Rede von
Paul
Harig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt die Drucksache Nr. 687. Die Ursache zu diesem Antrag ist ein trauriges Kapitel. Schon am 1. Februar 1950 richtete meine Fraktion eine Anfrage über die Anwerbung Deutscher in ausländischen Söldnerheeren an die Bundesregierung. Am 21. Februar 1950 antwortete die Bundesregierung, die Anwerbung für ausländische Heere sei nicht verboten. Die Bundesregierung habe mit der Hohen Kommission auch noch keine Verhandlungen mit dem Ziel der Einstellung der Anwerbung gepflogen. Sie besitze keine zuverlässigen Unterlagen über den Umfang der Werbung. Das war sinngemäß die Antwort der Bundesregierung. Die Länderregierungen schlossen sich auf Befragen der Antwort der Bundesregierung im großen und ganzen an. So zum Beispiel hat der Sprecher der badischen Regierung ganz kürzlich erklärt, die Werbungen seien nicht verboten und fielen in das Tätigkeitsgebiet der Besatzungsmacht.
Wie liegen nun die Dinge? In einer westdeutschen Zeitung vom 1. März 1950 lesen wir:
Vom Bundesflüchtlingsministerium wurde bekanntgegeben, daß täglich 50 deutsche Jugendliche bei der Werbestelle für die französische Fremdenlegion angenommen werden.
Das Ministerium muß zugeben, daß es sich in der Hauptsache um arbeitslose Jugendliche handelt, welche die Not in die Fangarme der Legionen treibt.
Die Luzerner Neuesten Nachrichten" berichten, daß monatlich 2000 bis 2500 jugendliche Deutsche von fremden Ländern für den Waffendienst angeworben würden. Am 30. März 1950 schreibt eine süddeutsche Zeitung, daß 40 000 Deutsche in Vietnam gefallen seien. Die Hannoversche Presse berichtet, daß in den letzten vier Jahren rund 50 000 Deutsche in Vietnam gefallen seien. Das Rekrutierungsbüro befindet sich in Offenburg in der französischen Zone, wo monatlich rund 500 Eintragungen vorgenommen würden.
Das sind einige Berichte aus deutschen Zeitungen, die ich hier angeführt habe. Jetzt habe ich eine Zeitung zur Hand genommen, die erst gestern herausgekommen ist, und zwar die „Süddeutsche Zeitung" Nr. 96 vom 26. April 1950. Diese Zeitung. die in München erscheint, schreibt hier unter anderem — ich zitiere —:
Offenburg ist ein unruhiges Pflaster geworden, seitdem die Franzosen hier den einzigen Umschlagplatz für Legionäre aus Deutschland eingerichtet haben. Das Lager liegt am „Holderstock", zehn Minuten von der Stadt entfernt. Rechts weht an einem hohen Mast die Trikolore.
Jeden Tag passieren etwa vierzig bis fünfzig die Barrieren. wöchentlich kommen etwa einhundert, eingekleidet und vereidigt. in einem geschlossenen Transport nach Marseille.
Es heißt weiter:
Die Anwerbestellen in Lindau, Landau und anderen Städten Deutschlands können ihre Tätigkeit . also ruhig fortsetzen, denn die Bundesregierung hat „bisher keine Verhandlungen über die Anwerbung geführt".
Das zu den Zeitungsberichten. Ich bin Betriebsrat in einem Großbetrieb. Unter den bei uns sich täglich einfindenden 60 bis 70 Arbeitslosen, die um Arbeit bitten, gibt es eine ganze Menge Jugendlicher, die auch heimatlos und wohnungslos sind. Da es nicht möglich ist,, die Leute unterzubringen, habe ich persönlich schon des öfteren gehört, daß diese Jugendlichen erklären: „Es bleibt uns nichts übrig, wir müssen zur Fremdenlegion gehen." In ihrer Not, in ihrer wirklichen Not erklären sie das. Ein anderer Weg bleibt ihnen auch tatsächlich nicht, trotz Marshallplan!
Ich persönlich habe neulich ein Erlebnis im Wartesaal des Kölner Hauptbahnhofes gehabt. Dort traf ich einige junge Menschen. Ihre Unterhaltungen haben ich dann gehört. Ich habe mich später in ihre Unterhaltung auch eingemischt. Sie erklärten ganz offen: „Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen. Wir haben keine Heimat, wir haben keine Arbeit. Wenn
Sie uns irgendwo Arbeit besorgen könnten, wären wir Ihnen sehr. sehr dankbar. Aber da wir nirgends Arbeit finden, müssen auch wir uns notgedrungen nun der Fremdenlegion zur Verfügung stellen." — Das ist ein Erlebnis, das ich selbst in Köln im Wartesaal des Hauptbahnhofes gehabt habe.
Aus dem Grunde ist die Frage der Anwerbung von Söldnern für ausländische Heere nicht nur eine nationale, sondern auch eine soziale Frage.
Es liegen Erlebnisberichte vor. und die eben von mir zitierte Zeitung bringt einen solchen Erlebnisbericht, wie die Anwerbungen in den Biros in Koblenz, Hochheim, in Landau und Lindau vorgenommen wurden und wie sich das Schicksal dieser jungen Deutschen dann gestaltet.
Das sind Dinge, die ich nicht an den Haaren herbeiziehe, sondern die in den von mir zitierten Zeitungen zu lesen sind. Die Zeitungen stehen voll von diesen Dingen, aber die Regierung sieht nichts.
Ist denn die Regierung eigentlich blind, daß sie diese Dinge nicht sieht, daß sie dort nicht von sich aus eingreift; erst recht, nachdem wir den von mir zitierten Antrag mit den sieben Fragen gestellt haben? Ich glaube. diese Regierung will nichts sehen und sie darf nichts sehen.
Es paßt alles so schön in das Mosaik der Kriegsvorbereitungen.
- Gut gelesen? Ich will dem Zwischenrufer sagen: Geben Sie mir eine Stunde Redezeit! Ich brauche kein Konzept. Ich will mit Ihnen eine Wette eingehen. daß ich mich in der Rededauer Ihnen gleichstelle.
Es war von jeher die Eigenschaft verfallender Klassen, sich von der Nation zu trennen. Die preußischen Junker und die Fürsten haben in der Geschichte Beispiele dafür geliefert.
Und so werden auch diejenigen, die nationalen Verrat übten, auch heute wieder würdige Nachfolger finden.
Beruhigen Sie sich, seien Sie still von der Ostzone! Ich bin vor wenigen Wochen mit einem der Ihrigen, und zwar dem Vorsitzenden der CDU aus Hagen-Haspe, zehn Tage dort gewesen. Nun will ich Ihnen sagen, was passiert ist.
Als wir zurückkamen — unterbrechen Sie mich doch nicht! —, hat ihn seine Partei, die CDU, weil er die Wahrheit gesagt hat, zur Räson gebracht. Sie hat ihn so lange getreten, bis er nicht nur seinen Vorsitzendenposten niedergelegt hat, sondern sogar aus der CDU austreten mußte,
2186 Deutscher Bundestag. — 59, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
bloß weil er die Wahrheit über die Verhältnisse gesagt hat, die er dort erlebt hat.
— Sie haben bisher doch einen der Ihrigen beschwindelt und nicht uns.
— Ich sage ja, ich messe mich nicht an Ihrer Intelligenz.
— Das tue ich auch nicht. Ich bin ja auch nur ein simpler Betriebsrat, und manchem fällt es überhaupt auf, daß ein Arbeiter aus einem Betrieb hier in diesem Parlament anwesend ist; dem kommt das ganz komisch vor.
Dieser westdeutsche Staat bedeutet ja nicht nur die Spaltung unseres Vaterlandes, sondern stellt auch nur eine Karikatur eines selbständigen Staates dar.
Das gefällt Ihnen auch wieder nicht. Adenauer hat nicht mehr Selbständigkeit, als General Pétain in Vichy mit seiner Regierung hatte. Die deutsche Jugend aber — und nun können Sie wiederum aufheulen — wird am Pfingsten zeigen, daß sie nicht gewillt ist,
für die Interessen der Monopolkapitalisten des In- und Auslandes zu sterben.
Das deutsche Volk sollte jedenfalls erwarten dürfen, daß die Bundesregierung auf dem Petersberg vorstellig wird, um zu verhindern, daß weiterhin deutsche Söhne im Interesse der Imperialisten in fremden Ländern elend umkommen.
Ich bitte daher, dem Antrag auf Drucksache Nr. 687 zuzustimmen,
wobei ich mir auf Ihre Unterstützung keine Hoffnung mache.