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    Deutscher Bundestag. — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1950 2525 70. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1950. Geschäftliche Mitteilungen 2526C, 2554A Zustimmung des Bundesrats zu den Gesetzentwürfen über Senkung der Tabaksteuer für Zigarren . 2526D Gewerbesteuer für die Zeit vom 21. Juni bis 31. Dezember 1948 und für das Kalenderjahr 1949 2526D Verlängerung der Geltungsdauer des Preisgesetzes 2526D Ausschluß des Umtauschs und der Bareinlösung außer Umlauf gesetzter Postwertzeichen 2526D Erstreckung und Verlängerung der Geltungsdauer des GüterfernverkehrsÄnderungsgesetzes 2526D Anfrage Nr. 78 der Fraktion der SPD betr. Teilnahme Deutschlands an internationalen nichtpolitischen Organisationen (Drucksachen Nr. 949 und 1065) 2526D Zur Tagesordnung 2526D Einspruch der Abg. Renner, Müller (Offenbach), Vesper und Rische gegen ihren Ausschluß auf 20 Sitzungstage . . . . 2526D, 2527A Beratung der Interpellation der Fraktionen der DP und der BP betr. Watenstedt-Salzgitter (Drucksache Nr. 653) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Watenstedt-Salzgitter (Drucksache Nr. 688) 2527A Dr. Mühlenfeld (DP), Interpellant 2527A, 2538B Mayerhofer (BP), Interpellant . . . . 2528A Nuding (KPD), Antragsteller . 2528B, 2538C Blücher, Vizekanzler 2529C Wackerzapp (CDU) 2530C von Thadden (DRP) 2531D Bielig (SPD) 2532C Storch, Bundesminister für Arbeit . 2533D Mensing (CDU) 2534C Löfflad (WAV) 2535B Lange (SPD) 2536A Stegner (FDP) 2537A Abstimmungen 2539A Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 17. Februar 1939 (Drucksache Nr. 935) 2539C Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. Februar 1927 (Drucksache Nr. 936) 2539D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Bildung eines vorläufigen Bewertungsbeirates (Drucksache Nr. 975) . . 2539D Schäffer, Bundesminister der Finanzen . . 24f1 A Dr. Schmidt (Niedersachsen) (SPD) . . 2540C Dr. Frey (CDU) 2541C Paul (Düsseldorf) (KPD) 2542A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundesbahn (Drucksache Nr. 1023) in Verbindung mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundespost (Drucksache Nr. 976) 2526D, 2542B, 2551B Dr.-Ing. Frohne, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium 2542C, 2551C Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 2543C Gundelach (KPD) 2551D Cramer (SPD) 2552A Jahn (SPD) 2552D Rümmele (CDU) 2553A Schütz (CSU) 2553D Erste, zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU, SPD, FDP, BP, DP und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes -zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung des Lohnstops (Drucksache Nr. 1046) 2543D Sabel (CDU) 2543D Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP betr. Wahl von Beisitzern für den Spruchsenat beim Hauptamt für Soforthilfe (Drucksache Nr. 1047) 2544B Kunze (CDU) . . . . . . . . . . 2544B Dr. Seelos (BP) 2544C Mellies (SPD) 2544D Paul (Düsseldorf) (KPD) 2545C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen betr. Wiederherstellung von Autobahnen (Drucksachen Nr. 901, 228, 365, 407) in Verbindung mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses betr. Bereitstellung von Mitteln für den Straßenbau (Drucksachen Nr. 1048, 441, 461, 767, 916, 947, 960) 2545D, 2551B Günther (CDU), Berichterstatter . . . 2545D Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . . 2546C Dr. Dr. Nöll von der Nahmer (FDP) 2547A Paul (Düsseldorf) (KPD) 2547C Dr. Ehlers (CDU) 2547D Morgenthaler (CDU) 2548A Dr. Solleder (CSU) 2548C, 2550A Matthes (DP) 2548C Schoettle (SPD) 2549B Rademacher (FDP) (zur Geschäftsordnung) 2549D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen über die Anträge der Fraktion der SPD betr. Entlassungen bei der Deutschen Bundesbahn und Bericht über die wirtschaftliche Lage der Deutschen Bundesbahn (Drucksachen Nr. 902, 32, 435, 116, 505) 2550B, 2553D Rümmele (CDU), Berichterstatter . . 2550B Beratung des Interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 1049) . . . 2551B Nächste Sitzung 2554C Die Sitzung wird um 14 Uhr 40 Minuten durch I den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Erich Köhler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, das Wort hat der ständige Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers, Herr Bundesminister Blücher.
    Blücher, Vizekanzler: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellation der Deutschen Partei und der Bayernpartei, Drucksache Nr. 653, beantworte ich in Stellvertretung des Herrn Bundeskanzlers wie folgt:
    Seit der Einreichung der Interpellation hat sich die Lage in Watenstedt-Saizgitter durch die dauernden Bemühungen der Bundesregierung wesentlich geändert. Der Herr Bundeskanzler hat in einer Note vom 27. Februar 1950 an den Hohen Kommissar des Vereinigten Königreichs auf die Notlage des Gebietes von Watenstedt-Salzgitter mit aller Deutlichkeit hingewiesen und um Einstellung der eingeleiteten Entmilitarisierungsmaßnahmen gebeten. Ich werde auf dieses Wort noch einmal zurückkommen.
    Es hat in der Folgezeit in wiederholten mündlichen Verhandlungen und in dem Schriftverkehr zwischen dem Hohen Kommissar des Vereinigten Königreichs und dem Herrn Bundeskanzler sowie zwischen dem Landeskommissar des Landes Niedersachsen und der Regierung Niedersachsen ein eingehender Arbeits- und Meinungsaustausch über die Frage der Entmilitarisierungsmaßnahmen und die der Erhaltung der Restanlagen in Watenstedt-Salzgitter stattgefunden.
    Schließlich hat die Bundesregierung im Einvernehmen mit der niedersächsischen Landesregierung ein umfassendes Investitionsprogramm ausgearbeitet und dem Hohen Kommissar am 25. März 1950 zugeleitet. In der Beantwortung dieses Investitionsprogramms hat schließlich der Hohe Kommissar des Vereinigten Königreichs im wesentlichen allen Vorschlägen der Bundesregierung zugestimmt. Danach werden nunmehr alle Gebäude, die zur Durchführung der Vorschläge der Bundesregierung erforderlich sind — einschließlich der Schlacken-Anlage und der Bunker — erhalten. Die Zerstörung der Hochofenfundamente wird nicht fortgesetzt, und der Zerstörungsbefehl für die Schmiede ist aufgehoben. Weitere Zerstörungen an Straßen werden nicht mehr vorgenommen. Um den geplanten Ausbau der Industrie-Unternehmen zu fördern, sollen ausreichende Schienenwege belassen sowie die Gas- und Wasser-Hauptleitungen erhalten bleiben. Das elektrische Kraftwerk und das Wasserwerk bleiben unangetastet.
    Von den 17 Punkten des Arbeitsbeschaffungsprogramms für Salzgitter werden daher folgende Teile für die weitere Ansiedlung und den Aufbau neuer Betriebe zur Verfügung stehen: der Bergbau- und Hüttenbetrieb, die Erzaufbereitung, die Schmiede, eine neu zu errichtende Schlacken- und TrockenGranulationsanlage, die wiederaufzubauende Gießerei, die Instandsetzung , des Koksofen-Gasbehälters, ein neues Werk zur Herstellung von YtongSteinen, eine neue Anlage zur Verwertung der an-


    (Vizekanzler Blücher)

    fallenden Schlacke, ein Hochofenzementwerk, eine Fabrik zur Herstellung von Leichtsteinen aus Flugasche, ein Werk zur Erzeugung von Dachsteinen, ein Betrieb zur Herstellung von Roheisen-Masseln, eine Verwertungsanlage für Kokerei-Teer.
    Der Hohe Kommissar des Vereinigten Königreichs hat mit seinem Schreiben vom 29. April 1950. diesem Investitionsprogramm grundsätzlich zugestimmt. Der Bundeskanzler hat in einem Schreiben vom 19. Juni den Herrn Hohen Kommissar nochmals gebeten, die Frage der Krupp-Renn-Anlage einer nochmaligen ernsten und wohlwollenden Prüfung zu unterziehen.
    Im einzelnen ist nunmehr zu den verschiedenen Punkten der Interpellation das folgende zu sagen.
    Zu Punkt 1: Die in der Interpellation genannte Demontagemeldung ist, soweit es sich um die Anlage der Reichswerke Salzgitter handelt, nicht richtig. Die Demontage des Stahlwerkes, des Walzwerkes und der Hochöfen mit Ausnahme des Hochofens Nr. 5 war bereits im Herbst 1949 beendet. Bei den von der Britischen Militärregierung geforderten Maßnahmen handelte es sich noch um sogenannte Entmilitarisierungsmaßnahmen, die nach Ansicht der Britischen Militärregierung durchgeführt werden sollten, um dem Werk den Charakter eines Rüstungsbetriebes zu nehmen. Durch die schon vorstehend erläuterten Maßnahmen und Schritte der Bundesregierung sind diese Entmilitarisierungsmaßnahmen zum weitaus größten Teil nicht weitergeführt worden.
    Zu Punkt 2: Im Rahmen der Absprachen, die zum Petersberger Abkommen geführt haben, konnte die Frage der Reichswerke Salzgitter deshalb nicht erörtert werden, weil die Hohen Kommissare in der Besprechung erklärten, sie seien von ihren Außenministern nicht autorisiert, über die Anlagen Watenstedt-Salzgitter mit der Bundesregierung zu verhandeln. Demgemäß ist auch im Petersberger Abkommen über die Reichswerke Watenstedt-Salzgitter nichts enthalten. Aus meinen Ausführungen zu Beginn dieser Antwort ist aber klar ersichtlich, daß trotzdem die Bundesregierung alle Anstrengungen unternommen hat, um im Rahmen des irgendwie Möglichen diejenigen Werkteile zu retten, die für den weiteren Ausbau und die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Erwerbsmöglichkeiten noch verwertbar erschienen. Über das Ergebnis habe ich eben schon berichtet.
    Zu Punkt 3: Zum Punkt 3a ist auf die Ihnen schon mitgeteilte Liste der erhaltenen Betriebsanlagen zu verweisen. Es wird möglich sein, in Durchführung dieses Programmes sofort weiteren 2000 Menschen Arbeit und Brot zu geben. Bis jetzt ist für die Durchführung dieser Aufgaben ein Betrag von rund 12 Millionen zur Verfügung gestellt worden, und die Arbeiten für die Ausgestaltung der neuen Werkteile sind in Angriff genommen. Darüber hinaus sind für den Ausbau des Straßennetzes und für die. Durchführung von Ausbauarbeiten der Bundesbahn durch das Bundesverkehrsministerium weitere rund 4 Millionen vorgesehen. Die Arbeiten für den Ausbau der neuen Verkehrsverbindungen durch die Bundesbahn sind aufgenommen. Insgesamt werden daher im Zuge der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zunächst rund 16 Millionen aufgewendet. Damit ist gleichzeitig auch der Punkt 3b Ihrer Anfrage beantwortet.
    Zum Punkt 3c ist auf folgendes hinzuweisen. Die Bundesregierung ist mit allen Kräften bemüht, über das Ihnen mitgeteilte Programm hinaus der Bevölkerung von Watenstedt-Salzgitter weitere Arbeitsmöglichkeiten zu erschließen. Im Rahmen dieser Maßnahmen wird zur Zeit eine große Zahl von Projekten bearbeitet, deren Verwirklichung von der Finanzierungsmöglichkeit einerseits und der Unterbringung geeigneter Schulen in dem Notstandsgebiet andererseits abhängig ist. So schweben zum Beispiel Verhandlungen, eine Automobilfabrik im Gebiet von Watenstedt-Salzgitter anzusiedeln. Darüber hinaus ist die Bundesregierung bestrebt, auch den trostlosen kommunalen Verhältnissen — ich erinnere an Schulen, Krankenhäuser, Gas- und Wasserversorgung usw. — nach Möglichkeit abzuhelfen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sie haben die Ausführungen des ständigen Stellvertreters des Bundeskanzlers, Herrn Bundesministers Blücher, gehört. Ich eröffne die Aussprache.
Ehe ich das Wort erteile, möchte ich an alle Redner den Appell richten, im Interesse einer vollständigen Erledigung der heute vorliegenden Tagesordnung die ihnen zustehenden Redezeiten, namentlich soweit es sich um längere Redezeiten handelt, nicht hundertprozentig auzunutzen. — Ich erteile zunächst das Wort Herrn Abgeordneten Wackerzapp. —18 Minuten.

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    Rede von Oskar Wackerzapp


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Der Verkehrsausschuß dieses Hohen Hauses hat Anfang März dieses Jahres das Gebiet Watenstedt-Salzgitter besichtigt, um einen unmittelbaren Augenschein zu gewinnen. Der erste Eindruck war ungemein positiv: eine ungeheure Anlage in großzügiger Gestaltung, errichtet in einer wohldurchdachten Konzeption zur Ausnutzung des riesigen Erzvorrats, konstruiert und entworfen durch einen ersten amerikanischen Sachverständigen, Mr. Brassert, im Einvernehmen mit seiner Regierung und nach Fühlungnahme mit britischen Stellen.
    Der zweite Eindruck war niederschmetternd. Wir kamen an die Stätten der Demontage und der Zerstörung. Eine Mondkraterlandschaft tat sich vor uns auf, ein Sturzacker von Zementbrocken und Ziegelschollen, ein Dickicht von Eisenträgern und Stacheldraht. Hier waren nicht nur die Hallen abmontiert worden, sondern man hatte auf einer Fläche von über 50 Morgen auch den meterdicken Zementboden, auf dem die Werke errichtet waren, systematisch gesprengt. Es war eine so gründliche Arbeit geleistet worden, daß hier niemals mehr eine neue Industrie errichtet werden kann.
    Wir taten an dieser Stelle aber auch einen tiefen Einblick in Stimmung und Mentalität der Arbeiterschaft, die im Bereich dieser großen Werke, im Schatten der Hochöfen ihre Wohnung und ihren Arbeitsplatz hat und bei harter Arbeit ihr gutes Auskommen fand. Diese Arbeiterschaft mußte nun erleben, wie aus unbegreiflichen Gründen ihr Arbeitsplatz demontiert und zerstört wurde. Wir begriffen, daß hier radikale Strömungen von links und rechts guten Nährboden finden mußten.
    Wir bedauern, daß es zu Ausschreitungen gekommen ist, daß deutsche Demontagearbeiter, aber auch britische Funktionäre belästigt wurden. Es ist ein wahres Glück, daß kein Blut geflossen ist. Das verdanken wir der besonnenen Zurückhaltung des britischen Militärbefehlshabers, aber auch dem verständnisvollen Verhalten unserer deutschen Polizei, die dafür allerdings von der britischen Militärregierung wegen angeblicher Pflichtvergessenheit schärfstens gerügt worden ist, von derselben Regierung, die unsere Polizei in ihrer Ausrüstung mit Waffen, Fahrzeugen und Geräten sowie in ihrer organisato-


    (Wackerzapp)

    rischen Ausgestaltung so kümmerlich behandelt hat, daß sie Massenausschreitungen überhaupt nicht gewachsen sein kann, ganz abgesehen von den seelischen Konflikten, die aus der Besonderheit des Falles noch dazukamen. Wir bedauern diese Störungen um so mehr, weil nunmehr die ganze Angelegenheit von der Ebene sachlicher Behandlung in das gefährliche Gebiet des militärischen Prestiges verlagert wurde; denn kein Militärbefehlshaber wird sich ohne weiteres einer örtlichen Revolte fügen wollen.
    Es vergingen daher Wochen, ehe man wieder zu einer sachlichen Erörterung kam. Was dabei herausgekommen ist, hat der Herr Vizekanzler eingehend dargelegt. Wir fragen uns: Ist das, was erreicht wurde, ein Erfolg? Es ist ein Erfolg, wenn man von der Perspektive des mörderischen MorgenthauPlanes ausgeht. Dann ist jeder gerettete Hochofen und jeder erhaltengebliebene Schornstein ein Geschenk der Götter. Aber von der weiten Perspektive des Schuman- und des Marshallplans aus ist es ein nicht begreiflicher Widersinn, daß hier wertvolle wirtschaftliche Anlagen zerstört werden, um sie anderwärts wieder aufzubauen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Aber die Angelegenheit Watenstedt-Salzgitter hat nicht allein eine wirtschaftliche Seite, sie hat auch ein sehr ernsthaftes politisches Gesicht. Die Reichswerke liegen nur 25 km von der Ostzone entfernt. Von dort hat man mit scharfen Augen alles beobachtet, was in diesem Gebiet vor sich geht. Wenn man ein Preisausschreiben hätte erlassen wollen unter dem Motto: Wie stärke ich am besten die sowjetische Propaganda? Wie vermehre ich das Ansehen der Ostzonenregierung und der Sowjets und wie vermindere ich den Kredit der Westmächte und das Ansehen der Bundesregierung?, dann hätte die englische Regierung durch ihre Demontagepolitik dieses Preisausschreiben hundertprozentig gewonnen.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Denn wie sieht es in diesem Gebiet aus? Durch Rundfunk und Presse, durch Emissäre, Agenten und Flugblätter wird etwa folgende Meinung verbreitet: Wäret ihr statt im Westen im Osten, dann würden die Reichswerke nicht abgebaut werden; dann würde man sie ausbauen bis zu den Grenzen ihrer ursprünglichen Konzeption. Es gäbe dann auch keine Arbeitslosigkeit, und ein reichlicher Auftragsbestand wäre für die Dauer gesichert. Diese Propaganda hat sich so zugespitzt, daß jetzt schon mit dem Gedanken umgegangen wird, in dieser Gegend ein Volksbegehren mit dem Ziele durchzuführen, das Gebiet von Niedersachsen abzutrennen und der Ostzone anzuschließen. So grotesk und politisch irreal dies sein mag, so ist es doch als Stimmungsausdruck und Stimmungsbild durchaus zu beachten. Es ist nicht unsere Aufgabe, für Englands Prestige zu sorgen, wenn von der Ostzone her geflissentlich die Meinung verbreitet wird, daß für die Demontage schäbige Konkurrenzmotive maßgeblich wären oder gar die Furcht, die Rote Armee könnte sich eines schönen Tages in Bewegung setzen, ausgerechnet mit dem Ziel, sich den Trümmerhaufen Watenstedt-Salzgitter zur Verstärkung ihrer Rüstungskapazität einzuverleiben. Wenn die britische Regierung diesem gefährlichen Geschwätz ein Ende machen wollte, so wäre hierfür das geeignetste Mittel, mit einem großzügigen Entschluß die Demontage in Watenstedt-Salzgitter einzustellen, alles so zu lassen, wie es steht und liegt, und den Deutschen die
    Verantwortung zu übertragen, daraus zu machen, was sie für richtig halten.
    Sehr schmerzlich für uns ist aber, in dem Antwortschreiben vom 12. Januar dieses Jahres, das die Hohen Kommissare dem Bundeskanzler in Sachen der Demontage zugefertigt haben, zu lesen, daß die Hohen Kommissare sich zu ihrer Demontagepolitik verpflichtet fühlen, weil das Potsdamer Abkommen sie dazu zwinge, dasselbe Abkommen, das vom dritten Partner, wenn es ihm paßt, hohnlachend mit Füßen getreten wird. Es wirkt auf uns bedrückend,, daß die Westmächte immer diejenigen Punkte des Potsdamer Abkommens, die sich mit bewußter Feindschaft gegen die deutschen Interessen richten, mit solchem Nachdruck, mit solchem Eifer und solcher Buchstabentreue durchzusetzen beflissen sind, während sie die wenigen Bestimmungen, die zu unseren Gunsten sprechen, leider Gottes nicht mit demselben Nachdruck vertreten, etwa wenn es um die Einheit Deutschlands geht oder darum, daß die Gebiete östlich der Oder und Neiße noch zu Deutschland gehören und der polnischen Regierung nur zur Verwaltung überantwortet sind und daß die Ostgrenze noch nicht endgültig feststeht.
    In unserer rücksichtslosen und rauhen Zeit ist man im allgemeinen wenig geneigt, Imponderabilien die gebührende Beachtung zu schenken. Und doch sollte ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden. Gerade in dem Gebiet von Watenstedt-Salzgitter, das zum Raum von Hannover und Braunschweig gehört, war von alters her viel Vorliebe für englische Lebensart und englische Sitten vorhanden. Im Jahre 1714 hat der Kurfürst von Hannover als König Georg I. den Thron Englands bestiegen, und bis zum Jahre 1837, dem Regierungsantritt der Königin Viktoria, waren die Herrscher Englands gleichzeitig Kurfürsten und Könige von Hannover. Seit dieser Zeit hat sich in breiten Schichten dieses Landes viel Verständnis für englisches Wesen entwickelt. Man bewunderte die englische Geschichte; man hatte Sympathie für die freiheitliche staatsrechtliche Gestaltung, für englische Poesie und englische Philosophie, aber auch für den englischen Menschen, dessen weltoffene Art man schätzte. Diese freundlichen Gefühle haben auch die Strapazierung durch die Besatzung zunächst überstanden; sie sind nun aber durch die unselige Demontagepolitik nicht nur erkaltet, sondern in breiten Schichten, insbesondere auch in den Kreisen der Arbeiter in direkten Haß umgeschlagen. Das aber ist es, was wir als Freunde Englands und Freunde Europas als besonders schmerzlich empfinden. Wir sind der Meinung, daß das neue Europa nicht nur auf dem Reißbrett mit Zirkel und Rechenschieber konstruiert werden kann, daß es nicht nur ein Konglomerat ist von Handelsverträgen, von zoll-, wirtschafts- und währungspolitischen Erwägungen, sondern daß es letzten Endes, wenn es Bestand haben und sich fruchtbar entwickeln soll, euch getragen sein muß vom Vertrauen der Völker, von gegenseitiger Achtung und von dem guten Willen zu allseitiger Hilfsbereitschaft.
    Ich meine, die britische Regierung könnte einen wesentlichen Beitrag zur Festigung der moralischen Fundamente des neuen Europa beisteuern, wenn sie sich mit großzügigem Entschluß dazu bereit finden würde, die Demontage grundsätzlich einzustellen und damit das deutsche Volk von einem lähmenden Alpdruck zu befreien.

    (Beifall in der Mitte.)