Rede von
Dr.
Gerd
Bucerius
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich mache den Vorschlag, um dem kommunistischen Kollegen zu folgen, daß wir den Betriebsräten im Rahmen dieses Gesetzes die gleichen Rechte einräumen, wie sie die Betriebsräte in der russischen Zone genießen, nämlich praktisch überhaupt keine!
Die Besetzung dieses Hauses zeigt kein mangelndes Interesse an dem Gesetzentwurf. Es dürfte aber richtiger sein, daß Gesetzentwürfe, wenn sie nicht streitig sind und keinen Anlaß zu erheblichen Auseinandersetzungen geben, zweckmäßigerweise doch in Zukunft die erste Lesung ohne Diskussion passieren.
Ich werde mich deshalb auch möglichst kurz fassen.
Eingehende Untersuchungen deutscher und ausländischer wissenschaftlicher Institute haben über die Frage, ob wir nach 1952, d. h. nach Ablauf des Marshallplanjahres, in der Lage sind, uns selbst zu erhalten, sehr überraschende Ergebnisse gezeigt, nämlich die Tatsache, daß die Aussichten unter zwei Voraussetzungen allerdings relativ günstig sind. Erstens: eine gewisse Zuführung ausländischen Kapitals als Kapital, nicht praktisch als Geschenk wie jetzt, auch nach diesem Zeitpunkt; und zweitens: die Heranziehung einer deutschen Handelsflotte zum Transport der Waren von und nach Deutschland.
9 Ganz kurz einige Zahlen. Das Import- und Exportvolumen addiert wird im Jahre 1952 nach den bisherigen Plänen 6 Milliarden Dollar betragen. Man rechnet den Anteil der Seeschiffahrt an diesem Export auf 10 °/o, das sind 600 Millionen Dollar allein Transportkosten. Wenn wir davon die Hälfte auf deutsche Schiffahrtslinien übernehmen könnten, wäre das ein Betrag von 300 Millionen Dollar.
Zuzugeben ist, daß der Bau von Handelsschiffen eine relativ teure Form für die Beschaffung von Arbeitsplätzen ist. Aber die mittelbare Wirkung der Seeschiffahrt ist außerordentlich groß. Die Seeschiffahrt ist ein ganz umfangreicher Auftraggeber für die deutsche Binnenwirtschaft. Ich brauche nur an den deutschen Kohlentransport und an die Kohlenbezüge der deutschen Seeschiffahrt zu erinnern.
Meine Damen und Herren! Der deutsche Handel braucht eine deutsche Seeschiffahrt. Es ist ein alter in den Küstenländern bekannter Satz: der Handel folgt der Flagge. Wenn wir keine eigenen, auf Deutschland zugeschnittenen Linien haben, sind wir darauf angewiesen, daß andere Linien unsere Wünsche erfüllen; und sie werden niemals in dem Maße bereit sein, den deutschen Exportwünschen, insonderheit den Wünschen deutscher Exporteure, so zu folgen, wie es eine deutsche Handelsschiffahrt ganz selbstverständlich nach den Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht haben, ohne weiteres tun wird. Also auch aus diesem Grunde kommen wir ohne den Wiederaufbau einer deutschen Handelsflotte nicht aus.
Die Form des Gesetzes, wie sie Ihnen vorgelegt ist, zeigt das Elend der deutschen Lage. Normalerweise wäre der Wiederaufbau einer Handelsflotte doch nicht anders vorzunehmen, als daß über den Kapitalmarkt die nötigen Mittel beschafft und in der Seeschiffahrt investiert werden. Davon ist keine Rede! Noch nicht einmal aus diesem Gesetz erfahren wir, welche Kapitalien nicht über den Kapitalmarkt freiwillig, sondern von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden. Wir haben soeben zum ersten Male vom Herrn Verkehrsminister gehört. daß der Herr Bundesfinanzminister aus den ohnehin schon schmalen öffentlichen Mitteln im ersten Jahr einen Betrag von 100 Millionen DM zur Verfügung stellen will. Ob die so vorzunehmende Kapitallenkung von öffentlicher Hand im Zuge der übrigen Lenkungsmaßnahmen der Wirtschaftspolitik in Westdeutschland — siehe Wohnungsbau! — richtig ist oder nicht, ist eine Frage, die wir zu entscheiden haben werden. Ich glaube, die Zahlen. die ich Ihnen eingangs gegeben habe, beweisen die Notwendigkeit, diese Lenkungsmaßnahmen so vorzunehmen, wie sie das Gesetz vorgesehen hat.
Ich möchte noch einen Punkt vorwegnehmen, weil er auch in der Interpellation berührt worden ist. In Punkt 3 der Interpellation ist nämlich an den Herrn` Verkehrsminister die Frage gerichtet:
Ist vorgesehen, Aufbaudarlehen unabhängig
von dem Zeitpunkt der Errichtung des Reedereibetriebes zu gewähren?
Also die Frage: Sollen nur die alten Reedereien, die schon 1945 bestanden, Darlehen erhalten oder auch die neuen Reeder? Der Regierungsentwurf hatte die Darlehensgewährung auf die alten Reeder beschränkt. Der Bundesrat hatte mit Recht eine Einbeziehung auch der neuen Reeder vorgesehen. Die Regierung hat erfreulicherweise diese Bestimmung übernommen, mit einer Beschränkung allerdings: während der alte Reeder 40 % des aufzubringenden
Kapitals als Darlehen erhalten kann, soll nach dem Bundesratsvorschlag und dem von der Regierung übernommenen Entwurf der neue Reeder nur 20 % erhalten. Ich halte diese Differenzierung für richtig. Der neue Reeder, der bisher noch keine Erfahrung im Reedereigeschäft gehabt hat, muß gehalten werden, seine Legitimation für dieses Gewerbe dadurch zu erbringen, daß er einen gewissen Kapitalbetrag in das Geschäft einschießt. Diese Summe muß als Risikobetrag für den Kreditgeber unter allen Umständen zur Verfügung gehalten werden. Jemand, der keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet hat u n d über kein Kapital verfügt — der Entwurf sieht ja grundsätzlich vor, daß der Gesamtbetrag für den Bau eines Schiffes vom Staat und den Hypothekenbanken aufgebracht werden soll —, kann nicht erwarten, daß er öffentliche Hilfe erhält.
Die Durchführung dieses Gesetzentwurfes wird an die Wirtschaftskraft und Opferbereitschaft des deutschen Volkes außerordentliche Anforderungen stellen. Die Küstenländer sind dem Hohen Hause für diese Anstrengungen zu hohem Dank verpflichtet. Das möchte ich als Vertreter eines Küstenlandes ganz ausdrücklich gesagt haben. Aber alle Opfer, die wir bringen, werden unzureichend sein, wenn die Besatzungsmächte hier nicht das tun, was die Stunde wirklich gebietet. Wir brauchen auf den Zwischenfall Korea nur am Rande zu verweisen. Die Frachtraten steigen schon in Auswirkung der sich infolge des Korea-Zwischenfalls ergebenden Verschiebungen auf dem Weltmarkt. Sollten einmal weitere Komplikationen im Fernen Osten an irgendeiner Stelle durch kriegerische Maßnahmen eintreten und sollte dadurch in gesteigertem Maße Schiffsraum beansprucht werden, so wird sich sehr bald ein ganz empfindlicher Mangel an Schiffsraum in der ganzen Welt herausstellen. Es ist dann nicht mehr sichergestellt, daß die Versorgung Europas mit überseeischem Getreide und anderen Nahrungsmitteln weiterhin reibungslos erfolgen kann. Hoffen wir, daß die Pessimisten nicht auch in diesem Fall wiederum recht behalten werden.