Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Dr. Nowack.
Dr. Nowack (FDP): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit einiger Zeit spricht man von den „131ern". Das ist, wie Sie heute gemerkt haben, soweit Sie es nicht schon vorher gewußt haben, kein Begriff aus dem Vokabularium der neuen Remilitarisierung,
sondern es ist eben jener Kreis, der unter den Art. 131 des Grundgesetzes fällt.
Dieses Gesetz zu Art. 131 liegt uns heute vor. Ich kann im Augenblick zu diesem Gesetz nicht sprechen, ohne mich um ein Jahr in die Vergangenheit zurückzuversetzen. Damals war es dieser Personenkreis, der dem Bundestag mit größten Erwartungen gegenüberstand und von ihm eine Lösung im Hinblick auf die unerhört schwierigen sozialen Verhältnisse, in denen sich dieser Kreis befand, erwartete; und zwar erwartete er eine solche Lösung bald.
Nun ist ein Jahr vergangen, und dieser Gesetzentwurf liegt erst heute vor. Bei der sozialen Lage, in der sich die Betroffenen befinden, ist es mir durchaus klar, daß sich ihre Äußerungen nicht immer gerade in sanften und friedlichen Tönen halten können. Ich muß auf der anderen Seite allerdings auch sagen, daß ich den Eindruck habe, daß es ganz bestimmte Kreise gibt, die versuchen, die Not dieser Kreise auszubeuten zu Agitationen und Hetze gegenüber der Demokratie, gegenüber der Republik, gegenüber der Bundesregierung und ihren Versuchen, die Dinge zu lösen, und auch gegenüber diesem Hohen Hause.
Es ist an sich bedauerlich, daß die Lösung dieses' Problems so lange gedauert hat, und ich verstehe auch, daß es den Leuten da draußen ziemlich gleichgültig ist, . aus welchem technischen oder verwaltungsmäßigen oder bürokratischen Grund diese Verzögerung erfolgt ist. Sie sitzen in der Not und warten auf eine Lösung, und wir haben ihnen diese Lösung bisher nicht bringen können.
Es hat einen langwierigen Kampf zwischen finanziellen und rechtlichen Erwägungen gegeben. Der Innenminister hat vorhin von dem Suchen nach einer Plattform für die finanzielle und für die politische Lösung gesprochen. Ich glaube, der Kreis dort draußen erwartet eine Lösung von der rechtlichen Plattform aus. Dieses Haus hat vor Ende des vorigen Jahres einen entsprechenden Beschluß gefaßt, und ich kann nicht annehmen, daß dieser Beschluß nur eine leere Deklamation gewesen sein soll. Die FDP-Fraktion hat sich bereits in früheren Erklärungen zu dieser Frage eindeutig auf den Boden des Rechts gestellt und immer wieder erklärt, daß sie grundsätzlich für die Gleichberechtigung eintritt.
Nun sind wir hier — vom Kollegen Kleindinst in erster Linie — ermahnt worden, wenn wir für eine Regelung dieser Frage eintreten, doch auch für die Mittelbewilligung einzutreten. Meine Damen und Herren, ich habe früher schon einmal hier gesagt, daß ich der Auffassung bin, daß das, was bisher an Berechnungen angestellt worden ist, sehr fragwürdig ist. Sowohl die statistischen Unterlagen wie auch die Sätze, mit denen man die Statistik nun multipliziert und dann Milliardenbeträge ausgerechnet hat, sind fragwürdig. Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die Lasten, die uns hier auferlegt werden, tatsächlich als Lasten empfindlich zu spüren sein werden. Aber ich bin auch heute noch der Überzeugung — und ich glaube auch, man kann es rechnerisch nachweisen —, daß diese Lasten nicht mit den Milliardenbeträgen identisch sind, die uns hier von amtlicher Stelle immer wieder vorgetragen worden sind.
Wir werden allerdings erhebliche Anstrengungen
machen müssen, um die finanzielle Seite zu regeln.
Aber ich glaube, nicht die finanzielle Entscheidung darf, sondern die rechtliche Klärung der Angelegenheit muß im Vordergrund stehen; die rechtliche Frage muß nach den überlieferten Grundsätzen des Beamtenrechts entschieden werden, so wie wir es immer vertreten und verteidigt haben und auch in Zukunft vertreten werden.
Es ist der Versuch gemacht worden, einen Teil der Kosten — es ist wesentlich, daß man sagt: einen Teil der Kosten — durch eine allgemeine Kürzung der Gehälter der Beamten und der Pensionäre aufzubringen. Eine Kürzung um 3% —ob man sie nun Steuer oder einen Gehaltsabzug oder wie man das Kind nennt, ist ganz gleich — ist von seiten der Regierung vorgeschlagen worden. Ich möchte allerdings einmal eines aus der Agitation, die mit diesem Satz getrieben wird, richtigstellen. Wenn behauptet wird, daß diese Kürzung dazu reichen würde, die Ansprüche der aus dem Art. 131 Berechtigten zu befriedigen, so ist das ein völliger Unsinn. Diese 3 % stehen nur als zwanzigprozentiger Deckungsvorschlag in dem Gesamtvorschlag, den die Bundesregierung auf Ihre Veranlassung dem Hause für die Deckung der An-
sprüche aus Art. 131 vorgelegt hat. Also nur eine beschränkte und sehr begrenzte Deckung. Aber ich glaube, daß man unter den heutigen Verhältnissen niemand aus dem Kreise der Beamten oder der Beamtenpensionäre zumuten kann, sich in seinen Einkünften einer weiteren Kürzung zu unterziehen. In einem Augenblick, wo andere Berufsgruppen — seien es Arbeiter, seien es Angestellte — im Hinblick auf die Steigerung der Lebenshaltungskosten Lohnerhöhungen erkämpfen, kann man nicht einer Schicht, die, wie der Herr Innenminister selbst erklärt hat, seit 1927 die gleichen Gehaltssätze bekommt, noch eine weitere zusätzliche Kürzung zumuten.
Wir lehnen daher diesen Vorschlag der Bundesregierung zur Befriedigung der Bedürfnisse aus Art. 131 ab.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der anderen Seite begrüßen wir es, daß die Bundesregierung in dem Schlußabschnitt des Gesetzes den Vorschlag gemacht hat, den Betrag, der erstmalig für die Deckung der Ansprüche aus Art. 131 erforderlich wird, als einen konstanten Betrag Jahr für Jahr in den Haushalt einzusetzen. Auf diese Weise wird es möglich werden, die eventuell im Anfang nicht unbedingt gleich hohen finanziellen Leistungen in rascher Folge im Laufe der nächsten Jahre völlig an die Leistungen anzugleichen, die andere Beamte und Staatsdiener, öffentlich Bedienstete erhalten. Das wird um so mehr und um so leichter geschehen, als der Gesamtbetrag, der bisher veranschlagt wird, ohnehin noch erhöht wird. Ich möchte mich auf einige Einzelfragen nicht weiter einlassen, möchte nur sagen, daß wir es außerordentlich begrüßen, daß vom Bundesrat der Vorschlag gemacht worden ist, dieses Gesetz auch auf Berlin auszudehnen. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn dieser Vorschlag auch von Anfang an schon in dem Gesetz enthalten gewesen wäre.
Eine Reihe von anderen Fragen wird uns bei der künftigen Bearbeitung des Gesetzes in den Ausschüssen noch außerordentliche Schwierigkeiten machen. Da taucht die Zehnjahresfrist auf, ein Thema, über das man sich wird unterhalten müssen. Es taucht die Frage auf: soll man eine Altersgrenze einsetzen und durch die Einfügung der Altersgrenze dem Betroffenen von vornherein den Unterhaltsbetrag erhöhen oder soll man keine Altersgrenze nehmen, so daß man dann vielleicht gezwungen wäre, allen geringere Unterhaltsbeträge zu zahlen, auch denen, die vielleicht bei gutem Willen dann noch eine selbständige Arbeit leisten können.
Die Frage der zwei Beförderungen ist, wie Kollege Menzel schon ausgeführt hat, selbst im Bundesrat Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen gewesen. Wir haben über diese Frage und ihre Auswirkungen bisher überhaupt keine Unterlagen und kein Material, wir wissen gar nicht, wie sich diese Bestimmung gegenüber dem einzelnen auswirken kann, ob sie sich finanziell überhaupt auswirkt oder ob nicht der finanzielle Erfolg vielleicht durch eine erhöhte Verwaltungsarbeit aufgefressen wird. Schließlich darf man auch bei dieser Frage noch hinzufügen: Blitzkarrieren hat es immer gegeben, nicht nur vor 1945.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es tauchen auch die Frage des RAD sowie noch eine ganze Reihe weitere Einzelfragen auf. Alles das wird Aufgabe der betreffenden Ausschüsse sein, sich mit diesen Einzelheiten zu befassen.
Ich glaube aber, daß ein Abschnitt aus diesem Gesetz bereits ausgegliedert werden kann, das ist der Abschnitt, der die Unterbringung der Beamten regelt, die verdrängt oder vertrieben worden sind. Ich glaube das, nachdem der Bundesrat in seiner Stellungnahme erklärt hat, daß die von meiner Fraktion eingebrachte Vorlage zu dieser Frage — die Drucksache Nr. 1201 — in diesem Punkt eine glücklichere Lösung als die Regierungsvorlage zu Art. 131 enthält. Der Bundesrat hat einen wesentlichen Teil unserer Vorschläge in seine eigenen Vorschläge übernommen und uns damit praktisch in die Lage versetzt, dieses Unterbringungsgesetz in allerkürzester Frist fertigzustellen und damit den ersten praktischen Beitrag zur Ausführung des Art. 131 zu liefern. Ich glaube, es sollte die dringendste Aufgabe der zuständigen Ausschüsse sein, sich so schnell wie möglich mit diesem Gesetz zu befassen.
Es gibt Proteste gegen diese Unterbringungspflicht. Sie kommen aus den Gemeinden, sie kommen aus den Landgemeinden. Ich weiß, welche Schwierigkeiten dort bestehen. Wir werden uns mit diesen Protesten befassen und wir werden danach trachten müssen, daß nicht übermäßige Härten entstehen. Im Grundsatz aber müssen wir dafür sorgen, daß diese Personenkreise in erster Linie erst einmal Arbeit finden. Die Regelung der Unterbringungsfrage ist auch gleichzeitig der erste und wichtigste Beitrag zur Erledigung einer Reihe von finanziellen Problemen. Denn durch diese Unterbringung werden die Lasten, die der Bund zu tragen hat, doch erheblich, und zwar in wachsendem Maße erheblich verringert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige Redner haben hier davon gesprochen, daß dieser Entwurf eine Diskriminierung einzelner Beamtengruppen oder insbesondere — darauf ist hingewiesen worden — der Wehrmachtsangehörigen bedeutet. Ich glaube, versichern zu können, daß der Bundesregierung eine solche Diskriminierung völlig ferngelegen hat. Der Herr Bundesinnenminister hat ja diese Frage in seinen Ausführungen auch schon behandelt, und ich glaube, zumindest für meine Fraktion erklären zu können, daß wir uns an einer solchen Diskriminierung niemals beteiligt haben und niemals beteiligen werden. Man kann aber nicht jede durch die Zeitverhältnisse bedingte Unterscheidung nun als Diskriminierung einer Gruppe bezeichnen, sondern man muß sie dann doch in den großen Zusammenhang der Politik und des gesamten sozialen und soziologischen Geschehens bringen.
Um die Arbeit zu beschleunigen, die bisher um. ein Jahr aufgeschoben worden ist, schlagen wir Ihnen vor, einen Sonderausschuß zu bilden, der sich mit der Beratung dieses Gesetzes befassen soll. Wir schlagen Ihnen das aus rein technischen Erwägungen vor. Wenn wir diesen Entwurf in vier oder fünf Ausschüsse bringen, anstatt von vornherein den Versuch zu machen, aus diesen vier oder fünf Ausschüssen einen Sonderarbeitsausschuß zu kombinieren, dann müssen wir zeitlich hintereinander arbeiten, während wir in diesem einen Sonderausschuß zeitraffend zusammenhängend arbeiten können. Es ist aber schon soviel Zeit versäumt worden, daß wir jetzt überlegen müßten, ob wir noch weitere Zeit verstreichen lassen oder ob wir uns nicht technisch verständigen wollen, einen Sonderausschuß zu bilden, dem wir dieses Aufgabengebiet übertragen.
Ich darf Ihnen, Herr Präsident, den Antrag vorlesen:
Zur beschleunigten Vorbereitung der zweiten und dritten Beratung wird der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 fallenden Personen einem gemäß § 27 der Geschäftsordnung zu bestellenden Sonderausschuß überwiesen. Der Sonderausschuß besteht aus 28 Mitgliedern, von denen je 7 gleichzeitig dem Haushalts-Ausschuß, dem Ausschuß für Heimatvertriebene, dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und dem Ausschuß für Beamtenrecht angehören.
Ich darf diesen Antrag dem Herrn Präsidenten überreichen und bitte, ihn im Lauf der weiteren Behandlung des Themas heute zur Abstimmung zu bringen.
Wir nehmen den vorliegenden Gesetzentwurf als eine Arbeitsunterlage entgegen. Wir behalten uns vor, genau so, wie wir es bei der Frage der Unterbringung gemacht haben, eventuell auch in Zukunft noch in dieser Frage initiativ tätig zu werden.
Meine Damen und Herren! Wenn wir diese Beratung in Kürze beendet haben werden, werden wir uns noch mit der Beratung des Kriegsopfergesetzes zu befassen haben. Es scheint mir nicht nur ein Zufall, sondern wesentlich zu sein, daß diese beiden Gesetze nebeneinander stehen, um der breiten Öffentlichkeit, um dem deutschen Volk zu zeigen, welche schweren Lasten es als Folge einer verhängnisvollen Politik, der einmal viele zugejubelt haben, auf sich nehmen muß. Notwendig ist es auch, daß wir diese beiden Fragen nebeneinander stellen, um zu zeigen, daß nicht allein eine Gruppe da ist, die um ihr Recht kämpft, sondern daß mehr Gruppen da sind. Ich sehe vor mir die Hunderttausende von Menschen, die der heutigen Diskussion dieses Hauses mit großer Sorge und großem Interesse folgen und die hoffen, daß dieses Haus und seine Ausschüsse ihnen in Kürze nun endlich die rechtlichen Unterlagen und damit die Rechtsansprüche geben, die ihnen nun seit fünf Jahren völlig versagt waren und deren Zuerkennung sie jetzt wieder in den Kreis der gleichberechtigten Menschen eingliedern sollen, in den Kreis jener, wie Herr Vizekanzler Blücher, der hier von Herrn Kollegen Fröhlich zitiert worden ist, gesagt hat, in den Kreis der Menschen, die in Deutschland alle nur noch gleichberechtigt dastehen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr Abgeordneter von Thadden.