmung zu diesem Gesetz wesentlich erleichtern, wenn die Regierung, mindestens im Ausschuß, das Programm einer umfassenden Restitution vorlegen könnte. Sollen die Beamten ihr Recht haben, so sollten auch wir unser Eigentum zurückerhalten, denn wir fordern nur, was uns gehört.