Meine Damen und Herren! Wer seit sieben Monaten unvoreingenommen den Beratungen in diesem Hause beiwohnt und wer die deutschen Länderparlamente kennt, wird nicht daran zweifeln, daß der deutsche Parlamentarismus in mancher Hinsicht einer Reform bedarf. Zu den Dingen, die in den Augen des Volkes am meisten und mit Recht der Kritik ausgesetzt sind, gehören die Doppelmandate. Wir stimmen den Gedanken, die Herr Abgeordneter Dr. Etzel bezüglich der Länderminister, die Mitglieder dieses Hauses sind, ausgesprochen hat, durchaus zu. Er hat aber mit seinem Antrag nur einen Fall herausgegriffen, der selten ist, wenn es sich auch um einen besonders krassen Fall handelt. Wir von der Christlich-Sozialen Union sowie die Abgeordneten der Christlich-Demokratischen Union, die diesen Antrag unterzeichnet haben, wünschen, daß mit den Doppelmandaten überhaupt aufgeräumt und das Übel an der Wurzel angepackt wird.
Die Überlastung all derer, die in der heutigen Zeit zwei Mandate besitzen, brauche ich Ihnen nicht zu schildern, am wenigsten wohl denen, die dies persönlich betrifft. Es ist für dieses Haus, das allwöchentlich tagt, gar nicht tragbar, daß ein Mandatsträger abwesend ist, weil er in dem betreffenden Landtag sein muß. Es ist aber auch für den Landtag nicht tragbar, daß der Abgeordnete bei ihm fehlt. Gerade wenn man als Föderalist in den deutschen Landtagen echte Parlamente mit echten staatlichen Hoheitsaufgaben sieht, kann man es nicht verstehen, daß es sogar drei Landesvorsitzende bayerischer Parteien gibt, die ihr Landtagsmandat nur nebenbei ausüben. Es wird zur Hebung der Bedeutung der deutschen Landtage beitragen, wenn in den Landtagen nur hauptamtliche Abgeordnete, d. h. solche Abgeordnete sitzen, die nicht im Bundestag sind und nur so nebenbei ihr Landtagsmandat ausüben. Es liegt auch im Sinne einer gesunden Demokratie, die Gewalten zu teilen, auch wenn diese Gewaltenteilung nicht zu der gehört, über die Montesquieu geschrieben hat. Aufgabenteilung führt meistens zu einer Aufgabenverbesserung.
Was den besonders krassen Fall der Länderminister betrifft, so wurde schon von meinem Vorredner darauf hingewiesen, in welche Schwierigkeiten diese kommen, wenn sie etwa auf Grund eines Kabinettsbeschlusses im Bundesrat eine andere Haltung einnehmen müssen, als sie sie gemäß einem Fraktionsbeschluß im Bundestag zu vertreten haben.
Das Volk verlangt in jeder Beziehung, nicht nur bei den Ministern, sondern auch bei den Abgeordneten, Klarheit über die Verantwortung und wendet sich gegen jede Verfilzung im öffentlichen Leben. Ich möchte darum unseren Gesetzentwurf einen Gesetzentwurf zur Entflechtung der Politik nennen.
Die Annahme dieses Gesetzentwurfs liegt vor allem aber im Sinne der jungen Generation, die auf diese Weise die Möglichkeit haben wird, in die politischen Stellungen nachzurücken, so daß diese nicht einer einzigen Generation vorbehalten bleiben.
— Sie brauchen sich darüber nicht aufzuregen; ich habe dieses Amt längst niedergelegt!
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß es dort technische Schwierigkeiten geben kann, wo ein Landtag vielleicht nur noch ein halbes oder ein ganzes Jahr besteht, wo, wie in Nordrhein-Westfalen, Mehrheitswahl eingeführt ist und nun wegen des halben oder auch ganzen Jahres eine Neuwahl stattfinden müßte. Wir haben deshalb eine Übergangsregelung dergestalt getroffen, daß es bei diesen Parlamenten noch so lange bei dem gegenwärtigen Zustand bleiben kann, bis die Wahlperiode abgelaufen ist.
Die Waffe, mit der man gelegentlich unseren Gesetzentwurf zu schlagen gedenkt, ist der Einwand, daß er angeblich gegen das Grundgesetz verstößt. Man behauptet, dieses Gesetz verletze das Grundrecht des passiven Wahlrechts, also der Wählbarkeit. Ich kann mich hier auf Erörterungen darüber nicht einlassen, werde es aber im Verfassungsausschuß tun. Ich möchte hier aber auch nicht die Frage untersuchen, ob die Gesetzgeber des Grundgesetzes in der passiven Wählbarkeit überhaupt ein Grundrecht sahen. Jedenfalls stehen die Artikel 38
und 48 des Grundgesetzes nicht in dessen erstem Teil.
— Ja, sie stehen im Grundgesetz; aber ob die passive Wählbarkeit ein Grundrecht ist, ist eine andere Frage. Jedenfalls werden Sie, Herr Professor Schmid, als Staatsrechtslehrer mit mir darüber einig sein, daß es sich nicht um ein unbedingtes Grundrecht wie bei dem Grundrecht auf Leben oder Gewissensfreiheit, sondern nur um ein bedingtes Grundrecht handeln kann.
Bedingte Grundrechte sind nach allgemeiner Auffassung solche, die der Natur der Sache nach eingeschränkt werden können. Meine Damen und Herren, aus der Natur der Sache ergibt sich doch, daß ein Mann oder eine Frau in ein Parlament gewählt wird, um dort erst einmal körperlich anwesend zu sein.
Sie können aber nicht zugleich im Deutschen Bundestag und im Landtag von Südwürttemberg anwesend sein! Wenn ich mich an die Zeit meiner Kindheit erinnere, in der ich Legenden gelesen habe, so fällt mir ein, auch einmal gelesen zu haben, daß es mittelalterliche Heilige gab, die die Gabe der Bilokation, also die Gabe hatten, gleichzeitig an zwei Orten zu sein. Die Damen und Herren dieses Hauses besitzen diese Gabe wohl nicht, auch wenn wir sie uns manchmal gern wünschen möchten.
Ich möchte behaupten, daß das passive Wahlrecht seinen spezifischen Sinn verliert, wenn man nicht verhindert, daß jemand gleichzeitig in zwei Parlamente gewählt werden kann, weil man nämlich sonst sein Recht und seine Pflicht, im Parlament zu arbeiten, gar nicht erfüllen kann. Im übrigen finden Sie solche Unvereinbarkeitsbestimmungen in allen demokratischen Verfassungen. Überall ist es verboten, daß das Staatsoberhaupt in einem Parlament sitzt.
— In England nicht; dort steht überhaupt nichts darin. Wo ein Zweikammersystem besteht, ist auch fast überall der Grundsatz der Inkompatibilität durchgeführt, wie man ja auch oft den Grundsatz hat, daß Beamte, Richter und Soldaten nicht in einem Parlament sein können.
Im übrigen steht zwar nicht in der bayerischen Verfassung, aber im bayerischen Pressegesetz, daß ein verantwortlicher Schriftleiter nicht in einem Parlament sitzen darf. Das ist keine Einschränkung des passiven Wahlrechts; denn es ist dem Schriftleiter nicht verboten, in das Parlament gewählt zu werden, sondern er hat ja die Möglichkeit, zwischen dem Parlamentsmandat und seiner anderen Tätigkeit sich zu entscheiden.
Ich möchte nicht, daß man sich hier hinter verfassungsrechtlichen Vorwänden verschanzt, weil man diese Posten nicht trennen will, deren Trennung das Volk fordert.
Wenn Sie unsern Gesetzentwurf annehmen, meine Damen und Herren — Sie können ihn vorerst ruhig dem Ausschuß überweisen —, werden Sie einen wesentlichen Schritt vorwärts tun zu einer reformierten und gesunden deutschen Demokratie!