Rede von
Hermann
Nuding
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Über fünf Jahre nach dem Abschluß des Potsdamer Abkommens sehen wir, daß die Demontage immer noch ihren Fortgang nimmt und sich dabei nicht nur auf die damals benannten Objekte beschränkt, sondern inzwischen auch noch auf neue ausgedehnt worden ist. Die Auswirkungen dieser Demontage bedeuten für den Westen Deutschlands, daß die Zahl der Arbeitslosen dadurch über 400 000 beträgt; das sind in Notstandsgebieten — ich will dabei nur auf das verweisen, was der Herr Vorredner erwähnt hat —, z. B. in Watenstedt-Salzgitter allein 35 % der arbeitenden Bevölkerung, die erwerbslos sind, das bedeutet 100 000 Menschen. Wenn man eine solche Situation sieht und wenn man bedenkt, daß — obwohl in diesem Hohen Hause gerade von diesem Gebiet schon sehr viel gesprochen worden ist und obwohl drei Parteien zu Beginn des Monats März bereits in Anträgen zu dieser Frage Stellung zu nehmen versuchten, um den Bundestag zur Lösung dieser Fragen zu veranlassen, die das Lebensproblem dieser Menschen behandeln — bis zum heutigen Tage damit gewartet worden ist, um zu dieser Interpellation und zu diesen Anträgen auch nur Stellung zu nehmen, so muß das eine Ursache haben, die nicht im Geschäftsordnungsgebaren oder in der Überhäufung der Geschäfte zu suchen ist, sondern tiefer liegt. Diese tiefere Ursache liegt einfach darin, daß mit dem Petersberger Abkommen vom 21. November 1949 die Adenauer-Regierung praktisch ihre Zustimmung zu den von den Alliierten und in diesem Falle speziell von Robertson geforderten Maßnahmen gegeben hat. In dem Brief, den damals der Hohe Kommissar an den Herrn Bundeskanzler schrieb, heißt es:
Ich darf betonen, daß diese Zugeständnisse nur dann gemacht werden können, wenn Einverständnis darüber herrscht, daß sie als endgültige Regelung angenommen werden und daß künftighin die deutschen Stellen bei der Durchführung noch erforderlicher Abrüstungs- und Reparationsvorhaben ihre Mitarbeit restlos zur Verfügung stellen werden.
Diesen Bedingungen wurde zugestimmt. Deswegen will man von der Regierung in Sachen der Demontage Watenstedt-Salzgitter nichts mehr unternehmen.
Damals, als wir den Antrag stellten, war die Situation in Watenstedt-Salzgitter sehr ernst. Die gesamte Bevölkerung hat gegen den Abbruch ihrer Produktionswerkstätten protestiert; nicht etwa nur irgendwie eine Partei, sondern alle Parteien, die dort in Watenstedt-Salzgitter waren, alle sozialen Schichten haben Protest eingelegt. Trotzdem haben damals der Bundestag und die Bundesregierung der Bevölkerung nicht geholfen, obwohl eindeutig feststeht, daß infolge dieser Protestmaßnahmen damals ein zeitweiliger Demontagestop erreicht worden ist und auch einige Produktionseinrichtungen erhalten geblieben sind. Weil aber die Regierung an die Abmachungen mit General Robertson gebunden war, konnte und durfte sie in diesem Moment nichts unternehmen und hat sie die Bevölkerung in Watenstedt-Salzgitter praktisch im Stich gelassen.
Jetzt dreht es sich darum, was nun noch getan werden kann. Unser Antrag verlangt ganz klar und eindeutig — und wir bitten das Hohe Haus, ihm zuzustimmen —, daß jegliche Demontagearbeit an allen Betrieben der ehemaligen Reichswerke von Watenstedt-Salzgitter eingestellt wird. Diesem Antrag muß und kann um so mehr zugestimmt werden, als Arbeit für die Reichswerke vorhanden ist und als Aufträge für sie vorliegen, nämlich Aufträge von der Deutschen Demokratischen Republik, die diesen Menschen wirklich Arbeit und Brot gibt. Von meinem Vorredner wurde schon darauf hingewiesen,
daß es ein sehr bezeichnender Zustand ist, daß in dem Moment, da man von europäischer Vereinigung und gegenseitiger Hilfe redet, sogar Anlagen demontiert werden wie die Krupp-Renn-Anlage, die nie auf einer Demontageliste gestanden hat. Wenn das der Ausdruck der Zusammenarbeit ist, dann ist das bewiesen, was wir bei der Begründung unserer Ablehnung des Beitritts zur Europa-Union gesagt haben.
Aber warum bedauert man die Protestaktionen? Warum ruft man nicht alle Kräfte, die vorhanden sind, auf und schöpft man nicht alle Möglichkeiten aus, um die weitere Demontage dort zu verhindern? Des Rätsels Lösung liegt auch hier auf einer höheren politischen Ebene, nämlich auf der, daß die Regierung und die Mehrheit dieses Hauses damit einverstanden sind, daß dort in der Nähe der Zonengrenze keine Werke mehr existieren sollen,
daß dort, wie es ein Amerikaner zum Ausdruck gebracht hat, ein Gebiet der verbrannten Erde sein soll, also ein Gebiet, das man benötigt, um im kommenden Kriege die notwendigen Operationen mitten im Herzen Deutschlands durchzuführen. Ich glaube, die Tatsache, daß die Vorarbeiten dafür schon so weit geplant sind, sollte jedem der Abgeordneten, die hier im Hause sind, zu bedenken geben, was es heißt, eine Bevölkerung dort im Stich zu lassen, was es heißt, diesen Maßnahmen seine Zustimmung zu geben und nicht alles zu tun, um das zu ändern. Von uns muß im Kampf gegen diese Demontage von Watenstedt-Salzgitter wie übrigens auch gegen die Demontage anderer Werke, die weiter fortgesetzt wird, alles getan werden. Ich erinnere nur an die August-Thyssen-Hütte, an die Anilinwerke, an Krupp in Essen und nicht zuletzt noch einmal an die Krupp-Renn-Anlage in Watenstedt-Salzgitter. Auf unserer Seite steht in diesem Kampf das Recht. Diese Demontagen zeigen, daß das Potsdamer Abkommen von den westlichen Alliierten verletzt worden ist. Das heißt: diese Demontage wird völkerrechtswidrig durchgeführt. 1m Potsdamer Abkommen heißt es klar und deutlich:
Der Umfang der als Reparation aus den westlichen Zonen zu entnehmenden Anlagen muß spätestens in sechs Monaten festgesetzt sein.
Und weiter:
Der Abtransport von Anlagen der Großindustrie soll sobald wie möglich beginnen und zwei Jahre nach dem in § 5
— dem von mir vorhin vorgelesenen Paragraphen — bezeichneten Zeitpunkt beendet sein.
Das heißt: die Demontage hätte allerspätestens im Frühjahr 1948 beendet sein müssen. Jetzt aber haben wir Mitte Sommer 1950, und wir sehen jetzt noch immer kein Ende ab. Wollen Sie also der Bevölkerung von Watenstedt-Salzgitter helfen und etwas Entscheidendes tun, um diese tote Zone dort zu beleben, dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen, der mehr verlangt, als die Bundesregierung bis jetzt getan hat. Sie hat 10 Millionen bewilligt, um eine andere Industrie dort aufzubauen. Was bedeuten diese 10 Millionen? Damit kann man nicht einmal die Trümmer der Demontage und Zerstörung dort beseitigen, gar nicht davon zu reden, daß sich damit nichts aufbauen läßt.
Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag der Kommunistischen Partei zuzustimmen, der in seinem letzten Teil verlangt, daß die Bundesregierung beauftragt wird, im Zusammenwirken mit der Landesregierung von Niedersachsen, den Gewerkschaften und den Betriebsvertretungen der ehemaligen
Reichswerke ein Soforthilfeprogramm auszuarbeiten und dem Bundestag vorzulegen, durch das ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden, um der Bevölkerung des Gebietes von Watenstedt-Salzgitter Arbeitsmöglichkeiten und die Existenzgrundlage sicherzustellen. Ich sagte schon: die Möglichkeiten der Produktion und des Produktionsabsatzes sind gegeben durch die Entwicklung des innerdeutschen Handels. Die Bevölkerung kann Arbeit und Brot haben, wenn Sie, meine Damen und Herren, das wollen.