Meine Damen und Herren! Im Volksmunde heißt es, daß das, was lange währe, endlich gut werde. Die Zentrumsfraktion ist der Auffassung, daß der von der Regierung endlich vorgelegte Gesetzentwurf, der heute zur Beratung steht, das Prädikat „gut" nicht verdient. Meine politischen Freunde sind mit mir nicht damit einverstanden, daß der übergeordnete Rechtsstandpunkt zugunsten finanzieller Überlegungen grundsätzlich hintenangestellt worden ist.
Das sollte in einem Rechtsstaate unmöglich sein.
So etwas ist untunlich, weil dadurch das Vertrauen der betreffenden Personen zum Staat, zur jungen Demokratie nur allzu leicht untergraben wird. Und dieses Vertrauen wird untergraben innerhalb eines sehr großen Personenkreises, von dem man — mit Recht sage ich — erwartet, daß er in besonderer Treue zum Staat und zu seinen Einrichtungen steht. Hier entsteht ein Manko, das — in erster Linie im Interesse des Staates — nicht leicht genommen werden sollte.
Meine Damen und Herren, wenn man sich grundsätzlich zum Berufsbeamtentum bekennt, dann gilt zunächst einmal ebenso grundsätzlich das Bekenntnis Treue um Treue, Treue um Treue durch beiderseitige Tat. Im vorliegenden Gesetzentwurf vermißt man den Geist der der Beamtenschaft zu erwidernden Treue. Gewiß, die Bedeutung des Berufsbeamtentums liegt zutiefst im Ideenmäßigen, aber doch auch im Materiellen insoweit, als das Recht nicht verletzt werden darf. Das Gehorsams- und Treueverhältnis der Beamten — Gehorsam gegenüber der Regierung, Treue gegenüber Volk und Staat — verträgt keinerlei Verletzung des Rechtes, besonders dann nicht, wenn man bedenkt, daß die Tätigkeit des Beamten,
seine Lebensaufgabe durchsetzt sein muß mit goldhaltigen Imponderabilien. Es gibt ein Wort von Ludwig Börne, das lautet: „Wer in der wirklichen Welt arbeiten kann und in der idealen leben, der hat das Höchste erreicht!" Und das wird—ich sage: mit Recht — vom Beamten verlangt. Darum noch einmal: Treue um Treue!
Meine Damen und Herren! Die Besoldungsordnung von 1927 ist heute noch in Kraft. Hoffentlich wird sie ihr Silberjubiläum nicht erleben. Der Herr Bundesfinanzminister selbst hat gelegentlich einmal gesagt, daß die Beamtenschaft in den letzten Jahren bis zu 50 % Vorleistungen hinter sich gebracht habe. Trotzdem wird den Beamten hier eine Sondersteuer von 3 % ihres Diensteinkommens zugemutet. Die Zentrumsfraktion wird diese Sondersteuer ablehnen. Sie lehnt darüber hinaus jede Verkoppelung mit der sechsprozentigen Einkommenskürzung ab, soweit sie noch besteht. Was ich bisher hinsichtlich der Beamten gesagt habe, das gilt — ich hebe das ausdrücklich hervor — auch hinsichtlich der in Frage kommenden Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes. Das gilt ebenso hinsichtlich der Offiziere und Unteroffiziere der ehemaligen Wehrmacht und ihrer Beamten und Angestellten.
Ich kann bei der mir zur Verfügung stehenden Redezeit von zehn Minuten auf Einzelheiten des Gesetzentwurfes nicht eingehen. Aber einiges, was zur Sache insgesamt gehört, möchte ich noch sagen. Anläßlich der Anwesenheit des früheren Reichskanzlers Brüning im Bundesgebiet ist dessen Name in der Öffentlichkeit wieder häufig genannt worden. Aber jenseits dieser Anwesenheit und lange vorher ist dieser Name in Verbindung mit der bekannten Notverordnung in Beamtenkreisen viel häufiger genannt worden, weil diese Notverordnung, soweit sie noch besteht, ein Widerpart im Gefüge des Besoldungswesens ist, und zwar deshalb, weil das Erfordernis der Gleichheit gegenüber der Besoldungsordnung hier verletzt ist.
Das hat letzthin die Postbeamtenschaft auf den Plan gerufen. Erstmalig — und, wie ich hoffen möchte, einmalig — hat die deutsche Postgewerkschaft die Angehörigen der Bundespost zu einer Urabstimmung aufgerufen. Angesichts der Lage, in der die Beamtenschaft steckt, ist es nicht überraschend, daß sich 89 % der Angehörigen der Bundespost an dieser Abstimmung beteiligt haben. In dieser Urabstimmung haben 96 % der Beteiligten gegen die Beibehaltung der sechsprozentigen Gehaltskürzung und gegen die Einführung einer dreiprozentigen Sondersteuer und für die Anwendung gewerkschaftlicher Mittel gestimmt. Diese Anwendung — so hat die Postgewerkschaft nachher erklärt — sollte nicht zwingend den Streik bedeuten. Meine Damen und Herren! Das ist immerhin ein ungewöhnlicher Vorgang, der geradezu — ich möchte sagen — alarmierend wirkt. Dieser ungewöhnliche Vorgang könnte — ich sage „könnte" — zur Radikalisierung der Beamtenschaft führen, wenn die Regierung nicht alsbald ihren beamtenpolitischen Kurs ändert. Solche Radikalisierung wäre vom Übel, besonders in einer jungen Demokratie, deren Verhältnisse noch längst nicht allewege gefestigt sind.
Die Zentrumsfraktion lehnt — um darüber keinen Zweifel aufkommen zu lassen, sage ich das in diesem Zusammenhang — den Beamtenstreik ab. Sie hat aber Verständnis dafür, daß es zu dieser Urabstimmung gekommen ist. Der Initiator war die deutsche Postgewerkschaft. Aber diese ist nicht
schuldig zu sprechen. Ebensowenig ist die ansonsten durchaus besonnene Postbeamtenschaft schuldig zu sprechen, deren Minister in der Lage und gern bereit gewesen wäre, die sechsprozentige Gehaltskürzung aufzuheben, wenn er nicht durch entgegenstehende Kabinettsbeschlüsse, die dieses Hohe Haus durch seine Regierungsmehrheit sanktioniert hat, daran gehindert gewesen wäre.
Wie es um die Stimmung in der gesamten Beamtenschaft und darüber hinaus bei allen von dem Gesetzentwurf aus Art. 131 des Grundgesetzes betroffenen Personen steht, darüber möchte ich aus einer kleinen Anzahl von Zuschriften, die mir gleich anderen Kollegen des Bundestages zu Hunderten zugegangen sind, einiges wenige sagen. — Ich stelle gerade fest, daß meine Redezeit beinahe abgelaufen ist. Ich kann Ihnen also aus dieser Blütenlese nichts wiedergeben. Man braucht das, was in diesen Zuschriften gesagt worden ist, nicht zu billigen, Herr Bundesinnenminister; da bin ich durchaus mit Ihnen einverstanden. Man kann es sogar verurteilen. Man muß nach meiner Meinung aber auch Verständnis dafür haben. Das sind nicht mehr Ausdrücke eines gesteigerten Unbehagens, sondern es sind Verzweiflungsrufe und Notschreie und, was nicht weniger schlimm ist, Ausdrucksweisen eines heraufziehenden Radikalismus aus der Not der Lage heraus. Solche Äußerungen abstoppen, diesen Radikalismus bannen heißt nichts anderes, als den übergeordneten Rechtsstandpunkt, von dem ich eingangs sprach, aus der Ecke herausholen, in die man ihn hineingestellt hat.
Die Zentrumsfraktion beantragt Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Beamtenrecht. In diesem Ausschuß wird meine Fraktion dahin mitzuwirken suchen, daß verletztes Recht, daß Verstöße gegen Treu und Glauben wieder gutgemacht werden; einmal, damit allen Beteiligten gegeben werde, was ihnen nach Recht und Billigkeit zusteht, und zum anderen, damit einer beginnenden Radikalisierung der Beamtenschaft, die dem staatstragenden Charakter des öffentlichen Dienstes abträglich ist, Einhalt geboten wird, damit wieder eine erträglichere, eine wohltuendere, eine friedliche Atmosphäre geschaffen wird.