Rede von
Clara
Döhring
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Diskussion hat gezeigt, daß über die Schaffung eines Mutterschutzgesetzes eine einheitliche Meinung hier im Hause besteht. Gestatten Sie mir aber zunächst eine Vorbemerkung oder besser eine Richtigstellung! Gewiß haben auch christliche Kreise sich darum bemüht, einen Schutz für Mutter und Kind zu
schaffen. Aber ich muß Sie schon fragen: Wo sind die Ergebnisse dieser Bemühungen geblieben?
Meine Fraktionskollegin hat in ihrer Begründung ganz richtig angegeben, daß die Sozialdemokratische Partei mit diesem Antrag erneut die Initiative zum Ausbau des Mutterschutzgesetzes ergriffen hat, so wie sie es bereits im Jahre 1925 durch die große Anfrage im preußischen Landtag getan hat, als es sich darum handelte, die Öffentlichkeit überhaupt erst auf die Lage der erwerbstätigen schwangeren Frauen aufmerksam zu machen.
Das Mutterschutzgesetz von 1942 ist übrigens nicht das geistige Produkt derjenigen, die im Dritten Reich regiert oder vielmehr diktiert haben. Vielmehr basiert dieses Gesetz auf den Richtlinien des Washingtoner Abkommens vom 29. November 1919. Wie Sie ja wissen, meine Herren und Damen, wurden diese Richtlinien seinerzeit im Jahre 1927 vom Reichstag ratifiziert. Zu jener Zeit war Herr von Hindenburg Reichspräsident und Herr Dr. Brauns Reichsarbeitsminister.
Wenn davon gesprochen wurde, daß die Ausweitung des Mutterschutzes nach § 1 Abs. 2 Schwierigkeiten bereiten würde, so ist das wohl richtig. Aber wenn es 'darum geht, für alle Mütter einen Mutterschutz zu schaffen, dann ist es eben nowendig, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Sie wissen alle, daß die Familienhilfe nicht ausreichend ist, die Geburt eines Kindes aber staatspolitisch immer gleich zu werten ist. Die Abgeordnete Frau Ilk, glaube ich, sprach hier von der Fabrikanten- und der Arbeiterfrau. Gestatten Sie mir, darauf einzugehen. Die Geburt eines Kindes, wiederhole ich, ist staatspolitisch gesehen immer gleich zu werten, und darum sollte das, was für die Frauen einer bestimmten Gesellschaftsschicht als selbstverständlich angesehen wird, auch für die ärmsten ,der Frauen unter uns ebenfalls zur Selbstverständlichkeit werden,
indem man auch ihnen durch einen fortschrittlichen Mutterschutz die Möglichkeit gibt, in Ruhe und in einigermaßen materieller Sicherheit ihre Mutterpflicht zu erfüllen.
- Meine Herren und Damen, Sie haben Gelegenheit, in den Ausschüssen zu beweisen, daß Sie mir hier zustimmen.
Wenn wir jetzt in unserm Gesetz für die arbeitende Mutter eine kürzere Pause zum Stillen des Kindes vorgesehen haben, dann ist das doch darauf zurückzuführen, daß im Gesetz von 1942 die längeren Stillzeiten lediglich deshalb enthalten waren, weil seinerzeit 10, 12 und 14 Stunden gearbeitet wurde; denn bekanntlich hatte man im Dritten Reich Arbeitszeiten bis zu 74 Stunden in der Woche.
Gestatten Sie mir, meine Herren und Damen, noch eine andere Bemerkung über die Kündigungen schwangerer Frauen. Ich werde den Eindruck nicht los, als lägen die Probleme um das Mutterschutzgesetz viel tiefer, als wir es bis jetzt hier gehört haben; denn sonst könnte es nicht möglich sein, daß man sich das Überangebot der Frauen und die Arbeitslosigkeit zunutze macht, schwangeren Frauen zu kündigen, die doch Anspruch auf den Schutz des Mutterschutzgesetzes haben. Lassen Sie mich diese Dinge belegen. Allein
aus dem Bezirk Wuppertal-Barmen wurden in letzter Zeit fünf derartige Fälle gemeldet. Auch in München-Gladbach sind 3 solcher Kündigungen erfolgt, die dann teilweise durch Verhandlungen zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, teils aber erst durch arbeitsgerichtliche Urteile wieder rückgängig gemacht werden konnten. So hatte in einem Falle eine Firma versucht, auf dem Wege der Abänderungskündigung das Gehalt einer Angestellten zu senken. Diese Angestellte stand unter dem Schutz des § 6. Eine mündliche Verhandlung mit der Firma hatte keinen Erfolg. Erst auf die Klage, die durch die Gewerkschaft beim Arbeitsgericht eingereicht wurde, sah sich die Firma gezwungen, die Abänderungskündigung zurückzuziehen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat ja jetzt Gelegenheit, den § 6 des Kündigungsschutzgesetzes so wiederherzustellen, wie er auf Grund des Gesetzes von 1942 bestanden hat, und nicht wieder in der verschlechterten Form, wie es im Wirtschaftsrat geschehen ist.
Es ist untragbar, die erwerbstätigen Frauen. deren tägliches Leben sowieso schon durch unendlich viele Schwierigkeiten und große finanzielle Sorgen belastet ist, weiterhin diesem unsicheren Zustand auszusetzen. Es ist beschämend und unerträglich, daß einzelne Arbeitgeber immer wieder versuchen, den Kündigungsschutz für werdende Mütter zu umgehen. Die Frauen wehren sich hiergegen mit Recht, und so wurde kürzlich auch auf der Frauenarbeitstagung des Gewerkschaftsbundes in Württemberg-Baden, auf der die Delegierten 130 000 weibliche Mitglieder vertraten, die Neuordnung des Mutterschutzgesetzes erneut verlangt. Eben im Hinblick darauf, daß unser Antrag schon am 20. Oktober vorigen Jahres gestellt worden ist und die Regierung das Gesetz bis jetzt nicht fertiggebracht hat, hat man auch in jener Konferenz verlangt, das Mutterschutzgesetz neu und fortschrittlich zu regeln, damit allen Müttern der Kündigungsschutz und die wirtschaftliche Sicherstellung in vollem Umfange gewährleistet sind.
Meine Herren und Damen! Deutschland war einst das Land mit der fortschrittlichsten Sozialgesetzgebung. Selbst ein Lord Beveridge ist seinerzeit zu uns gekommen, um die Einrichtungen auf sozialpolitischem Gebiet in Deutschland zu studieren. Nun, das war einmal, leider — wie ich hinzusetzen muß. Damals waren wir auch gleichberechtigt im Internationalen Arbeitsamt vertreten. Wie jetzt bekannt wird, will die Regierung die Wiederaufnahme in das Internationale Arbeitsamt beantragen. Ich glaube, meine Herren und Damen, daß es, nachdem so viele andere Länder uns auf sozialpolitischem Gebiet weit überholt haben, eine gute Hypothek für den Eintritt in das, Internationale Arbeitsamt wäre, wenn die Bundesregierung inzwischen ein wirklich fortschrittliches Mutterschutzgesetz schaffen würde.
Doch abgesehen von all dem möchte auch ich das Hohe Haus namens meiner Fraktion bitten, unserem Entwurf zuzustimmen, um dem großen Kreis erwerbstätiger Frauen und Mütter die so dringend benötigte Hilfe zu gewährleisten. Jedermann weiß, daß die Preise für Milch, Kindernährmittel usw. gegenüber früher wesentlich gestiegen sind, und deshalb noch einmal meine dringende Bitte im Namen aller Mütter an das Hohe Haus,
so rasch wie möglich das Mutterschutzgesetz, wie es unsere Vorlage vorsieht, zu verabschieden.
Ich möchte Ihnen vorschlagen, das Gesetz dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen. Da der Ausschuß für Arbeit heute mit der außerordentlich umfangreichen Arbeit an den Gesetzentwürfen zum Mitbestimmungsrecht beauftragt wurde und das Mutterschutzgesetz doch weitgehend sozialpolitischen Charakter hat, dürfte die Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß wohl das gegebene sein.