Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine Damen und Herren! Man kann keinen größeren Fehler begehen als den, die Frage der Besatzungskosten zu bagatellisieren. Ein Ausgabeposten, der im letzten Jahr 4,5 Milliarden betrug und nach dem Voranschlag für das Jahr 1950/51 noch 4,1 Milliarden betragen soll und damit 5 % der Bundeseinnahmen und 25 % aller Einnahmen des Bundes und der Länder in Anspruch nimmt, kann schlechterdings nicht bagatellisiert werden. Man verschafft der kommunistischen Propaganda eine gewisse Chance, wenn man den Eindruck erweckt, als wenn über diese Dinge hinweggegangen werden dürfte. Andererseits ist, um den ferngelenkten Lautsprechern, die als „Kommunistische Partei" bezeichnet werden, entgegenzutreten,
allerdings zu sagen, daß in der Ostzone über die Besatzungskosten, meine sehr geehrten Damen und Herren, über die Zwangslieferungen nicht nur der sowjetischen Aktiengesellschaften, sondern auch der volkseigenen Betriebe,
über die Entnahmen aus dem von den Russen gesteuerten Exportsystem nicht weniger als 40 % des gesamten Sozialprodukts der deutschen Bevölkerung in dem, was sich da Deutsche Demokratische Republik nennt, entzogen werden, während die entsprechende Zahl für den Westen bei einem Sozialprodukt von 80 bis 90 Milliarden in der Bundesrepublik nur bei 5% liegt.
Dieses Verhältnis von 8 zu 1 spiegelt sich immerhin sehr interessant in dem Wechselkurs wider, der zwischen Ostmark und D-Mark besteht, einem Wechselkurs, der ja von niemandem befohlen wird, sondern der sich auf dem freien Markt in Berlin nur deshalb bilden kann,
weil die westdeutschen Preise zu den freien Preisen in den HO-Läden und am Schwarzen Markt in der Ostzone im Verhältnis von 1 zu 7 stehen.
— Ihnen ist ja besser bekannt als uns, daß, wenn man in der Ostzone in einem HO-Laden ein Paar Schuhe kaufen will, man dafür 160 bis 180 Mark ausgeben muß. Für ein Pfund Butter zahlt man etwa 20 Mark und für ein Pfund Fleisch 18 Mark. Jedenfalls ist das in Thüringen der Fall, und es wird in den HO-Läden der anderen Ostzonenländer ebenfalls so sein.
Das Sozialprodukt der Ostzone ist natürlich in einem außerordentlichen Maße gemindert durch all die schauerlichen Rezepte der Wirtschaftsführung, wie sie in der Ostzone praktiziert worden sind und wie sie ja auch hier angewendet würden,
wenn Deutschland oder größere Teile Europas dem tragischen Schicksal einer Ausbreitung des kommunistischen Systems anheimfallen würden.
Ganz abgesehen von dieser geschilderten Minderung des Sozialprodukts ist es, meine sehr geehrten Damen und Herren, eben die ungeheure Ausbeutung, die systematisch betriebene Ausplünderung der Ostzone durch die Sowjetregierung,
die zur Folge hat, daß die Belastung durch die Besatzungsmacht drüben eben eine unverhältnismäßig viel höhere ist als hier. Das nur zur Klarstellung der Gesamtsicht des Problems.
Ich hatte eingangs erwähnt: kein Versuch der Bagatellisierung demgegenüber! Es darf nur ein nachhaltiges Bemühen geben, bei den Westalliierten immer wieder auf Sparsamkeit hinzuwirken, um endlich zu erreichen, daß das einseitige Oktroyieren der Besatzungskosten aufhört. Es muß ersetzt werden durch eine gegenseitige Abstimmung, eine zweiseitige Verabredung.
Erfreulicherweise werden seit Monaten Verhandlungen zwischen Spezialisten der Hohen Kommission und Vertretern des Finanzministeriums geführt. Aber diese Verhandlungen erstreckten sich bisher ausschließlich auf formelle Fragen von nicht entscheidender Bedeutung, so wichtig es auch ist, daß endlich einmal wenigstens formell Ordnung in die Behandlung dieser Dinge einzieht. Es müssen darüber hinaus Grundsätze über die Handhabung der wichtigsten Posten vereinbart werden mit dem Ziele einer entschiedenen Minderung der Besatzungskosten. Das ist nachgerade unvermeidlich und sollte von den Besatzungsmächten nicht länger verzögert werden, nachdem in den Anschauungen über den Zweck der Besatzung ein tiefgreifender Wandel eingetreten ist. Der Zweck der Besatzung war der Schutz der Besatzungsmächte gegen den besiegten Feind, gegen untergrundige Bestrebungen auf Wiederheraufführung der Diktatur. In diesem Zusammenhang sollte immerhin daran erinnert werden: es hat bei uns keine Untergrundbewegung gegeben, kein Maquis, keine Anschläge, keine Attentate,
und es hätte überhaupt keine Renazifizierung gegeben, wenn nicht durch eine völlig falsch angelegte Denazifizierung und durch eine Besatzungspolitik, die auch vom Westen her ursprünglich im Zeichen des Morgenthau-Planes stand, dieser künstlichen Renazifizierung in gewissem Maße der Weg geebnet worden wäre.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, inzwischen haben die Besatzungsmächte ja längst erkannt,
daß ihre ursprüngliche Besatzungspolitik in Deutschland nichts anderes war als eine Politik der ständigen Einzahlungen in die kommunistischen Parteikassen,
eine Politik der ständigen Begünstigung der Absichten der kommunistischen Politik in Europa, und sie haben eine Änderung vorgenommen, von der man nur sagen kann: sie wird zu langsam durchgeführt,
und es wird zu wenig, zu spät gegeben! Jenes tragische Wort aus der Stresemann-Ära der Verständigungspolitik nach dem ersten Weltkrieg hat heute in vielen Schicksalsfragen allzu häufig erneut sein Gewicht: zu wenig und zu spät! Jeder, dem daran liegt, dem Osten die Chance zu nehmen, durch irgendwelche Aggressionen das Gebiet der Versklavung auszudehnen, und jeder, dem daran liegt, eine produktive Gemeinschaft der westlichen Völker auszubauen, die für die Ideale des Rechtes und der Freiheit empfänglich sind, eine produktive Zusammenarbeit weltumspannender Art, muß von deutscher Seite immer wieder darauf hinweisen, wie sehr gerade viele Maßnahmen der Besatzungsmächte in Deutschland heute noch geeignet sind, den gegenteiligen Effekt herbeizuführen. Das muß im Zusamenhang mit der Behandlung der Besatzungskosten immer wieder gesagt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir möchten nicht den Fehler begehen, die westlichen Besatzungsmächte ausgesprochen als Schutzmächte zu bezeichnen; denn wir glauben, daß es Deutschlands nicht würdig ist, auf die Dauer in einer Art von Protektoratstatut zu verharren. Was wir erstreben, ist der Weg der Gleichberechtigung, der allerdings mit Erfolg nur begangen werden kann in dem Maße, wie der Westen vergewissert sein kann, daß eine Option für ein neues diktatorisches Versklavungssystem für uns Deutsche nicht mehr in Betracht kommen kann.
Wir stellen uns in den Rahmen der westlichen Welt, die des Schutzes bedarf gegen ein System der Menschenvernichtung, der Menschenversklavung,
und Deutschland kommt in dieser Welt eine becheidene, aber sehr wichtige Aufgabe zu.
- Diese Verleumdungen werden seit Monaten immer wieder erhoben. Auch nachdem ich sie hier berichtigt habe, werden sie immer wieder aufgenommen. Es sind Monomane, die immer dieselben Dinge wiederholen.
Unsere wichtige Aufgabe also ist es, dafür zu sorgen, daß die soziale Front in Deutschland und
die soziale Front in Europa nicht geschwächt wird. Unsere Schwäche, unsere Hilfsbedürftigkeit ist zum Teil, das muß in diesem Zusammenhange gesagt werden, durch eine falsch angelegte Politik auch der westlichen Besatzungsmächte in den Jahren seit 1944 verschärft worden. Die 1,8 Millionen gebombter Wohnungen, die 3,4 Millionen Kriegsbeschädigter und Hinterbliebener kommen auf das Konto der deutschen Diktatur. Aber es ist als Folge der Politik von Teheran und Potsdam die Belastung durch 71/2 Millionen Heimatvertriebene und 1 1/2 Millionen Flüchtlinge aus der Ostzone seit dem Jahre 1946 hinzugekommen. Das darf nicht verkannt werden, wenn wir unser dringendes Anliegen vortragen, nun den Weg der Gleichberechtigung durch eine weitere Station des Fortschritts zu markieren, nämlich die Station des gemeinsamen Verhandelns über die Besatzungskosten mit dem Ziele ihrer Senkung.