Rede von
Dr.
Gebhard
Seelos
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen zunächst dem Herrn Berichterstatter ein Wort des
Dankes für die ausgezeichnete Arbeit über die Besatzungslasten sagen, die er zusammengestellt hat.
Eine solche Diskussion ist hier im Hause schon längst fällig; denn es handelt sich um ein Zentralproblem des deutschen Volkes, wenn man bedenkt, daß die halben unmittelbaren Bundeseinnahmen für Besatzungslasten wegfallen. 4 1/2 Milliarden DM! Das ist ein Posten, der schon wert ist, daß man sich etwas damit befaßt. Er ist jedenfalls so hoch, daß er ein Vielfaches der Einnahmen aus dem Marshallplan ausmacht.
Selbst die höchsten Zahlungen nach dem ersten Weltkrieg einschließlich Reparationen und Leistungen für die Besatzungsmacht haben 2,2 Milliarden nie überstiegen, so daß also die jetzigen Zahlen in der verkleinerten westdeutschen Republik das Doppelte ausmachen. Diese Zahlen muß man sich vergegenwärtigen, damit man das ganze Problem sine ira et studio betrachtet.
Man hält uns von alliierter Seite hauptsächlich immer zwei Argumente entgegen, zum einen, daß wir keine Militärlasten haben, und zum andern, daß doch große Teile dieser Besatzungskosten wieder an deutsche Angestellte, an deutsche Gewerbetreibende usw. zurückfließen. Die Gegenargumente zu dem ersten Einwand stehen schon in dem Bericht von Herrn Pfleiderer.
Was wir an Sonderbelastungen haben, das sind die 4 Millionen Toten und ihre Hinterbliebenen, die Witwen und Waisen, deren Versorgung uns ungeheure Kosten verursacht; das sind die 1 Million Vermißter — deren Angehörige auch versorgt werden müssen —, die noch immer in Rußland stecken, teilweise deshalb, weil die Armeen, als sie von den westlichen Mächten gefangengenommen worden sind, nicht aufgenommen, sondern gezwungen worden sind, sich in russische Gefangenschaft zu begeben. Es ist ferner der Faktor der 8 Millionen Heimatvertriebenen; ich brauche kein Wort darüber zu sagen. Es sind unsere zerstörten Großstädte, diese Kriegslast; es ist die Demontage, und es ist schließlich die Finanzierung der unmöglichen besatzungsmäßigen Konstruktion von Berlin, die uns 1 Milliarde im Jahr kostet, und letztlich die Halbierung Deutschlands, die zusammen mit der Notwendigkeit der Neuorganisierung der Industrie unsere ganze Wirtschaft zusätzlich belastet.
Wenn man diese Faktoren zusammenzählt, dann ergibt sich, glaube ich, daß wir wohl mehr als die 30 % leisten, die in US oder England für Aufrüstung gezahlt werden müssen. Wir nehmen das als eine Folge des Krieges hin, aber wir können nicht sagen: Wir müßten darüber hinaus nochmals 30 % aus unserem Etat für Militärlasten zur Verfügung stellen. Das ist angesichts dieser Situation und dieser Faktoren einfach eine Unmöglichkeit.
Das zweite Argument ist, daß doch sehr viel an die deutsche Wirtschaft zurückfließt. Nun, bei dem geringen Sozialprodukt, über das wir verfügen, muß es nach wie vor uns Deutschen überlassen bleiben, wie wir dieses Sozialprodukt verteilen wollen, und es geht nicht an, daß ein großer Faktor, also etwa 400 000 oder 500 000 Leute zu viel besseren Bedingungen versorgt und bezahlt werden als der Rest des Volkes. Sonst geht das aus seinem Sozialprodukt, und ferner
würde auch eine gewisse Animosität gegen diejenigen entstehen, die bei der Besatzungsmacht arbeiten. Wir haben nichts dagegen, daß jemand bei der Besatzungsmacht arbeitet. Das ist eine selbstverständliche Folge der Besetzung. Aber man darf nicht eine Animosität dadurch schaffen, daß man diesen Personen einen erhöhten Anteil aus unserem furchtbar kleinen Sozialprodukt zuweist.
Ich will noch insbesondere auf die Lasten in der Wohnraumfrage eingehen. Hier ist eine scharfe Kritik der Regierungsmaßnahmen am Platze. Aus den Debatten in diesem Hause — die Bayernpartei hat ihre ersten Anträge schon im Oktober vorigen Jahres gestellt - mußte es der Regierung ganz klar sein, daß die Frage hier zur Diskussion kommen würde und man Material schaffen müsse. Statt dessen sehen Sie aus dem Bericht des Berichterstatters, der doch über die Quellen der Regierung verfügt und das nicht selbst machen kann, daß fünf Jahre nach dem Krieg völlig ungenügende Schätzungsangaben über den Wohnraum zur Verfügung stehen. Bei Bayern steht darin: 50 000 Wohnräume, geschätzt. Ich kann dazu sagen: Bereits vor vier Monaten habe ich von der bayerischen Regierung die Zahl bekommen: 123 000 Wohnräume. Das sind also Differenzen, die doch ein völlig anderes Bild ergeben. Es sind also nicht bloß insgesamt 293 000 Wohnräume, sondern — wenn in dem Bericht auf Grund der Regierungsangaben noch mehr solche Irrtümer enthalten sind — über 400 000 besetzt.
Wir müssen auf diesem Gebiete schon rein aus psychologischen Gründen zu einer Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht kommen. Wir müssen zu dem System der gemischten Kommissionen kommen, wie wir sie im Rheinland von 1919 an hatten. Dann, davon bin ich überzeugt, kann man ohne weiteres 100 000 Wohnräume einsparen. Das bedeutet für uns etwas! Das sind 400 Millionen DM, die wir an Wohnraumgeldern ersparen, und wir haben diese Wohnräume sofort zur Verfügung.
Die Regierung muß also endlich diese Angaben beibringen. Dann kann man sich in Ruhe mit der Besatzungsmacht auseinandersetzen. Man müßte auch diese Unterlagen darnach staffeln, wieviel alleinstehende Personen in untergeordneter Stellung bei der Besatzungsmacht ganze Häuser mit 10 und mehr Wohnräumen oder mit 5 bis 10 Wohnräumen haben. Dies alles muß man statistisch sorgfältig erfassen. Ich bin überzeugt, daß man z. B. in Amerika einer tiefen Verärgerung Ausdruck geben würde, wenn bekanntwürde, wie weitgehend die Besatzung dieses Wohnrecht oft noch ausübt. Gerade von ziviler amerikanischer Seite würden wir jede Unterstützung finden. Es ist nun einmal so, daß jede Armee, gleichgültig welcher Nation, das, was sie einmal hat, behält, wenn nicht ein gewisser Druck von ziviler Seite ausgeübt wird. Ich weiß -aus Aussprachen mit amerikanischen Beamten, daß sie jederzeit bereit sind, uns zu helfen, wenn wir nur die nötigen hieb- und stichfesten Angaben bringen. Die haben wir noch nicht gebracht; also haben wir noch kein Recht, der Besatzungsmacht Vorwürfe zu machen. Wenn wir mit klaren Unterlagen an sie herantreten, dann werden wir bestimmt Abhilfe finden, davon bin ich überzeugt.
Aber an der Regierung ist es, nach acht Monaten endlich etwas zu tun. Es ist doch ein psychologischer Faktor. Herr Müller oder Herr Schulze
versteht nicht, was die unendliche Leistung Amerikas aus dem Marshallplan mit 350 Millionen Dollar bedeutet. Aber wenn er an einem Hause vorbeigeht, wo ein einzelstehender Mann zehn Zimmer und mehr hat, das weiß er und darüber ärgert er sich jeden Tag. Deshalb muß man im Interesse der Besatzungsmacht ebensosehr wie in unserem Interesse diese psychologischen Hemmungen beseitigen; denn wir müssen doch allmählich — fünf Jahre nach dem Kriege! — davon abkommen, daß wir die Besatzung etwa noch als Strafbesatzung betrachten. Nein, das soll eine Garantiebesatzung sein,
eine Garantiebesatzung, die wir brauchen, eine
Garantiebesatzung gegen jede russische Aggression.
Wenn wir die „Besatzung" in diesem Sinne auffassen,
— jetzt halten Sie einmal den Mund! —, dann
können wir ohne weiteres auch in den Häusern
zusammenleben, dann können auch in den Zügen,
die oft so schlecht besetzt sind, die Besatzungsangehörigen zusammen mit den Deutschen fahren. Das alles muß jetzt fünf Jahre nach dem
Kriege doch eine Selbstverständlichkeit werde.
Ich richte deshalb an die Regierung die Aufforderung, diese Unterlagen schnellstens zu schaffen, damit wir hier die Erleichterungen, die jetzt fünf Jahre nach dem Kriege am Platze sind, baldmöglichst erhalten.