Rede von
Dr.
Hermann Louis
Brill
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Es ist mir persönlich ein aufrichtiges Bedürfnis, mich dem Dank des Herrn Präsidenten an den Herrn Berichterstatter für den abgestatteten Bericht anzuschließen. Der vorgelegte Bericht ist — das sollte auch den Kritikern der parlamentarischen Demokratie gesagt werden — eine ausgezeichnete parlamentarische Leistung, die sich aus Sachverstand, genauer Verfolgung der alltäglichen Verhältnisse und politischem Urteil zusammensetzt.
Ich möchte diesen Dank auch auf die Mitarbeiter des Tübinger Instituts ausdehnen; denn ich bin der Auffassung, daß dieser Bericht, mag er noch so vortrefflich sein, doch nur einen Anfang der Arbeit darstellt, die der Bundestag zu dem Thema Besatzungskosten zu leisten haben wird.
Für diese Arbeit wird er der Beratung durch das Tübinger Institut nicht entbehren können.
Gestatten Sie, daß ich nun zu dem Bericht selbst einige Bemerkungen mache. Meine Freunde werden den Ausschußanträgen zustimmen. Obgleich es ein alter parlamentarischer Grundsatz ist, daß über Motive nicht abgestimmt wird, möchte ich Ihnen auch mitteilen, wie wir die Zustimmung, im einzelnen etwas über den Ausschußbericht hinausgehend, motivieren.
In Ziffer 1 a) wird eine feste Begrenzung der Besatzungskosten für ein Rechnungsjahr gefordert. Es ist nach unserem Dafürhalten notwendig, daß trotz der Gegeneinwände, die in bezug auf die Leistungen des Auslandes für den deutschen Wirtschafts- und Staatshaushalt gemacht worden sind, diese Begrenzung genau normiert wird. Wir würden deshalb wünschen, daß ein nicht überschreitbarer Betrag der fortdauernden ordentlichen Ausgaben des Haushaltsplans für Besatzungskosten zur Verfügung gestellt wird. Wir würden auch wünschen, daß dort nicht nur, wie im Antrag vorgesehen, der Ausschluß der Übertragbarkeit festgesetzt wird, sondern daß es künftighin auch unmöglich sein soll, seitens der Besatzungsmächte Nachforderungen zu erheben. Gerade diese Nachforderungen sind für den Besatzungshaushalt der Länder Baden und Württemberg-Hohenzollern in den letzten Jahren nahezu unerträglich gewesen. Sie widersprechen im übrigen den Grundsätzen einer gesunden Haushaltsführung und den Grundsätzen unseres Haushaltsrechts.
Zu den Ziffern 1 b) und 1 c), Uberprüfung der Besatzungslasten und der Leistungen und Nutzungen im einzelnen, ist es nach unserem Dafürhalten notwendig, das weiterzuentwickeln, was der Herr Berichterstatter bereits an Vorschriften des Besatzungsstatuts erwähnt hat. Gewiß, die Aufstellung des Besatzungshaushalts obliegt den einzelnen Zonenbefehlshabern, und der Rat der Hohen Kommission hat dann den Haushalt insgesamt festzusetzen und mit der Bundesregierung zu verhandeln. Aber ich glaube, meine Damen und Herren, das Schwergewicht bei der Entwicklung der ganzen Angelegenheit liegt beim Anbeginn, bei der lokalen Ermittlung. Deshalb würden wir es begrüßen — und ich glaube, da auch im Sinne des Herrn Abgeordneten Dr. Seelos zu sprechen —, wenn gemischte Gutachterkommissionen oder gemischte Feststellungsbehörden mit lokalem, bezirklichem Bereich eingesetzt würden, die bei dem Voranschlag für die Besatzungskosten Jahr für Jahr die Dinge im einzelnen nachprüfen. Die Nachprüfungen der Leistungen und Nutzungen würden daneben unabhängig zu erfolgen haben. Weiter würde dazu gehören, daß, sofern Streit zwischen deutschen und alliierten Behörden über festgesetzte Besatzungsleistungen entsteht, unabhängige Schiedsgerichte mit rechtlich bindender Kraft für beide Teile diesen Streit entscheiden und die Besatzungsbehörden insohin sich dieser neu zu errichtenden gemischten Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. Nimmt man diese Dinge zusammen, so würde man nach unserem Dafürhalten nicht nur materielle Fortschritte im einzelnen, sondern auch eine Besserung der gesamten Situation erreichen.
Dazu gehört ferner eine Vereinheitlichung des Verkehrs zwischen den deutschen Besatzungsämtern und übergeordneten deutschen Behörden und den alliierten Behörden. Von einer solchen Einheit kann gegenwärtig leider ganz und gar nicht gesprochen werden. Zwar haben die amerikanischen Military Government Regulations sehr eingehende und manchmal etwas bürokratisch anmutende Vorschriften für die Durchführung dieses Verkehrs. Bei anderen Besatzungsmächten fehlt es aber etwas an dem, was wir Deutschen unter finanzieller Korrektheit verstehen. Ich glaube, es sollte vom Bundesfinanzministerium bei den neuen Verhandlungen über diese Materie ein gewisser Druck ausgeübt werden, um zu dieser Einheit des Verkehrs zu kommen, denn allein die Einheit der Verkehrsvorschriften garantiert auch einwandfreie Ergebnisse zur Beurteilung des Ganzen.
Bezüglich Ziffer 3, soweit sie sich auf den Antrag Drucksache Nr. 120 Abs. 2, Wohnungsbau, bezieht, teilen wir die Klagen, die hier von verschiedenen Seiten vorgebracht- worden sind. Es ist unerträglich, wenn immer noch einzelne Besatzungsangehörige ohne Familie oder mit sehr kleiner Familie ganze Häuser bewohnen. Aber es ist noch unerträglicher, meine Damen und Herren, wenn für die Besatzungsmacht in großem Stile teure Neubauten erstellt werden und dann die Besatzungsangehörigen sich weigern, in diese Neubauten zu ziehen, weil es ihnen in den einzelnen Häusern natürlich sehr viel besser gefällt. Deshalb sollten bei Vereinbarungen über Neubauten für Zwecke der Besatzungsmacht auch Vereinbarun-
gen darüber erfolgen, daß die jetzt besetzten Wohnungen Zug um Zug freigegeben und den deutschen Behörden zurückerstattet werden. Sonst erweckt der Neubau von Wohnungen in unserer Zeit noch viel mehr Unwillen, als die Besetzung der Altwohnungen das schon getan hat.
Ich benütze die Gelegenheit, an die Adresse der Besatzungsmächte zu bemerken, daß es im jetzigen Stadium nicht nur auf die materiellen Leistungen und die Änderungen, die nun eintreten sollen. sondern ebenso auf die Psychologie ankommt. Vieles, was in den Jahren 1945 und 1946 mit Gleichmut und Humor ertragen werden konnte, ist heute unerträglich geworden.
Wenn zu Weihnachten 1946 eine Besatzungsmacht die sofortige Lieferung von 600 Frisierkommoden zur Erhaltung der Kampfkraft der Armee forderte, dann haben wir das damals ausgehalten. Heute können wir solche Dinge nicht mehr ertragen.
Wenn damals mit einer ausländischen Großzügigkeit — ich möchte nicht in Einzelheiten eintreten —über wertvolle Möbel verfügt worden ist, sehen wir das Ergebnis dieser Großzügigkeit ja heute noch am Rande deutscher Städte in den großen Möbelfriedhöfen, die entstanden sind und die man höchstens noch verfeuern kann. Dann ist es heute unerträglich, wenn eine Dame der Besatzungsmacht auf den Gedanken kommt, in einer alten Wohnung wertvolle Tapeten herausreißen zu lassen, weil sie sich geschmacklose moderne wünscht, oder Möbel mit antikem Wert heraussetzen zu lassen, weil sie sich zusammensetzbare Möbel
wünscht und so fort.
Diese Psychologie sollte heute auf der Seite der Besatzungsmächte verstanden werden, und es sollte deshalb auch verstanden werden, daß bei der Durchführung des Punktes lc Abs. 2, Schaffung eines deutschen Gesetzes über ein Vergütungs- und Entschädigungsrecht bezüglich der Besatzungsleistungen und der Besatzungsschäden — ich glaube, die Besatzungsschäden müssen im Vordergrund stehen —, nach wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten verfahren werden muß. Die Rückgabe von Arbeitersiedlungen am Rande von Großstädten, die für Einheiten beschlagnahmt worden sind, die eigentlich in Kasernen gehören, und die Erstattung der dadurch den Arbeitern und Angestellten entstandenen Schäden müßte im Vordergrund eines solchen Gesetzes über die Besatzungsleistungen und die Besatzungsschäden stehen.
Soviel zur Sache selbst. Und nun gestatten Sie mir noch eine Erklärung an die Adresse der Frau Abgeordneten Thiele. Wir haben im Ausschuß dafür gestimmt, daß der Antrag auf Drucksache Nr. 8 für erledigt erklärt werden soll, und wir werden diesem Beschluß auch hier beitreten. Wir halten diesen Beschluß für gerechtfertigt, solange uns nicht an Stelle einer Milchmädchenrechnung, über die Besatzungsleistungen des deutschen Volkes in der sowjetischen Besatzungszone ganz einwandfreie Zahlen darüber vorgelegt werden, was insbesondere die Arbeiter und Angestellten in der sowjetischen Besatzungszone nicht nur an Besatzungsleistungen, sondern auch Reparationsleistungen vollbracht haben.
Ich möchte deshalb die Gelegenheit benutzen, um die Bundesregierung zu ersuchen, recht bald den Ausschuß für Besatzungsstatut und für auswärtige Angelegenheiten mit entsprechenden Zahlen zu bedienen.
— Wir wissen zum Beispiel, Herr Renner, daß im Staatshaushaltsplan des Landes Thüringen für das Jahr 1946/47 und 1947/48 65 % aller Einnahmen für die Besatzungsmacht verwandt werden.
In keiner Besatzungszone ist mit einer solchen Brutalität die Eintreibung von Besatzungsleistungen und von Reparationsforderungen erfolgt wie in der sowjetischen Besatzungszone. In keiner Besatzungszone ist die Demontage so vollständig, so rückhaltlos und so listig durchgeführt worden wie in der sowjetischen Besatzungszone.
Während die Betriebsräte der Stiftungsfirma Zeiß noch in Karlshorst verhandelten, wurden die Maschinen in Jena bereits herausgerissen und die Arbeiter deportiert.
— Weil die Schäden durch den unendlichen Fleiß der Arbeiter und Angestellten beseitigt worden sind!
Allein die sowjetische Armee ernährt sich heute noch vollständig aus dem Lande; und die Abschaffung der Klassen oder die Herstellung der klassenlosen Gesellschaft ist innerhalb der sowjetischen Armee so betrieben worden,
daß fünf Ernährungsklassen gebildet worden sind, bei denen der arme Sowjetsoldat mit 3/4 Liter Suppe, etwas Tee und Brot abgefunden wird.
Was der Oberst bekommt, können Sie dem Hohen Hause nachher selber mitteilen!
Nirgends ist so wie in der sowjetischen Besatzungszone durch den Raub nicht nur von industriellen Betrieben, sondern auch von bebauten und unbebauten Grundstücken eine Festsetzung des Feindes im Lande erfolgt.
- Nein, ich meine beispielsweise die Porzellanmanufaktur Meißen.
— Es dürfte Ihnen ganz und gar entgangen sein, daß die Erzeugnisse von Meißen zur illegalen Finanzierung der KPD hier nach dem Westen verschoben worden sind. Wenn es Ihnen entgangen ist, will ich Ihnen eine Tatsache aus den letzten Wochen nennen. Der hessischen Gendarmerie gelang es vor mehreren Wochen, zwischen Lorch und Lorchhausen einen Lastkraftwagen mit Propagandamaterial für das Pfingsttreffen zu beschlagnahmen.
In diesem Lastkraftwagen befanden sich auch sechs Kisten mit bestem Meißner Porzellan, die dazu bestimmt waren, die KPD in Westdeutschland zu finanzieren.
Die Entnahmen aus der laufenden Produktion betragen im Durchschnitt 40 %. Das ist jedoch nur eine nominelle Angabe, denn in Wirklichkeit wird die Reparationswirtschaft ganz anders gemacht. So hat man den Textilproleten der früheren Firma Louis Hirsch in Gera gesagt: Schafft nicht 100 %, sondern 125 %, dann bleibt für euch auch noch etwas übrig. Die Arbeiter sind auch auf diesen Leim gegangen: sie haben 125 % geschafft. Das Ergebnis war, daß der sowjetische Kontrolloffizier 45 Vo des gelieferten Materials für untauglich erklärte, es aber ruhig einnahm. Welche Geschäfte sich auf den restlichen 45 °/o aufbauen, können Sie auch dem Hohen Hause selbst mitteilen. In echt russischer Weise ist diese ganze Wirtschaft auf der steuerlichen Seite dann mit der Massenkonsumsteuer auf den Schnaps finanziert worden.
Ich glaube, meine Damen und Herren, mich mit solchen Andeutungen hier begnügen zu sollen, und wiederhole das Ersuchen an die Bundesregierung, mit Hilfe unserer wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute dem Hohen Hause recht bald eine Denkschrift nicht nur über die Besatzungs-, sondern auch über die Reparationsleistungen vorzulegen.
Dann, meine Herren von der Kommunistischen Partei, werden wir über den Antrag Nr. 8 noch einmal sprechen können, und ich hoffe, wir werden Ihrem Antrag zustimmen, wenn Sie die Voraussetzung erfüllen, an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die Forderung zu richten, daß nur die Reparationsleistungen, die aus dem arbeitenden Volk drüben herausgepreßt werden, um 75 % ermäßigt werden.