Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Die Wiedergutmachung des durch den Nationalsozialismus angerichteten Unrechts gehört zu den dringenden Anliegen unseres Volkes." So beginnt ein bekannter Kommentator sein Vorwort zur Erläuterung der Rückerstattungsverordnung und gibt dabei seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß durch das Eingreifen der Besatzungsbehörden und ihre Gesetzgebung die Verwirklichung dieser Bestrebungen seitens verantwortlicher deutscher Stellen und die Gesetzeswerdung der weitgehenden und umfassenden Ländergesetzentwürfe auf dem Gebiete der Wiedergutmachung zunächst verhindert worden seien. Es ist auch nicht zu leugnen, daß sich bei der Anwendung der von den Besatzungsmächten erlassenen Gesetze große Härten, Unbilligkeiten, ja sogar krasse Ungerechtigkeiten ergeben haben, die in manchen Fällen die Wiedergutmachung von Unrecht zu einem neuen Unrecht werden zu lassen drohen.
Diese Entwicklung hat ja auch bereits in Anträgen, die das Hohe Haus beschäftigt haben, ihren Niederschlag gefunden. Sie darf aber keineswegs dazu führen, daß die tatsächliche und rechtlich begründete Wiedergutmachung hinausgeschoben oder verhindert wird, sondern sie muß das positive Er-
gebnis haben, daß der Bund selbst eine umfassende Regelung der Wiedergutmachung vornimmt, die eine tragbare und gerechte Lösung dieses im Hinblick auf seine wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen äußerst bedeutsamen Problems bringt.
Soweit die Gesetzgebung der Besatzung eine eigene Regelung noch ermöglichte, nämlich auf dem Gebiet der innerdeutschen Wiedergutmachung, haben sich erfreulicherweise die Länder der Sache angenommen und in Gesetzen und Verwaltungsanordnungen die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus geregelt. Diese Regelung weist aber, wie Ihnen eben dargelegt wurde, eine fühlbare Lücke auf, da sie die Gewährung des Anspruches durchweg davon abhängig macht, daß die Geschädigten früher im Gebiete des betreffenden Landes ihren Wohnsitz hatten, so daß der große Kreis der Verdrängten, die an sich schon durch die . Verdrängung aus der Heimat ihr Hab und Gut, ihre Existenzgrundlage verloren haben, auch hier leer ausgeht. Das gilt insbesondere für die verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die durch den Nationalsozialismus geschädigt worden sind, da in den Ländergesetzen in aller Regel nur dann ein Anspruch gewährt wird, wenn die letzte Anstellungsbehörde ihren Sitz innerhalb des Gebietes des betreffenden Landes hatte.
Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung nunmehr den Entwurf eines Gesetzes vorlegt, das wie in der Begründung ausgeführt wird, den Zweck hat, die verdrängten Angehörigen vorerst einmal bis zu dem Zeitpunkt, in dem die ebenfalls in Aussicht gestellte allgemeine Regelung der Wiedergutmachung auf Bundesebene erfolgt, den einheimischen Geschädigten gleichzustellen. Wir geben dabei der Erwartung Ausdruck, daß die allgemeine und dringend notwendige Regelung der Wiedergutmachung nicht allzulange auf sich warten läßt und daß die dazu notwendigen und, wie eben dargelegt worden ist, auch umfangreichen Vorarbeiten beschleunigt vorangetrieben werden.
Zum Gesetzentwurf selbst habe ich namens meiner politischen Freunde in der heutigen ersten Lesung folgende grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Der Entwurf beschränkt die Wiedergutmachung auf die verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Es ist gewiß nicht zu leugnen, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes zuerst und im weitgehenden Umfang von dem nationalsozialistischen Unrecht betroffen worden sind. Man braucht nur an eine der ersten Maßnahmen des Nationalsozialismus, an das berüchtigte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, zu erinnern, das Tausende verdienter Beamter ohne Versorgung oder unter erheblicher Kürzung ihrer Bezüge auf die Straße gesetzt hat. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb nicht, wie das in den Ländergesetzen zum Teil schon geschehen ist, auch die übrigen Geschädigten, die durch den Nationalsozialismus in ihrem beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen und in ihrer Versorgung geschädigt worden sind, wie z. B. die Angestellten der durch den Nationalsozialismus aufgelösten Verbände und gewerkschaftlichen Organisationen, in diese gesetzliche Regelung einbezogen werden sollen.
Es ist uns mitgeteilt worden, daß viele dieser Geschädigten bis heute noch nicht wieder in eine
Stellung gelangen konnten, ja, soweit sie alt und
arbeitsunfähig geworden sind, bis heute noch ohne Versorgung dastehen.
Es geht grundsätzlich auch nicht an, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes vorweg und bevorzugt entschädigt werden, wenn auch andererseits zuzugestehen ist, daß in diesen Fällen das begangene Unrecht durchweg besonders in die Augen springt und der Kreis der Geschädigten leichter abzugrenzen und damit die finanzielle Auswirkung besser zu überblicken ist. Wir haben allerdings auch Verständnis dafür, daß es nicht angängig ist, nunmehr, nachdem im Rahmen des Art. 131 die Ansprüche der entnazifizierten Beamten geregelt werden, diejenigen, die durch den Nationalsozialismus geschädigt worden sind, noch schlechter zu stellen, sie noch länger warten zu lassen.
Deshalb begrüßen wir es, daß dieses Gesetz vorgelegt worden ist, das ja eigentlich vor dem gestern hier behandelten Gesetz über die Regelung der Ansprüche aus Art. 131 erörtert werden sollte.
Es scheint uns aber auch deshalb höchste Zeit, daß auf diesem Gebiet etwas geschieht, weil uns einigermaßen erstaunliche Vorgänge zu Ohren gekommen sind. Man gewinnt den Eindruck, daß selbst in einigen Ressorts der Bundesregierung es für diejenigen, die dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben, nicht leicht ist, heute schon wieder die einzig mögliche und durchgreifende Wiedergutmachung zu erlangen,
indem sie entsprechend ihren Fähigkeiten und Erfahrungen wieder im aktiven Dienst verwendet werden
und nicht frühere Parteigenossen ihnen gegenüber bevorzugt werden.
Wir empfehlen der Bundesregierung, hier nach dem Rechten zu sehen, so zum Beispiel bei der Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten.
Von früheren Angehörigen des Auswärtigen Amtes wird bittere Klage darüber geführt, daß Männer, die wegen ihrer antifaschistischen Einstellung aus Amt und Beruf entfernt wurden, trotz gegebener Gelegenheit heute noch nicht wieder in den Dienst zurückberufen wurden und hinter solchen, die sich mindestens durch formelle Parteizugehörigkeit das Verbleiben im Amt ermöglichten, zurückstehen müssen.
Wir begrüßen auch den Änderungsantrag des Bundesrats, der die Einbeziehung von Groß-Berlin in die gesetzliche Regelung fordert. Es scheint uns auch, im Gegensatz zur Stellungnahme der Bundesregierung, durchaus möglich, verdrängten Angehörigen einen Anspruch gegen den Bund zu geben. In der Kürze der Zeit konnte ich keine genaue Feststellung darüber treffen, welche Gesetze oder Verwaltungsanordnungen in Berlin über die Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts erlassen worden sind. Wenn sie aber erlassen worden sind, genau so wie in anderen Ländern, so ist nicht einzusehen, daß der Bund nicht auch den dort wohnenden verdrängten Beamten eine gleiche Entschädigung gewähren soll wie denen, die im Gebiet der Bundesrepublik selbst wohnen. Der Ausschuß wird deshalb der Prüfung
I dieser Frage seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen.
Er wird auch prüfen müssen, ob Beamte, die wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus dadurch gemaßregelt wurden, daß sie vom Westen in den Osten strafversetzt wurden, von dort wieder verdrängt wurden und nun hier auf die Regelung ihrer Ansprüche im Rahmen des Art. 131 des Grundgesetzes warten müssen, nicht bereits in die Regelung dieses Gesetzes einbezogen werden können. So sind mir gerade in den letzten Tagen verschiedene Fälle bekanntgeworden, die meines Erachtens im Rahmen dieses Gesetzes gelöst werden können und müssen. Ein Beamter, der zum Beispiel in Düsseldorf angestellt war, wurde wegen seiner Weigerung, der Partei beizutreten, nach Kottbus versetzt, ein anderer aus dem Rheinland aus dem gleichen Grund nach Ostpreußen. Beide haben bis heute keine Verwendung und auch keine Versorgung gefunden. Es scheint mir zweifelhaft, ob in diesen Fällen nach § 2 des Gesetzentwurfes eine Wiedergutmachung gewährt werden kann, obschon die Fälle von den Ländern, in die sie jetzt aufgenommen worden sind, als Wiedergutmachungsfälle anerkannt worden sind. Eine Entschädigung wird aber abgelehnt, weil die letzte Anstellungsbehörde nicht im Gebiet dieses westdeutschen Aufnahmelandes gelegen ist. In diesen Fällen muß meines Erachtens der Bund subsidiär eintreten. Hier muß eine klare und eindeutige Bestimmung getroffen werden. Beweisen wir durch unsere praktische Arbeit, daß die Wiedergutmachung des durch den Nationalsozialismus angerichteten Unrechts uns wirklich Herzenssache und dringendes Anliegen ist!
Namens meiner Fraktion beantrage ich, den Entwurf an den Ausschuß für Beamtenrecht — federführend — und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.