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ID0108406700

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    Deutscher Bundestag - 84. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. September 1950 3135 84. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 13. September 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3135C Mitteilung betr. Zugehörigkeit des Abg Dr. Richter (Niedersachsen) zu keiner Fraktion 3135D Änderung der Tagesordnung 3135D Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betr. Ausführungen des Wirtschaftsministers des Landes Baden (Nr. 1204 der Drucksachen) . . . . . . . . . 3136A Dr. Schmid (Tübingen) (SPD), Interpellant 3136A Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern 3139B Dr. Seelos (BP) 3140B Dr. von Brentano (CDU) 3141A Mayer (Stuttgart) (FDP) 3141C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (Nr. 1306 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung der Interpellation der Fraktion der BP betr. Art. 131 des Grundgesetzes (Nr. 1151 der Drucksachen) . . . 3136A, 3142A Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern 3142B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3146C Dr. Menzel (SPD) 3147C Farke (DP) 3150C Pannenbecker (Z) 3151A Dr. Kleindinst (CSU) 3152B Wackerzapp (CDU) 3153C Dr. Falkner (BP) 3154D Gundelach (KPD) 3155B Fröhlich (WAV) 3156B Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz) (FDP) 3157B von Thadden (DRP) 3159B Dr. Wuermeling (CDU) 3160C Arndgen (CDU) 3161A Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Bestimmungen der Zweiten Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs (Nr. 1249, zu Nr. 1249 der Drucksachen) . . . 3161B Erste Beratung des Entwurfs eines Zolltarifgesetzes (Nr. 1294 der Drucksachen) 3161C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 3161C, 3165A(( Kalbitzer (SPD) 3163A Dr. Bertram (Z) 3163C Dr. Horlacher (CSU) 3164B Degener (CDU) 3164C Dr. Oellers (FDP) 3164D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) (Nr. 1333 der Drucksachen) 3161C Storch, Bundesminister für Arbeit 3165A, 3172D Frau Dr. Probst (CSU) 3167C Leddin (SPD) 3170A Frau Kalinke (DP) 3173B Frau Arnold (Z) 3173C Kohl (Stuttgart) (KPD) 3174C Volkholz (BP) 3176A Mende (FDP) 3177B Löfflad (WAV) 3179C Arndgen (CDU) 3180A Dr. Leuchtgens (DRP) 3180C Schoettle (SPD) 3181A Nächste Sitzung 3181D Die Sitzung wird um 14 Uhr 35 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schäfer eröffnet.
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    Rede von Dr. Maria Probst


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn wir heute, fünf Jahre nach Beendigung des Krieges, in die erste Lesung eines für alle Länder des Bundesgebietes einheitlichen Gesetzes über die Versorgung der Kriegsopfer eintreten, so ist dies ein bedeutsamer, ja ein historischer Augenblick. Es handelt sich bei dem Bundesversorgungsgesetz um das erste große Sozialgesetz, das dem Bundestag von der Bundesregierung vorgelegt wird. Der Beschluß aller Parteien dieses Hohen Hauses, dieses Gesetz als das erste Sozialgesetz zu beraten, beweist, daß die Priorität der Kriegsopferversorgung von allen Parteien dieses Hauses anerkannt wird. Angesichts der Spannung, mit der Millionen von Kriegsopfern, Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen dieses Gesetz erwarten, darf ich dies mit besonderer Genugtuung feststellen.
    Unsere Aufgabe, meine Herren und Damen, heute ist es, in einer Grundsatzdebatte zu dem vorliegenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Bei keinem anderen Gesetz ist eine Fundierung der Gesetzgebung aus dem Grundsätzlichen heraus so dringend notwendig wie beim Kriegsopfergesetz. Wir haben soeben in dem historischen Rückblick, den der Herr Bundesminister gegeben hat, gesehen, weichen Weg — einen Kreuzweg können wir ihn nennen — die Gesetzgebung in der Vergangenheit seit Kriegsende durchgemacht hat. Dadurch, daß die gute alte Reichsversorgung durch die Alliierten, und zwar durch den Kontrollrat, zerschlagen worden war, wurde gleichzeitig auch die ideelle Grundlage dieser Gesetzgebung zerschlagen. An deren Stelle trat statt dessen eine vollkommen unorganische Verkoppelung mit der Fürsorge einerseits, aber unter Ausschluß der gehobenen Fürsorge, und andererseits mit der Unfallversicherung, aber wiederum unter Ausschluß der Vorteile, die sie zu gewähren imstande gewesen wäre. Die Kriegsopferversorgung geriet also zwischen Fürsorge und Unfallversicherung in einen gefährlichen Schnittpunkt sich widersprechender und der Kriegsopferversorgung nicht gemäßer


    (Frau Dr. Probst)

    Gesetzgebungstendenzen. Das waren Stationen eines schweren Leidensweges, die eben mit der gemeindlichen Fürsorge einschließlich der Bedürftigkeitsprüfung und der Rückzahlungspflicht und der Auswirkung verschiedener Kürzungsparagraphen der Reichsversicherungsordnung bezeichnet waren, die ja hier dieses Hohe Haus schon des öfteren beschäftigt haben. Ich nenne nur die §§ 595 und 559 b mit ihren unseligen Stopbeträgen für die kinderreichen Familien der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. Ich nenne die §§ 1274 und 1275 RVO und endlich § 40 AVG: auch wieder Kürzungsbeträge, und zwar der Sozialversicherungsrenten im Zusammentreffen mit Bezügen aus der KB-Gesetzgebung. Äußerste Not in dem betroffenen Personenkreis war die Folge. Die Ursache liegt in einer grundsätzlich falschen Fundierung der bisherigen Gesetzgebung, deren negative Auswirkungen noch wesentlich durch die zonale Zerrissenheit des Rechts gesteigert werden, so wie es heute noch in den Ländern in Geltung ist.
    Angesichts der geschilderten Lage konnte es für die Bundesregierung nur eine Aufgabe geben, nämlich die, eine neue Rechtsgrundlage dadurch zu schaffen, daß dieses Recht als solches zunächst und vor allem im Grundsätzlichen neu überprüft und richtig fundiert wurde. Wir befinden uns in diesem Grundsatz in völliger Übereinstimmung mit der Bundesregierung.
    Meine Herren und Damen! Die Kriegsopferversorgung ist ein Problem ganz eigener Art, in seinem Wesen mit nichts anderem vergleichbar. Die einmalige Größe des für die Allgemeinheit gebrachten und fortdauernden Opfers an Lebenskraft, an Gesundheit, der Verlust des nächsten Angehörigen begründen einen ethischen, ja sogar naturrechtlich fundierten Rechtsanspruch auf eine ausreichende Versorgung und den Unterhalt durch eben jene Gemeinschaft, für die das Opfer gebracht worden ist. Dieses Opfer hat mit der Zufälligkeit eines Unfalls nichts zu tun, dessen geldliche Abfindung versicherungsmathematisch an den Beiträgen errechnet werden kann. Wir lehnen eine Abfindung und bloße Entschädigung nach dem Prinzip der Sozialversicherung für die Kriegsopferversorgung auf das entschiedenste ab. Die Grundlagen der neuen Gesetzgebung heißen: Anspruch auf ausreichende Versorgung auf der einen Seite und Unterhaltspflicht des Staates auf der anderen. Der neue Gesetzentwurf — und wir stimmen ihm hier vollständig zu — vollzieht eine scharfe Trennung von den falschen Grundlagen der Sozialversicherung in bezug auf die Kriegsopferversorgung. Im neuen Gesetz der Bundesregierung sind daher, wie der Herr Bundesarbeitsminister schon gesagt hat, die §§ 595 und 559 b sowie 1274 und 1275 ein für allemal beseitigt. Damit ist zugleich einem Beschluß dieses Hohen Hauses Rechnung getragen worden. Ebenso wurde die bisherige Einteilung in Ortsklassen beseitigt.
    Meine Damen und Herren, es geht aber um ein Weiteres. Es gehört zum Wesen des Kriegsopferproblems, das es in einer millionenfachen Mannigfaltigkeit schwerster Einzelschicksale alle Berufsgruppen, alle Schichten, alle Altersstufen des deutschen Volkes gleichermaßen umfaßt. Dies bedeutet, daß die Versorgung so individuell wie möglich gestaltet sein muß; sie darf weder in einem kollektiven Einheits-Rentensystem erstarren oder nivelliert werden noch sogenannte qualifizierte Renten für sogenannte höherwertige Berufe schaffen. Beide Extreme lehnen wir ab. Genau so entschieden wenden wir uns aber gegen die Orientierung an dem untersten Lohnniveau. Das neue Bundesversorgungsgesetz folgt diesen Erkenntnissen. Es enthält den Grundsatz, die Rente so zu gestalten, daß sie dem individuellen Bedürfnis angepaßt ist, und zwar so, daß sie bei veränderten Voraussetzungen der allgemeinen wirtschaftlichen Lage jederzeit angepaßt werden kann und daß sie anderseits dem voll erwerbsfähigen, verheirateten Kriegsbeschädigten neben der Sicherung seiner materiellen Existenz die Anteilnahme am kulturellen Leben des Volkes gestattet. Als unterste Grenze dieser Forderung sind 180 DM für den verheirateten, hundertprozentig Erwerbsunfähigen von den Kriegsopfern selbst gefordert worden. Diese grundlegende Forderung der Kriegsopfer ist im neuen Bundesversorgungsgesetz erfüllt.
    Was nun die Frage der dreißig- bis vierzigprozentig erwerbsgeminderten Kriegsbeschädigten angeht, so wenden wir uns mit aller Entschiedenheit gegen die Bestrebungen, die Dreißig- bis Vierzigprozentigen aus der Versorgung herauszunehmen.

    (Bravo in der Mitte.)

    Entgegen den im Bundesrat schon beim Überbrückungsgesetz aufgetretenen und inzwischen erneut aufkommenden Bestrebungen ist diese große Gruppe der Kriegsbeschädigten in dem neuen Versorgungsgesetz mit einer Grundrente verankert, die bei den Vierzigprozentigen über der heutigen Mindestrente in der amerikanischen und britischen Zone liegt.
    Dem Grundsatz der Anpassung der Rente an das individuelle Bedürfnis des einzelnen wird der neue Gesetzentwurf durch die Zweiteilung der Rente in Grundrente und Ausgleichsrente gerecht. Dabei entspricht die Grundrente der Besonderheit des Bedürfnisses, die aus dem Körperschaden erwächst. Dieser anatomische Schaden wirkt sich neben jedem Beruf und bei jeder Einkommensstufe aus; er äußert sich in der Notwendigkeit erhöhter zusätzlicher Aufwendungen. Ich nenne nur die behinderte Bewegungsfähigkeit, die wiederum erhöhten Kleider- und Wäscheverbrauch hervorruft, anderseits die Notwendigkeit, mehr Fahrgelegenheiten zu benutzen oder Begleitpersonen bei sich zu haben. In vielen Fällen ist Diätkost notwendig. Ich will in diesem Zusammenhang hier nicht von dem Schmerz und der Einbuße an Lebensfreude sprechen, die ständige Begleiter des Kriegsbeschädigten sind. Die Grundrente, meine Herren und Damen, als Äquivalent des anatomischen Schadens ist neben jedem Einkommen zu gewähren. An diesem Grundsatz darf nach unserer Auffassung nicht gerüttelt werden, soll nicht das ganze Gesetzgebungsprinzip ins Gleiten kommen. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß die Grundrente neben jeglichem Einkommen zu gewähren ist.
    Meine Fraktion wird im Ausschuß den Antrag stellen, daß die Ruhensvorschriften des Gesetzentwurfs beseitigt und die Beschlüsse des Bundesrats auf Einführung der 400-Mark-Grenze vom Bundestag abgelehnt werden. Dadurch wäre nach unserer Auffassung der klare Aufbau dieses Gesetzes empfindlich gestört.
    Die Ausgleichsrente ist als Äquivalent des wirtschaftlichen Schadens gedacht. Wir legen aber Wert auf die Feststellung, daß das Ermessen bei der Gewährung der Ausgleichsrente auszuschalten ist. Diese Ausgleichsrente ist unter bestimmten Bedingungen vom sonstigen Einkommen abhängig. Daneben ist ein progressiver Freibetrag in Höhe von einem Viertel des die Arbeitseinkommenfreigrenze übersteigenden Betrages eingebaut. Diese Bestimmungen sind im § 32 des Gesetzes niedergelegt. Wir


    (Frau Dr. Probst)

    sind der Auffassung, daß dieser § 32 zunächst einmal einer redaktionellen Überarbeitung bedarf. In seiner jetzigen Fassung ist er unklar und gibt zu Mißverständnissen Anlaß.
    Darüber hinaus sind wir aber auch der Meinung, daß die materielle Seite dieser Rechtsbestimmung einer nochmaligen eingehenden Überprüfung bedarf, wobei noch vorhandene Unebenheiten und Unausgeglichenheiten sowohl in sich — etwa bei der Übergangsgrenze der auslaufenden Ausgleichsrente einschließlich der Sozialleistungen bei steigendem Arbeitseinkommen — als auch in Beziehung zu den bisher geltenden Arbeitseinkommens-Freigrenzen in den verschiedenen deutschen Ländern beseitigt werden müssen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß das neu geschaffene Recht gegenüber den heute noch in den einzelnen deutschen Ländern bestehenden Rechten seiner Gesamtstruktur nach den Vorzug verdient.
    Wir sind der Meinung, daß die Diskussion um den § 32 gerade vom Grundsätzlichen her von außerordentlicher Bedeutung ist. Die Idee des neuen Gesetzes will den Arbeits- und den Leistungswillen, der gerade bei den Kriegsbeschädigten stark ist, sowohl fördern wie belohnen. Auswirkungen, die diesem Grundsatz nicht entsprechen, sind abzuändern. Der ausdrückliche Wunsch der Kriegsopfer ist es, in den Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden. Sie lehnen jedes Staatsrentnertum ab. Wir bekennen uns zu diesem Grundsatz und setzen uns für seine Verwirklichung ein. Wir sind der Überzeugung, daß der Staat auf die aktive Mitarbeit dieses bedeutenden Personenkreises im staatlichen Leben, vor allem auch in der Wirtschaft, nicht verzichten kann. Er muß hiernach — ich wiederhole das — dieses Postulat der Eingliederung in den Arbeitsprozeß in jeder Form erfüllen, und zwar sowohl im
    3) Rahmen dieses Gesetzes, wie auch bei der Beschlußfassung über ein neues Gesetz über die Vermittlung Kriegsbeschädigter in Arbeit. Wir begrüßen daher jede Maßnahme, die geeignet ist, der Arbeits- und Berufsförderung zu dienen, wie das in den §§ 25 bis 27 des vorliegenden Gesetzentwurfs niedergelegt ist.
    Eine besondere Anregung geht dahin, daß die Arbeitslosenversicherungsbeträge als Arbeitseinkommen in bezug auf die Ausgleichsrente zu werten sind.
    Ein Kernstück ist bei dem vorliegenden Gesetzentwurf die Versorgung der Hinterbliebenen. Das neue Gesetz stellt in der Versorgung unserer Witwen und Waisenkinder gegenüber den bisher geltenden gesetzlichen Bestimmungen eine wesentliche Verbesserung dar. Die veränderte Rechtsgrundlage des neuen Gesetzes beseitigt einerseits die schweren Härten, von denen ich eingangs bereits gesprochen habe. Andererseits bringt sie durch die Anerkennung der Unterhaltspflicht des Staates der Witwe wie auch der Familie des Kriegsbeschädigten und des Gefallenen Wesentliche Verbesserungen im Vergleich zum KBLG und zur SVD 27. Das große Opfer der Frau, die ihren Ernährer und den Vater ihrer Kinder verloren hat, findet im neuen Bundesversorgungsgesetz eine entsprechende Würdigung. Alle Witwen, auch die kinderlosen, sind in die Versorgung einbezogen. Die Ruhensbestimmungen in bezug auf die Grundrente der kinderlosen Witwen unter 40 Jahren halten wir aus den dargelegten grundsätzlichen Erwägungen für nicht vertretbar. Wir werden bei den Verhandlungen im Ausschuß auf diese Frage mit entsprechenden Anträgen zurückkommen. Wir begrüßen es, daß der Regierungsentwurf der Witwe, deren jüngstes Kind aus
    der Versorgung ausgeschieden ist, den vollen Rentenanspruch gewährleistet, und zwar auch dann, wenn sie noch nicht das 50. Lebensjahr vollendet hat. Daß in Zukunft jedes Kind einer Witwe unabhängig von der Kinderzahl 31 DM Waisengeld erhält, habe ich bereits dargelegt, wobei ich ausdrücklich betonen möchte, daß die Lehrlingsvergütung der Waisenkinder mindestens in Höhe von 40,—DM keine Anrechnung auf die Ausgleichsrente finden darf. Wir stimmen dem Grundsatz voll und ganz zu, daß die Vollwaisen eine Gesamtrente in solcher Höhe erhalten, daß dadurch der Lebensunterhalt bei Aufnahme in eine Familie oder ein Heim gesichert ist.
    Bei den Waisenrenten im allgemeinen ist die Gewährleistung einer ausreichenden Berufsausbildung ein wesentlicher Gesichtspunkt, wobei in dem neuen Gesetz neben der Rentenversorgung — unter Berücksichtigung ausreichender Freibeträge für das Lehrlingsgeld—der Berufsfürsorge eine besondere Aufgabe zufällt. Wir begrüßen es, daß die Gewährung der Waisengelder auf das 24. Lebensjahr ausgedehnt worden ist, und zwar für den Fall, daß das Kind noch in Berufsausbildung steht. Es ist für den demokratischen Staat von außerordentlicher Bedeutung, in welchen Verhältnissen diese 1 330 000 Kriegerwaisen aufwachsen, als junge Menschen, die den demokratischen Staat aus dem Erlebnis der gerechten Betreuung bejahen, oder ob hier der tiefe Groll eines hungernden und enttäuschten Kindes, dem eine ausreichende Ausbildung vorenthalten wurde, dazu führt, daß es sich abwendet und staatsverneinend heranwächst. Diesem ernsten Problem kann nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt werden.
    Ein besonders schwieriges Kapitel jeglicher Versorgungsgesetzgebung ist die Frage der Elternrente. Die Fassung des vorliegenden Gesetzentwurfs entspricht einer Lösung, die von den besten Kennern des Versorgungsrechts vorgeschlagen und vertreten wird. Indessen ist es nach unserer Auffassung notwendig, die vorgesehenen Einkommensgrenzen zu erhöhen.
    Zur Frage der Heilbehandlung darf ich mich in dieser Grundsatzdebatte auf die Anmeldung der Forderung beschränken, Heilbehandlung für Gesundheitsstörungen, die nicht Folge eines DB-Leidens sind, bei solchen Kriegsbeschädigten, die nicht pflichtversicherungsfähig sind, zu gewähren und sie auf die Familienangehörigen dieses Personenkreises auszudehnen. Da dieser Personenkreis von keiner Krankenkasse aufgenommen wird, entspricht diese Forderung dem Grundsatz einer ausreichenden Versorgung.
    In die Krankenversicherung der Hinterbliebenen, deren Gewährung im Regierungsentwurf wir sehr begrüßen, möchten wir aber auch die Witwen zwischen 40 und 50 Jahren, die keine Ausgleichsrente beziehen, einbezogen wissen. Unter die besonders von der sozialen Fürsorge zu Betreuenden sind neben den besonders genannten Kriegsblinden und Hirnverletzten auch die schwerbetrofffenen Gruppen der Ohnhänder und Querschnittgelähmten einzubeziehen.
    Die Frage der Kapitalisierung der Renten, die ja auch der Bundesarbeitsminister behandelt hat, muß im Hinblick auf die Zinshöhe überprüft werden, wobei überhöhte Zinsen vermieden werden müssen. Eine Angleichung der Zinssätze an die staatlichen Baudarlehen wäre zu begrüßen. Kapitalabfindung auch für die Witwe mit Kind ist ein besonderes Anliegen.


    (Frau Dr. Probst)

    Einer besonderen Regelung bedarf aber die Überleitung zu der neuen Gesetzgebung in den Ländern der französischen Zone, wo zum Teil noch die Sätze der alten Reichsversorgungsgesetzgebung und des Wehrmachtsversorgungsgesetzes in Kraft sind. Diese Frage muß in einem Sonderausschuß, den wir beantragen werden, eingehend überprüft werden mit dem Ziel, sie einer befriedigenden Lösung zuzuführen.
    Abschließend, meine Herren und Damen, darf gesagt werden, daß in dem neuen Bundesversorgungsgesetz ein Fundament gelegt wurde, das in seinen rechtlichen Grundlagen richtig verankert und so angelegt ist, daß es jederzeit ausweitungsfähig ist und einen entsprechenden gesetzlichen Aufbau ermöglicht. In diesem Sinne darf ich mit den Worten schließen, die der Herr Kollege Bazille von der SPD in einer Rundfunkansprache, die er Ende Juli kurz nach dem ersten Bekanntwerden des neuen Versorgungsgesetzes hielt, gesprochen hat:
    Wir haben etwas geschaffen,
    — so sagte Abgeordneter Bazille —
    auf das wir stolz sein können. Wir haben ein Gesetz erreicht, das auf dem Gebiete der Sozialpolitik vorbildlich ist und beweist, daß der gute Wille aller Beteiligten auch in einer schweren und in einer ernsten Zeit dazu führen kann, brauchbare Lösungen zu finden.
    Ich beantrage Überweisung des Gesetzentwurfs an
    den Ausschuß.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Leddin.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Bruno Leddin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage Drucksache Nr. 1333 tritt der Bundestag in die Beratung des bisher wohl bedeutungsvollsten sozialpolitischen Gesetzgebungswerkes, des Bundesversorgungsgesetzes ein, dessen Verabschiedung insbesondere von den an diesem Gesetz interessierten Menschen, den fast 4 Millionen Kriegsopfern im Bereich der Bundesrepublik seit vielen Monaten leidenschaftlich gefordert wurde und mit dem diese im Hinblick auf so mancherlei Enttäuschungen in den vergangenen Jahren große Hoffnungen verbunden haben. Es ist anerkennenswert, daß über den Kreis der Kriegsopfer hinaus die gesamte deutsche Öffentlichkeit und auch die deutsche Presse ihr großes Interesse an diesem Gesetz und ihr weitestgehendes Verständnis bekundet haben. Das Gesetz soll in der Tat dem durch das seinerzeit von den Alliierten in völliger Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse erlassene Kontrollratsgesetz Nr. 34 des Jahres 1946 hervorgerufenen unhaltbaren Zustand ein Ende machen, daß die Opfer des Krieges nach acht verschiedenen Länderregelungen behandelt werden, zum Teil stark voneinander abweichend, wozu dann im Laufe der Zeit noch über drei Dutzend Ausführungsbestimmungen gekommen sind. Es soll wieder bundeseinheitliches Recht schaffen.
    Schon der Frankfurter Wirtschaftsrat hatte im Hinblick auf die Lage der Kriegsopfer und mit dem Ziel, das von mir angedeutete verschiedenartige Länderrecht anzugleichen, im Frühjahr 1949 größte Anstrengungen gemacht und schließlich einmütig ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Diesem Gesetz wurde von den Vertretern der Besatzungsmächte die Zustimmung versagt, insbesondere mit dem Hinweis, daß man der künftigen Bundesgesetzgebung in dieser und anderen wichtigen und entscheidenden Fragen nicht vorgreifen wolle. Diese Entscheidung wurde im Juni 1949 bekannt, also einige Wochen vor der Konstituierung der Organe der Bundesrepublik. Es erhebt sich deshalb die Frage: Lag es nicht nahe, daß die Bundesregierung nach dem von mir geschilderten jahrelangen Unrecht an den Kriegsopfern es als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben hätte ansehen müssen, zum frühestmöglichen Termin ein Bundesversorgungsgesetz vorzubereiten und rechtzeitig zur Verabschiedung zu bringen, d. h. spätestens bis zum 1. April 1950?

    (Zuruf: Jeder sagt das!)

    In diesem Zusammenhang darf ich auch daran erinnern, daß die sozialdemokratische Fraktion mit ihrem Antrag Nr. 30 schon im September 1949 das Verlangen zur Schaffung eines Bundesversorgungsgesetzes nachdrücklichst gestellt hat, ein Verlangen, das vom gesamten Bundestag wiederholt einmütig akzeptiert und unterstützt und dessen Erfüllung von der Bundesregierung oftmals zugesagt worden ist. Selbst wenn man unterstellt, daß für die Schaffung einheitlichen Rechts umfangreiche Unterlagen aus den Ländern beschafft und finanzielle Grundlagen erarbeitet werden mußten, kann das nach meiner Überzeugung die Regierung nicht von dem schweren Vorwurf entbinden, daß hier viel zu lange gezögert worden ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diesen Vorwurf kann man auch mit dem Hinweis darauf, daß durch die Einschaltung eines Sachverständigenbeirats, bestehend aus Vertretern der Länder und der vier anerkannten Kriegsopferorganisationen, gewisse Verzögerungen entstehen mußten, nicht entkräften.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir alle wissen, daß die ungewöhnliche Verzögerung bei der Vorlage dieses Gesetzes zu einer steigenden Erbitterung und Empörung der Kriegsopfer geführt hat, die noch durch völlig überflüssige und meistens unrichtige halbamtliche und amtliche Erklärungen im Rundfunk sowie in der Presse verschärft worden ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Diese bedauerlichen sozialen Spannungen wären vermeidlich gewesen, wenn die Bundesregierung dem ständigen Drängen und dem wiederholten einmütigen Appell des Kriegsopferausschusses auf beschleunigte Vorlage des Gesetzes Rechnung getragen hätte. Das ist leider — ich stelle das ausdrücklich fest — nicht geschehen. Nunmehr, nachdem die Bundesregierung selbst viele Monate für das Zustandekommen dieses Gesetzes benötigt hat, sollen das Parlament und der Kriegsopferausschuß sozusagen im Schnellzugstempo das Gesetz beraten oder vielmehr, wie es die Regierung wohl wünscht, vorbehaltlos akzeptieren. Nicht viel anders kann man nämlich gewisse Erklärungen des Ministeriums zu diesem Gesetz verstehen. Namens der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich heute schon erklären, daß davon keine Rede sein kann und daß wir diesen Gesetzentwurf, der den meisten Mitgliedern des Parlaments ja erst vor einigen Stunden zu Gesicht gekommen ist,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    sehr kritisch unter die Lupe nehmen und überprüfen werden.


    (Leddin)

    Die sozialdemokratische Fraktion hat die Entwicklung dieses Gesetzes, beginnend mit dem seinerzeit stark umstrittenen und nach unseren Begriffen unzulänglichen Überbrückungsgesetz, aufmerksam verfolgt. Wir anerkennen, daß gegenüber den ursprünglichen Plänen bei der Entstehung dieses Gesetzes, wobei sogar die völlige Streichung aller Renten bis zu den Renten der fünfzigprozentig Schwerbeschädigten in Aussicht genommen war, dieser Entwurf einen Fortschritt bedeutet. Aber wir widersprechen entschieden den allzu bombastischen und superlativen Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers zu diesem Gesetzentwurf vor der Presse, in denen zum Ausdruck kam, daß dieser eine große soziale Tat und vorbildlich für ganz Europa sei und seiner Meinung nach weitgehend den Wünschen der Kriegsopfer Rechnung trage.

    (Zurufe in der Mitte: Bazille!)

    Solche Erklärungen stehen denn doch allzusehr im Widerspruch zu der Tatsache, daß neber anderen sehr bedenklichen Bestimmungen einem beachtlichen Teil der in der französischen Zone beheimateten Kriegsopfer gegenüber ihrer bisherigen materiellen Versorgung erhebliche Einbußen zugemutet werden sollen. Es ist ähnlich wie bei dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes, das wir vorhin vorberaten haben und in dem von den Beamten zugunsten der anspruchsberechtigten Kreise eine dreiprozentige Gehaltssenkung verlangt wird. also gewissermaßen ein Lastenausgleich unter den Kriegsopfern. Wenn schon die Schaffung einheitlichen Rechtes gewisse Härten nicht ganz ausschließt, so müssen doch unseres Erachtens alle Möglichkeiten geprüft werden, damit sie sich im engsten Rahmen halten und keine nennenswerten Verschlechterungen, wie das im Entwurf der Fall ist, mit sich bringen.
    Völlig unerträglich erscheint uns auch die den sogenannten Leichtbeschädigten, d. h. den 30-bis 40%ig Kriegsbeschädigten zugemutete Verschlechterung ihrer bisherigen Renten. Wer sind denn diese Leichtbeschädigten? Es sind Menschen mit Amputationen von Fingern und Zehen, mit Lähmung verschiedener Nervensysteme, mit Versteifungen von Gelenken aller Art, ja in vielen Fällen selbst mit Unterschenkelamputationen, die unter diesen Begriff fallen. Die sozialdemokratische Fraktion wird hier mit besonderem Nachdruck auf eine Änderung der unseres Erachtens zu niedrigen Renten bedacht sein.
    Sehr wesentlich erscheinen uns auch die von zahlreichen Kriegsopfern erhobenen Einwände gegen eine allzustarke Verankerung des Bedürftigkeitsprinzips in diesem Entwurf, die gleichfalls die Gefahr von Verschlechterungen gegenüber dem bisherigen Zustand insbesondere für die Kriegswaisen, aber auch für die Kriegshinterbliebenen und Kriegsbeschädigten mit sich bringt. Wir haben in diesem Hause bei anderen Gesetzentwürfen und auch von seiten der Bundesregierung sehr oft starke Worte des Inhalts gehört, daß hei der Lösung sozialer Fragen die Freiheit der Persönlichkeit, der gleiche Rechtsanspruch und die Gleichberechtigung auf Grund der Rechtsstaatlichkeit erhalten, vermehrt und gefestigt werden müssen. Wenn dieser Grundsatz für einen Teil von Anspruchsberechtigten Geltung haben soll, die sich auf wohlerworbene Rechte und materielle Verluste mit guten Gründen stützen mögen, so fragen die Kriegsopfer mit Recht: Soll denn dieser
    Grundsatz nicht auch auf uns Anwendung finden, die wir im Interesse dieses Staates mehr als wohlerworbene Rechte und materielles Gut einbüßten, und auch auf die Hinterbliebenen und Kriegereltern, die den Verlust ihres Ernährers oder, soweit es sich um Beschädigte handelt, ihrer Gesundheit zu beklagen haben?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sind vielleicht die durch schwere Kriegsverwundung erlittene Erblindung oder schwerste Hirnverletzung mit allen ihren verheerenden Erscheinungen, die ganzen anderen schweren Verletzungen und Erkrankungen, die doppelten Amputationen oder andere schwerste Schädigungen nicht Grund genug, um gerade für die Kriegsopfer die Anwendung dieses fundamentalen Grundsatzes des gleichen Rechtsanspruches zu verlangen? Es erscheint auch uns mit dem Grundsatz des Rechtsanspruches nicht vertretbar, wenn die Versorgung der Kriegsopfer durch eine sehr geringe Grundrente und die Gewährung der Ausgleichsrente unter dem Maßstab einer sehr scharfen Bedürftigkeitsprüfung erfolgen sollen. Wir werden uns im Ausschuß mit diesen Einwänden sehr ernsthaft auseinandersetzen.
    Einer nachhaltigen Verbesserung bedürfen unseres Erachtens auch die Bestimmungen über die nach unserer Meinung unzureichenden Freigrenzen sowie die Anrechnungsgrundsätze bei sonstigem Einkommen. Theoretisch entspricht der Gesetzentwurf zwar der besonders eindringlich erhobenen Forderung nach Gewährung der Sozialversicherungsrenten neben den Kriegsopferrenten, wie es der Herr Bundesarbeitsminister heute dargestellt hat. Aber die Tatsache, daß diese Renten als sonstiges Einkommen angerechnet werden sollen, schließt in der Praxis leider sehr häufig die Gewährung der vollen Renten aus.
    Offen geblieben ist auch die vom Ausschuß seinerzeit einmütig erhobene Forderung nach einer Sicherstellung der Krankenversicherung für alle nichtversicherungspflichtigen Hinterbliebenen sowie für einen Teil der Beschädigten und ihrer Angehörigen. Auch die völlige Annullierung aller Renten bei einer bestimmten Einkommensgrenze, besonders die vom Bundesrat beschlossene verschlechterte Regelung, bedarf doch einer sehr genauen Überprüfung. Es mag auf den ersten Blick gerechtfertigt erscheinen, daß man bei einem sehr hohen Einkommen keinen Rentenanspruch bestehen lassen will. Wir meinen aber, daß man nicht übersehen darf, daß der schwerbeschädigte Arbeitnehmer infolge seiner Verwundung oder seines Kriegsleidens gegenüber seinen gesunden Kollegen immer benachteiligt sein wird und infolge seiner Beschädigung zusätzliche Aufwendungen aufbringen muß.
    Unter keinen Umständen werden wir den Versuch der Bundesregierung anerkennen, das Gesetz erst mit seiner Verabschiedung in Kraft treten zu lassen. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß dieses Gesetz Wirkung vom 1. April 1950 ab haben soll. Die sozialdemokratische Fraktion wird darauf bestehen, daß hier nicht erneut ein gegebenes Versprechen der Bundesregierung gebrochen wird und damit das Ansehen demokratischer Organe noch mehr in Mißkredit kommt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Bei aller Würdigung der schweren wirtschaftlichen
    und finanziellen Situation der Bundesrepublik
    rufen wir es in dieser Stunde in Erinnerung, daß


    (Leddin)

    der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung und später bei vielen Anlässen die Regelung eines ausreichenden Versorgungsgesetzes gerade für die Kriegsopfer als eine der wichtigsten Aufgaben seiner Regierung bezeichnet hat,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    ein Versprechen, das auch der Herr Bundesfinanzminister Schäffer gegeben hat.
    Die im Verlaufe meiner Ausführungen gegebenen Hinweise, gestützt auf die zahlreichen Proteste aus den Reihen der Kriegsopfer, machen sehr deutlich, daß die Erwartungen der Kriegsopfer, die sie mit dem Versprechen des Herrn Bundeskanzlers verbunden haben, enttäuscht worden sind. Es ist unsere Überzeugung, daß eine einigermaßen unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse erträgliche Versorgung der Kriegsopfer nicht mit einem Betrage von 3 Milliarden erzielt werden kann, sondern mindestens einen Betrag von 3,6 Milliarden erfordern wird. Weder wir noch die Kriegsopfer haben es vergessen, daß die Bundesregierung bei der Steuervorlage den besitzenden Kreisen und den Beziehern hoher Einkommen seinerzeit ein Geschenk von nahezu einer Milliarde D-Mark gemacht hat,

    (Widerspruch rechts; — Zuruf rechts: Das ist nicht wahr!)

    und vielleicht ist im Hinblick auf das seit Wochen in der Öffentlichkeit angeklungene Thema der Remilitarisierung die Frage berechtigt: wird der sonst so sparsame Herr Bundesfinanzminister auch da die erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung haben?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir glauben schon heute die Gewißheit zu haben, daß für diesen Fall die finanziellen Grundlagen sehr schnell gesichert sein werden, auch für den Preis gewisser neuer steuerlicher Opfer. Schließlich ist es nicht das erste Mal in der Geschichte, daß die Begeisterung gewisser Kreise und Parteien bei der Bewilligung eines Wehretats immer sehr viel stärker als bei den Gesetzen sozialpolitischen Gepräges war.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es erscheint uns daher durchaus angebracht, daß wir in diesem Zusammenhang heute schon in aller Bescheidenheit daran erinnert haben.
    Unser Eindruck, daß dieser Gesetzentwurf nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung berechtigter Ansprüche der Kriegsopfer entstanden ist, vielmehr doch auch sehr starke fiskalische und finanzielle Gesichtspunkte vorherrschend gewesen sind, wird durch vielerlei Umstände bestätigt. Es ist wohl kein Zufall, meine Damen und Herren, daß in den sozialpolitischen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate immer wieder von der sich verstärkenden Rentensucht aller Gruppen von Hilfsbedürftigen die Rede war. Sehr bezeichnend erscheint uns aber auch die Auffassung im Bundesarbeitsministerium zu sein, aus der heraus ein sehr hoher Beamter dieses Ministeriums in einem Aufsatz im „Bundesarbeitsblatt" die Forderung nach sozialer Sicherheit als ein Schlagwort kennzeichnet und mit dem Ruf ,,Kanonen statt Butter" vergleicht.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Was hinter der Forderung nach sozialer Sicherheit an Erwartungen und Hoffnungen steht, welche Furcht und Angst, unter Umständen wieder einmal den Kanonen ausgeliefert zu sein, das
    sollte unseres Erachtens doch wohl mit mehr Respekt vor den Erlebnissen, die zu diesem Schlagwort geführt haben, behandelt werden.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Ich glaube, mich in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit dieses Hauses zu befinden, wenn ich — um nicht einen schärferen, unparlamentarischen Ausdruck zu gebrauchen - solche Vergleiche als sehr geschmacklos bezeichne.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Bei solchem Geist allerdings braucht man sich über die soziale Einstellung zu den verschiedensten Forderungen der Hilfsbedürftigen nicht zu wundern.
    Ich benutze diese Gelegenheit, um neben der Forderung nach einem angemessenen Versorgungsrecht für die Kriegsopfer die vielleicht noch viel bedeutungsvollere Pflicht und Verpflichtung des Staates hervorzuheben — das geht auch die Industrie, den Handel, das Gewerbe und das Handwerk an —, beschleunigt ein Gesetz über die Beschäftigung von Schwerbeschädigten vorzulegen. Der Ruf nach Beschäftigung, der nicht nur von den Organisationen der Kriegsopfer, sondern auch in Hunderten von Briefen, die mich in den letzten Wochen aus den Reihen meiner schwerbeschädigten Kameraden erreichten, immer und immer wieder erfolgt, legt ein beredtes Zeugnis von dem Verantwortungsbewußtsein dieser schwer geprüften Menschen ab. Gerade für die Schwer- und Schwerstbeschädigten bedeutet Arbeit nicht nur die Sicherung ihrer Existenz, sondern sie ist ein bestimmender seelischer Faktor in ihrem Leben. Fast 70 000 Schwerbeschädigte, in die ich auch die Unfallbeschädigten und die Zivilblinden einschließe und unter denen die Kriegsblinden und die Gehirnverletzten einer besonderen Fürsorge bedürfen, warten dringend auf die Erfüllung ihres berechtigten Anspruches.
    Die sozialdemokratische Fraktion wird an die Beratung dieses Gesetzes im Ausschuß mit dem Ziel herangehen, mit allen anderen Fraktionen eine gemeinsame Linie zu finden in der Erkenntnis, daß das Anliegen der deutschen Kriegsopfer eine Angelegenheit des gesamten deutschen Volkes ist.
    Lassen Sie mich abschließend namens der sozialdemokratischen Fraktion noch einen Appell an das ganze Haus in der Hoffnung richten, daß er stärksten Widerhall finden wird. Das ist die Einbeziehung Berlins und seiner Kriegsopfer in dieses Bundesversorgungsgesetz. Gerade bei diesem Gesetz wäre das ein Akt echter kameradschaftlicher und nationaler Solidarität.
    Der gute Wille der sozialdemokratischen Fraktion, bei diesem großen sozialpolitischen Werk eine gemeinsame Basis zu finden, setzt — darüber möchte ich keinen Zweifel lassen — allerdings voraus, daß dieser Gesetzentwurf im Sinne unserer Vorschläge, von denen ich nur einen Teil vorgetragen habe, wesentliche Verbesserungen erfährt. Mit diesem Ziel werden unsere Vertreter im Ausschuß für Kriegsopferfragen an die schwere und verantwortungsvolle Aufgabe herangehen.

    (Beifall bei der SPD.)