Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zu der Frage Watenstedt-Salzgitter zu sprechen; aber da man hier allgemein mit der Frage Watenstedt-Salzgitter auch das Demontageproblem angerührt hat, möchte ich die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses auf eine Frage lenken, der man diese Aufmerksamkeit bisher nicht geschenkt hat, und zwar möchte ich auf das Gebiet Essen und auf die Frage der KruppDemontage hinweisen.
Vor ungefähr 3 Monaten ist eine Abordnung des Rates der Gemeinde Essen sowie der Verwaltung und des Kruppschen Betriebsrates bei der Bundesregierung gewesen und hat mit dieser über die Möglichkeiten der Umsetzung der jetzt in der Krupp-Demontage beschäftigten Arbeiter verhandelt, deren Entlassung von den Engländern bis August dieses Jahres gefordert wurde. Die Bundesregierung ist über diesen ganzen Fragenkomplex unterrichtet und hat auch Hilfe zugesagt. Wenn ich diese Frage trotzdem vor dieses Haus bringe, dann aus der Überlegung heraus, daß auch seitens des Bundestages bestimmte Dinge in dieser Richtung zu tun sind. Die Stadt Essen und auch das Land Nordrhein-Westfalen können sich aus eigenem nicht der Aufgabe entledigen, die durch die Demontage in Essen und die dadurch bedingte Neuansiedlung von Industrien im Essener Raum entstanden ist. Da ja der ganze Krupp-Komplex außerhalb der eigentlichen Demontage, also der normalen Demontageliste behandelt wird, ist es notwendig, daß die Bundesregierung von sich aus mithilft, diese Frage zu lösen.
Ich will einige Zahlen, die veranschaulichen, um was es dabei geht, bekanntgeben. Wir haben in der Stadt Essen vor dem Kriege zirka 70 000 Metallarbeiter gehabt. Davon waren bei Krupp 50-55 000 beschäftigt. Heute sind im selben Raum nur noch 35 000 beschäftigt, davon in den ehemaligen KruppBetrieben 13 000, und von diesen 13 000 zirka 4500 in der Demontage, deren Entlassung bis Ende August durchgeführt sein muß, die sich aber im wesentlichen aus alten Arbeitskräften rekrutieren, Leuten also, die immerhin 30 und 40 Jahre bei der Firma Krupp tätig sind und heute in einem Alter von 45-55 Jahren stehen, so daß man sie im normalen Arbeitsvermittlungsverfahren in anderen Betrieben kaum unterbringen kann. Es besteht aber eine Möglichkeit, diese Arbeiter auf die Erschließungsarbeiten umzusetzen, die im Kruppgelände notwendig sind und die auch auf Befehl der Militärregierung durchgeführt werden müssen, damit das gesamte Industriegelände, das den Krupp-Komplex beherbergt hat, kein einheitliches, geschlossenes Gebiet mehr ist, sondern nur noch von kleineren und mittleren Betrieben, gleichgültig welcher Industrie und welchen Gewerbezweiges, besiedelt werden kann. Außerdem ist der Bau einer Bahn notwendig. Das hat ebenfalls die Besatzungsmacht befohlen. Darüber hinaus sind an 17 Werkhallen, ehe sie für Friedensproduktion wieder verwendungsfähig sind, sogenannte Entmilitarisierungsmaßnahmen durchzuführen, was auch durch diese Arbeiter geschehen könnte. Dazu sind folgende
Mittel notwendig: für Entmilitarisierungsmaßnahmen zirka 4 bis 4 1/2 Millionen DM, für die Erschließung, Aufräumung und den Bahnbau, um das Gelände für Interessenten überhaupt besiedlungsreif zu machen, zirka 7 bis 7 1/2 Millionen DM. Für diese ersten Arbeiten liegt also ein Gesamtbedarf von 11 bis 12 Millionen DM vor.
Die Bundesregierung hat großzügigerweise ihre Hilfe zugesagt und auch, wie erwähnt, der Stadt Essen einen Kredit von 4,15 Millionen DM in Aussicht gestellt. Es erscheint mir aber notwendig, daß die Mittel, die für die Entmilitarisierungs- und Erschließungsarbeiten erforderlich sind, nicht auf dem Kreditwege gegeben werden; denn sonst belasten sie auf die Dauer die Gemeinde und das Land. Es ist vielmehr notwendig, daß die Mittel vom Bund als ordentliche Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden, um diese Frage einer Lösung zuzuführen.
Hinsichtlich der Umsetzung der Arbeitskräfte ist andererseits das Land Nordrhein-Westfalen in der Lage, die Arbeitslöhne zu tragen und außerdem weitere Mittel für die Remontage dieses Gebiets zur Verfügung zu stellen.
Es ist zu bedenken, daß es sich um eine auf Befehl der Besatzungsmacht durchgeführte bzw. durchzuführende Maßnahme handelt, so daß für die Behebung der Schäden aus dieser Maßnahme weder die Gemeinde noch das Land zuständig sind, sondern hier normalerweise der Bund eintreten muß. Wir beantragen, daß die von mir aufgezählten Mittel vom Bund im ordentlichen Haushalt bereitgestellt werden. Der Antrag, den wir einbringen, lautet folgendermaßen:
Durch die von den Engländern geforderte Entlassung der bei der Krupp-Demontage beschäftigten Arbeiter ist in der Stadt Essen eine besonders schwierige Lage entstanden. Die Besatzungsmacht hat die Erschließung des Kruppgeländes durch die Anlage von Straßen und den Bau einer Eisenbahn gefordert. Diese Arbeiten können durchgeführt werden mit den jetzt in der Demontage freiwerdenden Arbeitskräften, wenn die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Seitens der Stadt Essen und des Landes Nordrhein-Westfalen sind der im September-Oktober 1949 gegründeten Essener Industrieförderungs-GmbH. 6 Millionen DM für erste notwendige Erschließungs- und Instandsetzungsarbeiten gegeben worden. Für die weiteren oben angeführten Arbeiten ist ein zusätzlicher Bedarf von insgesamt 11 bis 12 Millionen DM für die Deckung von Materialkosten usw. erforderlich. Die Arbeitslöhne für die umzusetzenden Arbeiter werden vom Land Nordrhein-Westfalen bereitgestellt.
Wir beantragen daher, die Bundesregierung möge im Haushaltsplan 1950 den erforderlichen Betrag für die Umsetzung der KruppDemontagearbeiter zur Verfügung stellen.
Ich bitte dringend, sich gegenüber diesem Antrag im ganzen, der ja auch noch dem Haushaltsausschuß zugehen muß, wohlwollend zu verhalten, und zwar einzig und allein aus dem Grunde, um zu verhindern, daß in dem Gebiet, das in normalen Zeiten vor dem Krieg eine außerordentlich hohe volkswirtschaftliche Bedeutung, über die wir uns hier nicht zu unterhalten brauchen, gehabt hat, heute ein Krisenherd erster Ordnung entsteht. Es handelt sich hier um ein Gebiet, das den Lebensraum von zirka sechs Millionen Menschen darstellt; denn so viele leben in diesem Industriege-
biet. Ein solcher Krisenherd könnte sich außerordentlich verhängnisvoll und gefährlich auswirken. Deshalb scheint es mir auch eine Verpflichtung des Bundes zu sein, die Voraussetzungen .für die industrielle Wiederbesiedlung dieses Gebiets zu schaffen, so daß dann Land und Gemeinde von sich aus das Weitere veranlassen können.
Ich bitte daher, diesem Antrag auch hinsichtlich der Überweisung an den Haushaltsausschuß zuzustimmen.