Rede von
Gottfried
Leonhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Wohl jedem Abgeordneten dieses Hohen Hauses wurde schon irgendwie und irgendwo einmal die Frage nach der Höhe der Diäten vorgehalten. Phantastische Zahlen über die Höhe dieser Bezüge wurden genannt. Sie alle kennen die Höhe dieser Zahlen. Uns allen in diesem Hause wäre es wohl lieber, wenn nicht wir selbst dieses Gesetz schaffen müßten.
Besser wäre es gewesen, wenn dieses Gesetz gleich nach dem Zusammentritt des Bundestages beschlossen worden wäre.
Hätten wir es aber damals beschlossen, dann wäre uns wohl von allen Seiten vorgehalten worden: Das also ist den Abgeordneten das Wichtigste, daß s i e ihr Geld bekommen; das Volk kann ruhig Not leiden.
Wenn ich heute zu dem vorliegenden Diätengesetz und den Ausführungsbestimmungen das Wort ergreife, dann darf ich für mich in Anspruch nehmen, mich jederzeit mit allem Nachdruck für eine Regelung eingesetzt zu haben, die möglichst jede Korruption ausschaltet. Dies scheint mir bei dem vorliegenden Entwurf weitgehend der Fall zu sein.
Wie sich die Diäten aus Pauschalgebühr, Tagegeld usw. zusammensetzen, haben Sie von unserem Berichterstatter gehört. Addiert man diese Beträge, dann kommt man selbstverständlich auf eine Summe, die weiten Kreisen viel zu hoch erscheint. Aber diese Leute halten nicht auseinander, was wirkliches Einkommen und was Betriebsausgaben, also Unkosten, sind.
Nicht einmal der ausgekochteste Buchprüfer irgendeines Landesfinanzamtes käme auf den Gedanken, einem steuerpflichtigen Geschäftsmann die Telephon- und Postgebühren, die Unkosten für den von dem Betrieb benötigten Kraftwagen oder das, was er für Übernachtungen anläßlich einer Geschäftsreise bezahlt, zu dem Einkommen zuzuschlagen, wie man es leider bei den Abgeordneten zu tun gewohnt ist.
Jeder mittlere oder höhere Beamte hat, falls erforderlich, einen bestimmten Sachapparat zur Verfügung, eventuell Auto, Fahrer, Büro, Schreibkräfte usw. Diesen Apparat bezahlt die Öffentlichkeit mit aller Selbstverständlichkeit, während der Abgeordnete sein Auto, sein Büro und all diese Dinge selbst finanzieren muß.
Nehmen wir die gesamten Einnahmen und Ausgaben der Abgeordneten doch einmal unter die Lupe.
— Durch Zwischenrufe lasse ich mich dabei nicht aus dem Konzept bringen; ich möchte nur sachlich über diese Angelegenheit sprechen.
Ein großer Teil der Abgeordneten mußte — dies sei ausdrücklich betont — Beamtenstellungen aufgeben. Andere haben durch die Abgeordnetentätigkeit große geschäftliche Nachteile; Ersatzkräfte mußten eingestellt und bezahlt werden. Nahezu alle Abgeordneten sind gezwungen, einen doppelten Haushalt zu führen. 50 bis 100 DM dürfte der Durchschnittspreis für ein Zimmer hier in Bonn sein.
Die 100 DM Unkostenzuschuß für den Telephonanschluß, die Fernsprechgebühren und die Postauslagen reichen für die wenigsten Abgeordneten aus. Die 200 DM für ein Sekretariat decken in keiner Weise die tatsächlichen Unkosten eines solchen. Diejenigen Abgeordneten, die diese Ausgaben nicht haben, können diesen Betrag auch nicht erheben.
Ein großer Teil der Abgeordneten hat keine andere Wahl, als die Nachtzeit zu benutzen, um mit der Bahn nach Bonn zu fahren. Die Schlafwagengebühren von 100 DM oder mehr im Monat gehen selbstverständlich zu Lasten des Abgeordneten. Ich glaube, kein Mensch beneidet diese Leute um ihre zirka 8 Nachtfahrten je Monat nach Bonn.
Was das Leben hier kostet, ist zur Genüge bekannt; darüber ist wohl kein Wort zu verlieren. Man braucht nicht gerade die von dem Abgeordneten Loritz in einer Versammlung erwähnten Koteletts zu 4 DM zu essen, um bedeutende, Ausgaben zu haben. Siedewurst mit Rotkohl oder Sauerkohl und Fischfilet sind nach meinen Beobachtungen die Spezialgerichte der Abgeordneten.
Coca-Cola und Hohenastheimer Apfelsaft oder ein Glas Bier oder eine Tasse Kaffee sind die üblichen Getränke der Abgeordneten in diesem Hause. Es ist nicht so, wie leider auch Abgeordnete dieses Hauses in demagogischer Weise behaupten, daß ein großer Teil der Abgeordneten dauernd im Restaurant sitzt und dort seine Diäten verzehrt. Nein, die Abgeordneten hier kennen keinen Achtstundentag und kein freies Wochenende.
Den Leuten, die von den riesigen wertvollen Kristallvasen in diesem Hause sprachen, muß gesagt werden, daß es sich um alte ausgebrauchte Säureballons handelt.
Man mag über den Bundestag sagen, was man will: die Tatsache ist nicht zu bestreiten. daß der größte Teil der Abgeordeine Fülle von Arbeit leistet, von der Uneingeweihte keine Vorstellung haben und keine haben können.
Der Abgeordnete hat durch seine dauernden Reisen auch bedeutend höhere Ausgaben für Garderobe und Wäsche. Das ist doch selbstverständlich und dürfte von niemand bestritten werden. Die 200 DM für Fahrten im Wahlkreis decken kaum die Kosten für das Halten eines Kraftwagens. Amortisation, Verzinsung. Steuer. Versicherung, Garagenmiete und Betriebstoff verschlingen pro Monat wahrscheinlich etwas mehr als diese 200 DM.
Der Abgeordnete kann doch seinen Wahlkreis wirklich nicht mit dem Fahrrad oder zu Fuß bereisen. Denn die Wahlkreise der meisten Abgeordneten sind sehr groß. Manche Abgeordnete haben über 200 Dörfer zu besuchen, deren entfernteste oft mehr als 100 km auseinanderliegen. Und wehe dem Abgeordneten, wenn er nicht jederzeit kommt, wenn sein Erscheinen von seinen Wählern gewünscht wird!
Was hat ein Abgeordneter zum Beispiel von seinem Wochenende? Zahlreiche Besucher warten mit Schmerzen auf ihn; Versammlungen, Besprechungen, Sitzungen füllen seine Zeit aus. Von seiner Familie hat ein Abgeordneter überhaupt nichts mehr. Fragen Sie die Frauen der Abgeordneten, die wissen Bescheid, oder auch umgekehrt die Männer der Frauen Abgeordneten hier in diesem Parlament.
Wenn dieses Haus einmal nicht so besetzt ist, wie es sein sollte, so ist das bestimmt bedauerlich. Wenn man aber weiß, welch eine Fülle von Korrespondenz der Abgeordnete in diesem Hause zu erledigen hat, wenn man um die Verhandlungen weiß, die er hier mit Ministerien und anderen Stellen führt, wenn man an die Besucher denkt, die er empfängt und deren Wünsche er weitgehend erledigt und berücksichtigt, dann weiß á man auch, daß diese Aufgaben hier eine Menge Zeit in Anspruch nehmen.
Wie oft tagen aus Zeitmangel auch noch Ausschüsse während der Plenarsitzung! Diese Tatsache verdient ebenfalls beachtet zu werden.
Ein Abgeordneter dieses Hohen Hauses sagte unlängst in sehr billiger und demagogischer Weise in einer großen Versammlung unter dem Beifall der Menge u. a.: „Der Bundestag wirft unnötigerweise das Geld zum Fenster hinaus." 402 Abgeordnete seien viel zu viel, 200 würden durchaus genügen. Ich entgegnete diesem Herrn, zum Abstimmen wären durchaus 200 oder 50 oder auch noch weniger genug, aber ich sei nicht in der Lage, einen Wahlkreis richtig zu bearbeiten, der doppelt so groß wäre, wie dies bei meinem heutigen Wahlkreis der Fall ist. Und den anderen Herren und Damen geht es auch nicht anders.
Die Tätigkeit eines Bundestagsabgeordneten dürfte doch, an den Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes gemessen, geldlich mindestens so bewertet werden, wie dies in dem vorgelegten Diätengesetz und in den Ausführungsbestimmungen geschieht. Oder sollen die Abgeordneten diese Tätigkeit etwa ohne Entschädigung ausüben? Dies würde doch dazu führen, daß nur noch Großkapitalisten, Syndici, Partei- oder Gewerkschaftsfunktionäre, Journalisten oder Angehörige ähnlicher Berufsgruppen ein Mandat annehmen und ausüben könnten. Aber dies gäbe bestimmt keine Volksvertretung aller Bevölkerungsschichten, so wie es im Interesse unseres Volkes unbedingt notwendig ist.
Unter Berücksichtigung aller angeführten Tatsachen und Umstände ist der Betrag, den ein Abgeordneter nach der jetzigen Regelung erhalten soll, auch vor dem letzten Wähler vertretbar. Ich werde mich nicht scheuen, diese Regelung überall vor meinen Wählern, aber auch vor meinem Gewissen zu vertreten und zu verantworten.