Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Auseinandersetzungen über das Mitbestimmungsrecht ist in den letzten Monaten und auch heute morgen in diesem Hause teils mit juristischen, teils mit wirtschaftlichen, teils mit sozialen und teils, besonders von der ganz linken Seite, mit politischen Argumenten gefochten worden. Ich gestehe, daß kaum ein Problem zur Regelung unserer Zusammenarbeit so viel Widerspruch
und so viel Zustimmung ausgelöst hat wie die Frage der Mitbestimmung. Dabei ist diese Forderung nicht neu. Blättert man einmal in den heute schon vergilbten Zeitschriften der zwanziger Jahre, so findet man in diesen Zeitschriften Darlegungen über das Mitbestimmungsrecht, die noch heute aktuell sind. Es muß dabei hervorgehoben werden, daß es in erster Linie Forderungen der christlichsozialen Bewegung gewesen sind.
Um was geht es in den Fragen des Mitbestimmungsrechts? Es geht nicht um eine rechnerisch genau abgegrenzte Besetzung der Aufsichtsräte, es geht nicht um den Machtanspruch der Arbeitnehmer in der Wirtschaft, es handelt sich auch nicht um ein nur arbeitsrechtliches oder wirtschaftliches, sondern es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem, um einen Teil der Sozial- und Wirtschaftsordnung, und zwar um den wichtigsten Teil. Es handelt sich um den Menschen. Nicht von ungefähr haben sich der Bochumer Katholikentag und die Evangelische Kirche mit diesem Problem eingehend beschäftigt; denn eine der wichtigsten Forderungen des Christentums ist die nach einer Wirtschaftsordnung, die der Würde der menschlichen Person, und zwar aller Personen, gerecht wird. Dazu gehört nach unserer Auffassung, daß alle Arbeitenden .sich in ihrer Berufsausübung zu freien Menschen entwickeln können. Diese Freiheit, die eine innere und eine äußere sein muß, kann der Mensch aber nur gewinnen, wenn er sein Schicksal eigenverantwortlich mit gestalten kann.
Die Wirtschaft hat in den letzten hundert und mehr Jahren eine Entwicklung genommen, die es rund 60 % der Erwerbstätigen unmöglich macht, im Wirtschaftlichen ihren Willen eigenverantwortlich einzusetzen. Nach der jetzigen Wirtschaftsstruktur ist die Wirtschaft nur funktionsfähig, wenn der weitaus größte Teil der Erwerbstätigen abhängig, nach Entschlüssen und Weisungen anderer tätig ist. Aus dieser Proletarierstellung muß der arbeitende Mensch herausgehoben werden. Aus dem Nur-Lohnarbeiter muß ein gleichberechtigter Mitarbeiter werden, und der Arbeitsplatz muß zur sicheren, menschenwürdigen Existenz werden. Der Betrieb ist die Stelle, in der sich ein wesentlicher Teil des Lebens des Arbeiters abspielt. Vom Betrieb hängt die Existenz des Arbeitnehmers und die Existenz seiner Familie mehr oder weniger ab. Darum muß dem Arbeitnehmer im Betrieb in erster Linie die Möglichkeit gegeben werden, mit zu gestalten. Natürlich kann das nicht jeder Arbeitnehmer unmittelbar tun. Aber wenn der Arbeitnehmer durch seine Mitwirkung bei der Bildung der Betriebsvertretung und in den Betriebsversammlungen an dem Geschehen im Betrieb beteiligt und über die Wirtschaftsvorgänge unterrichtet wird, ist in der Partnerschaft, die nun einmal zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer bestehen soll, viel erreicht.
Nun wird bei den Einwendungen gegen das Mitbestimmungsrecht vielfach auf die Eigentumsordnung, auf die Unternehmerinitiative, auf das Unternehmerrisiko und auf die Verantwortung verwiesen. Meine Freunde und ich bejahen das Privateigentum, und unsere Politik ist darauf gerichtet, möglichst vielen Menschen zu Eigentum zu verhelfen. Wir sind der Auffassung, daß es eine der wichtigsten Aufgaben des Staates ist, das Eigentum zu schützen. Doch ein entscheidender Punkt trennt uns von der rein liberalistischen Auffassung: ein absolutes und uneingeschränktes Eigentum erkennen wir nicht an. Denn jedes Eigentum und jeder Besitz ist unter dem Schutz der Gemeinschaft erworben worden. Daher ist das Eigentum und ist der Besitz der Gemeinschaft verpflichtet. Für den einzelnen ist Privateigentum gewissermaßen ein Lehen, das er in sozialer Verantwortlichkeit zu verwalten hat. Wenn die Mitbestimmung das Eigentumsrecht auf der einen und den gerechten Lohn auf der anderen Seite zu respektieren hat, bekommt das Eigentumsrecht und bekommen auch die Aufgaben des Unternehmers — nach der dargelegten Sicht zum Eigentum - in der sich neu anbahnenden Wirtschaftsordnung einen ganz neuen, besonderen Sinn.
Soweit die Unternehmerinitiative in Zusammenhang mit der Mitbestimmung angesprochen wird, sind wir nach wie vor der Meinung, daß es in der Leitung und Führung der Wirtschaft und des Betriebes ein Oben und Unten geben muß. Dieser Gedanke hat die Arbeitsdisziplin gefördert und dadurch Gewaltiges für den Fortschritt geleistet. Doch heißt die Eingliederung nicht, der Entfaltung der besten menschlichen Kräfte Hemmnisse entgegenzusetzen. Wir sind vielmehr der Meinung, daß ein Mitgestaltungsrecht das Höchste und Beste im Menschen zur Entfaltung bringen kann und bringen wird.
Endlich die Frage des Risikos. Gewiß gibt es ein Unternehmerrisiko, das Beachtung verdient und anerkannt werden muß. Doch gibt es auch auf der Arbeitnehmerseite ein Risiko. Dieses besteht darin, daß auch der Arbeitnehmer und seine Familie in ihrer Existenz von dem Betrieb und seinem Gedeihen abhängen.
Ein letztes Wort zur Frage der Verantwortung in der Wirtschaft und im Betrieb. In diesem Zusammenhang wäre eine Statistik über die Anzahl der Betriebe interessant, die nach dem Zusammenbruch lediglich durch das Verantwortungsbewußtsein und die Initiative der Arbeitnehmer wieder lebens- und existenzfähig geworden sind und für unsere Versorgung wieder funktionsfähig gemacht werden konnten. Ich bin der Auffassung, daß gerade in den hinter uns liegenden Jahren, besonders nach dem Zusammenbruch, die Arbeitnehmerschaft bewiesen hat, daß sie auch Verantwortung zu tragen weiß und Initiative entwickeln kann.
Wir wollen mit der Mitbestimmung in erster Linie eine neue Ära der Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital, zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer herbeiführen. Dabei vertrete ich die Auffassung, daß der Gesetzgeber nur den Rahmen ziehen kann und daß es letzten Endes auf die Menschen, sowohl den Menschen im Unternehmer als auch auf den Menschen im Arbeitnehmer, ankommt, wie im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen das Gemeinsame in der betrieblichen Zusammenarbeit gefunden und von dort aus das Verhältnis zueinander geregelt wird. Finden wir bei den Beratungen über den von meiner Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf gemeinsam den Weg, den dieser Entwurf vorzeichnet, dann verwirklichen wir eine Forderung, die eine neue soziale Ordnung zum Ziel hat.