Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Der Verlauf der gestrigen Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten hat eine wichtige Aufklärung gebracht, den Nachweis nämlich, daß die Behauptung, es gebe hier in diesem Hause einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen der Auffassung der Bundesregierung und derjenigen der sozialdemokratischen Fraktion, nicht den Tatsachen entspricht. Der Verlauf der gestrigen Sitzung hat erwiesen, daß sofort, nachdem die sogenannten „grundsätzlichen" Meinungsverschiedenheiten für die Öffentlichkeit und insbesondere für die Wahlen ausgesprochen waren, das gemeinsame Handeln im Wettlauf nach den Sitzen, die in Straßburg zu vergeben sind, beginnt.
Wenn die sozialdemokratische Fraktion aus so grundsätzlichen Erwägungen, wie sie vorgibt, die Institution des Europarats und die Mitarbeit am Europarat bekämpft, dann hätte sie auch in der Frage der Beteiligung in Straßburg eine klare Konsequenz ziehen müssen.
Sie tut das nicht, und damit beweist sie die Richtigkeit unserer Erklärung, daß es nämlich zwischen der SPD-Fraktion und der Adenauer-Regierung nur Meinungsverschiedenheiten taktischer Art gibt, nur Meinungsverschiedenheiten in der Frage des Verfahrens und der Methode, aber nicht in der grundsätzlichen Einstellung zu der Institution des Europarates. Im Grunde genommen haben beide „ja" gesagt; im Grunde genommen darum, weil beide in einem Wettstreit darüber sich vor aller Welt produzieren, wer wohl am meisten, wer wohl am ausschließlichsten, wer wohl am einschränkungslosesten sich der Politik des Westens, d. h. der Politik der amerikanischen ' Konzerne und seiner Kriegsstrategie, verschrieben hat.
Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schumacher sprach davon, er ginge deswegen nicht nach Straßburg, weil ihm dort nicht genügend Gleichberechtigung, nicht genügend Selbständigkeit eingeräumt werde. Nun, wer zu gleicher Zeit, da er taktische Einwendungen gegen Straßburg erhebt, seine absolute und einschränkungslose Zustimmung zum Schuman-Plan, zum Marshall-Plan und zum Atlantikpakt ausspricht, der hat freiwillig auf die Reklamierung jedes Rechts auf Selbständigkeit und Unabhängigkeit in der internationalen Politik Verzicht geleistet. Wer zu diesen Institutionen, die auf politischem, wirtschaftlichem und militärischem Gebiet die amerikanische Kriegsstrategie zu koordinieren haben, ja sagt, der hat sich freiwillig jedes Anspruchs auf eine selbständige, unabhängige deutsche Politik begeben, der hat seine Zustimmung zur Kolonialisierung Westdeutschlands und zur Einreihung des westdeutschen Volkes und des westdeutschen Industriepotentials in die amerikanische Atom-Strategie erteilt.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie davon sprechen, daß Sie mit diesem Akt des Eintritts in den Europarat eine europäische Politik betreiben, so wissen einige von Ihnen selbst, daß das Gegenteil dessen der Fall ist. Sie betreiben nicht eine europäische Politik, sondern eine Politik der Zerfleischung, der Spaltung Europas. Sie haben nicht das gesamte Europa im Auge, sondern das alte imperialistische Europa. Sie sprechen offen davon, daß Ihre „Europapolitik" darin besteht, die Grenzen des alten imperialistischen, aggressiven Europa so weit wie möglich nach Osten auszudehnen, und Sie treten damit bewußt in die Fußstapfen des „Tausendjährigen Reiches" und seines Anführers Adolf Hitler. Sie wollen mit dem alten Europa die fortschrittlichen Regimes der Arbeiter und Bauern im Osten Europas niederwalzen und haben auch hier bewiesen, daß Ihnen jeder Maßstab, jeder reale Sinn für die Politik unserer Zeit abgeht.
Wenn die Begründung, die die Denkschrift der Bundesregierung abgegeben hat, lautet, es handle sich um die Errichtung einer Position zwischen den USA und der Sowjetunion, so ist das Gegenteil richtig. Sie wollen nicht eine europäische Union, sondern sie schaffen und wollen schaffen eine amerikanische Union auf europäischem Boden.
Wenn Sie davon sprechen, Sie betrieben damit eine deutsche Politik, so geht auch das an den Tatsachen vorbei. Sie betreiben keine deutsche Politik, sondern eine Politik der Spaltung Deutschlands. Wenn Sie von sich behaupten, Sie sprächen für den Osten Deutschlands und für Berlin, so möchte ich das auf das richtige Maß zurückführen und sagen: Sie sprechen auch hier für das Alte, Rückständige in der deutschen Geschichte. Sie sprechen für diejenigen Teile des deutschen Volkes, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Sie sprechen als die Vertreter der Konzernherren, als die Vertreter des adligen Großgrundbesitzes, die die alten, längst überholten Zustände verewigen möchten.
Darum wundert es uns nicht, daß als der Sprecher
für dieses Projekt ausgerechnet hier der Prokurist
des Klöckner-Konzerns aufgetreten ist. Eine bessere
Kennzeichnung für den Charakter des ganzen Projektes könnten Sie nicht geben.
Darum, meine Damen und Herren: weil wir in diesem Hause die einzigen sind, die eine konsequente deutsche und europäische Politik betreiben,
(Abg. Dr. Wuermeling: Das ist für den
Simplizissimus!)
Wir haben 1932 vor der Strategie des Krieges gewarnt; und wir tun es heute wieder mit allem Ernst, zu dem uns die Lage verpflichtet. Indem wir nein sagen zu dieser Politik des Krieges, sagen wir als einzige hier in diesem Hause ja zur Politik des Friedens, zur Einheit Deutschlands, zur Unabhängigkeit Deutschlands und zu einer Zukunft des Wohlstandes und der wirklichen Freiheit des deutschen Volkes.